Protokoll der Sitzung vom 09.07.2014

(Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde Kontrollrechte des Parlaments durch Abgeordnete verantwortungsvoll wahrnehmen

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir aus gegebenem Anlass bitte den folgenden Hinweis: Unsere Geschäftsordnung sieht vor - eindeutig geregelt ist das in § 32 Absatz 8 -, dass wir hier in freier Rede vortragen und nicht schriftliche Erklärungen ablesen. Insofern ist es auch unmöglich, dass es im Vorhinein, bevor diese Debatte überhaupt beginnt, bereits Pressemitteilungen gibt, die auf einer schriftlichen Erklärung basieren.

(Beifall FDP, PIRATEN und SSW)

Ich halte das mit der Geschäftsordnung für unvereinbar, um das sehr deutlich zu sagen.

Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun deren Fraktionsvorsitzender, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, schönen guten Morgen allerseits! Ich spreche zu Ihnen in freier Rede.

Wir haben heute über die Kontrollrechte des Parlaments zu reden. Anlass dafür ist der Kollege Dr. Breyer. Aber, wie gesagt, er ist nur der Anlass dafür; denn wie das weitergeht, hat die Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Ich hätte vor ein paar Wochen noch gesagt, eher würde Deutschland gegen Brasilien mit sieben zu eins gewinnen, als dass Sie sich hier an die Spielregeln halten. Aber heute kann man das in dieser Form nicht mehr sagen.

Uns geht es aber weniger um den Anlass als mehr um die Tatsache, dass wir hier miteinander über die Frage sprechen müssen, was Kontrollrechte des Parlaments eigentlich heißt. Kontrollrechte des Parlaments bedeutet, dass Auskunftsrechte gegenüber der Regierung bestehen, die in SchleswigHolstein für ein starkes Parlament in deutlich stärkerer Form vorhanden sind als anderswo, und dass

wir diese gefährden, wenn wir damit nicht vernünftig umgehen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Dr. Heiner Garg [FDP])

Transparenz ist wichtig, aber sie muss abgewogen werden mit den Schutzbedürfnissen Dritter. Totale Transparenz ist übrigens totalitär. Wir haben an bestimmten Stellen auch die Notwendigkeit, schutzwürdige Interessen zu berücksichtigen.

In diesem Fall sind Menschen gefährdet worden, Herr Kollege Breyer; das ist nicht vertretbar. Hier haben wir ein Parlament, und wir wissen, dass wir im Parlamentarischen Kontrollgremium und in geheimen Sitzungen des Finanzausschusses Dinge regeln können, in denen schutzwürdige Interessen berücksichtigt werden. Der NSU-Ausschuss hat uns klipp und klar gezeigt, dass es schlecht ist, wenn die Regierung in anderen Ländern in bestimmten Dingen nicht kontrolliert werden kann und das Parlament nichts davon erfährt. Das Parlament wird darüber aber nichts erfahren, wenn wir damit nicht so umgehen, dass die Leute, die wir in solche Gremien wählen, das dann auch für sich behalten. Das ist die Konsequenz.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Johannes Callsen [CDU])

Es geht gar nicht um eine Frage, die zwischen uns und dem Parlament strittig ist, ich glaube, auch gar nicht so sehr zwischen Opposition und Regierung, sondern es geht darum, dass wir uns diese Rechte, die das Parlament besitzt, nicht diskreditieren lassen. Was überhaupt nicht in Betracht kommt, ist, dass dann, wenn sich ein Abgeordneter fehlverhält, 68 andere Abgeordnete an dem Verfahren etwas ändern. Das kann nicht in Betracht kommen, und das wollen wir auch nicht tun.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Deswegen werbe ich sehr dafür, dass wir ein selbstbewusstes Parlament sind, das diese Kontrollrechte so ausübt, wie man das von Volksvertretern verlangen kann. Das gilt, nebenbei bemerkt, nicht nur für diesen Fall, sondern das gilt auch für andere Verfahren, die wir haben.

Wir haben einen Petitionsausschuss. Dieser Petitionsausschuss berücksichtigt Eingaben einzelner Bürger. Diese werden vertraulich behandelt. Damit ist überhaupt nicht verbunden, dass man ins Parlament geht und andere Sachen - ob wir über Fracking reden oder über etwas anderes - auf dem Weg noch einmal ins Parlament holt, um sich par

