Protokoll der Sitzung vom 19.03.2014

land hat gute historische Gründe. Sie darf aber nicht versteinern und so zu einem Sicherheitsrisiko eigener Art werden. Wir müssen vielmehr geeignete Führungsinstrumente entwickeln und einführen, die sicherstellen, dass eine gewisse Routine, die in der alltäglichen Arbeit durchaus gut und angebracht ist, nicht dazu führt, dass außerordentliche Herausforderungen als solche gar nicht erkannt werden.

In der Kürze der Zeit noch ein Wort zu den Herausforderungen, die nicht unmittelbar die Sicherheitsbehörden, sondern unsere Gesellschaft als Ganzes betreffen. Die vielfältigen Programme gegen Rechtsextremismus auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, die Arbeit der vielen Initiativen, des Kriminalpräventiven Rates, von Lehrern, Politikern und vielen anderen sind gut und richtig. Allein: Verhindert haben sie den verdeckten Terrorismus des NSU über mehr als eine Dekade nicht. Nach meiner festen Überzeugung muss unsere Gesellschaft in zumindest zwei Bereichen vorankommen: Speziell um rechtsextremistischen Tendenzen wirkungsvoller zu begegnen, reicht eine formal tolerante Gesellschaft nicht aus. Willkommenskultur und Integrationsbereitschaft müssen immer zusammen gedacht und praktiziert werden, damit die Spielräume für Extremisten immer enger werden.

(Beifall PIRATEN)

Es gehört schließlich auch dazu, dass wir nie vergessen - das richtet sich gegen alle Feinde unserer Gesellschaft, aus welcher Ecke sie auch immer kommen -, dass eine wehrhafte Demokratie nicht dadurch existiert, dass es im Grundgesetz steht, sondern dadurch, dass wir sie leben, bewachen und, wo nötig, auch weiterentwickeln.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Tobias von Pein.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Unbehelligt und unentdeckt im Untergrund agierend, konnten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und ihre Symphatisanten 14 Jahre lang Morde, Bombenanschläge und Raubüberfälle planen und durchführen. Ihre Bilanz: Mindestens zehn Ermordete und zahlreiche Verletzte. Ihr Motiv: Rassismus.

(Dr. Axel Bernstein)

Wir alle erinnern uns an den großen Schock, den das Aufdecken des Nationalsozialistischen Untergrunds ausgelöst hat. Wir alle waren fassungslos angesichts eines so großen Versagens der Behörden. Schnell waren sich alle einig: So etwas darf nie wieder passieren. Im Bundestag wurde parteiübergreifend ein Untersuchungsausschuss eingerichtet, um Klarheit über die gemachten Fehler zu schaffen und Lösungen zu erarbeiten.

Wir erinnern uns aber auch, wie schwer sich die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses und der drei weiter auf Landesebene laufenden Untersuchungsausschüsse in der Praxis gestaltetet hat oder noch gestaltet; verweigerte Zeugenaussagen, vernichtete Akten und ein enormer medialer Druck mit dem Wunsch nach Erkenntnissen. Trotz dieser Belastungen brachte der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundes eine umfassende Analyse und 47 Empfehlungen vor, die wir auch in SchleswigHolstein ernst nehmen.

Was die Piratenfraktion mit ihrer Großen Anfrage erreichen will, ist mir aber immer noch nicht ganz klar.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Mir auch nicht!)

Klar ist: Die Landesregierung ist nicht berechtigt, Auskunft über aktuelle Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft zu geben. Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und ihre braunen Mitstreiter läuft noch. Dass Erkenntnisse eines laufenden Verfahrens nicht herausgegeben werden können, müssten die Kolleginnen und Kollegen von den PIRATEN eigentlich wissen.

(Beifall SPD)

Die Frage, die sich mir stellt, lautet: Warum wurden diese Fragen Ihrerseits überhaupt gestellt? Vielleicht um an dieser Stelle mit Absicht zu skandalisieren?

(Angelika Beer [PIRATEN]: Was soll das denn!)

Schleswig-Holstein ist nach dem, was wir bisher wissen, nicht aktiv mit dem NSU in Verbindung zu setzen. Natürlich werden wir die Konsequenzen und Empfehlungen des Untersuchungsausschusses umsetzen, denn es ist klar geworden: Die Fehler sind auch strukturell verankert gewesen. Deshalb müssen wir für unsere Behörden Konsequenzen aus dem NSU-Fall ziehen.

