Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

Erster Knackpunkt: Sie lassen völlig offen, was genau mit dem Beitragssatz sein soll. Soll der einkommensbezogen sein, oder wollen Sie doch eine Kopfpauschale? Wenn Sie eine Kopfpauschale wollen, dann sagen Sie das. Wir wollen die nicht.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Wolfgang Ku- bicki [FDP]: Ich will die auch nicht, und das steht auch nicht drin!)

Es gibt einen zweiten Knackpunkt: Der Beitragsanteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist eingefroren. Es wird weiterhin medizinischen Fortschritt geben. Da bin ich mir besonders sicher.

(Unruhe)

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der nicht zum Nulltarif zu haben ist. Die Versicherten müssen derzeit Kostensteigerungen allein schultern. Das halte ich für völlig falsch. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wie stehen Sie dazu? Das würde mich schon interessieren.

Sie haben einen Fehler gemacht und reichen Ihren Antrag deswegen neu ein.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wo haben wir denn einen Fehler gemacht?)

Wir alle machen Fehler. Ich finde es völlig in Ordnung, dass Sie Ihren Antrag in der Fassung Drucksache 18/1852 (neu) neu eingebracht haben. Aber dadurch, dass ein Paragraf herausgenommen wird, wird es nicht besser und nicht klarer. Eine Begründung des Antrags fehlt völlig. Das ist an sich nicht so schlimm.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Haben Sie nicht zu- gehört?)

Lieber Kollege Garg, Sie sind doch nicht irgendwer, Sie sind Gesundheitsminister a. D. Ich erinnere mich genau, wie Sie damals die Kollegin Birte Pauls, als sie einen Antrag zur Berufsordnung für die Pflege eingebracht hat, heftig dafür kritisiert haben, dass sie keine schriftliche Begründung geliefert hat. Das hätte ich mir bei Ihnen schon gewünscht, lieber Kollege.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Lieber Kollege, ich gebe zu, wir haben unseren Antrag knapp und kurz gehalten.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Sinnvolles Kon- zept!)

Es ist kein Geheimnis, dass die Küstenkoalition die Bürgerversicherung für das richtige Modell hält,

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ist aber keine Bür- gerversicherung!)

ein Modell, bei dem gesetzliche und private Krankenversicherungen unter einem Dach zusammenwachsen.

(Christopher Vogt [FDP]: Wo ist die schrift- liche Begründung, und wo ist das Konzept?)

Als Landespolitikerin erwarte ich in diesem Konzept auch, dass dabei die finanziellen Belastungen der Länder berücksichtigt werden.

Wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung bei der Bundestagswahl nicht für dieses Modell entschieden hat. Eine Bundesratsinitiative wäre langfristig zum Scheitern verurteilt. Ich bedaure diese Entscheidung, aber - so ist es in der Demokratie - damit müssen wir leben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die Sozialdemo- kraten haben sich nicht durchgesetzt!)

Zum Ende noch etwas versöhnliche Worte: Ich teile die Analyse, und ich glaube, die gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen teilen die Analyse. Wir stehen vor riesigen Herausforderungen. Herr Koch guckt schon ganz besorgt; so sieht es jedenfalls aus.

(Unruhe)

Krankenhäuser, die tief in den roten Zahlen stecken, Landarztpraxen, die keine Nachfolge finden, Hebammen, die keine Versicherung mehr finden, Pflege, die ihre Arbeit kaum noch schaffen kann - alles drängende Themen, für die eine gute und nachhaltige Finanzierung die Grundlage wäre.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Wir lehnen den Antrag der FDP ab. Er greift uns viel zu kurz. Ich würde mich über die Zustimmung zu unserem Antrag sehr freuen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Für die Piratenfraktion hat Herr Abgeordneter Wolfgang Dudda das Wort.

(Dr. Marret Bohn)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht des nahenden Wochenendes kürze ich meine Rede ein wenig ab und wiederhole nichts von dem, was die Kollegen Bohn und Heinemann bereits gesagt haben.

Im März dieses Jahres warnte der DGB bereits vor den 6 Milliarden €, die im Raum stehen und die uns alle Probleme machen. Die Frage, die sich aber tatsächlich stellt, ist, ob der Gesundheitsfonds seinen Zweck erfüllt, ob er mehr wert ist als eine politische Missgeburt, wie es der DGB schon 2008 formulierte, und ob man ihn bald abschaffen muss.

Da waren Sie als FDP - das stimmt - immer schon kritisch. Ein besseres System sollte her, um die Probleme der Finanzierungssysteme der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig zu lösen. Insofern ist der vorliegende Antrag nachvollziehbar.

Besonderen Charme hat er, weil ihn die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der letzten Legislaturperiode auch so gestellt hat. Er bestand aus zwei Elementen. Die Praxisgebühr sollte abgeschafft werden - das ist inzwischen erledigt -, ein anderer Hintergrund war der Basisfallwert, der angeglichen werden musste.

