Protokoll der Sitzung vom 21.05.2015

Um das Beispiel weiter fortzusetzen: Die Familie kommt vor Ort an, reiht sich in die Menschenkette um das Atomkraftwerk ein, nimmt aber plötzlich über sich wahr, das dort Hubschrauber schwirren, vielleicht sogar Drohnen, über der kompletten Menschenmenge. Denn nach Ihrem Gesetz soll es zulässig sein, selbst wenn vielleicht nur von einzelnen Teilnehmern erhebliche Gefahren ausgehen, die komplette Demonstration und den gesamten Demonstrationszug aus der Luft per Video zu überwachen, selbst wenn die Versammlung komplett friedlich ist. Das schreckt von der Teilnahme an Demonstrationen ab, zumal die Teilnehmer gerade nicht wissen, ob gefilmt wird oder nicht. Deshalb macht das keinen Unterschied, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall PIRATEN)

Sie treffen mit Ihrem Gesetzentwurf den Protest gegen Atomkraft. Sie treffen aber auch, Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, gewerkschaftliche Kundgebungen. All diese Demonstrationen sind von diesem Gesetz negativ betroffen. Gerade SPD und Grüne, die doch ihre Existenz Protestbewegungen verdanken, handeln geschichtsvergessen, wenn sie in einem solchen Umfang Eingriffe in die Versammlungsfreiheit zulassen.

(Beifall PIRATEN - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Von Ihnen brauchen wir am allerwenigsten Belehrungen!)

Friedliche Demonstranten haben ein Recht auf überwachungsfreie Versammlung. Dieses Gift für die Versammlungsfreiheit in unserem Land mit dem Zucker einzelne Verbesserungen versüßen zu wollen, ändert nichts daran, dass der Gesamtcock

(Dr. Ekkehard Klug)

tail Ihres Gesetzes lähmend wirkt und friedliche Demonstranten unter Generalverdacht stellt.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

In der Summe drohen die Einschüchterungen Menschen davon abzuhalten, ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen. Das ist für die Piratenpartei nicht akzeptabel.

Permanentüberwachung, Strafverschärfung, Teilnahmeverbote - diesen verfassungswidrigen Gesetzentwurf haben die vielen Menschen in Schleswig-Holstein, die friedlich demonstrieren wollen, nicht verdient. Wir PIRATEN stehen auf ihrer Seite.

(Beifall PIRATEN - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Die werden sich für Ihre Unterstützung be- danken! - Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Wir haben einen alternativen Gesetzentwurf ausgearbeitet. Wir haben die Proteste des Bündnisses für Versammlungsfreiheit gegen diese Pläne unterstützt. Wir werden auch weiterhin mit aller Macht für das Recht kämpfen, sich hier im Land friedlich, undurchsucht und unüberwacht zu versammeln und für unsere Rechte auf die Straße zu gehen. Ihre Missachtung dieses Demonstrationsrechts in unserem Land wird spätestens vor Gericht keinen Bestand haben.

(Beifall PIRATEN - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Abwarten!)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Föderalismusreform hat uns durch die Neuzuschneidung der Kompetenzen viel Arbeit ins Land gespült. Der SSW empfindet das allerdings nicht als Last, sondern vor allem als Chance, den besonderen Gegebenheiten und Strukturen Schleswig-Holsteins Rechnung zu tragen. Es ist richtig, dass wir uns nicht auf ein Versammlungsrecht verlassen, das vor mehr als 60 Jahren seinen Anfang nahm, sondern uns Gedanken über einen eigenen Gesetzentwurf machen.

(Vereinzelter Beifall SPD und Beifall Burk- hard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Versammlungsgesetze der einzelnen Bundesländer, von denen einige ja noch ausstehen, wurden

als Insellösungen kritisiert. Dieser Vorwurf ist aber nicht haltbar. Schließlich wollen wir hier ein Versammlungsrecht, das die Besonderheiten unseres Landes berücksichtigt. Natürlich wollen wir auch, dass ein solches Recht möglichst modern ist. Die Formen der demokratischen Auseinandersetzung haben sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt, und die Vielfalt ist gewachsen. Wir haben uns nichts weniger vorgenommen als das Versammlungsrecht diesbezüglich zu modernisieren.