Die Empfehlungen für den Bereich der polizeilichen Aus- und Fortbildung werden zum Beispiel bezüglich der interkulturellen Kompetenz unserer

Beamten in vielen Bereichen in Schleswig-Holstein bereits umgesetzt. Wir sind dabei, viele weitere Dinge, unter anderem verpflichtende Fortbildungen, umzusetzen.

Natürlich löst eine Reform der Sicherheitsstruktur die Problematik gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nicht in Luft auf. Rassismus ist in Deutschland kein Randphänomen, das an den sogenannten rechten Rand der Gesellschaft geschoben werden kann. Er ist tief in der Mitte der Gesellschaft verankert und Alltag. Jeder Verharmlosung von Rechtsextremismus, Rassismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit muss entschieden entgegengetreten werden.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt FDP und PIRATEN)

Mit unserem Landesprogramm gegen Rechts gehen wir in Schleswig-Holstein bereits einen guten Weg. Demokratische Kultur ist die beste Prävention von rechtem Gedankengut. Ich bin stolz, dass wir es hinbekommen haben, flächendeckend Beratungsstellen einzurichten. Mit ihnen garantieren wir die Aufklärung über rechte Strukturen und stärken demokratische Initiativen und Bündnisse vor Ort.

Die Reform der Sicherheitsbehörden bleibt aber weiter auf der Tagesordnung. Um den Grundsatz der wehrhaften Demokratie zu garantieren, braucht der Staat ein Instrument, das es möglich macht, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu erkennen und zu beobachten. Ein solches Instrument ist der Verfassungsschutz. Für uns ist das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei nicht verhandelbar.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Wolfgang Kubicki [FDP])

Wir wollen keine politische Polizei oder Geheimpolizei. Selbstverständlich ist für uns auch die enge Anbindung des Verfassungsschutzes an die Exekutive als Gegenentwurf zur Ansiedlung in einer eigenen Behörde. Zudem haben wir uns in Schleswig-Holstein bereits frühzeitig entschieden, eine starke parlamentarische Kontrolle zu gewährleisten. Mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium und der G-10-Kommission kontrollieren wir als Legislative den Verfassungsschutz umfangreich.

(Beifall SPD)

Da es hier um sensible, personenbezogene Daten geht, ist es selbstverständlich, dass hier das Prinzip der Geheimhaltung gilt. Liebe Piratenfraktion, Sie hatten an dieser Stelle einen Vergleich mit Berlin angeführt. Der Vergleich hinkt an dieser Stelle,

(Tobias von Pein)

denn hier hat man sich nur für eine etwas andere Geschäftsverteilung entschieden. Was dort geheim beraten werden muss, wird natürlich auch dort geheim beraten. Trotzdem stehen wir als Küstenkoalition gern für Gespräche bereit, wenn es darum geht, Parlamentsrechte an dieser Stelle zu stärken und die parlamentarische Kontrolle möglicherweise weiter auszubauen.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Ich finde zum Beispiel, dass man durchaus darüber reden kann, ob man nicht den Einsatz von V-Leuten - natürlich ohne Identitätsnennung - von der G-10-Kommission genehmigen und überwachen lassen sollte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns also die Konsequenzen aus dem Fall „Nationalsozialistischer Untergrund“ ziehen und angemessen inhaltlich darüber diskutieren. Lassen wir leere Fragen leere Fragen sein. Für ein starkes, demokratisches und weltoffenes Schleswig-Holstein!

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deren Fraktionsvorsitzende, Frau Abgeordnete Eka von Kalben, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Große Anfrage gibt uns Gelegenheit, hier im Landtag zwei wichtige Punkte anzusprechen, erstens den gemeinsamen und unbedingten Willen, Rechtsextremismus in jeder Form auch hier in SchleswigHolstein entgegenzutreten, und zweitens darüber zu sprechen, welche rechtsstaatlichen Strukturen dafür am angebrachtesten sind.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt PIRATEN)

Der interfraktionelle Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses, der hier schon einige Male zur Sprache gekommen ist, kommt zu folgendem Ergebnis - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:

„Die Analyse der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zur rechtsterroristischen Gefahr war falsch und verharmlosend.“

Das ist ein vernichtendes Urteil. Deshalb ist es gut, dass die Regierung, der Innenminister, deutlich gemacht hat, dass er gemeinsam mit der IMK an der Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses aktiv mitarbeiten will. Schleswig-Holstein kann hier sicher viel einbringen. Bei der interkulturellen Öffnung und der Vermittlung interkultureller Kompetenzen in der polizeilichen Ausbildung sind bereits Schritte getan, und das ist gut.

