Protokoll der Sitzung vom 09.07.2014

(Beifall PIRATEN und FDP)

Ich möchte auf zwei Fehlannahmen eingehen. Die eine Fehlannahme hat Herr Tietze meines Erachtens gerade gemacht, als er Ethik und Religion im Prinzip gleichgesetzt hat. So habe ich Sie verstanden, Herr Dr. Tietze. Wir haben jetzt die Möglichkeit, länger darüber nachzudenken und auch zu diskutieren. Diese Gleichsetzung, finde ich, ist nicht zulässig.

Herr Callsen hat in seiner Rede gesagt: Alle Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner eint der Glaube an Gott. Ich finde, bei aller Demut, man kann eine solche Aussage nicht treffen.

(Beifall PIRATEN und FDP)

Ich kenne genügend aufrechte Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner, die überzeugte Atheistinnen und Atheisten sind. Ich sehe, was mit der Formulierung „in Verantwortung vor Gott“ intendiert ist. Aber um diesen Satz sprechen zu kön

(Dr. Andreas Tietze)

nen, muss ich logischerweise davon ausgehen, dass es einen Gott gibt.

(Beifall PIRATEN und FDP - Unruhe)

Ich kann das privat teilen, weil ich an Gott glaube. Aber für die Atheistinnen und Atheisten ist es nur scheinbar ein Angebot, sich unter dieser Formulierung zu versammeln.

Das ist für mich der nächste Punkt. Auch als gläubige Christin muss ich sagen: Die weite Interpretation dessen, was hier unter dem Gottesbegriff momentan vereint werden soll, zu sagen, es gibt kein Primat einer einzelnen Religion - das finde ich auch gut -, aber dass sich unter dem Gottesbegriff alle finden sollen, das ist mir viel zu beliebig. Deswegen würde ich als Christin gerade sagen: Dieser Interpretation kann ich nicht folgen.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Die Diskussion vorhin hat mich ein bisschen an eine Kurzgeschichte von Heinrich Böll erinnert.

Ich würde es begrüßen, wenn die Abgeordnete Erdmann in dieser wichtigen Diskussion das Wort behält.

Es kommen hier eben viele Emotionen hoch. - Bei allem Respekt muss ich aber für mich persönlich sagen, diese Debatte hat mich an eine Kurzgeschichte von Böll erinnert, Dr. Murkes gesammeltes Schweigen, in der es nachher darum geht, dass nur noch von „jenem höheren Wesen, das wir verehren“ gesprochen wird. - Deswegen sage ich persönlich: Ich kann diesen Gottesbegriff nicht so weit auslegen, wie das von anderer Seite getan wird. Ich freue mich aber auf weitere spannende Debatten innerhalb der Fraktion und im Parlament.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und FDP)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Bernd Heinemann.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte hier macht deutlich, dass es uns Abgeordneten sehr schwer fällt - das machen übrigens auch

die Zwischenrufe deutlich -, sich mit unserem eigenen Gewissen in öffentlicher Äußerung Gehör zu verschaffen. Ich denke, wenn das so debattiert wird, muss man das einfach sagen: Wir sind das freie Land zwischen den Meeren mit einer großen ökumenischen Bewegung, mit den Weltreligionen, die sich in unserem Land wohlfühlen.

Wir sind das Land, in dem sich Tausende Ehrenamtliche für verschiedene Religionen auf verschiedene Weise engagieren - ob in der Moschee, in Kirchen oder in der Synagoge. Wir sind das Land, in dem bei Kirchentagen das Gefühl der emotionalen Nähe zu etwas Höherem als dem Alltäglichen offenkundig ist - egal ob christlich, islamisch oder jüdisch.

Sinn des Lebens stößt immer dann an Grenzen, wenn man es nicht mehr nachvollziehen kann. Politik ist die Welt des Nachvollziehenden. Religiosität ist der Weg des nicht Nachvollziehbaren. Auch für die Menschen muss es eine Möglichkeit geben, sich zu identifizieren. Ich sage auch - deswegen bin ich der Auffassung, dass der Gottesbezug auch in die Verfassung gehört -, dass sich sowohl die atheistischen Freunde - Genossen muss ich in diesem meinem Fall sagen -, als auch Kolleginnen und Kollegen, aber auch andere Menschen, die sehr engagiert in einer Religion zuhause sind, wiederfinden sollen. Ich denke, das muss möglich und sichtbar sein.