Ich habe im Laufe der Beratungen viel gelernt. Die Anhörung hat dem Landtag einen guten Einblick in die Arbeit verschiedener Organisationen gegeben. Wir haben im Ausschuss im wahrsten Sinne des Wortes miteinander gerungen, weil es schließlich um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit geht. Die Diskussionen waren sachlich und lösungsorientiert.

Tatsächlich sind Ausschreitungen bei Demonstrationen die absolute Ausnahme. Wir haben hier vor dem Landeshaus immer wieder Demonstrationen seit dieser Wahlperiode etwas weniger, aber vorher waren es recht viele -, die zwar laut sind, aber keineswegs gewalttätig. Die Bürgerinnen und Bürger sagen ihre Meinung, und das ist auch gut so. Mit dem SSW wird es keine Einschränkung des Versammlungsrechts geben.

Die Koalition wünscht eine lebendige Demokratie, an der sich möglichst alle Menschen in SchleswigHolstein beteiligen können. Demonstrationen sind keine Gefahr, auch wenn einem nicht immer zusagt, was die Demonstrantinnen und Demonstranten fordern. Sich außerhalb parlamentarischer Prozesse zu Wort melden oder parlamentarische Diskussionen in der Öffentlichkeit anzustoßen, ist das höchste Recht des Volkes. Dieses Recht muss aber auch gegen Gewalttäter und Extremisten geschützt werden. Ich denke, da liegt das Problem. Denn da muss die Balance gehalten werden.

Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch ganz deutlich machen, dass über ein neues Versammlungsrecht die Ursachen von gewaltsamen Protesten nicht beseitigt werden können. Wir reden bei dem Gesetz eben nicht von sozialen und politischen Konflikten. Diese müssen parlamentarisch und gesellschaftlich thematisiert und bearbeitet werden. Polizei und Justiz können durch Kontrolle Gewalt einhegen, aber deren Ursachen nicht beseitigen. Eben mal eine Hundertschaft hinschicken, und dann ist der Protest weg - das glaubt hoffentlich inzwischen niemand mehr.

(Dr. Patrick Breyer)

Dennoch müssen wir gegen Verletzungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit konsequent vorgehen. Darum ist in das Gesetz ein Uniformierungsverbot auf Demonstrationen integriert. Extremisten wollen nämlich mit ihren Uniformen die Menschen einschüchtern. Dazu wird es auf Schleswig-Holsteins Straßen jetzt nicht mehr kommen. Die Regelung im neuen Gesetz ist entsprechend eindeutig.

Eindeutig geregelt ist auch das sehr umstrittene Vermummungsverbot. Demonstranten dürfen sich nicht vermummen. Sie müssen mit offenem Visier für ihr Recht eintreten. Allerdings wird zukünftig ein Verstoß dagegen als Ordnungswidrigkeit eingestuft, weil es eben kein Verbrechen ist, anonym bleiben zu wollen. Schließlich - das muss man auch einräumen - gibt es durchaus Demonstrationen, auf denen Demonstranten aus gutem Grund ihre Identität nicht preisgeben wollen. Im Internet kursieren beispielsweise Listen mit Namen und Adressen von Bürgerinnen und Bürgern, die gegen rechtsextremistische Umtriebe eintreten. Die Nazis verunglimpfen alle Journalisten und Kritiker als Zecken, die es zu vernichten gelte. Sie rufen offen zu Gewalt gegen Menschen auf, die sie systematisch auf Demonstrationen fotografieren. Dass sich vor diesem Hintergrund Bürgerinnen und Bürger auf Demonstrationen gegen rechtsextreme Aufmärsche nicht zu erkennen geben wollen, damit sie nicht auf solchen Listen landen, ist also durchaus nachvollziehbar.

