Protokoll der Sitzung vom 21.05.2015

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

An zwei besonders umstrittenen Punkten will ich unseren Leitsatz „In dubio pro libertate - im Zweifel für die Freiheit“ verdeutlichen. Nach intensiver Diskussion haben wir uns entschieden, die Kontrollstellen aus dem Repertoire der polizeilichen

(Tobias von Pein)

Vorfeldmaßnahmen zu streichen - und zwar aus dem Versammlungsgesetz und aus dem Landesverwaltungsgesetz -, da sie bezüglich der Versammlungsfreiheit erhebliche Risiken in sich bergen. Sie ermöglichen die anlasslose, verdachtsunabhängige Sichtung sämtlicher anreisender Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in einer Art Schleuse. Sie können - dies ist vielfach bewiesen - durch schleppende Abfertigung die Anreise friedlicher Personen zur Versammlung verzögern oder sogar verhindern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch schlimmer ist, dass auch die sogenannte innere Versammlungsfreiheit beeinträchtigt wird, wenn friedliche Bürgerinnen und Bürger allein deswegen von einer Teilnahme absehen, weil sie sich nicht einer solchen Vorfeldkontrolle unterziehen wollen. Denn auch die Kontrollstelle ist eine Eingriffsmaßnahme, die durchgeführt wird, ohne dass die Durchsuchten zuvor einen konkreten Anlass für die polizeiliche Maßnahme gegeben haben. Die OVG-Entscheidung aus der vergangenen Woche zu den Gefahrengebieten in Hamburg bestätigt unsere Sichtweise und unsere Lösung.

Meine Damen und Herren, alle, die meinen, man solle sich nicht so haben - im Vorfeld von Fußballspielen und Rockkonzerten gebe es zukünftig immer noch polizeiliche Kontrollstellen -, haben eines nicht verstanden: Mit dem Versammlungsrecht regeln wir nichts weniger als das Grundrecht auf politische Teilhabe. Was den einen zu lax ist, ist den anderen die Übersichtsaufnahme. Dem Kollegen Breyer ist sie so sehr ein Dorn im Auge, dass er von einer „krassen Verschärfung“ des Versammlungsrechts spricht. Immer wieder stellt er die Behauptung auf, das neue Gesetz werde es ermöglichen, ganze Demonstrationszüge zu filmen.

Sehr geehrter Herr Dr. Breyer, als Jurist müsste Ihnen eine präzisere Ausdrucksweise am Herzen liegen. „Filmen“ bedeutet für mich immer noch auf Zelluloid bannen, das heißt dokumentieren, festhalten. Das geschieht gerade nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

§ 16 Absatz 2 in der Fassung der Beschlussempfehlung stellt mit aller wünschenswerten Klarheit fest, dass nur „Bild- und Tonübertragungen in Echtzeit“ als Übersichtsaufnahmen erlaubt sind. Übertragen wird auch nur, wenn Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung dies erfordern und eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Damit sind wir eindeutig auf der sicheren Sei

te der aktuellen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz mit Thilo Weichert an der Spitze hat die Vorschrift des § 16, in dem das alles geregelt ist, auf Herz und Nieren geprüft und keine Bedenken geäußert. Man kann von Thilo Weichert sagen, was man will; dass er in puncto polizeiliche Datenproblematik eine zu laxe Einstellung habe, kann man ihm nicht nachsagen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Versprechen aus unserem Koalitionsvertrag, höhere Anforderungen an die technische Überwachung und Aufzeichnung von Demonstrationen festzulegen, haben wir voll und ganz erfüllt.

Kurz und gut, das gesamte Gesetz ist ein guter Kompromiss zwischen den Bürgerrechten und den berechtigten Sicherheitsinteressen - auch im Dienst der Versammlungsfreiheit. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion der FDP hat Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit gehört zu den unentbehrlichen Wesensmerkmalen unserer Demokratie. Die herausragende Bedeutung, die sie hat, zeigt sich darin, dass sie auch einer Minderheit die Möglichkeit gibt, ihre Meinung öffentlich zu artikulieren, womit ihr eine ausgleichende Funktion in der von Mehrheitsentscheidungen geprägten repräsentativen Demokratie zukommt.

In welchem Zustand sich unser demokratisches Gemeinwesen befindet, erkennt man denn auch am Umgang des Staates mit der Versammlungsfreiheit als politischem Teilhaberecht der Bürgerinnen und Bürger. Ein Versammlungsrecht muss deshalb immer in erster Linie der Grundrechtsgewährung, mithin dem Schutz der Versammlung, dienen.

