Protokoll der Sitzung vom 21.05.2015

Ich danke der Frau Berichterstatterin. - Wortmeldungen zum Bericht gibt es nicht.

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie zwischenzeitlich mit mir Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Altenholz. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Folgende Verfahrensbemerkung: Da die erste Lesung auch schon mit Aussprache erfolgte und damals die Worterteilung in der Reihenfolge der eingegangenen Anträge erfolgt ist, schlage ich nunmehr vor, in der bewährten Reihenfolge vorzugehen. Das bedeutet, dass die CDU-Fraktion als stärkste Fraktion beginnt, danach folgen dann die Redner der Fraktionen je nach ihrer Stärke. - Ich sehe keinen Widerspruch.

Das Wort für die CDU-Fraktion hat zunächst Herr Abgeordneter Dr. Axel Bernstein.

(Dr. Kai Dolgner)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte, die lang andauernde „Anreise“ zum Rednerpult zu entschuldigen, aber ich hatte mit dieser Reihenfolge der Redner nicht gerechnet.

Nichtsdestotrotz ist es richtig und wichtig, dass wir heute in Schleswig-Holstein über ein Versammlungsrecht sprechen. Denn bereits im Jahr 2006 hat die Entscheidung im Rahmen der Föderalismusreform dafür gesorgt, dass die Länder das Versammlungsrecht abweichend von der früheren Bundesregelung gestalten können. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Denn ein einheitliches Versammlungsrecht auf Bundesebene bietet sicher den Vorteil, dass gerade bei großen Veranstaltungen, bei denen auch Einsatzkräfte aus verschiedenen Bundesländern zum Einsatz kommen, die Handhabbarkeit des Rechts einfacher ist. Dennoch bietet die jetzige Regelung auch die Chance, auf landesspezifische Besonderheiten einzugehen oder Schwerpunkte zu setzen.

Artikel 8 des Grundgesetzes garantiert das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die eigentliche und auch die Kernaufgabe eines Versammlungsrechts in der heutigen Zeit wird es sicherlich sein müssen, die Versammlungsfreiheit zu schützen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus konsequent, wenn man das Versammlungsrecht Versammlungsfreiheitsrecht nennt. Allerdings sollte dann auch das drin sein, was drauf steht.

Wenn ich mir die Frage stelle, von wem denn eigentlich Gefährdungen für Versammlungsfreiheit ausgehen, dann ist das in unserem Staat ganz sicher nicht die Polizei, und es sind ganz sicherlich nicht die Sicherheitsorgane. Sie haben vielmehr oft genug die Aufgabe, die Versammlungsfreiheit unter schwierigsten Bedingungen sicherzustellen, wenn beispielsweise linke oder rechte Extremisten in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander demonstrieren. Wirkliche Gefahren für die Versammlungsfreiheit gehen von Gewalttätern, Chaoten und Randalierern aus, die aus der Masse der friedlichen Demonstranten heraus diese dazu missbrauchen, um Schutz für ihre Straftaten zu finden.

Wir als CDU-Landtagsfraktion setzen uns dafür ein, dass jeder Bürger, der friedlich an einer Versammlung teilnehmen möchte, dies auch ohne Angst tun kann. Wir werden beim nächsten Tagesordnungspunkt noch über den Ablauf der Demonstrationen am Rande der G-7-Demonstration in Lübeck sprechen. Ein Thema wird dabei dann sicherlich die vergleichsweise geringe Beteiligung von

Bürgerinnen und Bürgern an den angekündigten Demonstrationen sein. Das hat mit Sicherheit auch etwas damit zu tun gehabt, dass die Bürgerinnen und Bürger Angst haben, als friedliche Demonstranten sozusagen als Deckung oder als Rückhalt von Gewalttätern missbraucht zu werden.

Damit gerade das nicht passiert oder möglichst nicht passiert, muss die Polizei das rechtliche Instrumentarium erhalten oder auch behalten, das für einen effektiven Schutz der Versammlungsfreiheit erforderlich ist.

Dazu gehören für uns Kontrollstellen, die sicherstellen, dass Waffen und gefährliche Gegenstände rechtzeitig erkannt und gegebenenfalls sichergestellt werden können. Sie dienen auch dazu, rechtzeitig ein Lagebild zu erhalten, um beispielsweise den Kräfteeinsatz zur Begleitung einer Versammlung entsprechend anpassen zu können.

Für uns gehören auch Übersichtsaufnahmen dazu, die so rechtzeitig angefertigt werden dürfen, dass sie dazu dienen können, bei großen und unübersichtlichen Versammlungen das Entstehen einer Gefährdung zu erkennen. Wenn diese - wie jetzt vorgesehen - erst bei Vorliegen einer Gefahr angefertigt werden dürfen, ist das Kind schon weitestgehend in den Brunnen gefallen.

