Protokoll der Sitzung vom 27.11.2020

Ich möchte einmal kurz, Herr Kollege Habersaat, auf den Investitionsfonds für die freie Szene eingehen, weil der nun in dieser Legislaturperiode wirklich ein Novum ist. Mit 2,5 Millionen € werden erstmals die Gruppen der freien Szene unterstützt, und zwar sehr breit. Dass die soziokulturellen Zentren das in Teilen kritisieren, ist bekannt. Man darf aber auch sagen, dass die soziokulturellen Zentren, wenn Sie sich die Listen derjenigen anschauen, die bisher unterstützt wurden, durchaus daran auch partizipiert haben. Das sollte hier einmal geradegerückt werden.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Meine Damen und Herren, first in, last out - das ist das Schicksal der Kultur- und Kreativbranche seit Beginn der Coronapandemie im Land. Sie wurde als Erste geschlossen. Man braucht auch keine hellseherischen Qualitäten, um vorherzusagen, dass sie voraussichtlich überwiegend auch als Letzte erst wieder an den Start können gehen wird.

First in, last out - das mag für die warenhaltende Lagerwirtschaft Sinn machen, für eine offene und vielfältige Gesellschaft ist das gerade in Zeiten wie diesen fatal. Was macht uns Menschen denn im Wesentlichen aus? - Das ist doch nicht in erster Linie und allein die Sorge, krank zu werden. Die ist berechtigt, und diese Sorge teile ich. Aber das ist nicht das Alleinige. Es ist die Verständigung darüber, wie wir miteinander auch und gerade in solch krisenhaften Zeiten umgehen. Wo wird diese Verständigung verhandelt? - Genau, gerade in Kunst

(Martin Habersaat)

und Kultur spiegeln sich gesellschaftlicher Diskurs und soziale Teilhabe und Entwicklung. Kunst und Kultur sind nicht elitärer Luxus -das ist mehrfach angesprochen worden -, sondern - ich teile auch das, was die Mitglieder der Musikhochschule Lübeck in ihrer Erklärung letzte Woche formuliert haben - sie ist lebensrelevant.

Menschen leben eben nicht vom Brot allein, sondern von der gegenseitigen Ansprache und dem gegenseitigen geistigen Austausch. Der ist nicht ersetzbar, schon gar nicht allein digital erschöpfend. Das gemeinsame Erleben, Zuhören, Staunen und Erkennen lässt sich nie in ein binäres Schema pressen. Videokonferenzen helfen uns bei der aktuell notwenigen Kontaktreduzierung enorm beim Austausch und auch dabei, Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen. Wir können - ich teile das - froh sein, dass es diese Möglichkeiten gibt. Sie sollten gerade auch für unsere parlamentarische Arbeit ausgebaut werden, damit diese nicht zum Erliegen kommt. Aber sie ersetzen unsere Sehnsucht nach realer Begegnung keinesfalls. Der Moment des ausklingenden Tons bei einem Konzert, der gemeinsamen Stille, bevor der Applaus anhebt, ist tiefes Erleben und echtes Gefühl, das sich nicht streamen lässt.

Man möchte meinen, angesichts der realen Bedrohung durch die Pandemie ist das doch wohl eine Weile verzichtbar. Das stimmt nur auf den ersten Blick. Kunstgenuss - ich glaube, Herr Stegner hat das heute Vormittag schon einmal gesagt - ist auch heilsam. Kulturelle Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich und den anderen tut gerade besonders Not, um durch diese schwierige Zeit zu kommen.

Das gilt für uns alle, das gilt aber noch einmal in ganz existenzieller Art und Weise für die Künstlerinnen und Künstler, für Kulturschaffende und Arbeiterinnen und Arbeiter in der Kreativbranche. Sie alle sind oftmals - Kollege Habersaat hat es gesagt freiberuflich unterwegs und fielen im März 2020 von jetzt auf gleich ins Einkommensnichts. Es sind nicht nur außergewöhnliche Zeiten für unsere gesamte Gesellschaft, in denen Rücksicht und Verantwortungsbereitschaft besonders wichtig sind. Es sind für alle Kulturschaffenden existenziell bedrohliche Zeiten.

