Protokoll der Sitzung vom 11.10.2017

aber trotzdem ist es gut, wenn wir das genau analysieren. Warum das mit dem Konzept so lange dauerte, hatte auch den Hintergrund, dass uns das Bildungsministerium gesagt hat, dass es sehr viel Wert darauf legt, dass das gemeinsam mit den Gewerkschaften passiert, weil genau die wissen, was Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Arbeit wirklich belastet. Nehmen wir uns genau an dieser Stelle Zeit für den Dialog, um ein vernünftiges Konzept zu machen, dann ist das wieder zu lahm. Es ist also sehr inkonsequent, was Sie hier kritisieren.

Meine Damen und Herren, dafür, dass Teile der alten Regierung und der ehemaligen Opposition gemeinsam an einem Tisch sitzen, würde ich sagen: Läuft! Wenn selbst Politikwissenschaftler Jamaika bescheinigen, dass ideologische Gräben und Lagerdenken überwunden werden, ist mein Fazit, dass wir in den letzten 100 Tagen ganz schön viel er

(Eka von Kalben)

reicht haben. Ich zitiere - mit Genehmigung des Präsidenten - Dr. Wilhelm Knelangen:

„Was man vom Kieler Beispiel lernen kann, ist, dass ernsthaftes Bemühen und die Bereitschaft zum Geben und Nehmen eine Grundlage für ein Regierungsbündnis sein kann.“

Es sind Brücken, die wir zueinander bauen, Brücken, die vielleicht dabei helfen können, auch manche Gräben in unserer Gesellschaft zu überwinden. Manchmal ist es nur eine wackelige Planke, die wir über ein schmales Rinnsal legen, manchmal sind es schon etwas solidere Brücken, die wir versuchen, Stein auf Stein zusammenzufügen.

Klar ist es für Grüne ungewohnt, im CDU-Fraktionssaal unter Kreuz und Adenauer zu sitzen.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Das ist Stoltenberg! - Heiterkeit - Weitere Zurufe)

- Dann habt ihr den umgehängt! Wenn man das Kreuz dann vielleicht auch noch woanders hinhängen könnte. - Aber na ja.

(Heiterkeit und Zurufe)

Es entsteht etwas Neues, wenn wir dort mit einem wirtschaftsliberalen Professor aus der Schweiz die Idee des Grundeinkommens und der Bürgerversicherung diskutieren. Das, meine Damen und Herren, ist auch Jamaika.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Dafür müssen sich beide Seiten bewegen und aufeinander zugehen. Das ist ein schwieriger Gang. Denn es kann keine Bewegung ohne Veränderung geben. Es ist ein Balanceakt, dabei die eigene Haltung nicht aufzugeben, für die wir gewählt worden sind. Wenn wir erreichen, dass wir, indem wir aufeinander zugehen, die Perspektive weiten und bei Gelegenheit auch einmal wechseln und unsere Haltung gleichzeitig bewahren, ist schon etwas gewonnen. In Schleswig-Holstein ist das in manchen Dingen schon gut gelungen. Das hat für mich insbesondere auch die Debatte um den Familiennachzug in der letzten Landtagstagung gezeigt, wofür ich mich bei meinen Koalitionspartnern noch einmal ausdrücklich bedanke.

Wir erleben es als Grüne auch jeden Tag, dass wir uns mit Themen neu und anders auseinandersetzen müssen. Dann gibt es natürlich auch Themen, bei denen wir im Koalitionsvertrag Kompromisse eingegangen sind. Das ist völlig normal. Das ist in jeder Koalition so. Ich finde, das ist auch überhaupt nicht problematisch.

In diesem Sinne kann Jamaika in Schleswig-Holstein tatsächlich eine Vorbildfunktion haben und gesellschaftlich beispielgebend sein. Widerstreitende Meinungen nicht übergehen und eine gemeinsame Meinung formulieren; Rücksicht auf unterschiedliche Interessen und dennoch ein Gemeinwohlinteresse formulieren; Andersheit und Anerkennung - das ist es, was Politik in Deutschland im Herbst 2017 insgesamt braucht. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP hat der Fraktionsvorsitzende, der Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man beginnt eine Rede mit großen Worten. Deshalb möchte ich damit anfangen, dass ich sage: Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa schaut auf Schleswig-Holstein.

