Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass Fremdenfeindlichkeit etwas mit politischen Rändern zu tun hat. Gerade heute, gerade vor dieser Europawahl, müssen wir uns klarmachen, wie tief extremistisches Gedankengut in unsere eigentliche gesellschaftliche Mitte vorgedrungen ist. Die Hoffnung, diesem Gedankengut mit Geheimdiensten Herr zu werden, kann nur verpuffen.
Dialogkultur, Bildung und soziale Integration sind und bleiben die schärfsten Klingen gegen weiteren Rechtsextremismus. Wir haben in den letzten Jahren jeweils 300.000 € für den Kampf gegen Rechts zur Verfügung gestellt, um diesen Punkt der Prävention voranzubringen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige letzte Worte sagen. Ich hatte am Rande der letzten Bundespräsidentenwahl Gelegenheit, mit Angehörigen von Opfern zu sprechen. Das hat mich tief berührt. Die Ermittlungen haben sie ein zweites Mal zu Opfern werden lassen. Wie würde es uns erge
hen, wenn einer unserer nahen Angehörigen ermordet wird und sich die Ermittlungen erst einmal auf uns selbst beziehen, weil vielleicht unsere Herkunft das Vorurteil prägt, dass man aus dem kriminellen Milieu kommen könnte?
Das war keine Frage der Struktur der Behörden, sondern das war eine Frage der Haltung. Für eine Haltung zu mehr kultureller Vielfalt und mehr Demokratie gilt es, hier und überall zu kämpfen. - Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Erkenntnisgewinn aus der Beantwortung der Großen Anfrage ist genauso dürftig wie der Erkenntnisgewinn aus der gegenwärtigen Debatte, weil wir von der Frage, was eigentlich als Ermittlungsverfahren im NSU-Prozess passiert ist, zu einer Rechtsradikalen-Debatte übergehen.
Weder die Ermittler beim Verfassungsschutz noch bei der Polizei waren auf dem rechten Auge blind, sondern sie waren überhaupt blind, und zwar deshalb, weil aufgrund einer Vielzahl von Eitelkeiten Abgrenzungen, die das Verfahren betreffen, nicht so vorgenommen worden sind, wie man sie hätte vornehmen müssen.
Herr Dudda, Sie wissen, dass Ermittlungsbehörden dazu neigen, ihre Überlegungen verfolgen zu wollen und alles andere auszublenden, anstatt nach folgender Methode zu verfahren: Wir nehmen erst einmal alles an und versuchen dann, das auszuschließen, was nicht Wirklichkeit ist. - Dieses Versagen ist vom NSU-Untersuchungsausschuss, wie ich finde, in besonderer Deutlichkeit aufgearbeitet worden.
Die daraus folgenden Handlungsempfehlungen lauten: Wir brauchen bereits in der Ausbildung eine andere Herangehensweise und mehr Zusammenarbeit sowie andere Strukturen bei Vorgängen, die darauf hindeuten, dass es über einen Ort beziehungsweise über ein Land hinausgehende Dinge gibt, die strafrechtlich und polizeilich verfolgt werden müssen.
Aber, liebe Freundinnen und Freunde, wir müssen auch wissen, dass das auch eine Frage des Personals ist. Unser Verfassungsschutz arbeitet an der Grenze der Leistungsfähigkeit wegen der vorhandenen Personalsituation. Er muss den Linksextremismus, den Rechtsextremismus und den islamischen Extremismus überwachen. Das tut er mit einer bescheidenen Anzahl von Personen, die dann alle Informationen in sich verarbeiten sowie im Zweifel mit anderen Behörden kooperieren und diese Informationen weitergeben müssen. Wer also will, dass dort mehr Effektivität entsteht, muss auch bereit sein, im Zweifel mehr Personal zur Verfügung zu stellen, oder er muss sich Debatten dieser Art sparen.
Wir leben in Schleswig-Holstein - das kann ich aufgrund von eigener Erfahrung aus mehr als 20 Jahren sagen - in einem Land der Seligen, was die Überwachung des Verfassungsschutzes angeht. Kein anderes Bundesland gibt dem Parlament so weitreichende Möglichkeiten wie Schleswig-Holstein.