Kulturförderung - die Kulturpolitikerinnen und -politiker unter uns wissen das - ist in Sonntagsreden immer Kinderspiel. Leider werden an dieser Stelle viel zu viele Sonntagsreden gehalten.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Kulturförderung - vielen Dank, Kollegin Raudies in Coronazeiten ist aber ein gewaltiger Kraftakt. Kulturschaffende brauchen dringend unsere Solidarität und unsere Unterstützung. Deshalb ist es richtig, dass die Kulturhilfen des Landes verlängert werden. Es ist richtig, dass wir mit der Projekthilfe für Künstlerinnen und Künstler geholfen haben. Es war auch gut, dass mit dem ziemlich spontan entstandenen Kulturfestival eine Bühne geschaffen worden ist. Es ist auch gut, dass jetzt endlich für diese Menschen über einen Unternehmerinnen- und Unternehmerlohn verhandelt wird. Leider enttäuscht mich der Finanzminister an dieser Stelle immer wieder, wenn er ansonsten mit Wumms und Karacho - und ich weiß nicht, was sonst noch an verbalen Kraftakten ausgesprochen werden - versucht, durch diese Krise zu kommen, sich aber beim Thema Unternehmerinnen- und Unternehmerlohn immer noch taub stellt.

Ob die Novemberhilfen und die Neustartmittel ab Januar 2021 auskömmlich sein werden, wird sich zeigen. Was aber schon heute klar ist - da teile ich das, was Martin Habersaat gesagt hat -, ist, dass wir uns grundsätzlicher der Frage der sozialen Absicherung von Freiberuflerinnen und Freiberuflern widmen müssen. Wir müssen das thematisieren, das ist angesichts dieser Pandemie deutlich geworden.

Meine Damen und Herren, genauso wenig, wie das Virus unser Leben beherrschen darf, darf der arme Poet die kulturpolitische Signatur dieser Pandemie werden. Wir sollten uns alle aufgefordert fühlen, im Nachgang zu dieser Situation dafür zu sorgen, dass Kulturschaffende, Künstlerinnen und Künstler von uns mehr wertgeschätzt und mehr unterstützt werden. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch von meiner Seite geht ein Dank an das Kulturministerium, an die Kulturministerin Prien dafür, dass sie die Zahlen hier noch einmal so in Gänze vorgetragen hat. Das ist doch sehr beeindruckend. Ich möchte auch den Dank an Sie persönlich für Ihr Engagement aussprechen, dass Sie sich immer wieder für die Künstlerinnen und

(Marlies Fritzen)

Künstler in unserem Land einsetzen, damit wir etwas für sie tun können.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren, die Auswirkungen der Coronapandemie können im Einzelnen sehr unterschiedlich sein. Wer seinen Arbeitsplatz weiterhin ausfüllen kann oder wer die Chance hat, wenigstens in Kurzarbeit oder im Homeoffice arbeiten zu können, und damit sein Einkommen behält, wahrscheinlich seine Arbeit absichern kann, wird die Kontaktbeschränkungen und die eingeschränkten Betreuungsmöglichkeiten in Kita und Schule zu Recht als ein großes persönliches Ärgernis empfinden, hat aber eine Perspektive für die wirtschaftliche Absicherung, während es für viele andere seit diesem Frühjahr um die gesamte Existenz geht, Rücklagen aufgebraucht werden und dann noch ohne Perspektive, ob und wann man sein gewohntes Leben und seine Arbeit fortführen kann. Dann sprechen wir ehrlicherweise ganz häufig von Künstlerinnen und Künstlern.

(Beifall FDP)

Insbesondere betroffen sind Branchen wie Gastronomie, Veranstaltungen und verschiedenste Kultureinrichtungen. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie als reine Dienstleister allesamt auf den regen Publikumsverkehr angewiesen sind und sich im erneuten Herunterfahren des öffentlichen Lebens einer massiven Existenzbedrohung gegenübersehen. Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass die Kunst und Kulturszene bereits vor Corona nicht auf Rosen gebettet war.