(Zuruf Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich denke nicht so klein wie Sie, Frau Fritzen.

Denn es steht die spannende Frage im Raum, ob es in Berlin gelingen kann, eine Koalition zwischen den Fraktionen von CDU/CSU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu schmieden. Denn daraus folgen politische Konsequenzen nicht nur für Deutschland, sondern für Europa insgesamt. Ich sage: Wenn es uns nicht gelingt, das hinzubekommen, dann werden wir die Demokratieverdrossenheit in Deutschland in einem Maß steigern, dass uns angst und bange werden muss. Wir sind zum Erfolg verdammt, und man schaut auf Schleswig-Holstein, weil wir es geschafft haben, aus völlig unterschiedlichen Positionen heraus zumindest eine Vertrauensbasis zu entwickeln, die das Projekt Jamaika in Schleswig-Holstein zum Erfolg führen kann. Dafür möchte ich mich zunächst bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in besonderer Weise bedanken, aber auch bei der CDU. Das war von Anfang an nicht so ohne Weiteres zu sehen. Aber es ruckelt sich mittlerweile zurecht. Ich bin sicher, dass das Projekt in Schleswig-Holstein erfolgreich werden kann, wie auch das Projekt auf Bundesebene.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Eka von Kalben)

Ich möchte mich bei dem Ministerpräsidenten des Landes ausdrücklich für seinen Auftritt bei „Berlin direkt“ bedanken, als er auf die Frage, ob die CDU/ CSU nach rechts rücken muss, gesagt hat, er empfehle seiner eigenen Partei, sich einmal anzuschauen, wie die Wahlergebnisse in den Ländern aussehen, wo die Protagonisten des Rechtsrucks sitzen, und in denen, wo sie es nicht tun. Wenn man sich die Landkarte anschaut, dann haben die Unionskräfte dort zugelegt - jedenfalls nicht so stark abgenommen -, wo es eine moderate Politik gegeben hat. Die Jamaika-Koalition hat ja insgesamt hier in Schleswig-Holstein bei der Bundestagswahl gut abgeschnitten, wenn man sich die Bundestrends anguckt. Auch das ist vielleicht ein Fingerzeig darauf, dass es nicht darum geht, rechts oder links zu stehen, sondern eine verantwortbare Politik für die Menschen zu machen, die ihnen die Hoffnung gibt, dass wir die Probleme, die vor uns liegen, auch tatsächlich bewältigen werden.

Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal mit dem Kollegen Dr. Stegner beschäftigen - ganz kurz nur, weil meine Büroleiterin gesagt hat, ich solle das lassen, es lohne sich nicht mehr, und es lohnt sich tatsächlich nicht mehr - und sagen: Herr Dr. Stegner, die Tatsache, dass Robert Habeck und Daniel Günther in Berlin gewünscht und gebraucht werden und dass ich mich selbst dazu erkläre, dass ich gewünscht und gebraucht werde,

(Heiterkeit und vereinzelter Beifall FDP und CDU)

ist etwas, worauf wir stolz sein können. Das unterscheidet sich jedenfalls von dem, was Ihre Parteifreunde dauernd twittern, nämlich, Sie mögen bitte im Fernsehen nicht mehr auftreten, weil es die SPD Prozente kostet. Das ist der Unterschied, dass man uns will und Sie offensichtlich nicht will. Sie stellen sich heute hier hin und sagen, Sie nehmen es dem Ministerpräsidenten übel, dass er sich in Berlin dazu geäußert hat, dass CDU und CSU zumindest einmal zu einem Kompromiss gefunden haben, was ja eine Grundlage für Gespräche sein kann. Hätten sie es nicht gemacht, dann könnten wir gar nicht miteinander reden. Gleichzeitig werfen Sie ihm vor, er habe damit akzeptiert, dass der Flüchtlingsnachzug weiterhin begrenzt oder ausgesetzt bleibe. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Vertrauen Sie auf die Kampfstärke von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Freien Demokraten. Wir werden das in Berlin schon so durchsetzen, wie wir es hier vereinbart haben; definitiv.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie müssen sich trotzdem fragen lassen: Wo war eigentlich die Sozialdemokratie dieses Landes? Wo waren Sie eigentlich, als der Bund beschlossen hat, den Familiennachzug auszusetzen? Sie hätten das doch verhindern können, Herr Stegner. Sie dokumentieren dauernd Ihre eigene Schwäche und werfen den anderen vor, dass sie sich nicht so verhalten, wie Sie sich verhalten haben.

