Protokoll der Sitzung vom 13.11.2014

Herr Kollege Dr. Garg, können Sie mir noch einmal erklären, wie eine einzelne Stadt oder Gemeinde durch ihr Ausgabeverhalten die Schlüsselzuweisung beeinflussen kann?

- Herr Kollege Dolgner, Sie wissen doch genau, worauf die fundamentale Kritik abzielt. Die haben Sie weder mit Ihren Änderungsanträgen noch mit ihrer originellen Zwischenfrage beseitigt. Ihr Entwurf krankt daran, dass am Anfang des Entwurfs keine vernünftige Aufgabenkritik stattgefunden hat. Das zieht sich durch. Daran ändern auch Ihre im Detail sehr schlauen Zwischenfragen relativ wenig.

(Wortmeldung Dr. Kai Dolgner [SPD])

- Und nein, ich lasse keine weitere Zwischenfrage zu.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Das hätte ich an Ih- rer Stelle auch nicht gemacht!)

- Sie haben jederzeit die Gelegenheit, uns nachher mit einem Dreiminutenbeitrag zu beglücken. Wir freuen uns schon darauf.

(Zurufe Dr. Kai Dolgner [SPD] und Christo- pher Vogt [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen mittlerweile, dass sich im Kern genau dieses Ermittlungsdefizit, das ich auch gerade dem Kollegen Dolgner noch einmal vorgeführt habe, wie ein roter Faden durch den heute zu verabschiedenden Entwurf zieht und sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes selbstverständlich schon an dieser Stelle stellt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Ganz und gar willkürlich erscheint dann aber die Festlegung der kommunalen Leistungsfähigkeit. Lieber Kollege Dolgner, das Gleichbehandlungsgebot, auf das Sie im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs immer so abzielen, wird im Entwurf massiv verletzt. § 7 des Finanzausgleichsgesetzes bewertet die Einnahmen der einzelnen kommunalen Gruppen in doppelter Hinsicht sehr unterschiedlich, wie Fromme, finde ich, sehr überzeugend dargelegt hat. So werden zwar Finanzausgleichsleistungen und die Gemeindeanteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer mit 100 % gewichtet, Realsteuereinnahmen lediglich mit 92 %. Die politische Absicht, die dahintersteht, ist zwar klar zu erkennen, sie ist trotzdem keine Begründung für diese Ungleichbehandlung. Zutreffend weist Fromme darauf hin, dass dieser Effekt durch die Anwendung einheitlicher Nivellierungssätze im Gemeindebereich weiter verstärkt wird. Bei der Ermittlung des Finanzbedarfs für den Finanzausgleich würden die Abschöpfungsmöglichkeiten vollkommen unterschiedlich berücksichtigt, was dann zum Ergebnis führt, Herr Kollege Dolgner, dass bei den kreisfreien Städten nur 70,3 % der tatsächlich erzielten Einnahmen angerechnet werden, bei den Kreisen 100 %, und bei den kreisangehörigen Gemeinden sind es 81,5 %. Das dürfen Sie denen dann gern erklären, wenn Sie nachher tapfer mit Ja gestimmt haben.

(Wortmeldung Dr. Kai Dolgner [SPD])

- Nein, ich lasse keine Zwischenfrage des Kollegen Dolgner an dieser Stelle zu. - Hier hätte ich mir gewünscht, Sie wären etwas mutiger gewesen

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: War ich!)

und hätten § 7 FAG-Novelle nicht nur um einen redaktionellen Hinweis ergänzt,

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

(Dr. Heiner Garg)

sondern vielleicht tatsächlich auch in der Sache.

Nach wie vor völlig inakzeptabel und möglicherweise sogar verfassungswidrig ist - da hilft auch der Hinweis von Herrn Dr. Stegner nichts, dass das angeblich Herr Wiegard dem Stabilitätsrat gemeldet habe -

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Angeblich? - Wei- tere Zurufe SPD)

- Das mag ja so sein. Selbst wenn es so wäre, Herr Dr. Stegner, die Berücksichtigung der Entlastung der Kreise und der kreisfreien Städte von den Kosten der Grundsicherung durch den Bund, ihre Anrechenbarkeit, ist trotzdem verfassungsmäßig äußerst problematisch. Der Bund war hier im Vermittlungsausschuss am 9. Februar 2011 ausgesprochen deutlich, lieber Kollege Stegner.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist ein Ta- schenspielertrick!)

