Protokoll der Sitzung vom 23.01.2015

Ich appelliere hier noch einmal an Sie, sich von diesem Irrweg zu verabschieden - im Sinne der Bildung unserer Kinder.

Insgesamt kann man, glaube ich, deutlich sagen, dass die Bildungspolitik in dieser Legislaturperiode sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass Sie sich vom Leistungsgedanken in unseren Schulen

inzwischen verabschiedet haben: Alle Kinder werden mit sechs Jahren eingeschult, egal ob es gut für sie ist oder nicht. Die Noten sollen abgeschafft werden. Schullaufbahnempfehlungen am Ende der Grundschulzeit wird es nicht mehr geben. Übrigens können Sie nachlesen, welche Schwierigkeiten das bei den Gymnasien auslöst; das war gerade in der Presse zu lesen. Klassenwiederholungen und Schrägversetzungen von Gymnasien an die Gemeinschaftsschulen und umgekehrt sollen die Ausnahme sein. Der Notendurchschnitt für den Übergang in die Oberstufe ist auf drei herabgesenkt worden. Der Anspruch an die Leistungsstandards im Abiturfach Deutsch wurde reduziert. - Und das alles mit dem Ziel, in Schleswig-Holstein mehr Abiturienten zu haben.

(Zuruf SPD: Unglaublich!)

Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie werden dieses Ziel tatsächlich erreichen. Die Quantität wird steigen und die Qualität wird sinken. Das ist schlimm für unsere Kinder hier in Schleswig-Holstein.

(Beifall CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen! Die letzten Umfragen haben sehr deutlich gezeigt, dass die Menschen in diesem Land Ihre Bildungspolitik ablehnen, und das zu Recht.

Machen Sie endlich Schluss damit. Sie wollen doch immer den Dialog. Dann nehmen Sie doch bitte einmal die Meinungen der Menschen in diesem Land auf. Akzeptieren Sie die Meinungen und betreiben Sie eine Bildungspolitik, die von den Menschen akzeptiert wird. Über die Abschaffung von Noten in unseren Schulen ist deutlich entschieden worden. Zumindest das Votum der Experten vor Ort, der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern und der Schüler in unseren Schulen, sollten Sie aufnehmen. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Kommen Sie zu einer Leistungsbewertung, die sowohl Noten als auch Berichte beinhaltet, und zwar für alle Schulen in unserem Land. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Martin Habersaat.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

„Das Leben ist grausam,

(Heike Franzen)

(Heiterkeit und Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

die Wirklichkeit ist hart und im modernen Kampf ums Dasein geht es oft brutal her. Da tut nur die Erziehung ihre Pflicht, welche stählerne Charakter bildet, nicht die, welche makellose, empfindsame, weichliche Menschenwesen in die Welt sendet, die entweder sofort zu Schanden gehen oder erst durch das Leben selbst in schmerzlichster Weise gehämmert und gehärtet werden müssen.“

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Ist das Ernst Jün- ger?)

Das Zitat stammt von Paul Wilhelm von Keppler und ist mehr als hundert Jahre alt. Dieses Zitat gibt aber so manchen Grundgedanken wieder, den wir in Bildungsdebatten heutzutage hören.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Sven Krumbeck [PIRATEN])

Bei Frau Franzen hieß das gerade: Wir müssen die Schülerinnen und Schüler auf die Leistungsanforderungen der modernen Welt vorbereiten. Das stimmt ja auch. Wir leben in einer Welt, in der das „besser, schneller, reicher“ eine bedeutsame Rolle spielt. Die Schule muss auf dieses Leben vorbereiten. Meine Schülerinnen und Schüler haben dazu gesagt: Nur die Harten kommen in den Garten. Aber die Schule soll alle Kinder auf das Leben vorbereiten, auf lebenslanges Lernen, auf die Übernahme von Verantwortung für sich und andere - alle, nicht nur die besseren, schnelleren, reicheren. Das ist vielleicht auch der Unterschied zur FDP, der es nicht auf alle ankommt, sondern der 5 % Reichen.

