Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

Leider lässt sich auch das Ziel einer Bürgerversicherung nicht einfach auf Landesebene erreichen. Wir müssen akzeptieren, dass sich hierfür nicht so schnell die erforderliche Mehrheit im Bund finden lässt. Die Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung - beziehungsweise der Versicherten - in Deutschland lässt für uns aber nur einen Schluss zu: In Zeiten, in denen die Basis der Beitragszahler schrumpft und das Alter der Bevölkerung zunimmt, brauchen wir mehr Solidarität und nicht weniger.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Der Markt allein kann es nicht regeln. Aus diesem Grund bitten wir die Landesregierung, sich in Berlin für eine demografiefeste Finanzierung der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung einzusetzen.

Der Gesundheitsfonds wird von vielen pauschal als Bürokratiemonster bezeichnet. Wie gesagt, die Kritik ist in mancher Hinsicht begründet, aber mit Blick auf die mitunter sehr unterschiedlichen Mit

gliederstrukturen der Krankenkassen halte ich zumindest die Ausgleichsfunktion des Fonds für sehr wichtig. An dieser möchte ich auch weiterhin gern festhalten.

Losgelöst von der Forderung der FDP ist eines enorm wichtig: Angesichts der demografischen Entwicklung und der steigenden Kosten im Gesundheitsbereich müssen wir uns schleunigst Gedanken darüber machen, wie wir die Finanzierungsbasis erweitern.

Aus Sicht des SSW muss hierfür auch der Anteil aus Steuermitteln erhöht werden. Nicht zuletzt muss das Auseinanderdriften der Anteile von Arbeitgebern und Arbeitnehmern verhindert werden.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die getroffene Vereinbarung auf Bundesebene, wonach weitere Kostensteigerungen ausschließlich von den Arbeitnehmern zu tragen sind, muss dringend korrigiert werden, sonst wird die Aufgabe, die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig zu stabilisieren, sehr schwierig werden. Danke.

Zu einem Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Meyer, Ihren Beitrag fand ich doch sehr humorvoll. Sie haben hier vehement die Position des SSW vertreten, dass Sie den Gesundheitsfonds auf keinen Fall abschaffen wollen, sondern ihn weiterentwickeln wollen. Ich darf Ihnen einmal erzählen, was Ihr Gruppenvorsitzender dazu in der vorletzten Legislaturperiode ausweislich des Plenarprotokolls der 16. Wahlperiode gesagt hat:

„Beide Systeme - Kopfprämie und Bürgerversicherung - brauchen einen solchen Gesundheitsfonds nicht. Deshalb sagen wir: Weg mit dem Gesundheitsfonds! Er kostet uns alle nur Geld, baut Bürokratie auf und löst vor allem die Probleme nicht.“

Bravo, Lars Harms, so viel zur vorletzten Legislaturperiode. Offensichtlich bestimmt bei Ihnen auch das Sein das Bewusstsein.

(Zuruf Lars Harms [SSW])

(Flemming Meyer)

- Diese Kritik kommt doch immer in unsere Richtung. Sie machen es doch keinen Deut anders. Dann sollten Sie vielleicht einmal die Moralkeule einstecken und sich eher mit der Sache auseinandersetzen.

(Beifall Christopher Vogt [FDP])

Liebe Kollegin Bohn, wissen Sie, wenn ich böse wäre, würde ich sagen - ich setze bei Ihnen voraus, dass Sie es verstanden haben -: Hier zu unterstellen, wir wollten die Beitragsfinanzierung abschaffen und durch eine Prämienfinanzierung ersetzen, ist schlicht unredlich. Sonst hätten wir das in dem Antrag geschrieben. Wir haben gesagt: Wir wollen den Gesundheitsfonds abschaffen und den Krankenkassen die Beitragsautonomie, die sie bis zum Jahr 2009 noch gehabt haben, wieder zurückgeben.

