Protokoll der Sitzung vom 21.02.2014

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich gefragt, wann der Antrag aus der vergangenen Legislaturperiode in dieser Legislaturperiode mit verteilten Rollen recycelt wird. Herr Kollege Heinemann, insofern haben Sie meine Erwartungen voll und ganz erfüllt.

Auffällig finde ich - das kann ich Ihnen nicht ersparen, weil wir in der vergangenen Legislaturperiode die Diskussion in unterschiedlichen Rollen geführt haben -, dass die Liebe zum Detail bei der diesmaligen Antragstellung deutlich nachgelassen hat. Als Oppositionsabgeordneter und gesundheitspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode haben Sie einen Antrag auf Psychiatrieplanung mit 22 Schwerpunkten in den Landtag eingebracht. Davon ist nicht mehr viel übrig geblieben. Das heißt, auch für Sie gilt: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

(Zuruf Bernd Heinemann [SPD])

Ich freue mich aber auch darüber. Ich habe die Reden vom letzten Mal nachgelesen. Insofern ist das, was wir heute diskutieren, sehr viel näher an der Realität als das, was Sie damals gefordert haben.

Wenn wir noch einen Schritt weiterkommen wollen, dann müssen Sie auch so ehrlich sein und feststellen, dass das, was wir heute diskutieren, keine Psychiatrieplanung ist. Die Landesregierung spricht im Übrigen auch nicht von einem Psychiatrieplan 2000, sondern von einem Bericht.

Auch das, was Sie heute machen, ist weniger Plan als vielmehr Bericht. Ich finde das im Übrigen auch richtig so, weil vieles, was in diesem Bereich passiert ist, komplett richtig war. Auch die Kommunalisierung war vollkommen korrekt. Das Angebot, das wir auf Landesebene haben, ist vor allem dadurch bestimmt, dass es nach wie vor Probleme in

(Dr. Marret Bohn)

der Versorgung gibt. Es gibt sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor Probleme in der Versorgung. Im Hinblick auf die Freude, die die Vorredner hier zum Ausdruck gebracht haben, sage ich: Ob neue Datensammlungen tatsächlich dazu beitragen, Versorgungslücken zu schließen, da bin ich ausgesprochen skeptisch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon ausgegangen, dass wir weniger ein Erkenntnisdefizit haben als vielmehr ein echtes Umsetzungsproblem. Ich will einmal sagen: Es liegen aus meiner Sicht bislang ausreichend Daten darüber vor, wie die psychiatrische Versorgung in Schleswig-Holstein gewährleistet wird. Es gibt eine ausreichende Problembeschreibung, die unter anderem darauf zurückgeht, dass bereits im Jahre 2007 vonseiten der Gesundheitsministerkonferenz ein umfangreicher Bericht zur Psychiatrie in Deutschland - Strukturen, Leistungen, Perspektiven - vorgelegt wurde. Darauf aufbauend hat anschließend die Arbeitsgemeinschaft Psychiatrie der AOLG im Jahr 2012 für die Gesundheitsministerkonferenz einen Bericht zur Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgungsstrukturen in Deutschland - Bestandsaufnahme und Perspektiven - erarbeitet. Es mag unschädlich sein, sämtliche jetzt zur Verfügung stehenden Daten noch einmal neu aufzubereiten. Ich warne aber ein bisschen davor zu glauben, dass sich dadurch, dass wir nur weiter Papier bewegen und engagierte Arbeitsgruppen haben, an der Versorgungssituation für die Patienten, die dringend verbessert werden muss, etwas ändert.

Herr Heinemann, Sie wissen ganz genau, das Problem ist, dass beispielsweise nur halbe Kassenarztsitze vergeben werden. Das ist ein Teil der Lösung, aber zugleich auch ein Teil des Problems, weil die tatsächliche Zeit am Patienten schlicht und ergreifend nicht dem entspricht, was eigentlich erforderlich ist.