Darum ist es richtig, dass das Vermummungsverbot nur noch als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird. Das ist, wenn man so will, der Versuch, die Balance zu halten, sodass sich diejenigen, die sich selber schützen wollen, auch schützen können, aber diejenigen, die eine Vermummung nutzen wollen, um möglicherweise Gewalttaten auszuüben, daran gehindert werden können, meine Damen und Herren.

Nach der Anhörung haben wir die Höchstsätze von Bußgeldern bei mehreren Ordnungswidrigkeitsdelikten von 3.000 € auf 1.500 € halbiert.

Abschließend möchte ich den Gesetzentwurf als einen gelungenen Kompromiss bezeichnen. Es geht um die Gewährleistung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit auf der einen Seite und gleichzeitig um die Wahrung des Anspruchs auf Gewaltfreiheit und Schutz vor extremistischem Gedankengut auf der anderen Seite. Meine Damen und Herren, das ist gelungen. Deshalb ist auch der heute vorliegende Gesetzentwurf gelungen. Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat Innenminister Stefan Studt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grundlage der Gesetzesvorschläge, über die Sie heute entscheiden wollen, ist ein Vorschlag der FDP-Fraktion aus dem Jahr 2012. Dass wir erst heute, 2015, über ein neues Versammlungsgesetz für Schleswig-Holstein beraten und entscheiden wollen, zeigt nach meiner Einschätzung deutlich, wie wichtig dieses Gesetz für unser Land ist und wie intensiv die Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss geführt wurden.

Über die Bedeutung und Ableitung dieses wesentlichen Grundrechts haben wir hier schon viel gehört. Die schriftliche und mündliche Anhörung von Experten des Versammlungsrechts aus allen gesellschaftlichen Bereichen - von der Polizei über Rechtswissenschaftler und Gewerkschaften bis hin zu bürgerschaftlichen Organisationen - hat dazu geführt, dass Ihnen heute aus der Ausschussbefassung heraus eine Beschlussvorlage präsentiert wird, die das Versammlungsrecht für Schleswig-Holstein grundlegend modernisiert und dem Schutz des hohen Guts der Versammlungsfreiheit Rechnung trägt.

Es ist aus meiner Sicht gut, dass das Gesetzgebungsverfahren nicht übereilt in Angriff genommen wurde, nur weil es nach der Föderalismusreform 2006 möglich gewesen ist. Es gibt durchaus Beispiele, insbesondere in Bayern, wo Schnellschüsse häufig vor dem Verfassungsgericht enden.

Meine Damen und Herren, die vorliegende Beschlussfassung des Innen- und Rechtsausschusses verdient nach meinem Dafürhalten den Namen Versammlungsfreiheitsgesetz zu Recht. Sie orientiert sich am sogenannten Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes, der 2011 vom Arbeitskreis Versammlungsrecht vorgelegt wurde, dem namhafte Experten des Versammlungsrechts aus Wissenschaft und Praxis angehören.

Der Gesetzentwurf gießt des Weiteren Regelungen, die durch die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte aufgestellt wurden, in gesetzliche Form. Das betrifft unter anderem das Kooperationsgebot zwi

(Lars Harms)

schen Versammlungsbehörde, Polizei und Veranstaltern, aber auch die Zulässigkeit von Übersichtsaufnahmen von Versammlungen ohne speichernde Funktion. Weiterhin greift der Entwurf das sogenannte Fraport-Urteil auf, das Versammlungen auch auf privaten Flächen erlaubt, die im Eigentum von Unternehmen stehen, die sich überwiegend in öffentlicher Hand befinden. Das alles ist aus meiner Sicht zu begrüßen.

Im Gegensatz zum Entwurf der FDP regelt die Beschlussfassung des Ausschusses ausdrücklich auch die Anwesenheitsrechte der Polizei bei Versammlungen. Dies gibt den Einsatzkräften ein Stück weit Planungssicherheit.