Ein letzter Punkt dazu: Mir würden die FacebookAuftritte von Ralf Stegner fehlen, weil ich mich durch sie morgens immer aufbauen und mir sagen kann, warum ich Politik betreibe. Aber in einem Punkt gebe ich Ihnen recht, Herr Dr. Stegner, das meine ich jetzt in allem Ernst. Das habe ich Ihnen vor der letzten Wahl schon gesagt: Sie haben recht, wenn Sie auf Ihrer Facebook-Seite formulieren, die SPD müsste sich inhaltlich und personell neu aufstellen. Sie sollten mit gutem Beispiel vorangehen und hier nicht wieder die Reden der letzten Jahrzehnte halten.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schleswig-Holstein stand in der Vergangenheit still. Die letzte Regierung hat geflickschustert, gemauschelt, geredet, kaum etwas getan, nichts gestaltet, nichts bewegt. Auch das ist die Wiederholung meiner Reden, als es diese Regierung noch gab; unter Torsten Albig, der interessanterweise erklärt hat, dass nicht er für die Wahlniederlage verantwortlich war, sondern der Landesvorsitzende, weil dieser eine falsche Strategie angewandt habe, nicht die Erfolge der Regierung Albig zu proklamieren, sondern auf Themen zu setzen, von denen sich die Menschen in der überwiegenden Mehrheit nicht angesprochen fühlten.

Die Straßen verkamen, das können wir feststellen, die Schulen und die öffentlichen Gebäude wurden rissig wie auch das Image Schleswig-Holsteins. Staub hatte sich über das Land gelegt; Staub, den die Bürgerinnen und Bürger nur mit großer Mühe und viel Engagement an mancher Stelle beiseite fegen konnten.

(Zuruf CDU: Rot-grüner Staub!)

Die alte Regierung verharrte in alten Denkmustern. Es fehlte ihr an Weitsicht und Kreativität. Mit der Wahl haben sich die Bürgerinnen und Bürger gegen das Alte und für das Neue entschieden. Sie wollten Veränderung, weil sie spürten, dass Schleswig-Holstein dringend Veränderung braucht. Sie spürten: Ein „Weiter so!“ ist nicht mehr möglich. Diese Koalition hat es sich zur Aufgabe gemacht, den drin

(Wolfgang Kubicki)

gend nötigen Wandel endlich einzuläuten; mit Klarheit, Pragmatismus, zupackend und entschlossen.

Ja, CDU, Grüne und FDP liegen inhaltlich nicht immer auf der gleichen Linie, doch ich sage ausdrücklich, das ist kein Nachteil. Das ist eine gewaltige Chance, um neu zu denken. Alle Koalitionsparteien waren schon vorab dazu gezwungen, sich zu hinterfragen und zu prüfen, welches der eigenen Anliegen das Land wirklich voranbringt. Am Ende dieses Prozesses und der Verhandlungen stand eine Koalition, die die Einheit in der Vielfalt, die unsere Gesellschaft braucht und präsentiert, repräsentiert, und ich bekenne mich dazu, dass jede Partei innerhalb einer Koalition, die eine gemeinsame Projektion hat, immer noch ihr eigenes Gesicht wahren muss, weil ansonsten das Gefühl entsteht: Wir haben unsere politischen Positionen, die wir zur Wahl gestellt haben, nicht ernst genommen.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein wirklich einzigartiges Bündnis, das wir hier eingegangen sind; ein Bündnis, das über egoistische Parteiinteressen hinweg endlich neue Wege einschlagen kann. Wir Freie Demokraten wollen und werden in dieser Regierung dazu beitragen, dass die Potenziale und Kräfte, die in SchleswigHolstein verborgen liegen, endlich freigesetzt werden. Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass jeder Einzelne die Möglichkeit und die Freiheit bekommt, seine Fähigkeiten voll zu entfalten. Wir möchten, dass die Menschen dieses Landes nicht verzagen, sondern mutig nach vorn blicken. Sie dürfen nicht weiter von einer tatenlosen engstirnigen Regierung frustriert werden. Sie müssen wieder das Gefühl bekommen, in einem Land zu leben, das ihren Erfindergeist, ihren Wissensdurst, ihr Engagement und ihren Unternehmerdrang fördert.