Vor diesem Hintergrund bin ich der Kollegin Bohn ausgesprochen dankbar dafür, dass sie das Beispiel aus dem Kreis Steinburg angesprochen hat. Das ist für mich nämlich eines der Beispiele dafür, wie gesundheitliche Versorgung nicht nur im psychiatrischen Bereich, aber gerade in diesem hochsensiblen Bereich funktionieren muss. Da müssen im Übrigen auch alle Professionen zusammenarbeiten.

Ich schließe mich selbstverständlich dem Antrag auf Ausschussüberweisung an, warne aber vor der Euphorie davor, in einer Art Selbstbeschäftigung mit einem neuen Bericht könnten wir tatsächlich real die Probleme in der psychiatrischen Versorgung lösen. Die werden hier nur dann lösen, wenn es ge

lingt, Konzepte zur künftigen Zusammenarbeit, zum Zusammenführen von Professionen tatsächlich anders zu gestalten, als es bislang gelungen ist. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat der Abgeordnete Wolfgang Dudda.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beginnen möchte ich mit der Feststellung, dass ich dem, was Frau Bohn gesagt hat, und auch dem, was die Ministerin gesagt hat, voll zustimme: Das Thema der Enttabuisierung der Erkrankungsformen verdient künftig bei Beratungen eine prominentere Platzierung in der Debattenreihenfolge. Ich will das begründen.

Ihr Zwischenbericht, für den ich Ihnen danke, gibt her, dass wir bis 2020 etwa die Hälfte aller Erkrankungen als psychische Erkrankungen zu behandeln haben werden. Da ist die Dynamik der Erkrankungen unserer trägen Gesundheitspolitik bei Weitem überlegen, und das nicht nur an der Stelle. Das haben auch die Debatten, die hier im Landtag in den letzten Jahren dazu geführt wurden und die ich mir angeschaut habe, gezeigt. Die Zustandsbeschreibung - vom Kollegen Heinemann bereits angeführt - des Landkreis- und des Städtetages aus dem Jahre 2011 sagt doch genug.

Gibt uns der vorliegende Bericht ausreichende und richtige Antworten auf die Frage, wie sich das Land an der Stelle aufstellt? - Ich finde, dass sich darin sehr gute Ansätze finden lassen. Er bedient die Ansprüche aus der WHO-Erklärung aus dem Jahr 2005 und bezieht viele Akteure ein. Wenn hier die Dialogkultur tatsächlich und vollständig sachlich bedient würde, wäre eigentlich alles in Ordnung und alles okay. Aber dem ist leider nicht ganz so. Leider fehlen in der Liste der im Bericht genannten Dialogpartner diejenigen, die vor Ort Verantwortung tragen. Die Stellungnahme des Städtetages aus dem Jahr 2011 bringt es an vielen Stellen auf den Punkt und beklagt den zunehmenden Rückzug des Landes bei der psychiatrischen Versorgung. Die Hauptlast der psychiatrischen Versorgung liegt bei den Kommunen. Daher sollten sie auch der AG Psychiatriebericht unbedingt angehören. Was nützt es, wenn kluge Gedanken bei der AG gefasst werden, die auf kommunaler Ebene nicht umgesetzt werden können?

(Dr. Heiner Garg)

Einen anderen Aspekt - den haben Sie, Frau Bohn, angesprochen - teile ich ausdrücklich; das ist der Teil der Prävention. Vielleicht sollten wir auch einmal mit den Gewerkschaften und deren Experten sprechen, was die Arbeitsverdichtung angeht. Das das ist ein dringender Punkt; denn bei den Diagnosen ist, soweit ich es zur Kenntnis bekommen habe, Arbeitsüberlastung oft der Auslöser für das, was wir jetzt gerade erörtern.

Ob die Strukturen der Landesregierung hier an allen Stellen dem gerecht werden können, erfahren wir aus dem Bericht nicht. Die - wie bereits am Anfang erwähnt - zweithäufigste Erkrankung in den kommenden Jahren rechtfertigt nach meiner Meinung auch wieder ein eigenes Psychiatriereferat im Gesundheitsministerium, das eventuell in der Lage wäre, die große AG ein wenig besser zu steuern.

