Protokoll der Sitzung vom 19.03.2014

Ich warne hier ausdrücklich davor, dass diese neuen Agitationsformen nicht ernst genommen werden. Die Unterkünfte dürfen nicht zu Kristallisationskernen neuen Terrors werden, indem dort beispielsweise Anhänger rekrutiert werden. Auch das, meine Damen und Herren, muss im wahrsten Sinne des Wortes überwacht werden.

Auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht warnt vor einem ,,Erkenntnisdefizit in der Lage- und Gefährdungsbeurteilung". Mit anderen Worten: Wir sollten uns nicht in Sicherheit wiegen, dass wir nun aber wirklich alle Formen von Rechtsterrorismus auf dem Schirm haben. Unser Vorwissen führt zu einer Erkenntniserweiterung, aber oft auch zu selektiver Wahrnehmung.Wenn wir also nur nach Zellen der Art Ausschau halten, deren Taten zurzeit in München vor Gericht verhandelt werden, werden wir andere, neue Formen des Rechtsterrorismus womöglich übersehen. Die meisten Fehler basieren darauf, dass wir unsere Fähigkeiten überschätzen. Genau das ist den Ermittlungsbehörden in der Vergangenheit auch passiert, die nicht erkannten, dass die Morde nicht nur zusammenhängen, sondern von einer rechtsextremistischen Zelle begangen worden sind. Viel zu lange ging man von Einzeltaten aus.

Meine Damen und Herren, genau diese selektive Wahrnehmung der Ermittlungsbehörden soll nun angegangen werden. Der Kollege Kubicki hat recht: Es ist wichtig, dass man nun gerade bei der Aus- und Fortbildung der Polizisten, aber auch zum Beispiel von Richtern Änderungen vornimmt, damit man diese Dinge und diese Strukturen auch erkennen kann. Wir haben auch schon gehört, dass die Justizministerin, aber auch der Innenminister, genau diesen Weg gehen wollen.

Wir haben also gelernt, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Kein Rechtsextremer soll meinen, dass die Demokratie nun wehrlos ist. Die Demokratie, meine Damen und Herren, lernt aus ihren Fehlern. Die Vergangenheit wird im Übrigen auch von diesem Hohen Haus aufgearbeitet, und unsere Gesellschaft und die, die unsere freiheitliche Gesellschaft schützen, sind glücklicherweise nicht auf dem rechten Auge blind und waren es vorher auch nicht.

Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir hier als Parlament wirklich die Botschaft aussenden, dass wir hinter unserer Polizei und hinter unserer Verfassung stehen, wenn es darum geht, extremistische Tendenzen zu bekämpfen. Ich glaube, das ist gut so. Im Übrigen gilt das, was auch die Vorredner bis auf die PIRATEN gesagt haben, nämlich dass wir einen solchen Verfassungsschutz brauchen, dass er natürlich parlamentarisch kontrolliert werden muss und wir hier auch die beste parlamentarische Kontrolle gewährleisten können. Aber wir werden um einen solchen Geheimdienst nicht herumkommen. Das ist nun einmal so. Ich bin froh, dass auch der Verfassungsschutz uns vor rechtsextremistischen Tendenzen hier in diesem Land schützt. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Patrick Breyer von der Fraktion der PIRATEN.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anfrage, die wir an die Landesregierung gerichtet hatten, hatte nicht nur die Erkenntnisse über die Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds in Schleswig-Holstein zum Gegenstand, sondern vor allem auch die Schlussfolgerungen, die wir daraus ziehen, und wie die - übrigens einstimmig gefassten, Herr Dr. Bernstein - Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses hier bei uns umgesetzt werden sollen.

Da muss ich schon sagen: Was wir dazu gehört haben, ist, dass die Umsetzung in komplett intransparenter Art und Weise angegangen wird. Da wird gearbeitet mit Bezug auf Arbeitskreisunterlagen - Sie haben es erwähnt, Frau Ministerin -, die der Öffentlichkeit gar nicht zugänglich sind. Auch auf Nachfrage sind diese nicht an uns herausgegeben wor

(Lars Harms)

den. Wenn doch gerade diese Sicherheitsstrukturen an der Intransparenz ihrer Arbeit gescheitert sind, wenn uns diese Geheimnistuerei gerade auf die Füße gefallen ist, kann man doch nicht die Konsequenzen daraus wieder ebenso intransparent und hinter verschlossenen Türen beschließen.

(Beifall PIRATEN)

Ich finde es interessant, dass Sie angekündigt haben, dass Veränderungen in der Struktur des Verfassungsschutzes vorgenommen werden. Aber warum wird uns das nicht in der Antwort auf unsere Anfrage mitgeteilt? Da haben wir doch danach gefragt. Warum hören wir das erst heute?

Herr Abgeordneter Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Herr Dr. Breyer, wären Sie der Auffassung, dass das Innenministerium eine Anfrage der NPD oder von Kameradschaften, wie denn das Innenministerium gedenke, die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses umzusetzen, offen und transparent beantworten sollte?

- Ich weigere mich, diese Frage zu beantworten, weil ich überhaupt keinen Ansatzpunkt sehe.

(Zurufe)

Herr Abgeordneter Kubicki, möchten Sie eine weitere Zwischenfrage stellen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er hat es nicht begriffen, glaube ich! Das war sehr intrans- parent!)