- Das ist kein Taschenspielertrick, das ist bestenfalls ein Taschenspielertrick von Ihrer Landesregierung, um sich den Entwurf schönzurechnen, Herr Kollege Dr. Stegner.

(Beifall CDU und Anita Klahn [FDP])

Dass die Koalitionsfraktionen selbst in ihren Änderungsanträgen eines der größten politischen Ärgernisse des Entwurfs ausmerzen, erkenne ich ausdrücklich an. Ich weiß übrigens bis heute nicht, was die Landesregierung geritten hat, in dem ursprünglich vorgesehenen § 19 Absatz 3 Satz 2 einen so massiven Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung zu planen. Das fand ich politisch nicht besonders schlau. Die Streichung dieser Vorschrift durch den Koalitionsantrag ist deswegen konsequent und richtig.

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

Angesichts der Tatsache, dass auch in Ihren Reihen Abgeordnete sitzen, die Mitglieder von Kreistagen sind, wundert mich das nicht besonders. Ich weiß zwar nicht, ob das Herrn Plöger zufriedenstellt, Herr Habersaat, aber das werden Sie dann mit Sicherheit vor Ort ausmachen.

Trotz einiger Korrekturversuche seitens der Koalitionsfraktionen ist die Novelle des FAG nach wie vor mit gravierenden handwerklichen Mängeln behaftet. Genau diese Mängel werden dazu führen, dass zahlreiche Kreise in Zukunft kaum noch in der Lage sein werden, ihre Daseinsvorsorge im Rahmen des neuen FAG ordentlich bewältigen zu können. Oder wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den regierungstragenden Fraktionen, hier viel

leicht erklären, dass in Zukunft die Gemeinden, die Sie zum Teil als Gewinner darstellen, den Busverkehr für den gesamten Kreis organisieren wollen? Das wollen noch nicht einmal Sie uns glauben machen. Also nur zu, nur tapfer Ja sagen nachher in der namentlichen Abstimmung. Wenn Sie tatsächlich dazu tapfer Ja sagen, dass Sie die Konsolidierungsbemühungen der Kreise ad absurdum führen, dass Sie, wie Ihr Kollege Nico Hamkens aus Nordfriesland Ihnen selbst vorwirft, große Teile der Sozial- und Kulturlandschaft plattmachen wollen, wenn Sie dazu nachher tapfer mit Ja stimmen, kann ich Sie dazu nur beglückwünschen.

Herr Kollege!

Die FDP-Fraktion wird tapfer mit Nein stimmen auch der Kollege Kumbartzky -, weil wir nach wie vor der Auffassung sind: Die Kreise müssen in Zukunft in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein in der Lage sein, ihre Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu treffen.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Genau das können sie mit dem vorgelegten Entwurf in Zukunft nicht mehr.

(Beifall FDP und CDU - Zuruf Beate Rau- dies [SPD])

Für die Abgeordneten der Piratenfraktion hat Herr Abgeordneter Torge Schmidt das Wort.

(Zurufe Wolfgang Kubicki [FDP] und Uli König [PIRATEN])

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Sehr geehrte Damen und Herren! Politik und Gesellschaft werden von Menschen gemacht. Sie entsteht deshalb da, wo die Menschen sind. Das bedeutet, dass auch genau dort die Strukturen zum Leben gewährleistet sein müssen, also in den Kommunen vor Ort. Deshalb brauchen Leben und gesellschaftliches Engagement funktionierende, lebendige Kommunen. Das betrifft auch uns, weil desolate Zustände vor Ort Politikverdrossenheit in einem Maß fördern, das kaum kommunizierbar ist. Deshalb muss es abseits all der verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu unseren wichtigsten Anliegen gehören, das Leben und

(Dr. Heiner Garg)

Funktionieren der Kommunen zu gewährleisten. Der Landtag hat als Landesgesetzgeber hierbei einen ganz maßgeblichen Einfluss. Delegiert er Aufgaben einfach nur nach unten zu den Kommunen, ohne die Auswirkungen im Blick zu haben, so läuft er Gefahr, die Entwicklungsmöglichkeiten und diesen Freiraum des kommunalen Lebens einzuschränken.