(Präsident Klaus Schlie)

teipolitisch oder egozentrisch zu profilieren. Das ist nicht Sache dieses Petitionsausschusses, der nun wirklich überparteilich tagt. Wir haben in der Verfassungskommission gerade erst darüber geredet, dass das bitte so bleiben soll. Das wird missbraucht, wenn man das der Egozentrie einzelner Abgeordneter unterwirft und damit in der geschilderten Weise umgeht. Ich finde, das ist falsch, und das sollten wir so nicht tun.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Sie wissen, ich saß hier schon auf der Regierungsbank und ich bin schon in der Opposition gewesen, ich kenne also alle Seiten. Auch Akteneinsichtsverfahren dienen dazu, einen Entscheidungsvorgang einer Regierung für das Parlament transparent zu machen. Sie dienen nicht dazu, alle möglichen Trivialitäten zu diskutieren, sie dienen nicht dazu, zu skandalisieren, wenn die Regierung unterschiedliche Alternativen prüft. Es ist nämlich ihre Aufgabe, dass sie das tut, dass sie darüber nachdenkt. Das ist nicht Kontrollrecht des Parlaments.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich glaube wirklich - ich bin leidenschaftlicher Parlamentarier -, dass es für unser Parlament gut ist, wenn wir ein starkes Parlament sind, dass wir die Regierung in der Machtbalance zwischen Exekutive und Legislative zwingen können, dass sie uns alles sagen muss, aber wir müssen damit so umgehen, dass dieses Parlament stark bleibt. Wir haben übrigens allen Grund dazu, wenn ich an das Ansehen des Parlaments in der Öffentlichkeit denke, dass wir damit nicht leichtfertig umgehen, sondern dies verantwortungsbewusst tun.

Noch einmal: Das schränkt niemals Rechte der Opposition ein, das soll es auch nicht tun, aber das heißt eben, dass wir selbstdiszipliniert beim Umgang damit sind, und dass wir nicht leichtfertig mit einer Entschuldigung hier oder dort sagen, uns ist das egal.

In dem Fall mit den Rockern möchte ich gar nicht zu einer Polizistenfamilie gehören und mir vorstellen, was es heißt, wenn man so miteinander umgeht. Es ist einfach unfassbar, dass Volksvertreter so etwas zulassen. Es ist übrigens egal, was die Regierung da geschwärzt hat oder nicht. Man kann ja darüber streiten, ob man es so macht. Aber man muss sich darauf verlassen können, dass Abgeordnete ihr Urteilsvermögen anwenden. Dies gilt auch in anderen Punkten.

Ich werbe nachdrücklich dafür, dass wir die Verfahren nicht ändern, nicht in der PKG, nicht in dem Kontrollgremium, nicht im Finanzausschuss, nicht beim Petitionsausschuss und nicht bei der Frage von Akteneinsicht. Wir sollen die Verfahren bitte alle so lassen, wie sie sind, aber wir sollen bitte unser Urteilsvermögen anwenden; denn wer das verletzt, der schadet uns allen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das können wir nicht wollen. Deswegen war es uns ein Bedürfnis, das heute in der Aktuellen Stunde mit Ihnen zu debattieren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Axel Bernstein.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Abgeordnete Breyer hat aus dem Innenministerium offensichtlich weitergehende Informationen zu den sogenannten Gefahrengebieten in Schleswig-Holstein erhalten. Diese Dokumente, so wie wir erfahren haben, 139 Seiten, sind ihm per Mail in eingescannter Form übermittelt worden. Offensichtlich sind durch das Einscannen Schwärzungen, die in diesen Dokumenten vorgenommen worden sind, wieder lesbar geworden. Der Abgeordnete Breyer hat die Dokumente im Internet auf der Homepage der Fraktion der PIRATEN und auf seiner eigenen Homepage veröffentlicht.

Der Innen- und Rechtsausschuss und das zuständige Datenschutzgremium haben sich inzwischen mit diesem Vorgang befasst. In der gestrigen Sitzung des Datenschutzgremiums wurde noch einmal deutlich, dass es sich in dreifacher Hinsicht um einen Regelverstoß, einen Rechtsverstoß handelt, mit Blick auf unsere Datenschutzordnung, möglicherweise auch mit Blick auf das Datenschutzgesetz - das müssen andere beurteilen -, mit Blick auf die Geheimschutzordnung, zumindest in Bezug auf die Teile der Dokumente, die als VS-NfD eingestuft gewesen sind, und es handelt sich - das ist, glaube ich, für uns alle ein wichtiger Punkt - um eine Verletzung des dienstrechtlichen Dienstgeheimnisses, das sich bei der Weitergabe von amtlichen Dokumenten an Abgeordnete in den parlamentarischen Bereich zu dem einzelnen Abgeordneten hin erweitert.

Auch ich bin sehr dafür, dass wir bei den Verfahren und bei den Regeln, die sich über Jahrzehnte be

(Dr. Ralf Stegner)

währt haben, bleiben und nicht aufgrund eines Einzelfalls hektisch in Aktionismus verfallen. Nichtsdestotrotz wird sich das Datenschutzgremium mit diesem Vorgang weiter befassen und gegebenenfalls auch Hinweise erarbeiten, damit sich so etwas nach Möglichkeit nicht wiederholt.