Der von unserer Fraktion eingebrachte Gesetzentwurf hat diese Vorgabe ebenso berücksichtigt wie der Änderungsantrag, den wir jetzt, nach einer langen Beratungszeit, eingebracht haben. Unser Ziel war es immer, den Rahmen des Versammlungsrechts möglichst weit zu fassen, um so die Ge

(Burkhard Peters)

währ für einen offenen und staatsfreien gesellschaftlichen Diskurs zu bieten.

Dass der Änderungsantrag der Regierungskoalition diese Linie im Wesentlichen übernommen hat und wie alle anderen Fraktionen auch - auf eine politische Instrumentalisierung des Versammlungsrechts verzichtet, begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Aufgrund der großen inhaltlichen Schnittmenge halten wir daher auch den Entwurf der Regierungsfraktionen in weiten Teilen für durchaus konsensfähig. Zu den Einschränkungen komme ich jetzt.

(Heiterkeit SPD)

- Ich habe ja gesagt: „in weiten Teilen für konsensfähig“.

Versammlungsrecht hat immer auch die Funktion der Gefahrenabwehr; das ist sicherlich allen klar. Der Gesetzentwurf meiner Fraktion trägt dem Rechnung, indem er die Polizei mit Instrumenten ausstattet, die es ihr ermöglichen, im Gefahrenfall nicht nur die öffentliche Sicherheit, sondern vor allem auch den Schutz und die Sicherheit der Teilnehmer der Versammlung zu gewährleisten. Wir wählen damit einen kooperativen, nicht etwa einen repressiven Ansatz. Da insoweit der Entwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung hinter unseren Vorschlag zurückfällt, ist die Zustimmung für uns nicht möglich. Problematisch ist der Entwurf in der von den Regierungsfraktionen beschlossenen Fassung im Wesentlichen in zwei Punkten, auf die ich kurz eingehen möchte.

Einen effektiven Versammlungsschutz kann es nur dann geben, wenn wir der Polizei auch praxistaugliche Instrumente an die Hand geben. Deshalb halten wir den Verzicht auf Kontrollstellen für falsch.

(Beifall FDP)

Richtig ist jedoch, dass es eine anlasslose, routinemäßige Einrichtung von Kontrollstellen nicht geben darf. Herr Kollege Peters, Sie haben das Thema angesprochen. In dem Entwurf, den wir in unserem Änderungsantrag vorlegen, haben wir harte Bedingungen formuliert. Ich will den Anfangsteil unseres § 17 kurz zitieren.

„Bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Waffen mitgeführt werden oder der Einsatz von Gegenständen … die öffentliche Sicherheit bei Durchführung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel unmittelbar gefährden wird, können … Kontrollstellen errichtet werden...“

Das ist also an harte, konkrete Bedingungen gebunden. Unter diesen Voraussetzungen - wenn eine unmittelbare Gefahr für die Durchführung der Versammlung vorliegt - halten wir die Einrichtung von Kontrollstellen als Möglichkeit durchaus für sinnvoll.

Bei Vorkontrollen handelt es sich aus unserer Sicht übrigens nicht um einen Eingriff; denn weder die Teilnahme an der Versammlung noch deren Form und Inhalt werden hierdurch tatsächlich beeinträchtigt. Die Einrichtung von Kontrollstellen ist dann vielmehr Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Sie tragen zum Schutz der Versammlung bei. Durch die Kontrollen können etwa bekannte Gewalttäter erkannt und nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsgrundlagen am Betreten des Versammlungsortes gehindert werden. Die Kontrollen dienen also dazu, Personen, die ohnehin nicht unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit an einer Demonstration teilnehmen wollen, die Teilnahme zu verbieten und auf diese Weise die Versammlung vor einer späteren Auflösung zu schützen. So sehen wir das.

(Beifall FDP)

Meine Damen und Herren, wenn man ausgerechnet auf die polizeilichen Befugnisse verzichten würde, die letztlich das Versammlungsrecht stärken, dann konterkarierte man damit letzten Endes die Versammlungsfreiheit beziehungsweise deren Ausübung. Daran ändert auch der symbolträchtige Titel „Versammlungsfreiheitsgesetz“ herzlich wenig.

