Protokoll der Sitzung vom 10.07.2014

stein nicht so riesige Industrieanlagen hat wie andere Bundesländer, sondern eher von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt ist. Falsch ist dagegen, dass das ein Nachteil ist. Ich glaube, wir haben es in der letzten Weltwirtschaftskrise auch gesehen, dass gerade unsere Struktur dazu beigetragen hat, dass bei uns nicht wie in anderen Bundesländern die Zahlen bei den Arbeitslosen und bei der Kurzarbeit erheblich gestiegen sind, sondern wir hatten dadurch eher Vorteile.

Meine Damen und Herren, bei der Industriepolitik für Schleswig-Holstein wird es also nicht um ein „Weiter so!“ gehen, auch nicht um ein Nacheifern. Unsere Industriepolitik im Wandel setzt auf schleswig-holsteinische Stärken und baut sie aus. Dort steigen wir mit gezielten Förderinstrumenten und Steuerungsinstrumenten ein. Wir unterstützen unsere Cluster. Dazu gehören besonders die maritime Industrie, die chemische Industrie, die Lebensmittelindustrie, die Schienenfahrzeugtechnik und die erneuerbaren Energien.

(Vereinzelter Beifall SPD und Beifall Flem- ming Meyer [SSW])

Das kann aber nicht heißen, dass unsere Unternehmen in Wirtschaftszweigen so werden können oder sollten wie die in Baden-Württemberg. Die mögen vielleicht alles können außer Hochdeutsch, aber wir sind der echte Norden!

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Birgit Herdejürgen [SPD]: Jawohl!)

Der Austausch innerhalb Deutschlands und Europas ist gut. Letztlich muss es aber bei der Entwicklung unserer Wirtschaft um einen schleswig-holsteinischen Weg gehen, der zu uns und unseren Gegebenheiten passt. Wir setzen auf nachhaltige Industrieproduktion, auf Energie- und Materialeffizienz. Die Energiewende sehen wir als Chance für unsere Industrie. Unsere Energiewende führt nicht zu Deindustrialisierung, im Gegenteil. Wir haben hier in Schleswig-Holstein hochqualifizierte und innovative Arbeitsplätze in den erneuerbaren Energien geschaffen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Mit unserer Politik sind wir ökologisch, wir sind sozial und gleichzeitig sogar innovativ. Es geht darum, traditionelle Geschäftsfelder zu sichern und zukunftsfähige Geschäftsfelder auf- und auszubauen.

Meine Damen und Herren, Menschen in SchleswigHolstein sind glücklicher als in anderen Regionen

(Volker Dornquast)

Deutschlands. Das liegt nicht an den hohen Löhnen, da haben Sie vollständig recht. Wer hier herzieht, weiß das übrigens. Das schleswig-holsteinische Glück mag auch daran liegen, dass wir Wirtschaft, Wachstum und Innovation gemeinsam entwickeln mit Lebensqualität, Ressourcenschonung und guter Arbeit.

(Beifall SPD)

Dazu zählt für uns - auch das ist ein Teil unserer modernen Industriepolitik -, dass wir Themen wie Barrierefreiheit, Arbeitszeitgestaltung, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten mit bedenken werden.

Wenn das alles gelingen soll, brauchen wir unseren eigenen Weg, einen Weg, der sich an den kleinen und mittleren Unternehmen orientiert, auch industriepolitisch, einen Weg, der auf Bildung, auf gute Fachkräfte setzt, einen Weg, der die Stärken Schleswig-Holstein betont, statt nur in den Süden zu schielen.

Sehr gern können wir konzeptionelle Überlegungen im Wirtschaftsausschuss weiter erörtern. Deswegen beantrage ich Überweisung.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Dr. Andreas Tietze.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Vogt, uns liegt ein Antrag vor, die Industrie in Schleswig-Holstein zu stärken. Ich finde es gut, dass Sie als FDP diesen Antrag eingebracht haben und wir heute in diesem Hause darüber diskutieren. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich.

