Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

Meine Damen und Herren, ich weise zwischendurch darauf hin, dass wir uns in der Aktuellen Stunde befinden. Es gab verschiedene Anfragen zu Dreiminutenbeiträgen. Das ist nicht vorgesehen. Wir werden die zweite Runde schließen, wenn alle Redner, die gemeldet wurden, geredet haben. Wir sind auch schon weit über die vereinbarten 60 Minuten. Ich gebe Ihnen also den Hinweis, dass Sie sich für Dreiminutenbeiträge nicht melden können. - Das Wort hat für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal feststellen - damit es nicht im Raum stehen bleibt -, dass die sogenannte fachpolitische Auffassung des Innenministers nicht

(Eka von Kalben)

die einzig mögliche fachpolitische Auffassung ist. Es wird so getan, als ob man in ein Amt kommt und es dann nur eine einzige Auffassung gebe, eine Auffassung, die richtig sei, und der Rest verkehrt sei. Es geht nicht nur um die Frage der Effizienz, Herr Innenminister, welche Möglichkeiten ein Staat hat, Straftaten zu verfolgen oder möglicherweise präventiv zu sein, sondern um die Frage, ob das rechtlich zulässig und gewollt ist. Eine Gesellschaft entscheidet immer darüber, welche Maßnahmen sie zulässt.

Ich kann mich an die Debatte nach einem Entführungsfall in Hessen erinnern, Sie auch, Herr Kollege Stegner, wo es hochrangige Polizeibeamte gegeben hat, die das effiziente Mittel der Folter - früher war es teilweise effizient - haben anwenden wollen, weil es einem höheren Zweck dient, nämlich ein Leben zu retten. Wir hatten einmal einen Ministerpräsidenten in Niedersachsen mit dem Namen Albrecht. Er hat in sehr eloquenter Art die Frage gestellt: Was ist, wenn wir wissen, ein Attentäter hat eine Bombe in ein Stadion gelegt, und wir können durch Folter herausfinden, wo die Bombe ist, wir können das Stadion nicht mehr evakuieren? Wäre es dann nicht menschlich angebracht, die Folter anzuwenden? Es gab damals bis auf ganz wenige die einheitliche Auffassung, dass das einem zivilisierten Staat nicht zukommt,

(Beifall FDP und PIRATEN)

vor allem deshalb, weil wir aus dem Mittelalter schon wussten, dass unter Folter Geständnisse zustande kommen und Erklärungen abgegeben werden, die mit der Wahrheit nichts zu tun haben, nur um dem Schmerz zu entgehen.

Wir hatten eine Rechtslage, eine Überlegung, dass man mit einem Bundeswehrjet eine Passagiermaschine abschießen kann, wenn damit möglicherweise verhindert wird, dass diese Passagiermaschine größeren Schaden anrichtet, beispielsweise in Frankfurt oder anderswo. Das Verfassungsgericht hat hier gesagt: Nein, man kann nicht Leben gegen Leben aufwiegen. Man kann den konkreten Tod von Menschen nicht dem potenziellen Tod von Menschen gegenüberstellen. Das ist unserer Rechtsordnung fremd.

Ich erwarte, Herr Innenminister, dass man sich über die Grundfragen Gedanken macht, bevor man mit einer Vielzahl von, wie ich finde, falschen Argumenten in die Debatte eingreift. Ich bestreite nicht die Effizienz dieser Maßnahme. Ich bestreite, dass das mit unserem Verfassungssystem in Übereinstimmung steht. Mit einem freiheitlich-demokrati

schen Rechtsstaat steht nicht in Übereinstimmung, sämtliche Kommunikationsdaten von 82 Millionen Menschen über längere Zeit zu speichern.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Noch einmal: Ich bin dafür, immer wenn etwas passiert, im Rahmen eines Quick-freeze-Verfahrens die Daten einzufrieren, bis man Anhaltspunkte dafür hat, wen man konkret verfolgen soll, aber erst dann, wenn etwas passiert ist, und zwar, wie es verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist, bei schweren und schwersten Straftaten, nicht bei Dingen, mit denen man sonst sein Unwesen treiben kann. Alle Maßnahmen im Bereich der Überwachung, Geldwäsche, Telekommunikationsüberwachung haben mit der Behauptung angefangen, Herr Innenminister, es gehe nur um Terrorismus und schwerste Straftaten. Herr Kollege Peters, schauen Sie sich an, wie die Kataloge von Mal zu Mal ausgeweitet worden sind, weil man gesagt hat: Wenn man das Mittel schon hat, kann man es für alles anwenden. Was spricht denn dagegen? Unbescholtene Bürger haben nichts zu befürchten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, beschäftigen Sie sich bitte alle mit Big Data. Dann sage ich Ihnen: Keiner von uns ist unbescholten. In den USA sind sie bereits so weit, dass sie die Datensätze verbinden, um potenzielle Straftaten, um mögliche Straftaten von Personen, die man im Visier hat, abzuwehren. In den USA ist es bereits so, dass Sie nicht auf Bewährung herauskommen, wenn Algorithmen Ihnen aufgrund der Vielzahl von Daten, die gesammelt worden sind, nicht bescheinigen, dass Sie künftig ein straffreies Leben führen werden. Wenn wir dazu kommen, dass wir es Maschinen überlassen, über die Frage zu entscheiden, ob sich Menschen wandeln, ob sie Normen beachten können oder auch nicht, dann gute Nacht, Marie, dann sind wir dort, wo George Orwell nie hin wollte.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Abgeordneten Breyer?