Letzter Punkt - in aller Kürze -: Außerdem ist nach dem FDP-Gesetzentwurf die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Verkehrs zulässig, sofern dies wegen der Größe und Unübersichtlichkeit der Versammlung erforderlich ist und Gefahren für die öffentliche Sicherheit bestehen. Die Regierungsfraktionen wollen an dieser Stelle den Begriff „erhebliche Gefahren“ einfügen. In der Praxis würden sich daraus, wie auch die Gewerkschaft der Polizei eingewandt hat, für die Polizei erhebliche Beschränkungen ergeben. Unser Vorschlag ist demgegenüber wesentlich praktikabler und sachgerechter.

Herr Abgeordneter -

Ich danke für die Aufmerksamkeit und kündige an, dass wir uns in der Schlussabstimmung, die sich

(Dr. Ekkehard Klug)

vermutlich auf den Gesetzentwurf in der von Ihnen beschlossenen Fassung beziehen wird, der Stimme enthalten werden.

(Beifall FDP)

Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat der Herr Abgeordnete Dr. Patrick Breyer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das rot-grün-blaue „Versammlungsfreiheitsgesetz“, über das wir heute abstimmen sollen, lügt schon im Namen. Es ist in Wahrheit Gift für die Versammlungsfreiheit in Schleswig-Holstein. Verdachtslose Durchsuchung von Demonstranten, vorbeugende Verbote der Teilnahme an Demonstrationen, höhere Bußgelder, Verbot von Ersatzversammlungen, weitreichende Anzeigepflichten für Veranstalter - all dies atmet den Geist der Repression und schreckt von der Teilnahme an Demonstrationen ab.

(Beifall PIRATEN)

Ich nenne Ihnen ein ganz konkretes Beispiel. Nehmen Sie an, eine Familie will an einem Antiatomkraftprotest teilnehmen, an einer Menschenkette um ein Atomkraftwerk, und im Vorfeld haben Personen auf Twitter angekündigt, sich entgegen einer polizeilichen Anordnung zu vermummen, meinetwegen um sich vor ungerechtfertigter Überwachung zu schützen. Nach ihrem Gesetzentwurf sollen nun nicht nur diese Familie, sondern auch sämtliche andere Teilnehmer dieser Demonstration durchsucht werden dürfen, nur weil es bei einzelnen Personen Anhaltspunkte für Verstöße geben soll. Ob Kontrollstelle oder ob die Personen so herausgegriffen werden sollen - das ist ein Generalverdacht. Das ist verfassungswidrig.

(Beifall PIRATEN - Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Wie schon angesprochen; hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg gerade erst entschieden, dass eine Durchsuchung von beliebigen Personen eben nicht zulässig ist, wie es aber in ihrem Gesetzentwurf steht, wenn es heißt: „können Personen und Sachen durchsucht werden“, sondern nur bei Personen, die etwas mit der Gefahr zu tun haben, Stichwort „Gefahrennähe“. Burkhard Peters selber hat im Ausschuss eingeräumt, alle zu durchsuchen wäre unverhältnismäßig. Das heißt, Sie beschließen ein Gesetz, von dem Sie wissen, dass es unverhält

nismäßig und verfassungswidrig ist. Das ist inakzeptabel.

(Beifall PIRATEN)

Weiter im Beispiel: Die Familie beobachtet, dass anderen Anreisenden schon im Vorfeld die Teilnahme an der Versammlung verboten wird, weil ihnen unterstellt wird, eine Ordnungswidrigkeit oder eine sonstige Störung zu begehen. Genau das soll nach ihrem Gesetzentwurf möglich sein, nämlich Personen präventiv die Teilnahme an einer Demonstration zu verbieten, selbst wenn ihnen nur eine Ordnungswidrigkeit unterstellt wird. Auch dazu gibt es ein klares Gerichtsurteil, das besagt, dass nicht jede Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder jede Ordnungswidrigkeit reicht. Auch in diesem Punkt verstoßen Sie dagegen.

Um das Beispiel weiter fortzusetzen: Die Familie kommt vor Ort an, reiht sich in die Menschenkette um das Atomkraftwerk ein, nimmt aber plötzlich über sich wahr, das dort Hubschrauber schwirren, vielleicht sogar Drohnen, über der kompletten Menschenmenge. Denn nach Ihrem Gesetz soll es zulässig sein, selbst wenn vielleicht nur von einzelnen Teilnehmern erhebliche Gefahren ausgehen, die komplette Demonstration und den gesamten Demonstrationszug aus der Luft per Video zu überwachen, selbst wenn die Versammlung komplett friedlich ist. Das schreckt von der Teilnahme an Demonstrationen ab, zumal die Teilnehmer gerade nicht wissen, ob gefilmt wird oder nicht. Deshalb macht das keinen Unterschied, Kolleginnen und Kollegen.