Sichtbar kann es nur sein, wenn es in der Präambel lesbar ist. Alles andere wäre die Verbannung Gottes aus der Verfassung. Das würde ich sehr, sehr schade finden. Ich möchte dafür werben, dass die Toleranz der Atheisten und die Toleranz der Gläubigen dazu führen, dass es zu einem geeinten Entwurf wird. Ich hoffe darauf, ich bete dafür, und ich wünsche mir das. - Danke schön.

(Beifall CDU, vereinzelt SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Landesregierung hat nun zunächst der Innenminister, Herr Andreas Breitner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Abschlussbericht ist das Ergebnis intensiver verfassungsrechtlicher und verfassungspolitischer Diskussionen im Sonderausschuss Verfassungsreform, den dieses Parlament vor über einem Jahr eingerichtet hat. Der damalige Einsetzungsbeschluss des Landtages und die Vielzahl der in ihm

(Anke Erdmann)

aufgeführten Beratungsgegenstände konnten zu der Vermutung Anlass geben, dass unsere schleswigholsteinische Landesverfassung völlig überholt sei.

Die Arbeit des Sonderausschusses Verfassungsreform hat gezeigt, dass das nicht der Fall ist. Die aktuelle Landesverfassung ist weder durch die gesellschaftliche Entwicklung komplett überholt, noch behindert sie diese durch unzeitgemäße Vorgaben. Die Landesverfassung wird im Großen und Ganzen dem Anspruch an Beständigkeit gerecht und kann auch in rechtlicher Hinsicht immer noch überzeugen. Diese Feststellung ist an sich erfreulich, nur überzeugt sie eben nicht in allen Fällen und auch nicht in allen Teilen.

Der Bericht des Sonderausschusses zeigt in einigen Bereichen Reformvorschläge auf, die geeignet sind, die Landesverfassung in ihrer Qualität zu verbessern. Mit der Senkung der Quoren für Volksbegehren und Volksentscheide werden Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag der Regierungskoalitionen umgesetzt, die nur durch eine Änderung auf Ebene der Landesverfassung zu erreichen wären. Die Änderung der haushaltsrechtlichen Vorschrift über den Deckungsnachweis oder die Ermöglichung öffentlicher Sitzungen des Petitionsausschusses sind ebenfalls sinnvolle Weiterentwicklungen unserer Verfassung. Erfreulich ist auch, dass die Finanzierung des Schulwesens der dänischen Minderheit in Zukunft Verfassungsrang erhalten wird.

Mit der neuen und erstmalig vorhandenen Präambel setzt der Landtag ein verfassungspolitisch sichtbares Symbol, das die Auslegung der zentralen Normensammlung unseres Landes stützen wird. Dies gilt ebenso für die neuen Staatsziele Inklusion und dem Schutz des Friesisch- und Niederdeutschunterrichts.

Auch die Schwerpunkte der Regelung zur digitalen Privatsphäre, den digitalen Basisdaten und der weiteren Staatszielbestimmung ist in erster Linie nicht im rechtlichen, sondern im symbolischen Bereich zu verorten.

Insgesamt hat der aus der Mitte des Landtags angestoßene Beratungsprozess zur Reform der Landesverfassung Spielräume und Veränderungen aufgezeigt. Vor uns liegt nun das verfassungsändernde Gesetzgebungsverfahren. Dabei wird der Landtag als verfassungsändernder Gesetzgeber die Änderungsvorschläge des Berichts umsetzen.

Zugleich ist der von Konsens getragene Beratungsverlauf im Sonderausschuss, in dem auch manch staatsrechtlicher Hinweis aus der Landesregierung

aufgenommen worden ist, Zeugnis unserer modernen parlamentarischen Demokratie. Er belegt das gute Zusammenwirken von Parlament und Regierung, wenn um Grundlegendes gerungen wird.

Auch ich möchte die Gelegenheit nutzen, den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesregierung und unserem wissenschaftlichen Berater, Herrn Professor Hans-Peter Bull, an dieser Stelle herzlich zu danken.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Unsere Verfassung selbst ist nämlich nicht nur Dokument, sondern sie ist Fundament unserer Rechtsordnung, sie bezeugt die lebendige und unabdingbare Spannung zwischen Legislative und Exekutive, ohne die ein demokratisches Gemeinwesen nicht denkbar ist. Sie ist Ausdruck des Raumes der Freiheit und Sicherheit der Menschen in unserem Land, der freien Bürgerinnen und Bürger, ohne die ein demokratisches Gemeinwesen erst recht nicht denkbar ist.