Eingeschränkt wird es aber auch durch unzureichende Mittel der Kommunen. Deshalb ist der Landtag in der Verantwortung und der Pflicht, die kommunale Handlungsfreiheit zu gewährleisten, wo sie es selbst nicht kann. Veränderte Rahmenbedingungen und gestiegene Anforderungen an die kommunale Verwaltung haben dafür gesorgt, dass zwischen Finanzbedarf und zur Verfügung stehenden Mitteln häufig eine immer größere Lücke klafft. Die wachsende Finanznot vieler Gemeinden, die zu immer größerem Investitionsstau und Einschränkungen bei der Aufgabenwahrnehmung geführt hat, hätte schon für sich ausgereicht, den Novellierungsbedarf zu begründen. Deshalb war es richtig von der Landesregierung, dieses Projekt anzugehen.

(Beifall PIRATEN - Zuruf SPD)

Nur wie sie es getan hat, war - gelinde gesagt - erstaunlich. Der Ministerpräsident hat gestern erklärt, die Landesregierung habe die Reform mit der kommunalen Familie in einem Beteiligungsverfahren erarbeitet, das seinesgleichen suche. Wenn aber ein so umfangreiches und gutes Beteiligungsverfahren stattgefunden hat, muss man sich - zu Recht - fragen, warum die lauteste Kritik ausgerechnet aus der kommunalen Familie kommt.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Weil da umverteilt wird, Herr Kollege! - Weitere Zurufe SPD)

Das mag daran liegen, dass die gesamte Reform nicht darauf angelegt war, der kommunalen Familie insgesamt zu helfen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Ein bisschen Logik, Herr Kollege Schmidt, schadet nicht!)

Nur Unwuchten im Finanzausgleich - wie es die Landesregierung nennt - sollten beseitigt werden. Gutachterlich hat jedenfalls die Landesregierung nur die Verteilung zwischen den Kommunen untersuchen lassen.

Ob das Ergebnis dieser Untersuchung wirklich als tragfähig für das von der Koalition bestimmte Ergebnis dienen kann, wage ich nach den Anhörungen zu bezweifeln. Viel gravierender ist aber, was das Gutachten unter anderem explizit nicht untersu

chen sollte. Ich darf hierzu aus dem Gutachten zitieren:

„Die vorliegende Untersuchung bezieht sich ausdrücklich nicht auf die vertikale Finanzverteilung zwischen Land und Kommunen.“

Mit anderen Worten: Ob die Gesamtmasse an finanziellen Zuweisungen an die Kommunen auskömmlich ist, sollten die Gutachter gar nicht untersuchen. Die Gefahr, dass die Gutachter einen höheren Finanzbedarf feststellen würden als er von den aktuellen FAG-Mitteln gedeckt wird, war der Koalition offenbar zu hoch. Die Koalition wird heute ein Finanzausgleichgesetz verabschieden, von dem sie selbst nicht weiß, ob es den Finanzbedarf der Kommunen kompensiert. Ich fürchte, wir werden in einigen Jahren feststellen müssen, dass Sie die Defizite nur von den kreisfreien Städten auf die kreisangehörigen Gemeinden oder die Kreise verlagern, statt es wirksam zu verhindern.

(Beifall PIRATEN - Unruhe)

Aber durch Zufall könnten wir natürlich trotzdem genau den Bedarf der Kommunen treffen. Wenn dann noch zufällig das neue Verteilungssystem stimmt, haben die Kommunen wirklich Glück gehabt. Wer Gesetze im Vertrauen auf den Zufall macht, muss sich aber nicht wundern, wenn nur 15 % der Menschen Politikern vertrauen.