Die industrielle Produktion ist das Fundament der wirtschaftlichen Stärke, aber - das ist in meiner Zwischenfrage deutlich geworden - die derzeitigen Krisen in der Welt werden besonders durch den Klimawandel hervorgerufen und stellen eine große Herausforderung dar. Lange haben wir die Probleme ignoriert und nicht konsequent gegengesteuert. Aber die Krise ist immer auch eine Chance für gegenwärtige Veränderungen. Deshalb muss unser Ziel sein, das bestehende Wirtschaftssystem - welt

weit im Übrigen - auf eine CO2-neutrale Produktion umzustellen.

(Beifall Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Energiewende und die Industriewende müssen integriert gedacht werden. Unser Bundesland hat da eine nicht ganz unwichtige Rolle und Position, denn wir können deutlich machen, dass wir die Transformation, die wir brauchen, dem Strukturwandel eine Richtung zu geben, hier in SchleswigHolstein auch tatsächlich umsetzen können. Lieber Herr Kollege Vogt, wir haben selbst gesehen, welche Probleme ein solch großes Land wie China hat. Ich persönlich war in unserer Partnerregion sehr erschrocken von der Umweltzerstörung, dem Smog und der Situation vor Ort. Ich habe mit großem Interesse wahrgenommen, dass gerade unsere schleswig-holsteinischen Unternehmen in der Umwelttechnologie wirklich echte Exportschlager haben. Das heißt, Schleswig-Holstein ist ein Exportweltmeister bei den regenerativen Energien und bei einer Technik, die wir brauchen, um dem Klimawandel erfolgreich begegnen zu können. Ob wir dafür ein Konzept brauchen, sei dahingestellt. Aber, Herr Vogt, dass der Blaumann mittlerweile auch in Schleswig-Holstein grün ist, ist auch ein Verdienst dieser Landesregierung.

(Beifall SPD - Christopher Vogt [FDP]: Der Wirtschaftsminister weiß von nichts!)

Deshalb brauchen wir keine Debatten um Bestandsschutz und Subventionierungen. Wir brauchen eine Debatte, die unser Land nach vorne bringt.

Ich sage ganz bewusst, es ist Zeit für eine dritte Industrielle Revolution, wie ich sie nenne. Die dritte Industrielle Revolution heißt, so zu produzieren, dass wir mit weniger Einsatz mehr machen können, dass wir natürliche Ressourcen in einer Kreislaufwirtschaft verwenden, dass wir von fossilen Brennstoffen wegkommen und dass wir diese Chance nutzen. Wir sind nicht ein Automobilland wie Baden-Württemberg oder Niedersachsen. Deshalb, lieber Kollege Vogt, können wir bestimmte Industrien in Schleswig-Holstein nicht miteinander vergleichen. Ich weise aber darauf hin, dass wir im Rahmen unseres grünen BIP herausgearbeitet haben, dass die entsprechenden Steigerungsraten des BIP in Schleswig-Holstein nie da waren. SchleswigHolstein hat immer eine gewisse Nullrate gehabt. Wir sind über viele Jahre auf der Steigerungsrate plus/minus null unseres Wirtschaftswachstums geblieben. Herr Vogt, das hatte aber auch den Vorteil, dass wir in der Krise eben nicht zu den Verlierer

(Olaf Schulze)

bundesländern gehört haben. In der Finanz- und Wirtschaftskrise, die noch nicht so lange her ist, hatten wir eben nicht die großen Probleme wie andere Länder.