Sie wissen doch ganz genau, was das bedeutet. Die gesetzlichen Krankenkassen werden den einkommensproportionalen Beitrag wieder selbst festsetzen. Es ist nicht die Rede davon, dass eine üble kapitalistische Kopfpauschale festgesetzt wird. Man kann das natürlich missverstehen wollen und hier Propaganda betreiben wollen. Man kann sich aber auch ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob es nicht wirklich intelligenter wäre, diejenigen, die über Jahrzehnte dafür gesorgt haben, dass dieses System finanziert wird, wieder in die Verantwortung zu nehmen, anstatt einen Einheitsbeitrag überzustülpen, der im Zweifel genau die medizinischen und medizinisch-technischen Möglichkeiten nicht abbildet. Ich nehme hier aber zur Kenntnis, dass Ihnen ganz offensichtlich Ideologien der Gesundheitspolitik wichtiger sind als die Versorgung der Bevölkerung.

(Zuruf Birte Pauls [SPD])

Ich nehme es jetzt einfach einmal zur Kenntnis, dass Sie kein Interesse daran haben, insbesondere Sie nicht, Frau Pauls, dass die Bevölkerung zukünftig auch an medizinischen und technischen Innovationen auf diesem Gebiet teilnimmt. Machen Sie weiter so. Sie werden sehen, wo Sie mit Ihren Vorstellungen einer Volkskasse landen. Andere Länder haben es uns vorgemacht. Wenn Sie glauben, dass das britische Gesundheitssystem Vorbild für Deutschland ist, kann ich nur sagen: Gute Nacht! Wir waren schon einmal auf einem besseren Weg. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Bernd Heinemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Garg, ich verstehe Sie nicht. Sie picken sich hier permanent Rosinen heraus.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Jetzt fangen Sie auch noch mit den alten Zeiten der Kassen an, aus denen keiner flüchten konnte. Die Technikerkasse nahm nur Ingenieure und Techniker auf, und niemand anders durfte rein.

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

Jetzt können alle rein, die gesund und munter sind. Die Zeiten haben sich geändert. Wenn Sie etwas wiederherstellen wollen, dann müssen Sie alles wiederherstellen. Dann ist die AOK wieder eine Arbeiterkasse, und dann ist auch jeder Arbeiter in der AOK.

(Zurufe FDP - Unruhe)

Man kann sich das Leben nicht schönreden, man muss die Realitäten kennen.

Lieber Herr Kollege Dr. Garg, Staatsfinanzierung à la Dänemark - Sie haben sich eben den Kollegen Lars Harms vorgenommen - wollen Sie auch nicht. Sie wollen das alles nicht. Beitragsautonomie, das sagen Sie immer wieder, okay. Experten haben die Kassen auch, okay. Das können wir alles einräumen. Was sollen die Experten aber entscheiden, wenn sie zu wenig Mitglieder haben, die fliegen oder klettern können? Das funktioniert doch überhaupt nicht.

Deswegen brauchen wir eine solidarische Krankenversicherung. Das macht noch einmal deutlich: Solidarisch wollen Sie nicht. Nachhaltig heißt bei Ihnen: arme, kranke Mitglieder gleich arme Kasse, arme Kasse gleich höhere Beiträge, Beitragsautonomie. Toll. Wenn alle Kassen bis auf eine insolvent sind, haben wir eine Einheitskasse. Dann haben wir eine Planwirtschaft, ergo: FDP, Gesundheitspolitik, Planwirtschaft. Das wollen wir alles nicht. Das will die FDP noch nicht einmal selbst.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Welche Auffassung vertritt die Barmer zur Beitrags- autonomie? Lobbyist!)

(Dr. Heiner Garg)

Das Wort hat nicht Herr Abgeordneter Dr. Garg, sondern ich. - Ich erteile jetzt für die Landesregierung Frau Ministerin Kristin Alheit das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich hätte gar nicht erwartet, dass es bei diesem Thema um diese Uhrzeit noch so heiß hergeht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wann hören Sie auf zu arbeiten? Um halb eins?)

- Nein, nein. Ich weiß ja, welche Stimmung um diese Zeit normalerweise hier im Parlament herrscht. Ich bin aber froh, dass sich so viele beim Thema Gesundheit ereifern. Es ist ein wichtiges Thema. Es stünde uns gut zu Gesicht, uns damit noch häufiger und zielführender zu beschäftigen.