In diesem Punkt sind wir uns auch wohl alle im Haus einig: Der große Wurf ist der Gesundheitsfonds nicht, weil er die grundsätzlichen Probleme im Gesundheitswesen nicht löst und weil er auch die Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Medizin nicht aufgelöst hat. Ganz im Gegenteil: Von vornherein war dieser Fonds nicht ausreichend ausgestattet, was zu flächendeckenden Zusatzbeiträgen geführt hat. Die Kosten tragen allein die Versicherten, denn durch die Deckelung werden die Arbeitgeber geschont. Der bürokratische Aufwand ist auch enorm.

(Beifall Uli König [PIRATEN] und Dr. Mar- ret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn man diese Argumente zusammenzählt, ist es mehr als sinnvoll, diesen Fonds abzuschaffen. Allerdings bringt die Abschaffung allein nicht die nötige Solidarität in der Gesellschaft, die uns zu einem Modell der modernen Bürgerversicherung führt. Genau hier - da schließe ich mich den Ausführungen von den Kollegen Heinemann und Bohn an - greift der FDP-Antrag für mich zu kurz. Er vernachlässigt nämlich das, was danach kommen soll. Wer den Gesundheitsfonds abschafft und die einstige Versicherungsbelastung der Versicherten beibehalten will - der Antrag sagt nichts anderes -, der

schafft auch die Beitragsgleichheit und die gerechte Mittelverteilung ab. Das Bild von den Eichhörnchen und den Vögeln des Kollegen Heinemann trifft es ganz.

(Beifall PIRATEN und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dazu können wir als PIRATEN nicht Ja sagen. Allerdings hat der Kollege Dr. Garg sehr wohl recht: Wir müssen uns Gedanken darüber machen, ob wir die Versicherungsformen Pflege- und Krankenversicherung zusammenfassen. Hier bin ich völlig bei Ihnen. Das ist ein richtiger Ansatz. Ich muss mir auch die Kritik gefallen lassen, dass bisher nur von der Bürgerversicherung gesprochen, aber konzeptionell nichts entwickelt wird. Da haben Sie auch völlig recht.

(Christopher Vogt [FDP]: Warum wohl?)

Das steht dringend an, und das muss auch gemacht werden, weil wir das anders sonst nicht machen können.

Allerdings will ich Ihnen auch widersprechen, was die Krankenversicherung angeht. Ausgerechnet die damit zu beauftragen, käme ungefähr dem Modell gleich, Frösche zu fragen, wenn man einen Teich trockenlegen will. Das möchte ich ungern tun. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke. - Für die Kollegen des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer solidarischen Gesellschaft müssen auch das Gesundheitswesen, die Krankenversorgung und ihre Finanzierung nach den Prinzipien der Solidarität aufgestellt sein. Das heißt für mich auch, dass die starken Schultern stärker belastet werden müssen als die schwachen und dass alle dabei sein müssen.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und Beate Raudies [SPD])

Dies ist bei dem komplexen Thema anscheinend in der Praxis schwer umsetzbar, gibt es doch so viele unterschiedliche Interessen und Ideen. Wie Sie wissen, haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen in Schleswig-Holstein auf die Bürgerversicherung

als Weg zu diesem Ziel geeinigt. Der Gesundheitsfonds, den die FDP in ihrem Antrag ins Visier nimmt, ist ein Kompromiss der damaligen Großen Koalition im Bund, ein Kompromiss zwischen den zwei rivalisierenden Modellen einer Bürgerversicherung und der Gesundheitsprämie. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Kompromiss nie das Gelbe vom Ei ist, egal von welcher Seite aus man es betrachtet. Deshalb möchten einige den Fonds abschaffen, wir dagegen wollen ihn weiterentwickeln.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist aber neu!)

Sicher gibt es Gründe, den Gesundheitsfonds kritisch zu sehen. Aber die von der FDP beantragte Abschaffung ist für uns ein Schritt in die falsche Richtung. Ich will nur mal daran erinnern, dass in diesen Fonds auch Bundeszuschüsse aus Steuermitteln fließen, und zwar in einer nicht unerheblichen Größenordnung von 14 Milliarden € jährlich.

Die Bundeszuschüsse an die gesetzliche Krankenversicherung werden für sogenannte versicherungsfremde Leistungen gezahlt, hierzu gehören zum Beispiel einige Leistungen für Mutterschaft und Schwangerschaft oder die beitragsfreie Familienversicherung von Kindern und Ehegatten. Diese Leistungen werden durch den Bundeszuschuss zumindest zum Teil kompensiert. Eines ist klar: Auf diesen Beitrag können und wollen wir nicht einfach verzichten. Auch wenn die FDP in ihrem Änderungsvorschlag den § 221 jetzt nicht mehr nennt, ist er Bestandteil des Gesundheitsfonds.

Leider lässt sich auch das Ziel einer Bürgerversicherung nicht einfach auf Landesebene erreichen. Wir müssen akzeptieren, dass sich hierfür nicht so schnell die erforderliche Mehrheit im Bund finden lässt. Die Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung - beziehungsweise der Versicherten - in Deutschland lässt für uns aber nur einen Schluss zu: In Zeiten, in denen die Basis der Beitragszahler schrumpft und das Alter der Bevölkerung zunimmt, brauchen wir mehr Solidarität und nicht weniger.