Beide Punkte, sowohl Kontrollstellen als auch Übersichtsmaßnahmen dienen dazu, als relativ milde Eingriffe die Versammlungsfreiheit zu schützen und schwerere Eingriffe, die möglicherweise dann erforderlich werden, wenn aus einer Versammlung heraus Gewalttaten begangen werden, zu vermeiden. Mit dem Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, erweisen Sie der Versammlungsfreiheit einen Bärendienst. Die Teilnehmer von Versammlungen müssen hoffen, dass keine Gewalttäter unter ihnen sind. Sicherheit davor werden sie nicht haben. Man könnte fast sagen: Die Veränderungen, die Sie vornehmen, sind eine Einladung an Randalierer und Chaoten, und es ist bedauerlich, dass der Gesetzentwurf im Zuge der Anhörung schlechter geworden ist, als er ursprünglich war.

Der Änderungsantrag, den die FDP heute einbringt, geht uns als CDU-Fraktion nicht weit genug. Nichtsdestotrotz ist er besser als das, was die Regierungsfraktionen verabschieden wollen. Nach dem Motto „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ werden wir dem Änderungsantrag der FDP heute zustimmen. Ich kann Sie alle nur auffordern, vor dem Hintergrund der Argumente noch einmal darüber nachzudenken, ob es im Sinne derjenigen, die friedlich an Versammlungen

teilnehmen wollen, nicht der richtigere Weg ist, dem, was die FDP hier heute beantragt hat, zu folgen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Tobias von Pein das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen - Artikel 20, UN, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln - Artikel 11, Europäische Menschenrechtskonvention. Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln - Artikel 8, Grundgesetz.

Was in UN-Charta, Europäischer Menschenrechtskonvention und Grundgesetz steht, ist ein elementarer Grundpfeiler unserer Demokratie. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist eines der höchsten Güter, es ist eine wichtige Errungenschaft freier Gesellschaften. Sich als freie Menschen mit anderen zusammenzutun und seine Meinung auf die Straße, auf den Platz oder woanders hinzutragen, ist unser gutes Recht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Dieses Recht ist uns nicht freiwillig gegeben worden. Vielmehr haben aufrechte Demokraten für dieses Recht gekämpft und gestritten. Wenn sich junge Leute, Eltern, Kinder, Schüler, Azubis, Arbeiter, Angestellte und andere zusammenfinden, dann bringt das die Gesellschaft in Bewegung, und es hält die Demokratie am Leben. Der Schutz der Versammlungsfreiheit gehört daher zu den wichtigsten Aufgaben der Staatsgewalt.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Nur so kann die demokratische Kultur erhalten und gefördert werden, und für viele, und bei mir war das ähnlich, fängt demokratisches Engagement mit der Teilnahme an einer Demonstration an, ob Schülerstreik, Anti-Nazi-Demo, Friedensprotest oder 1.-Mai-Demo; es gibt viele Beispiele. Die weit überwiegende Mehrheit der bei uns stattfindenden

Demos läuft friedlich und ohne Gewalt ab, und das muss auch so bleiben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Die CDU behauptet, dass in Schleswig-Holstein künftig Chaoten und Randalierer freie Bahn haben werden, während Herr Dr. Breyer uns erklären wird, dass wir in puncto Versammlungsfreiheit in einem Nichtrechtsstaat leben. Wie auch immer, ich bin gespannt, was er dazu sagen wird. Beides ist natürlich Unsinn.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu möchte ich kurz anmerken: In einer optimalen Welt braucht es natürlich keine Restriktionen des Versammlungsrechts. In dieser Welt leben aber wohl nur die PIRATEN, nicht aber der Rest des Lands. Es geht darum, die Versammlungsfreiheit zu schützen, aber auch zu stärken. Ich bin davon überzeugt: Wir haben einen guten Kompromiss zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Verantwortung des Staates gefunden. Wir haben gut zwei Jahre darüber diskutiert, und wir haben uns Zeit genommen, denn wir wollten ein Gesetz vorlegen, das die Versammlungsfreiheit nach vorn stellt und sauber und rechtssicher formuliert ist. Nach intensiver parlamentarischer Beratung mit vielen Akteuren aus Wissenschaft, Juristerei, Polizei bis hin zur Gewerkschaftsjugend kommen wir jetzt zum finalen Abschluss.

Das neue Versammlungsfreiheitsgesetz macht schon mit seinem Namen deutlich, dass es in seiner Ausgestaltung um die Wahrung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit geht. Wir schaffen das modernste Versammlungsrecht in Deutschland.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Gegenüber dem geltenden Versammlungsgesetz werden viele verbessert. Für uns als Sozialdemokraten war dabei besonders wichtig, die Zusammenarbeit zwischen Bürgern und Verwaltung auf feste Füße zu stellen, also Behörden, Polizei und Staat als Dialogpartner und nicht als Gegner zu sehen. Wir wollen Dialog und Konfliktmanagement mit diesem Gesetz einen hohen Stellenwert geben.