Schauen wir auf den Kern des Anliegens der Piratenfraktion, nämlich den Verfassungsschutz: Meine Damen und Herren, hier stehen wir meines Erachtens vor einem rechtsstaatlichen Dilemma. Wir fordern eine effektive Aufklärung. Frau Beer hat die inkompetente Arbeit bemängelt und verlangt mehr Kompetenz, um Terrorismus zu bekämpfen. Gleichzeitig fordern wir transparentere Strukturen mit parlamentarischer und möglichst öffentlicher Kontrolle. Beides zusammen ist nicht immer machbar. Wir in Schleswig-Holstein sind mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium schon einen sehr guten Weg gegangen. Der Verfassungsschutz kann in diesem vertraulich tagenden Gremium umfassend berichten. Diese Möglichkeiten wären in öffentlicher Beratung nicht gegeben.

Trotzdem gilt es abzuwägen: Auf der einen Seite steht die Vertraulichkeit zum Schutz von Ermittlungsergebnissen und Ermittelnden. Auf der anderen Seite sehen wir uns dem berechtigten Interesse der Abgeordneten und der breiten Öffentlichkeit nach Transparenz gegenüber. Hiermit werden wir uns zum Beispiel im Hinblick auf die kommenden Haushaltsberatungen beschäftigen müssen, denn wir meinen, dass Abgeordnete, die über einen Haushalt zu entscheiden haben, auch wissen müssen, wofür Geld ausgegeben wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Wir wollen erklärt bekommen, warum etwas geheim zu halten ist.

(Beifall PIRATEN)

Rechtsstaatlichkeit muss auch beim Schutz des Rechtsstaates oberste Priorität haben.

Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem NSU diskutieren wir viele strukturelle Fragen, wenn es um die Bekämpfung der Rechten geht: NPD-Verbot; ja oder nein? V-Leute; ja oder nein? - Manchmal liest man, dass V-Leute in der Kneipe gesehen wurden, in der ein Mord begangen wurde, dass sie das Verbrechen beobachtet haben. Man

(Tobias von Pein)

mag fragen, ob so ein Einsatz sinnvoll ist. Andererseits gilt: Wie viel Wissen würde uns verloren gehen, wenn wir - wie es meine Bundespartei im Übrigen beschlossen hat - ganz auf V-Leute verzichten würden? Weiter ist zu fragen: Wie gehaltvoll sollen wir uns öffentliche Berichte im Innenausschuss, wie sie gefordert wurden, vorstellen, wenn wir fordern, dass diese komplett öffentlich sein sollen? Ich persönlich kann mir den Erkenntnisgewinn nicht besonders hoch vorstellen, und ich weiß von dieser Einschätzung auch aus anderen Bundesländern.

Das sind drei beispielhafte Fragen, bei denen wir uns um strukturelle Dinge streiten. Meine Damen und Herren, ich glaube, es geht nicht nur um Struktur. Es geht um Haltung. Ich möchte noch einmal auf meinen ersten Punkt zurückkommen, nämlich auf den eigentlichen Kern der NSU-Problematik und die Frage: Wie gehen wir eigentlich mit dem Phänomen Rechtsextremismus um, wie gehen wir mit den Opfern um? Wie verhindern wir Diskriminierungen bei Ermittlungen, wie sie im NSUVerfahren vorgekommen sind?

Hierbei geht es nicht darum, einzelne Personen beim Verfassungsschutz oder bei der Polizei vorzuführen. Diese Beamtinnen und Beamte sind Spiegelbild unserer Gesellschaft; sie sind unser Spiegelbild. Wir alle müssen es gemeinsam schaffen, dass Schleswig-Holstein zu einem echten Einwanderungsland wird; dazu reichen Lippenbekenntnisse nicht aus.

Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass Fremdenfeindlichkeit etwas mit politischen Rändern zu tun hat. Gerade heute, gerade vor dieser Europawahl, müssen wir uns klarmachen, wie tief extremistisches Gedankengut in unsere eigentliche gesellschaftliche Mitte vorgedrungen ist. Die Hoffnung, diesem Gedankengut mit Geheimdiensten Herr zu werden, kann nur verpuffen.