Aber ich warne dringend davor, eine Debatte darüber anzuzetteln, dass ein Gremium - welches auch immer - den Einsatz von V-Leuten genehmigen muss oder genehmigen sollte - unabhängig von der Frage, ob es anonym ist oder nicht. Was nützt es denn, etwas Anonymes genehmigen zu wollen, wenn man nicht einmal weiß, wer, wohin und wozu. Das ist doch überhaupt nicht sinnvoll. Dann ist die Genehmigung nichts anderes als eine formale Geschichte.
Ich warne auch dringend davor, weil diejenigen, die operativ tätig sind, nicht jedes Mal rückkoppeln können, ob das, was sie gerade tun oder nicht tun, noch vom parlamentarischen Willen gedeckt ist. Kontrolle einer Einrichtung ist etwas anderes als die Kontrolle von Einzelpersonen im Rahmen der operativen Tätigkeit.
Herr Kollege Dr. Breyer, bei aller Liebe zur Transparenz: Geheimdienste - das sagt der Name schon - können effektiv nur tätig werden, wenn sie geheim operieren.
- Es mag sein, dass Sie sie nicht wollen, aber erklären Sie mir einmal, wie man in diese Strukturen hineinkommen soll. Soll man das tun, indem wir öffentlich das Folgende erklären: Ein Beamter des Verfassungsschutzes meldet sich jetzt öffentlich bei
der NPD und fragt nach, was sie vorhat? Oder soll sich ein Ermittler bei möglicherweise kriminellen Einrichtungen melden und sagen: Ich bin ein Polizeibeamter und frage euch, was ihr vorhabt? Glauben wir dann, dass sie uns sagen, was sie vorhaben? - So naiv, wie Sie gerade tun, Herr Dr. Breyer, kann man doch gar nicht sein!
Herr Kollege Kubicki, wollen Sie mir zugeben, dass unsere Polizei auch ohne Geheimdienste die Möglichkeit hat, verdeckt in solche Strukturen einzudringen, und dass wir dazu keine Geheimdienste brauchen?
- Nein, das würde ich Ihnen nicht zugeben. Ich bin dezidiert anderer Auffassung, und zwar deshalb, weil verdeckte Ermittler der Polizei, die auch nicht offen, sondern verdeckt operieren - das sagt der Name schon - mit den Methoden, die ihnen der Rechtsstaat gewährt, nicht das ermitteln können, was wir mit V-Leuten oder anderen geheim operierenden Personen erledigen können.
Sie wissen, dass beispielsweise die Polizei nicht befugt ist, Wanzen in Wohnungen anzubringen. Das darf beispielsweise der Verfassungsschutz, wenn er sich daraus Erkenntnisse erhofft.
(Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Sie sind al- so für den Lauschangriff? Interessant! - La- chen FDP und CDU)
- Noch einmal: Ich bin nicht für den Lauschangriff, weil das etwas völlig Anderes ist. Aber ich bin dafür, dass wir Strukturen -
Das wollen Sie doch auch. Ich habe Frau Beer gerade gehört, die sagte, Sie wollten verhindern, dass so etwas künftig wieder passiert. Wie wollen Sie das denn tun, Herr Dr. Breyer, wenn Sie keine Erkenntnisse mit Methoden gewinnen wollen, die möglicherweise rechtsstaatlich bedenklich, aber rechtsstaatlich gerade noch zulässig sind, weil wir die Gesetze geschaffen haben?
Sie brauchen geheime Informationen darüber. Sie brauchen Menschen, die staatlicherseits in die Strukturen eindringen, weil Sie sonst keine Erkenntnisse gewinnen können. Wenn man so arbeiten würde, wie Sie das vorschlagen, weise ich Sie auf eine Reihe extremistischer Taten hin, die nicht im Vorfeld verhindert werden können, sondern die erst vollzogen werden müssen, damit wir sie überhaupt entdecken. So etwas will ich nicht.
Ich habe Verständnis dafür, dass die PIRATEN, weil ihnen sonst nicht anderes einfällt, diese Debatte hier noch einmal führen wollten, die bereits an anderer Stelle, nämlich im Deutschen Bundestag, sinnvoller geführt worden ist - genauso in den drei Landesparlamenten, die damit unmittelbar zu tun hatten.
Ich bin sicher, dass wir Gelegenheit haben werden, im Ausschuss die Frage zu klären, ob verschiedene Ansprüche - Frau von Kalben hat es gesagt - auf Transparenz und Rechtsstaatlichkeit bei gleichzeitiger effektiver Gefahrenabwehr miteinander verbunden werden können, sodass wir alle zufrieden und beruhigt sind.