Gerne, Herr Dr. Breyer.

Herr Kollege Kubicki, Sie haben eben die fachliche Einschätzung dieser Landesregierung angesprochen. Was sagen Sie eigentlich dazu,

(Wolfgang Kubicki)

dass auf Bundesebene die Federführung für die Vorratsdatenspeicherung zur Strafverfolgung bei der Bundesjustizministerin lag, die sich auch sehr prominent dazu geäußert hat, dass wir aber auf Landesebene zu diesem Thema in der Öffentlichkeit nur vom Innenminister etwas hören, der offenbar als Einziger von der gesamten Koalition eine abweichende Meinung zu haben scheint?

- Herr Dr. Breyer, zunächst einmal akzeptiere ich die Ressortzuteilung auf Bundes- und Landesebene, so wie sie da ist. Ich würde mir auch wünschen, dass sich in diesem Bereich neben dem Innenpolitiker Breitner auch Justizpolitiker in diesem Hause äußern und ihre Rechtsbedenken deutlich machen würden.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Herr Breyer, ich kann die Ressortzuschneidung hier im Lande nicht ändern. Aber ich glaube auch nicht, dass die Idee des Kollegen Andresen sinnvoll ist das ist die Antwort auf Ihre Frage -, wegen einer abweichenden Meinung in einer einzelnen Frage einen wesentlichen Teil der Kompetenzen aus dem Innenministerium zur Justiz zu verlagern.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Das sind grundsätzliche Fragen. Sie können nicht in einem Einzelfall entschieden werden, nur weil man die Auffassung des Innenministers in dieser Frage nicht teilt.

Herr Abgeordneter, es gibt die Bitte um eine zweite Zwischenbemerkung, diesmal von Rasmus Andresen. Lassen Sie diese zu?

Ja, selbstverständlich.

Dann hat Herr Andresen das Wort.

Vielen Danke, Herr Kollege. Würden Sie dann bitte auch zur Kenntnis nehmen, dass die Position, dass solche Grundrechtsfragen aus grüner Sicht besser in das Justizministerium als in das Innenministerium gehören, nicht erst seit gestern existiert, sondern etwas ist, was wir auf Bundesebene schon seit Langem fordern?

Das nehme ich zur Kenntnis. Aber um das zu gewährleisten, hätten Sie das Justizministerium besser ausstatten müssen, und zwar bei der Umsetzung. Sie hatten die Gelegenheit, bei der Koalitionsvereinbarung darauf hinzuwirken.

Unabhängig von dieser Frage will ich noch eines sagen. Herr Innenminister, ich finde es wirklich toll, wie Sie sich hier präsentiert haben. Aber ich frage mich, wie Sie den inneren Konflikt auflösen wollen, der darin besteht, dass Sie auf der Innenministerkonferenz etwas vortragen, was Sie für grundfalsch halten.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Ich stelle mir das so vor: Sie sitzen da und sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus fachlicher Sicht muss das sein, aber meine schwachsinnigen Koalitionäre in Kiel haben etwas anderes beschlossen. Oder was sagen Sie sonst? Sagen Sie: Es ist eine tolle Entschließung im Koalitionsvertrag, und das haben wir im Parlament toll beschlossen, aber ich bin anderer Auffassung, deshalb sage ich, macht das mal anders? Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll. Ich weiß auch nicht, wie Sie das tatsächlich nach außen vertreten. Denn Sie müssen ja sagen: gegen meine innere Überzeugung, Opferschutz. Gegen Ihre eigene Überzeugung machen Sie jetzt etwas, was dem Opferschutz zuwiderläuft. Denn Opferschutz war für Sie der Grund für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung.