Wir befinden uns in einer einzigartigen Situation. Es gibt jetzt ein Momentum, das wir als Regierung nutzen; das heißt wir, der Ministerpräsident und die Kabinettsmitglieder. Tatsächlich haben wir auch schon manches erreicht, beispielsweise in der Bildung. Landtag und Regierung haben zügig für die Umstellung von G 8 auf G 9 gesorgt und dies, ohne einfach über die Wünsche von Schülern und Eltern hinwegzurollen. Das ist übrigens der Unterschied zu den Sozialdemokraten der letzten Regierung. Da gab es keine Möglichkeit der Wahlfreiheit. Sie hatten dies zu 100 % ausgeschlossen. Wir ermöglichen zumindest dann, wenn zwei Gruppen überzeugend darlegen können, dass sie etwas mit Zustimmung der dritten Gruppe wollen, dass sie bei ihrem Mo

dell bleiben können, ohne dass wir ihnen von Ministeriumsseite etwas anderes aufoktroyieren.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Die FDP hat sich klar dafür eingesetzt, dass die Schulkonferenz frei darüber entscheiden können soll, welche Schulform für ihre Schule die richtige ist. Die Schullandschaft soll plural bleiben. Das war unser Wunsch, und das war übrigens auch der Wunsch von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das muss ich ausdrücklich sagen. Unsere Koalitionspartner sahen das zumindest im Grundsatz ähnlich, und so werden wir die Wahlfreiheit im Schulgesetz verankern.

Die Bearbeitung des Rettungsdienstgesetzes wurde in Angriff genommen, sodass wir bald mit der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs rechnen können. Die Notfallrettung wird dann künftig für private Anbieter offen sein und kann damit flexibler und effizienter ablaufen.

Das Sozialministerium stößt auch eine neue Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern an, um die frühen Hilfen finanziell abzusichern. Eltern und Kinder werden fortan besser geschützt und unterstützt, genauso wie Menschen mit Behinderung. Ein Gesetzgebungsverfahren wurde bereits eingeleitet, das die Frage der Trägerschaft der Eingliederungshilfen besser regeln soll.

Was erwarten Sie eigentlich noch in den ersten 100 Tagen? - Ich sage: Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Selbst Gott brauchte mindestens sechs Arbeitstage, um die Welt zu erschaffen. In 100 Tagen können wir den Koalitionsvertrag nicht vollständig abarbeiten. Wir sind auf einem guten Weg.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich haben sich Minister Garg und sein Haus eine wahre Mammutaufgabe vorgenommen. Sie wollen das Chaos in der Kita-Finanzierung endlich beseitigen, über das wir doch auch schon seit mehr als zehn Jahren reden. Über Jahre wurde ohne Plan und Konzept ein Flickenteppich an Erlassen produziert, bei dem keiner mehr, weder Land, noch Kommunen, noch die Kitas, so richtig durchblickt. Die Folge ist Unsicherheit bei den Beschäftigten und Verunsicherung bei den Eltern. Herr Minister Garg hat bereits gezeigt, dass er sich dafür einsetzen wird, dass das ein Ende hat. Zugleich wird dafür gesorgt, dass alle Kitas künftig denselben Qualitätsstandards unterliegen und dass die Elternbeiträge gedeckelt werden. In den nächsten Jahren wird deshalb die Landesregierung deutlich mehr Geld in das

(Wolfgang Kubicki)

Kita-System fließen lassen: in 2022 ganze 180 Millionen €. Das ist ein wichtiges Signal dafür, dass die frühkindliche Bildung für uns, für diese Regierung, für diese Koalition, einen zentralen Stellenwert hat.