Nach meiner Erfahrung kann ich sagen - ich bin seit 20 Jahren in solchen Gremien -: Wir haben in Schleswig-Holstein - das ist anders als anderswo weniger zu befürchten. Wir können stolz darauf sein, hier einigermaßen effektiv zu arbeiten, auch parlamentarisch. Wir sollten das verbessern, anstatt Diskussionen zu führen, von denen ich bisher immer noch nicht weiß, welchen Erkenntnisgewinn wir daraus ableiten. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Verfassungsschutzberichte zeigten, dass sich allmählich immer weniger Menschen mit rechtsradikalen Gedanken identifizierten. Nach Jahren des Wachstums verzeichneten die Verfassungsschutzbehörden seit einigen Jahren nicht nur in
Schleswig-Holstein, sondern bundesweit einen Rückgang der Personen im organisierten Rechtsextremismus. Das ist zunächst einmal erfreulich.
Gleichzeitig tauchten aktionistische Rechtsextremisten von der Bildfläche ab und organisierten sich in Zellen, deren konspirative Strukturen Beobachtungen und Einschätzungen durch Polizei und Verfassungsschutz erheblich erschweren. Unter der Oberfläche der Nazi-Szene verdichtet sich also ein harter Kern von Personen, die nach Taten dürsten, um unserer demokratischen Gesellschaft Gewalt anzutun. Nach außen geben sie sich bürgerlich; nach innen sind sie zu allem bereit. Dass es so etwas gibt, haben wir auf die harte Tour kennenlernen müssen.
Wir haben gelernt, das Undenkbare zu denken. Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die ihre verachtenden Ideen einer „Herrenrasse“ in einer Mordserie gegenüber vermeintlich anderen ausleben. - Das geschah länger als ein Jahrzehnt. Dass es neben grölenden Neonazis eben auch kühl kalkulierende Zellen gibt, hatte kaum jemand im Fokus. Wir hatten uns an das Bild des rechtsextremistischen Einzeltäters gehalten. Es gibt diese selbst ernannten einsamen Wölfe tatsächlich, wie seinerzeit Kay Diesner, der 1997 den Polizisten Stefan Grage ermordet hat. Daneben existieren aber auch gut vernetzte Zellen.
Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat kritisiert, dass die Verfassungsschutzbehörden in der Vergangenheit keine rechtsterroristische Gefahr erkannten. Gesellschaft und Ermittlungsbehörden haben rechtsextremistische Strukturen im Untergrund mit einem entsprechenden Unterstützernetzwerk unterschätzt und seit dem ersten Mord in Nürnberg an Enver Imek falsch eingeschätzt. Wir hatten nicht einmal einen Namen für diesen Terror von Rechts, sodass wir uns bis heute mit dem selbst gewählten Namen der Mörder begnügen, wenn auch in Anführungszeichen.
Wir haben gelernt, dass die Strukturen und Kompetenzen staatlicher Behörden nicht optimal waren. Koordinierungsprobleme der Landespolizeibehörden in Deutschland haben die Aufklärung der Mordserie erschwert. So konnte das Trio einen Mord nach dem anderen planen und auch durchführen.
Die Behörden haben seitdem vieles verändert und Kommunikation und Datenabgleich verbessert. Unterschiedliche Dateisysteme wurden harmonisiert, und der Dialog auch mit Migranten wurde in
Vergessen wir aber nicht, dass sich gleichzeitig mit den Veränderungen innerhalb von Polizei und Verfassungsschutz auch die rechtsextremistischen Strukturen verändern. Sie werden sich anpassen; das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Die Rechtsextremisten haben zwar kurzfristig den Kopf eingezogen, ihren falschen Idealen aber längst nicht abgeschworen. Der Verfolgungsdruck hat die Protagonisten der Szene in die Konspiration getrieben, unterstützt durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, die gerade auch das Internet bieten. Die vielköpfige Schlange ist aber nicht tot. Die rechtsextremistische Szene formiert sich gerade wieder neu und nutzt zum Bespiel Vorbehalte gegen Unterkünfte von Asylbewerbern für ihre Zwecke.
Ich warne hier ausdrücklich davor, dass diese neuen Agitationsformen nicht ernst genommen werden. Die Unterkünfte dürfen nicht zu Kristallisationskernen neuen Terrors werden, indem dort beispielsweise Anhänger rekrutiert werden. Auch das, meine Damen und Herren, muss im wahrsten Sinne des Wortes überwacht werden.