Ich sage es auch sehr deutlich: Meine grüne Fraktion will Industrie in diesem Land. Wir setzen dabei auf zweimal Öko: Ökonomie und Ökologie. Unsere moderne Industriepolitik will die globalen Probleme in den Blick nehmen. Sie will die Abhängigkeit von begrenzt verfügbaren Ressourcen überwinden, und wir wollen außerdem energieintensive Industrien nach Schleswig-Holstein holen. Wo, wenn nicht bei uns, ist es so einfach, mit umweltfreundlicher Energie aus heimischen Quellen versorgt zu werden? Herr Ministerpräsident, es ist eigentlich ein Standortvorteil in Deutschland, auf den wir hinweisen sollten. Ich bin mir sicher, Herr Ministerpräsident, dass Sie keine Gelegenheit auslassen, darauf hinzuweisen.

Der Industriestandort Brunsbüttel ist ein Paradebeispiel dafür, die Wende in der Industriepolitik voranzubringen. Er kann seine ganze Kraft entfalten: Wasserstoff aus Windkraft an der Westküste, der Grundstoff chemischer Industrien und als Antriebsquelle für unsere Züge. Das ist eine ökologische Vision, die wir haben. Sie sind vor allem auch eine wunderbare Exportchance. Sie werden sich wundern, dass ich als Grüner hier stehe und die Chemie lobe. Das ist nichts Ungewöhnliches. Es wundert Sie bestimmt. Wir Grüne sind für Chemie, aber ich sage auch: Die Chemie muss stimmen.

Die ökologische Neuausrichtung wird sich auf Dauer in Schleswig-Holstein auszahlen. Es ist für uns auch wichtig, die passenden Dienstleistungen dazu mitzudenken. Wir müssen nicht immer ein Werkzeug in die Hand nehmen, um ein Produkt zu verbessern. Produkt und Nutzung gehören zusammen. Ich finde, das Credo, das in Deutschland vielfach zu hören ist: „Nutzen statt besitzen“, heißt für die Automobilindustrie und andere Industriezweige, sich umzustellen, nämlich sich zu fragen: Was sind die Produkte von morgen? Ich will gar nicht sagen, was sich jetzt auf dem Markt mit den sogenannten 3-D-Druckern tut, mit der Möglichkeit, Produktion in die Region zurückzuholen. Das alles sind Chancen für ein Bundesland, das strukturschwach ist. Aber wir können mehr, und wir können anders, und vor allen Dingen können wir besser, wenn wir uns in der Industriepolitik auf die tatsächlichen Themen der Verkehrswende, der Industriewende und der Energiewende konzentrieren. Stärken muss man stärken und darf sie nicht schwächen.

Deshalb freue auch ich mich auf die Debatte im Ausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat der Fraktionsvorsitzende, der Herr Abgeordnete Torge Schmidt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! So kritisch man eine Verlängerung des Betrachtungszeitraums beim Thema Trendsteuern sehen kann, so sehr wäre eine solche Verlängerung bei der Stellung dieses Antrags ratsam gewesen.

(Unruhe)

Können wir uns darauf verständigen, dass das Wort jetzt der Herr Abgeordnete Schmidt hat und wir bitte nicht kreuz und quer durch den Saal diskutieren?

Wir haben uns einmal die Mühe gemacht, nicht nur den Zeitraum bis 1991 zurückzuverfolgen, sondern auch die Jahrzehnte vor den 90ern mit in Betracht zu ziehen, denn Verschiebungen der sektoralen Wirtschaftsstruktur als Folge unterschiedlich starken Wachstums der einzelnen Wirtschaftszweige vollziehen sich längerfristig und zeichnen sich durch weitgehend stabile Grundtendenzen aus. Das nennt sich auch sektoraler Strukturwandel. Ein spürbarer struktureller Wandel hat sich in den Jahren 1950 bis 1990 vollzogen. Während sich die Zahl der Erwerbstätigen im Handel, Verkehr und übrigen Dienstleistungen in diesem Zeitraum mehr als verdoppelte, die Beschäftigtenzahlen im produzierenden Gewerbe zunächst stagnierten, dann abnahmen, sanken die Zahlen in der Landwirtschaft in diesen vier Jahrzehnten von knapp 25 % auf 5 %. Betrachten wir die Entwicklung des produzierenden Gewerbes genauer, sehen wir - oh Wunder -, dass der Anteil der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe in Schleswig-Holstein seit 1950 nie über ein Viertel lag. Im Jahr 1950 lag der Anteil bei 15,1 %, ist dann binnen eines Jahrzehnts um 60 % gestiegen und erreichte im Jahr 1960 mit 24,2 % seinen Peak. In den folgenden Jahren ist der Anteil wieder gesunken und schwankt seitdem um die 20-%-Marke herum. Wir halten also fest: Der Strukturwandel