Zum Schluss gestatten Sie mir einen persönlichen Hinweis: Auch ich stehe hier als Christ, ich bin für den Gottesbezug in der Verfassung und werde mich ab heute aktiv in die Meinungsbildung meiner Partei einbringen, dass der Gottesbezug da hinkommt, wo er hingehört, in die Verfassung. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Landesregierung hat nun der Ministerpräsident, Herr Torsten Albig.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für mich ist das Entscheidende bei diesen sehr wertvollen Arbeiten an unserer Verfassung, dass wir zum ersten Mal über eine Präambel einordnen, was uns leitet, was uns zu dieser Verfassung führt, was unser Werterahmen ist, um uns eine solche Verfassung zu geben. Wenn wir uns über eine solche Präambel Gedanken machen, dann ist es aus meiner persönlichen Sicht auch als Christ unvorstellbar, dass wir bei einer Einordnung stehenbleiben, die nur auf uns selbst zurückführt,

(Beifall Kirsten Eickhoff-Weber [SPD], Bernd Heinemann [SPD] und Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Minister Andreas Breitner)

unvorstellbar, dass wir glauben, es reicht aus, einen Bezug zu finden, der nicht mehr ist als wir selbst. Wir, die wir im Glauben verwurzelt sind, wir, die wir auch in der Geschichte unseres Landes gelernt haben, wozu es führt, nur auf das zu schauen, was Menschen geben können, wozu es führt, zu glauben, dass es ausreicht, nur menschlichen Intellekt als Maßstab allen Handelns zu nehmen, haben gelernt, dass es ein Mehr geben muss, dass es einen Bezug zu einer Kraft, die über den Menschen hinausgeht. Dass es eine Kraft geben muss, die ich als letzte sittliche Kraft beschreiben würde, die bestimmend dafür ist, dass ich mich in Demut zurücknehmen kann, die bestimmend dafür ist, dass ich Verantwortung übernehme, weil ich weiß, dass etwas stärker ist als ich, dass etwas größer ist als ich.

(Beifall CDU, vereinzelt SPD und Beifall Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dieses prägt.

Wenn wir darüber reden, ob das in eine Verfassung aufgenommen werden soll, ob das als kraftgebende Bestimmung, als leitende Bestimmung in unserer Verfassung unserem Handeln vorangestellt werden soll, dann ist es letztendlich nicht entscheidend, was ich glaube, dann ist es nicht entscheidend, ob Sie es glauben oder nicht glauben, sondern es kommt darauf an, in welchem Land wir leben und ob die Mehrheit der Menschen in unserem Land so verwurzelt ist, wie ich das hier beschreibe. - Ich glaube, das ist so. Wir geben uns diese Verfassung für die Menschen in diesem Land. Und die große Mehrheit der Menschen hier im Land. - Herr Callsen hat das ausgeführt, und das ist richtig - führt sich zurück auf etwas, was mehr ist als sie selbst, auf etwas, was sie trägt, auf etwas, auf das sie sich verlassen können, auf das sie auch wieder zurückfallen können, etwas, das mehr ist als ihre menschliche Kraft.

(Beifall CDU und Bernd Heinemann [SPD])

Es ist vollkommen unerheblich, ob sie Christen, Muslime oder Juden sind oder anderen Glaubensgemeinschaften angehören.

Ich werbe deshalb sehr, sehr dafür, dass wir dieses aufnehmen. Darum geht es bei der Benennung, die unser Grundgesetz seit 1949 aufgenommen hat, aus sehr guten Überlegungen: dass wir im Bewusstsein einer Verantwortung auch vor Gott und den Menschen handeln - im Bewusstsein vor Gott und den Menschen! Es geht nicht darum, ob wir in die Kirche gehen. Es geht nicht darum, ob Sie meinem Glauben folgen, aber es geht darum, ob wir den

Menschen in unserem Land - allein 60 % der Menschen in diesem Land sind Mitglied einer Kirche und glauben an diese, dazu kommen die Menschen muslimischer, jüdischer und der anderer Glaubensgemeinschaften -, ob wir diesen Menschen eine Verfassung geben, die zu diesem Glaubens- und Wertegerüst passt.

(Beifall CDU, Bernd Heinemann [SPD] und Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])