(Beifall SPD und Burkhard Peters [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

So können Konflikte schon im Vorfeld besser vermieden und Gewalt besser verhindert werden. De

(Dr. Axel Bernstein)

eskalation ist besser als Repression, davon sind wir überzeugt.

Wir führen wichtige Liberalisierungen durch, zum Beispiel bei der Vermummung, denn hier wird Schluss gemacht mit der unnötigen Kriminalisierung von Demo-Teilnehmern. Das ist ein Wunsch, der übrigens auch aus Teilen der Polizei kam, denn zukünftig wird dies nur eine Ordnungswidrigkeit sein. So ist der Ermessensspielraum höher, denn im Sinne der Deeskalation kann es manchmal besser sein, nicht sofort auf Zugriff zu schalten. So trägt das neue Gesetz auch dazu bei, in der Praxis besser vorgehen zu können.

Die Eingriffsbefugnisse der Polizei sind durchgehend an präzise Formulierungen geknüpft. Die Hürden wurden so hoch wie möglich und so niedrig wie nötig gesetzt. Sicherheit wird gewährleistet, Freiheit geschützt, Versammlungen ein demokratischer Rahmen gegeben.

Wir haben auch intensiv darüber beraten, wie man Demonstrationen, die wir nicht wollen, von Rassisten, Antidemokraten oder Neonazis, besser begegnen kann. Herausgekommen sind Verbote von solchen Demos wie am 27. Januar und 9. November. Die Orte mussten wir nach intensiver Prüfung leider herausnehmen, denn solche Orte kann man leider nicht formulieren. Auch aus gedenkstättenpolitischer Sicht haben wir dies geprüft, aber das ist leider nicht möglich. In jedem Fall bleibt die Pflicht eines jeden aufrechten Demokraten, dagegen zu demonstrieren, und zwar auch unerträglich und laut.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich komme zum Schluss. Im ganzen Land nehmen viele Menschen ihr Versammlungsrecht wahr und tragen in vielfältiger Form ihren Protest auf die Straße. Die Erfahrung zeigt: Der überwältigende Teil davon ist bunt, vielfältig und zeigt, wie lebendig Demokratie ist. Die Versammlungsfreiheit ist elementarer Teil davon. Sie ist phänomenal wichtig für die demokratische Kultur in diesem Land. Deshalb freue ich mich, dass wir sie heute mit dem neuen Versammlungsfreiheitsgesetz einen Schritt weiter nach vorn bringen können.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Als wir am 6. des Monats den Änderungsantrag der regierungstragenden Fraktionen zum Versammlungsgesetz in den Innenund Rechtsausschuss einbrachten, ließ Dr. Bernstein für die CDU verbreiten: SPD, Grüne und SSW laden Gewalttäter zum Missbrauch friedlicher Demonstrationen für ihre Zwecke ein. Für die Zwecke der SPD? - Gut.

Dr. Breyer von den PIRATEN sieht dagegen andere Gefahren. Die Überschrift seiner Presserklärung lautete: Videoüberwachung, Strafverschärfung, Komplettdurchsuchung, Teilnahmeverbote: Grünrot-blaues Versammlungsgesetz lähmt die Versammlungsfreiheit.

Nach Lesart der CDU und der PIRATEN überlassen wir also die Straße den Randalierern aller Couleur und drangsalieren gleichzeitig friedlich demonstrierende Bürgerinnen und Bürger, sodass sie sich zukünftig nicht trauen, ihr Versammlungsrecht auszuüben. Meine Damen und Herren, ich behaupte, Ihre Wahrnehmungen sind jeweils in ihrer eigenen Art fehlerhaft und verzerrt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Vorweg: Ein Versammlungsrecht, das es allen recht macht, gibt es nicht. Zu unterschiedlich sind die Erwartungen, Sichtweisen und Interessen der Beteiligten wie den Demonstrantinnen und Demonstranten selbst, der Versammlungsleitung, der Versammlungsbehörde und nicht zuletzt der Polizei. Dies spiegelte sich eindrücklich in den Anhörungen zu den Gesetzesentwürfen der FDP, der CDU, der PIRATEN und der regierungstragenden Koalition wieder. Bei allen versammlungsrechtlich wichtigen Punkten gab es äußerst unterschiedliche Stellungnahmen. Wir befinden uns auf rechtlich heiß umkämpftem Boden. Es gibt kaum eine Materie, die so geprägt ist von verfassungsgerichtlichen Leitentscheidungen wie diese. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen heute ein Gesetz vor, das mustergültig das verspricht, was in der Überschrift steht, nämlich ein Versammlungsfreiheitsgesetz zu sein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)