Dass der Demenzplan Schleswig-Holstein Bestandteil der Überlegungen werden soll, ist klug und gut. Die schlichte Formulierung: „weil es Schnittstellen gibt“, ist absolut richtig, wenngleich der Bedeutung der Krankheit nicht ganz gerecht werdend. Auch die Demenz ist von ihrer Dynamik her unserer Politik und unserem Tempo weit überlegen. Das haben die Autoren des Antrags für den Zwischenbericht schon länger erkannt, wie ich den Redeprotokollen vergangener Debatten, an denen wir noch nicht teilgenommen haben, entnehmen konnte. Ich möchte Ihnen beiden, Herr Kollege Heinemann, Frau Bohn, ausdrücklich für Ihr Engagement in den letzten Jahren danken.

Eine Bitte habe ich zum Schluss an die Frau Ministerin: Beziehen Sie bitte auch den Beauftragten für Flüchtlings- und Asylfragen mit ein. Die Versorgung von psychisch erkrankten Migranten hierzulande ist erbärmlich und absolut unterentwickelt.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Angebot dafür ist dringend auszubauen. Die meisten von diesen Leuten sind aufgrund ihrer Fluchtereignisse traumatisiert. Das müssen wir ebenso aufgreifen wie die Situation der 80.000 Sinti und Roma, die eine eigenständige Versorgung brauchen.

Der Weiße Ring, der sich schon seit Langem um eine Traumaambulanz bemüht, gehört eigentlich auch zu denen, weil er diejenigen vertritt, denen Gewalt angetan worden ist. Insofern begrüße ich die Offenheit, Frau Ministerin, für die AG, die Sie eben zum Ausdruck gebracht haben, ausdrücklich. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank. - Für die Kolleginnen und Kollegen des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für den SSW muss ich eines ganz deutlich sagen: Die Weiterentwicklung psychiatrischer Angebote im Land ist eine ungemein wichtige und unverändert dringliche Aufgabe. Anscheinend haben unsere Vorgänger dies nicht ganz so gesehen. Anders kann ich mir zumindest nicht erklären, warum die umfassenden Vorschläge aus der Anhörung von Ende 2010 nicht weiter beachtet wurden und warum kaum etwas bewegt wurde. Aber sei es drum.

(Vereinzelter Beifall SSW und SPD)

Ob es nun an einer verbesserten Diagnostik liegt oder an den Auswüchsen unserer Leistungsgesellschaft: Fakt ist, dass die Zahl der Menschen mit psychischen Störungen zunimmt. Dies müssen wir zur Kenntnis nehmen, und wir müssen entsprechend handeln. Auch der Bericht, für den ich dem Ministerium ausdrücklich danken möchte, nennt diese Dinge beim Namen. Er weist auf unsere Vereinbarung im Koalitionsvertrag hin, nach der wir hier eben eindeutig einen Handlungsbedarf sehen. Maßnahmen zur Erhaltung der psychischen Gesundheit von Kindern und Erwachsenen sollen gestärkt werden, und es soll ein ausreichendes gemeindenahes Behandlungsangebot vorgehalten werden. Dies ist unser gemeinsamer Auftrag. Den werden wir auch erfüllen.

Auch wenn der Bericht hierzu gar nicht so viel Neues liefert, halte ich die aufgelisteten Daten und Fakten zur Entwicklung psychischer Erkrankungen für erschreckend. Man muss sich das einmal klarmachen: Jeder dritte Erwachsene und jedes fünfte Kind in Deutschland hat früher oder später mit Störungen und psychischen Auffälligkeiten zu kämpfen. Offenbar sind Depressionen und Angststörungen mittlerweile Ursache Nummer eins für verminderte Arbeitsproduktivität, Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung.

Aber noch viel schlimmer als die Milliardenschäden, die durch psychische Erkrankungen europaweit entstehen, ist aus Sicht des SSW Folgendes:

(Wolfgang Dudda)

Wer an einer psychischen Erkrankung leidet, hat auch noch ein erhöhtes Risiko für organische Folgeerkrankungen wie Schlaganfall und Diabetes. Es ist also ungemein wichtig, diesen Menschen so früh wie möglich zu helfen, im besten Fall natürlich schon durch präventive Maßnahmen.