Ich bin gespannt, wie das weitergehen soll. Ich halte Sie für sehr eloquent, auf allen Hochzeiten Verschiedenes zu erklären und zu dokumentieren. Aber in der Sache selbst, Herr Innenminister, ist das bemerkenswert. Sie müssen der deutschen Öffentlichkeit erklären, dass Sie sagen, es wäre notwendig, aber gleichzeitig dagegen stimmen, weil die Koalition anderer Auffassung ist. Das ist etwas, was nichts mit Meinungsfreiheit zu tun hat, Herr Kollege Stegner, sondern mit Handeln in der Öffentlichkeit, mit Konsequenz, der Überzeugung, der eigenen Meinung.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ist einmal zurückgetreten, weil sie etwas, was die Koalition beschlossen und im Vertrag hatte, persönlich nicht mittragen konnte. Das verdient Respekt und nicht Eloquenz auf allen Ebenen.

(Beifall FDP und PIRATEN)

(Wolfgang Kubicki)

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist nunmehr abgelaufen. Sie können aber noch eine Zwischenbemerkung des Abgeordneten Stegner zulassen und diese auch beantworten.

Wenn der Herr Dr. Stegner mir die Minute schenkt, bin ich gern bereit, die Frage zuzulassen.

Bitte schön, Herr Stegner.

Vorweihnachtliche Geschenke sind etwas Wunderbares. Ich wollte Ihnen zum einen den Hinweis schenken, dass mir Menschen, die zu hundert Prozent ihre Auffassung durchsetzen können, eher unheimlich sind und dass es durchaus zu den ganz normalen Dingen in einem Fraktionsvorsitzenden- oder Parteivorsitzendenleben gehört, dass sie nur Teile ihrer Auffassung durchsetzen können.

Weil Sie noch nie in einer Innenministerkonferenz waren, ich aber dieses Vergnügen schon hatte, will ich Ihnen gern eine kleine Erkenntnis schildern, damit Sie nicht ohne Erkenntnis nach Hause gehen müssen. Der Kollege Wolf, seinerzeit FDP-Innenminister in Nordrhein-Westfalen, der ein Gesetz eingebracht hatte, das den Trojaner installiert, um Terrorismus zu bekämpfen, aber in Wirklichkeit ganz viele Leute abhören konnte das war das erste Gesetz, von einem FDPMinister eingebracht -, hat in der Innenministerkonferenz sehr eloquent dargestellt, dass die Haltung der Bundes-FDP zu solchen Fragen irgendwie eine andere sei, aber wie wichtig es doch ist, dass man just diesen Punkt aus fachlichen Gründen durchsetze. Das Gesetz ist anschließend übrigens vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden. Ich habe ihm auf der Innenministerkonferenz widersprochen. Das Einstimmigskeitsprinzip führt dazu, dass es reicht, wenn einer widerspricht. Insofern passiert einem das einmal so herum und einmal so herum, in Ihrer Partei, in unserer Partei. Davon geht die Welt nicht unter. Dass wir das miteinander gelernt haben, ist doch wunderbar.

Herr Kollege Dr. Stegner, ich bin immer wieder begeistert, wie historische Reminiszenzen das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Wenn Sie dagegen gestimmt haben, kann es wegen des Einstimmigkeitsprinzips nicht Gesetz geworden sein.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Auf Bundesebene nicht!)

Unabhängig davon sage ich Ihnen, dass mein Kollege Burkhard Hirsch auch juristisch dagegen vorgegangen ist und zum Schluss recht bekommen hat.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Aber noch einmal: Es ging momentan nicht darum, dass sich Herr Breitner in der Koalition nicht durchgesetzt hat. Wenn ich das von den PIRATEN richtig verstanden habe, war das seine Auffassung beim Koalitionsvertrag. Er hat sich in der Koalition durchgesetzt. Es ist nur so, dass er sich jetzt mit seiner geänderten Auffassung in der Koalition offenbar nicht durchsetzen kann. Das spricht für Sie als Koalitionsfraktionen, aber es spricht gegen ihn als Innenminister und Fachpolitiker. Herzlichen Dank.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Beratung und stelle fest, dass die Aktuelle Stunde beendet ist.

Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge zu Tagesordnungspunkt 19. Es ist beantragt worden, in der Sache abzustimmen. Abweichend von der Geschäftsordnung, schlage ich Ihnen nach § 75 GO vor, den vorliegenden Änderungsantrag zu einem selbstständigen Antrag zu erklären. Findet dies Ihre Zustimmung? - Ich sehe keinen Widerspruch.

Bevor wir zu der Abstimmung kommen, frage ich Herrn Kollegen Dr. Breyer, was er auf dem Herzen hat.