Durch das Ins-Netz-stellen wurden Details polizeilicher Taktik gegen Rockerkriminalität öffentlich zugänglich. Das mag eine Gefährdung der Null-Toleranz-Strategie bedeuten. Wir alle können hier heute nicht absehen, wer in den Tagen, in denen diese Dokumente im Netz waren - das waren leider einige Tage -, darin Einsicht genommen hat und möglicherweise über diese Dateien verfügt. Dieses Handeln war verantwortungslos. Das hat nichts mit Whistleblowing zu tun, das hat nichts mit Transparenz zu tun, sondern es gefährdet die Sicherheit und im Extremfall Gesundheit und Leben von schleswig-holsteinischen Polizeibeamten, Richtern und deren Angehörigen. Das ist nicht zu akzeptieren.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Nichtsdestotrotz habe ich großen Respekt für die Erklärung, die der Abgeordnete Dudda im Innenund Rechtsausschuss für die Fraktion der PIRATEN abgegeben hat. Das war auch keine Selbstverständlichkeit, und das war mit Sicherheit auch nicht einfach.

Der Innenminister hat in seinen Positionierungen von einem Vertrauensbruch gesprochen. Da hat er recht. Es stimmt aber auch, dass hier Unterlagen an einen Abgeordneten übermittelt wurden, dessen radikales Verständnis von Transparenz uns allen hier bewusst ist und bewusst gewesen ist. Wir alle wissen, dass Herr Breyer alles, was man digitalisieren kann, ins Netz stellt. Diese Unterlagen wurden ihm per Mail in veröffentlichungsfähiger Form quasi auf dem Silbertablett präsentiert. Die Kennzeichnungen der Einstufung der Vertraulichkeit sind wohl zumindest lückenhaft gewesen, soweit wir das bisher erfahren durften, und die Schwärzungen, die vorgenommen worden sind, waren zumindest nach dem Einscannen schlampig ausgeführt. Auch das war fahrlässig, und auch das verletzt das Vertrauen schleswig-holsteinischer Polizisten und Richter in die Exekutive, in die Fürsorgepflicht, die das Ministerium für seine Mitarbeiter hat.

(Beifall CDU)

Ich möchte abschließend noch ein paar allgemeine Worte zum Thema Transparenz sagen. Ich bin der festen Überzeugung, Politik braucht auch vertrauliche Bereiche, vertrauliche Räume, das hat nichts

mit Geheimniskrämerei zu tun, denn Vertraulichkeit hat nicht nur phonetisch etwas mit Vertrauen zu tun. Wenn wir glauben, dass wir all die Bereiche, in denen Politik - unter den Fraktionen, unter den Parteien - vertraulich Dinge sagen kann, die am Ende vielleicht auch nicht zum Tragen kommen, die nicht politisch wirksam werden, veröffentlichen können, dann nehmen wir uns selbst einen ganz wichtigen Bereich weg, der dem Ringen um die richtige und am Ende tragfähige Entscheidung dient.

Das hier muss ein Einzelfall bleiben. Jeder von uns ist ein Stückweit mit dafür verantwortlich, dass dies ein Einzelfall bleibt, der hoffentlich für diejenigen, die von den Veröffentlichungen betroffen sind, ohne Folgen bleiben wird.

(Beifall CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Fraktionsvorsitzende, Frau Abgeordnete Eka von Kalben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den wichtigen Kontrollrechten unseres Parlaments wurde hier schon viel gesagt. Ich kann mich, glaube ich, an dieser Stelle kurzfassen, dass wir uns hier im Haus sicherlich alle einig darin sind, dass Datenschutz und Transparenz zwei Seiten einer Medaille sind, dass beides zu einem verantwortungsvollen Umgang mit modernen Medien gehört und natürlich beides wichtig ist, damit wir verantwortungsvoll unsere Rechte wahrnehmen.

Das derzeitige System bedeutet, dass wir als Abgeordnete hier im Haus umfassende Informationsrechte haben, was das Regierungshandeln angeht- und das ist sehr gut so.

Trotzdem möchte ich gern einen Aspekt aufgreifen, der auch bei uns immer wieder diskutiert wird, nämlich die Frage: Was bedeutet es eigentlich, wenn wir als einzelne Abgeordnete, zum Beispiel als Fraktionsvorsitzende im PKG, aber auch die haushaltspolitischen Sprecher im Beteiligungsausschuss, etwas erfahren, was dann für unser Abstimmungsverhalten im Landtag wichtig ist, wir aber zum Teil unsere Fraktion selber nicht über das informieren dürfen, was wir haben? Das ist aus meiner Sicht immer noch ein Problem, wenn wir davon ausgehen, dass jeder Abgeordnete, jede Abgeordnete hier im Haus ihr Mandat ausüben können muss.

(Dr. Axel Bernstein)

Ich fordere nicht, dass wir alles jedem im Haus immer offenlegen müssen, aber wir müssen uns auch Gedanken machen, was es für die Demokratie bedeutet, wenn wir Einzelnen Rechte einräumen.