Zweitens. Selbst nach dem Scheitern der NSU-Ermittlungen fehlt jegliche Einsicht, dass die Notwendigkeit besteht, die Geheimdienste als Geheimdienste abzuschaffen. Dabei haben wir doch gesehen, dass sie nicht das verhindert haben, was da bei der Mordserie passiert ist. Dabei haben wir doch gesehen, dass teilweise durch Warnungen sogar Strafverfolgung vereitelt worden ist. Wir haben gesehen, dass über V-Leute letztendlich kriminelle

Strukturen mitfinanziert werden, um darüber Informationen abschöpfen zu können. Wer vor all diesem Hintergrund das Patentrezept verkauft, wir müssten die Geheimdienste noch ausbauen, lieber Herr Kollege Kubicki, der hat wirklich überhaupt nichts gelernt aus dem ganzen NSU-Skandal.

(Beifall PIRATEN)

Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Abgeordneten von Kalben?

Gern.

Herr Dr. Breyer, ich habe eine Frage, die sich auch noch auf Ihre Zwischenfrage von vorhin an den Kollegen Kubicki bezieht. Sie sagten, die Polizei hätte ja als Alternative, wenn wir den Verfassungsschutz abschaffen würden, die Möglichkeit, verdeckte Ermittler einzusetzen. Glauben Sie denn, dass eine parlamentarische oder eine öffentliche Kontrolle der Arbeit verdeckter Ermittler größer ist als die des Verfassungsschutzes?

- Definitiv, denn die Polizei unterliegt der Kontrolle der Justiz. Sie operiert nicht geheim, sondern grundsätzlich offen.

- Auch die Arbeit der verdeckten Ermittler?

- Natürlich nach Abschluss des entsprechenden Ermittlungsverfahrens; das wissen wir. Aber Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln rechtsstaatlich auf der Grundlage eines tatsächlichen Tatverdachts und nicht in Abwesenheit jeglicher Gefahr oder jeglichen Tatverdachts. So etwas ist einer Demokratie fremd, und das wollen wir deswegen nicht haben.

(Beifall PIRATEN)

Wenn wir die Geheimdienste abschaffen würden, könnten wir doch die Kapazitäten des Staates bei der sozialen Prävention von Kriminalität, aber auch bei der strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten, maßgeblich verstärken. Da werden doch die Leute gebraucht und müssten sie eingesetzt werden und nicht bei einem Dienst, der bloß informiert und zusehen kann, der völlig im Trüben fischt und gar nicht konkret dort ermittelt, wo ein Anlass dafür besteht.

(Dr. Patrick Breyer)

Bedauerlich ist aber auch, dass es nicht einmal mehr zu einer massiven Stärkung der parlamentarischen Kontrolle konkrete Pläne gibt. Ich freue mich über die Offenheit, Herr Kollege von Pein, die Sie hier gezeigt haben, und ich kann Ihnen an dieser Stelle ankündigen: Wir PIRATEN werden einen ganz konkreten Vorschlag

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet!

- mein letzter Satz -, einen ganz konkreten Gesetzentwurf, vorlegen, um die öffentliche Kontrolle des geheim operierenden Verfassungsschutzes zu stärken. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Doch, Herr Dr. Dolgner!)

- Herrn Dr. Dolgner habe ich nicht gesehen. Herr Abgeordneter Dr. Dolgner zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr. Breyer, Sie neigen ja dazu, zum Absoluten zu argumentieren und deshalb absolute Schlüsse zu ziehen. Bei der NSU-Affäre, so will ich sie einmal nennen, haben ja nicht nur der Verfassungsschutz der Länder und der Bundesverfassungsschutz versagt, sondern unter anderem auch Polizeibehörden. Wenn ich Ihre Logik jetzt auf das anwende, was Sie eben gesagt haben, müssten wir auch die Polizeibehörden abschaffen. Das ist doch die Konsequenz.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Auch die Polizei verhindert nicht jede Straftat. Vieles von dem, was gesagt worden ist, gehört zum Thema: Hinterher ist man immer schlauer.

Jetzt möchte ich begründen, warum ich nicht dafür bin, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Ich bin nämlich nicht dafür, dass Polizeibehörden geheimdienstliche Ermittlungsmöglichkeiten oder das Opportunitätsprinzip bekommen.

(Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Das will auch keiner!)

Sie wollen das Legalitätsprinzip. Sie wissen ganz genau, dass Sie dann die Tätigkeiten, die die Geheimdienste jetzt machen, nicht mehr machen können; die kann mitnichten die Polizei übernehmen außer Sie haben eine Art Geheimpolizei.

Vor einer Sache möchte ich Sie an der Stelle warnen. Bei allen weiteren Vorkommnissen wird immer die Frage gestellt werden: Lieber Staat, warum hast du nichts gewusst?

(Unruhe)

Wir kennen ja die Sicherheitsdebatten, die geführt werden. Stellen wir uns einmal vor, wir hätten keinen Verfassungsschutz und wir hätten ähnliche terroristische Taten oder eine Situation wie in den 70er-Jahren. Da würde die öffentliche Diskussion sofort in die Richtung gehen, die Kompetenzen der Polizei um geheimdienstliche Mittel zu erweitern, um die Frage zu stellen: Warum haben sie nichts gewusst?

Sie können da mit dem Kopf schütteln. Wenn Sie verschiedene öffentliche Sicherheitsdebatten der letzten 30 Jahre einmal nachverfolgen, ist genau das der Effekt, der eintritt: Wenn schlimme Straftaten passieren, gibt es immer einen relativ großen Drive in die Richtung, Kompetenzen zu erweitern.

(Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Das ist im- mer so!)

- Genau.