Im Optimalfall hinterfragen die jungen Menschen, die unsere Schulen verlassen, übrigens am Ende auch den Sinn des ,,besser, schneller, reicher". Es gibt Kinder - unbestritten -, denen Noten guttun. Es gibt Kinder, die empfinden Noten als Motivation und Bestätigung. Es gibt Kinder, die brauchen den ,,Tritt in den Hintern". Es gibt aber auch Kinder, denen die Noten die Motivation nehmen, weil 100 Fehler im Diktat genauso zu einer Sechs führen wie 50 Fehler, weil die Eins auch mit noch so viel Fleiß, Anstrengung und Härte niemals zu erreichen ist.

Meine Damen und Herren, nicht alles, was in vergangenen Jahrhunderten für gut und richtig befunden wurde, wird auch in späteren Jahrhunderten für gut und richtig befunden werden.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Der Rohrstock, um nur ein Beispiel zu nennen, verdrängte an deutschen Schulen als pädagogisches Mittel einst die bis dahin gebräuchliche Birkenrute. Heute sind beide aus unseren Schulen verschwunden. Schule hat viel mit Erfahrung und Mentalitäten zu tun. Jeder von uns ist in einem Schulsystem aufgewachsen, das von der Vergabe von Ziffernoten geprägt war. Es fällt schwer, sich von solchen Erfahrungen zu lösen und Alternativen einzubeziehen. Aber es gibt Bewegung.

Wir alle hier, glaube ich, wurden in Grundschulen beschult, in der ab Klasse 1 benotet wurde. Anke Erdmann nicht, sagt sie gerade. - Heute debattieren wir nur noch über die Frage, ob wir den Zwang zu Noten ab Klasse 3 einführen sollen. Der Wegfall der Benotung in den Klassen 1 und 2 ist offenbar schon gesellschaftlich anerkannt. In der Kita möchte auch noch niemand den Ernst des Lebens mit Noten ausloten. Möglicherweise bewegen wir uns da ja auch gemeinsam weiter.

Im Sommer 2014 hat unsere damalige Bildungsministerin die Grundschulverordnung so geändert, dass im Regelfall an den Grundschulen verbale Leistungsberichte erteilt werden. Sie hat aber den Schulen die Freiheit eingeräumt, sich dafür zu entscheiden, in den Klassen 3 und 4 weiterhin mit Notenzeugnisse zu arbeiten.

Viele Schulen - Frau Franzen hat darauf hingewiesen; es hätte mich überrascht, wenn nicht - haben sich dafür entschieden, das zu tun. Das war ja nun kein Akt des Widerstandes zur Rettung des christlichen Abendlandes, sondern es war die Umsetzung pädagogischer Handlungsspielräume, die diese Landesregierung den Schulen eingeräumt hat.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Alle Grundschulen in Schleswig-Holstein durften sich frei entscheiden, und alle Schulen haben sich frei entschieden. Niemand unterstellt der einen Seite einen Hang zur Kuschelpädagogik. Es unterstellt ja auch niemand der anderen Seite einen Hang zu schwarzer Pädagogik.

Am Antrag der CDU ist unstrittig, dass Schule etwas mit Leistung zu tun hat. Ich sehe auch nicht, dass das jemals jemand hier in Zweifel gezogen hätte. Worüber man unterschiedlicher Meinung sein kann, ist die Frage, wie erbrachte Leistung zu messen und rückzumelden ist.

Der heute von der CDU vorgelegte Antrag hatte im letzten Jahr schon als gemeinsamer Antrag von CDU und FDP mit der Drucksache 18/2257 das

(Martin Habersaat)

Licht der Welt erblickt. Der Landtag hat schon einmal darüber debattiert und entschieden. Der Landtag macht das sicherlich heute und auch in Zukunft immer wieder gern. Wir haben allerdings die Landesregierung gebeten, auf der Grundlage einer geeigneten Evaluation standardisierte Vorgaben zu entwickeln. Die Ergebnisse kommen bis zum Sommer. Ich glaube, das ist der konstruktivere Weg.