Kein Zweifel: Die Situation der psychisch Kranken bei uns in Schleswig-Holstein muss genau analysiert werden, und die Hilfen müssen entlang der bestehenden Leitlinien ausgerichtet werden. Wo immer es nötig erscheint, wollen wir gemeinsam mit den Betroffenen Verbesserungen bei der Versorgung auf den Weg bringen.

Der SSW hat immer gefordert, dass im Falle eines erhöhten Bedarfs auch die Struktur der Angebote angepasst werden müsse. Auch wenn bei diesem Thema der Bereich der unmittelbaren Landesplanung eher begrenzt ist, muss klar sein, dass hier immer vom Patienten ausgegangen werden muss. Wir wissen zum Beispiel, dass insbesondere die wohnortnahe Versorgung für psychisch kranke Menschen von größter Bedeutung ist.

Um ehrlich zu sein: Wir haben es bei der Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung mit einer echten Mammutaufgabe zu tun. Es gibt eine sehr große Vielfalt an Angeboten und Versorgungsstrukturen hier im Land. Es gibt eine große Zahl an Akteuren, die selbstverständlich alle in diesen Prozess einbezogen werden müssen. All dies ist uns und der Landesregierung durchaus bewusst. Vor diesem Hintergrund ist der eingeschlagene Weg der einzig richtige: Dem Konsens in der Arbeitsgruppe Psychiatriebericht entsprechend wird nun eine detaillierte Bestandsaufnahme der verschiedenen Versorgungsangebote erstellt. Diese Basis halte ich für unverzichtbar, denn Ziel ist, im Anschluss gemeinsam mit den beteiligten Experten, mit den Betroffenen und mit der kommunalen Familie Schwachstellen der Versorgung aufzudecken.

Ich denke, nur so lassen sich wirklich effektive Vorschläge für Verbesserungen und sinnvolle Ergänzungen des bestehenden Systems finden. Genau dies wollen wir im Sinne der Betroffenen und ihrer Angehörigen erreichen.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Kollegen Bernd Heinemann von der SPD-Fraktion das Wort.

Als erster Redner hat man nicht die Chance, vorauszuahnen, was kommen wird. Diese Debatte war erfrischend und wohltuend. So etwas habe ich im Psychiatriebereich noch nicht erlebt. Deshalb möchte ich mich zum Schluss noch einmal bei allen Fraktionen ganz herzlich bedanken, denn offensichtlich sind jetzt alle an Bord.

Ganz besonders bedanke ich mich bei Kristin Alheit und ihrem Team dafür, dass sie diesen Weg gemeinsam mit den Akteuren eingeschlagen haben, nämlich in der ersten Stufe gemeinsam mit den Praktikern die Defizite, die Zahlen und die Fakten zusammenzutragen, und in der zweiten Stufe mit den für die Umsetzung Verantwortlichen auf der Ebene der Kreise und der kreisfreien Städte dafür zu sorgen, dass dies implementiert wird. Drittens wird dann mit den für die Vernetzung Verantwortlichen zusammengearbeitet, um all dies mit dem Demenzplan und dem Diabeteskonzept, beide gehören eng dazu, zu vernetzen. Am Schluss entsteht so ein Plan, der den Namen verdient. Ich denke, das war in der Art, wie das heute zusammengetragen wurde, so schön, dass es wert war, diesen Dank an alle zu richten. Ich hoffe, wir kommen weiter. - Danke schön.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, ich schließe die Beratung. - Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung Drucksache 18/ 1518 an den Sozialausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dies einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:

12. Trilaterale Regierungskonferenz zum Schutz des Wattenmeeres

Mündlicher Bericht der Landesregierung

Bevor ich dem Herrn Minister das Wort erteile, weise ich Sie auf etwas hin, was Sie wahrscheinlich schon alle wissen: Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, diesen Tagesordnungspunkt ohne Aussprache zu behandeln. Ich erteile dem Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Herrn Dr. Robert Habeck, das Wort.

(Flemming Meyer)