Die Ausschussbeschlussfassung stellt allerdings das ist auch das erklärte Ziel dieses Entwurfs - die Versammlungsfreiheit in den Vordergrund und ist damit in seinen Grundregelungen liberaler als das geltende Recht und als der Entwurf der FDP-Fraktion, der hier auch zur Abstimmung vorliegt. Dies wird insbesondere bei der Entschärfung der Sanktionen für Verstöße gegen das Versammlungsgesetz deutlich. Dazu haben wir eben in den Beiträgen schon einiges gehört.

Mit der vorgesehenen sehr strikten Regelung über die Zulässigkeit von Videoaufnahmen und -aufzeichnungen setzt der im Ausschuss gefasste Beschluss ein deutliches Zeichen für die Versammlungsfreiheit. Er geht dabei über die Anforderungen der Verfassungsgerichte hinaus und ist damit deutlich versammlungsfreundlicher als der FDP-Entwurf.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren, lassen sie mich zum Abschluss als Polizeiminister noch einige Anmerkungen machen: Die verschiedentlich in der Presse, von der Gewerkschaft der Polizei und auch hier geäußerten Bedenken gegen einzelne Regelungen des Gesetzes nehme ich durchaus ernst. Es wird sich nach meiner festen Überzeugung in der Zukunft beim Umgang mit diesem Gesetz zeigen, dass Schleswig-Holstein richtigerweise die Versammlungsfreiheit noch stärker als bisher in den gesetzlichen Regelungen verankert hat. Die heutige Debatte macht für mich deutlich, dass es sich bei der Ausschussempfehlung um einen ausgewogenen Kompromiss, um eine ausgewogene Lösung handelt.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Dr. Bernstein, erlauben Sie mir folgenden Hinweis zur Frage der Kontrollstellen: Im Zusammenhang mit dem G-7-Gipfel hat es keine Kontrollstellen gegeben. An der Stelle trägt das nicht.

Herr Minister, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Aber sicher.

Herr Minister, hielten nicht auch Sie als Polizeiminister wie wir die Einrichtung von Kontrollstellen für sinnvoll, wenn es Hinweise und Anhaltspunkte dafür gibt, dass Menschen, die zu einer Demonstration wollen, Waffen mit sich führen? Wir stellen uns einmal eine PEGIDA-Demonstration in Lübeck vor und die Ankündigung von 5.000 gewaltbereiten Hooligans aus Bremen, Hamburg, Dortmund oder woher auch immer, daran teilzunehmen. Wäre es nicht sinnvoll, die anreisenden Demonstranten zuvor auf Waffen zu untersuchen?

- Diese Frage ist im Ausschuss hinreichend diskutiert worden.

- Ich frage Sie nach Ihrer Meinung.

- Ich sage ja: Diese Frage ist im Ausschuss hinreichend diskutiert worden. Es gibt an der Stelle eine abgewogene Lösung, einen abgewogenen Kompromiss. Ich habe zum Ausdruck bringen wollen, dass wir mit der vorliegenden Ausschussempfehlung in der Praxis umgehen können. Wenn Sie mich zu Ende ausführen lassen, werde ich auf den Punkt noch eingehen. Wir werden uns das Gesetz und die Maßnahmen in der Praxis ansehen und werden aus den Praxiserfahrungen, auch den polizeilichen Praxiserfahrungen heraus das Gesetz bewerten.

Das soll meine Schlussbemerkung sein - das gilt nicht nur für dieses Gesetz, sondern für alle Gesetze -: Nichts ist in Stein gemeißelt. Lassen Sie uns gemeinsam Erfahrungen mit dem Gesetz sammeln. Herr Kubicki, wenn es, wie Sie es darstellen, notwendig sein sollte, Regelungen des Gesetzes zu verändern, werde ich der Erste sein, der hier entsprechende Regelungsvorschläge vorlegt. - Ganz herzlichen Dank.