(Dr. Andreas Tietze)

und der damit verbundene Rückgang der Beschäftigtenzahl im industriellen Sektor war schon vor den 90ern spürbar. Betrachtet man die Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt, liegt der Anteil der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe konstant bei 20 %.

Der Anteil des produzierenden und des Baugewerbes am BIP liegt bei knapp über 20 %.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen fragen wir uns, was genau die FDP mit der seit den 90er-Jahren stetig voranschreitenden Deindustriealisierung des Landes meint. Wir fragen uns weiter, wie man eine Situation wieder herstellen soll, die so nie da gewesen ist.

(Beifall PIRATEN)

Uns ist nicht bekannt, dass der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung der Beschäftigten jemals den Durchschnitt der anderen westdeutschen Flächenländer erreicht hat. Wissen Sie, woran das liegen könnte? Das könnte vielleicht einfach daran liegen, dass wir hier eben nicht in NRW oder Baden-Württemberg leben, sondern in Schleswig-Holstein und die Wirtschaftsstruktur hier eine andere ist.

So schlecht hat sich die schleswig-holsteinische Wirtschaft innerhalb der letzten Jahre nicht entwickelt, im Gegenteil war die Entwicklung vergleichsweise günstig. Die Folgen der Wirtschaftsund Finanzkrise waren und sind weniger drastisch als in anderen Ländern. Gleichzeitig haben wir Zuwächse bei der Produktivität und den Investitionen erlebt. Vor allem bei wissensintensiven sowie unternehmensnahen Dienstleistungen sind im Bundes- und EU-Vergleich überdurchschnittlich hohe Beschäftigungsanteile und Zuwächse zu verzeichnen.

Wir halten fest: Nur weil der Anteil des verarbeitenden Gewerbes sinkt, geht die Wirtschaft in Schleswig-Holstein nicht gleich den Bach herunter.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beschäftigtenwachstum können wir fast ausschließlich in den wissensintensiven Dienstleistungen und Spitzentechnologien beobachten. Solche produktionsorientierten höherwertigen Dienstleistungen können nur dann wachsen, wenn entsprechende industrielle Kerne vorhanden sind und die Versorgung mit qualifizierten Fachkräften gesichert ist. Insofern muss man der FDP zustimmen, dass der Anteil des produzierenden Gewerbes nicht weiter sinken sollte und es in Anbetracht gegenteiliger

Prognosen nicht ganz ungünstig wäre, sich einmal tiefergehende Gedanken zum Thema sektorale Verschiebungen in der Wirtschaftsstruktur zu machen. Dann sollten aber bitte nicht allein und isoliert die Industrie und das verarbeitende Gewerbe beleuchtet werden.

Wir sind auch vollkommen bei der FDP, was die Ausgaben für Forschung und Entwicklung angeht. Der Anteil bezogen auf das BIP ist verschwindend gering und sollte erhöht werden. Auch der Anteil der Absolventen in MINT-Fächern könnte und sollte höher sein; auch da hat die FDP recht.

Ansatzweise geht der FDP-Antrag in die richtige Richtung, insgesamt greift er aus unserer Sicht jedoch zu kurz, ist an der einen oder anderen Stelle etwas kurz gedacht und zudem etwas rückwärtsgewandt.

Ich bin für Ausschussüberweisung und Bearbeitung des Antrags und freue mich auf die Beratung im Ausschuss. - Ich danke Ihnen.