Die Frage, ob der Antrag, der zur Debatte geführt hat, ein zielführender ist, wird die Grundlage meines Beitrags sein. Ich erinnere noch einmal daran: Das Bundeskabinett hat im Herbst den Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzierung, Struktur und Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung beschlossen. Das ist - das haben schon mehrere gesagt, Bernd Heinemann hat es in seinem Beitrag hervorragend deutlich gemacht ein politischer Kompromiss, der auch aus meiner Sicht Wünsche offenlässt. Er enthält aber auch - das ist auch bereits zur Sprache gekommen - ganz wichtige Verbesserungen. Die aus meiner Sicht wichtigste ist die Abschaffung der kleinen Kopfpauschale, die bisher Geringverdiener stärker belastet hat als Gutverdiener. Das war nämlich keine Regelung, die in einem solidarischen Gesundheitssystem etwas zu suchen hat, die einem solchen System entspricht. Es ist gut, dass die Abschaffung durchgesetzt werden konnte.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Gerechten Ver- dienst gab es beim Sozialausgleich!)

Der Entwurf der Bundesregierung beinhaltet darüber hinaus auch noch weitere wichtige Elemente. Nämlich, dass der allgemeine Beitragssatz von jetzt 15,5 % auf 14,6 % gesenkt worden ist. Zugleich haben die Kassen die Möglichkeit erhalten, über einen individuellen prozentuellen Zusatzbeitrag miteinander in einen Wettbewerb um die beste Versorgung zu treten.

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

Damit erhalten die Krankenkassen einen wichtigen Teil ihrer Beitragsautonomie wieder zurück.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Aber den können sie doch auch ohne Gesundheitfonds ma- chen!)

Die Bundesregierung zählt weiter auf mehr Qualitätssicherung und auf mehr Transparenz im Gesundheitswesen sowie auf die Weiterentwicklung des mobilitätsbezogenen Risikostrukturausgleichs.

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

- Ja, kann ich vielleicht trotzdem erst die Punkte herausheben, die ich bei dem Gesetz wichtig finde? Ich komme dann auch noch dazu, warum ich Ihrem Vorschlag nicht ohne Weiteres zustimmen würde.

Das sind alles wichtige Punkte. Dennoch bleibt das, was die Bundesregierung vorgelegt hat, ein Kompromiss, ein Kompromiss, der aus Sicht der SPD nicht dem entspricht, was gewollt ist. Insbesondere ist nicht gewollt gewesen, dass der Beitragsanteil der Arbeitgeber eingefroren ist und dass damit in Zukunft die Versicherten als Beitragszahler die Kostensteigerung voll zu zahlen haben. Da teile ich auch die vorgetragene Auffassung: Natürlich wird sich in dem Bereich eine Weiterentwicklung ergeben.

Insofern entspricht eben auch das, was das Bundeskabinett auf den Weg gebracht hat, nicht dem, was die schleswig-holsteinische Koalition und was die Landesregierung will. Wir als Koalition bekennen uns zu dem Ziel der Bürgerversicherung. Wir tun dies trotz anderer Mehrheiten auf Bundesebene. Wir werden uns vor diesem Hintergrund auch für die Weiterentwicklung des Gesundheitsfonds zur nachhaltigen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen weiter einsetzen.

Der Antrag der FDP geht aber von einem ganz anderen Politikverständnis aus. Er nutzt eine von Kompromisserfordernissen befreite Lage und fragt nicht nach den Zustimmungschancen eines solchen Antrags. Hier geht es um eine konzeptionelle Reinform. Abschaffung des Gesundheitsfonds und Abschaffung eines einheitlichen Beitragssatzes.

Ich bin froh, dass dieser Ansatz nicht mehrheitsfähig ist. Natürlich kann man die Forderung nach mehr Beitragsautonomie der Krankenkassen mit der Abschaffung des Gesundheitsfonds verknüpfen. Dann müsste man aber auch sagen, wie eine entsprechende Risikoumverteilung zwischen den Kassen zu erfolgen hat. Die Zuweisungen - das ist im Beitrag von Marret Bohn auch sehr deutlich geworden - aus dem hier zur Disposition gestellten Ge