Wir treiben die pädagogische Eigenverantwortung der Schulen sogar so weit, dass wir nicht per Landtagsbeschluss einzelne Methoden verbieten wollen. Wir wollen nicht, dass im Landtag Lehrbücher verboten werden und dergleichen. Schule ist kein Zustand, Schule ist ein Prozess. Das ist eine relativ bedeutsame Erkenntnis in der Pädagogik. Ich hoffe, dass eines Tages an vielen Schulen bei uns gilt, was in Artikel 5 des Grundgesetzes steht: Eine Zensur findet nicht statt. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Anke Erdmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns ein Jahr zurückgehen. Am 8. Januar 2014 sagte die Kollegin Frau Franzen zum Thema Selbstbestimmung an den Schulen - ich zitiere -:

„Pädagogische Entscheidungen über die Unterrichtsgestaltung gehören nicht in den Bildungsausschuss des Landtages, … Unsere Schulen brauchen mehr Selbstständigkeit, um einen idealen Rahmen für eine vielfältige, kindgerechte Pädagogik schaffen zu können.“

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Frau Franzen, was für kluge Worte! Wenn Sie diese einmal ernst nehmen würden, dann hätten wir diesen Punkt heute nicht auf der Tagesordnung. Sie entwickeln sich hier gerade zur Verbotspartei. Was meinen Sie mit Wahlfreiheit? Sie sagen: Wahlfreiheit nicht bei Noten. Wahlfreiheit gilt nur dann, wenn es um das Sitzenbleiben und den Hauptschulzweig geht. Das geht aus der Pressemitteilung vom 8. Januar 2014 ganz klar hervor.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Allen Grundschulen, auch den 100 Grundschulen 98 Grundschulen, um genau zu sein -, die sich dafür entschieden haben, in den Klassen 3 und 4 oder auch nur in Klasse 3 auf Noten zu verzichten, wollen Sie sagen: Nein, euer Weg ist falsch, den dürft ihr nicht weitergehen! - Ich verstehe überhaupt nicht, wie das mit Ihrem hehren Ziel der Schulautonomie in Einklang zu bringen ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was ist mit dem neuen G 8? - Weiterer Zuruf)

Ich kann das nicht verstehen. Es geht um selbstständige Schule. An der Stelle haben sich 100 Schulen für einen anderen Weg entschieden, und Frau Franzen sagt, ab Klasse 3 müssen Noten Pflicht sein. Was das mit Wahlfreiheit zu tun hat, ist mir wirklich schleierhaft.

In Ihrem Antrag steht, Frau Franzen, dass der Lernerfolg wesentlich auch von der Leistungsbereitschaft abhängt. Wir reden hier über Grundschulen. Herr Habersaat hat schon darüber geredet, wie oft Eltern beschreiben, was für ein Druck zu Hause herrscht, weil die Kinder üben, üben und üben, aber aus der Vier trotzdem keine Drei wird. Manchmal wächst das Gras nicht dadurch schneller, dass man daran zieht. Sie sagen, Noten brächten Motivation. Das, glaube ich, ist bei guten Noten überhaupt nicht infrage zu stellen. Aber Kinder, die in der Schule gut sind, werden auch durch ein Lob ermuntert. Die Frage ist vielmehr, was mit den Kindern passiert, die schlechte Noten bekommen haben.

Sie haben in der Debatte um die Rechtschreibung gesagt, wir müssten alle mehr auf die Hirnforschung achten. Da haben Sie Herrn Spitzer erwähnt.

(Zuruf CDU)

- Doch, das war in der Debatte im Herbst 2013 zur Rechtschreibung. - Jetzt dachte ich mir, ich gucke einmal, was Professor Spitzer - wir sollen ja mehr auf die Hirnforschung achten - zu dem Thema Schulnoten sagt. Das ist sehr interessant. Professor Spitzer, seines Zeichens Hirnforscher, bezeichnet die Noten in den Klassen 3 und 4 als „flächendeckende Demotivationskampagne“, und er sagt ich zitiere -: „Das Dictum ‚du kannst nicht‘ erstickt die kindliche Neugierde“.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Da hat er recht. Sie sollten sich bei Herrn Spitzer vielleicht nicht nur einige Punkte heraussuchen, sondern wirklich schauen, was dahintersteht.

(Martin Habersaat)

Sie haben vorhin gesagt, es gehe um Leistungsfeindlichkeit. Sie denken, man muss den Kindern einfach nur sagen: Du hast eine Vier, streng dich einfach mal mehr an - das ist Ihre Strategie -; „du hast dich einfach nur nicht ordentlich angestrengt“. - Wir haben gesagt, wir möchten die Leistung der Kinder steigern, indem wir ein vernünftiges Lernklima schaffen. Die Hirnforschung, die wir nach Ihren Worten mehr beachten sollen, sagt, man muss versuchen, das Klima der Angst in den Klassenzimmern zu verändern. Darum geht es in diesem Zusammenhang.