Ich erinnere an dieser Stelle insbesondere an einen Diskussionsabend mit Kulturschaffenden, an dem uns sehr klar vermittelt wurde, dass die vorhandenen Strukturen mit fehlenden beziehungsweise geringen Einnahmesituationen schon sehr viel Enthusiasmus abverlangen, um bei dem Leisten zu bleiben, wie man so schön sagt. Wenn der größte Lohn allein der Applaus und die Begeisterung der Zuschauer ist, wird man davon nicht satt. So manch einer muss sich heute einfach fragen, was er im Alter macht, wenn er nicht in der Lage ist, für dieses Alter vorzusorgen.

Die für die Wirtschaft schnellstens aufgelegten Hilfsprogramme passten leider für die Kulturschaffenden nur begrenzt. Umso wichtiger war und ist es, dass sowohl der Bund als auch das Land Schleswig-Holstein verschiedene passende Fördermaßnahmen entwickelt haben. Diese Aktivitäten zeigt der Sondernewsletter des MWWK sehr deutlich

auf. Da kann ich mich dem Lob des Kollegen Habersaat nur anschließen.

Insbesondere das Veranstaltungsformat des Kulturfestivals war wichtig für das Überleben der Kulturschaffenden. Auch wenn wir es jetzt im November aufgrund der verschärften Maßnahmen wieder einstellen beziehungsweise herunterfahren mussten, ist ein Lichtblick, dass geplant ist, über neue Formate, rein digital, im Stream, ab Dezember wieder online zu gehen und die geplanten 400 Veranstaltungen fortzuführen. Interessant ist, dass wir mit diesem Kulturfestivalprogramm 200 kleinere Firmen in unserem Land beschäftigen konnten. Wir haben insgesamt 700 Auftritte realisieren können.

(Beifall FDP)

Wer das vor Ort mit begleitet hat, wird erlebt haben, wie wichtig es für die Kulturschaffenden war, aber auch für die Menschen. Man merkt häufig erst, wenn etwas nicht mehr möglich ist, dass es doch wichtig war und fehlt.

Ich bin auch froh, dass wir erst kürzlich die zusätzlichen Hilfen für den Kulturbereich mobilisieren konnten. Im Rahmen der beschlossenen Soforthilfen Kultur II konnten bis Ende November weitere Hilfen beantragt werden. Das gilt sowohl für existenzbedrohende Liquiditätsengpässe als auch für Einrichtungen, die vom Land Schleswig-Holstein institutionell gefördert werden. Zur Ehrlichkeit gehört, dass wir wissen, dass wir damit nicht alle Nöte lindern, aber wir hoffen, dem einen oder anderen damit über den Berg zu helfen und ihm eine Perspektive zu geben.

Der wichtigste Gedanke bei allen Programmen und allen Unterstützungen ist doch: Wie können wir es schaffen, die Strukturen in diesen Bereichen über die Coronapandemie zu retten?

Schon gesagt worden ist: Geschlossene Betriebe, pleitegegangene Solokünstler werden nicht wiederkehren. Teils über Jahrzehnte gewachsene Strukturen werden damit in eine wirtschaftliche Notlage geraten, unvermittelt und unverschuldet, über die Leute hereingebrochen.

Das heißt für uns: Wir müssen Existenzen sichern, Notlagen überbrücken. Darauf sollten unsere Programme abzielen. Es kann nicht nur darum gehen, dass wir möglichst viel Geld unter die Leute bringen oder Unterstützung zusagen und beschließen das hätten wir schon vor Corona gern gesehen, weil es schon damals sinnvoll erschienen ist -, sondern wir müssen schauen: Was brauchen wir zukünftig?

(Anita Klahn)

- Was wollen wir langfristig behalten? Was können wir mit diesen Maßnahmen langfristig stärken?

Der kleine Wermutstropfen, den ich allen dringend zum Nachdenken mitgeben möchte, ist der Gedanke: Mit all unseren Maßnahmen verschulden wir uns gewaltig. Das haben nicht wir auszubaden, sondern unsere Kinder und unsere Enkelkinder. Diese Verantwortung haben wir. Wir sollten sehr sorgfältig damit umgehen, welche Maßnahmen wir stärken und stützen.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])

Zum Abschluss muss ich sagen: Gerade in der Adventszeit merke ich persönlich sehr schmerzlich, wie es ist, dass viele Konzerte derzeit nicht stattfinden können. Als Kommunalpolitikerin finde ich es schmerzhaft zu erleben, dass wir Diskussionen führen, ob wir im nächsten Jahr das Schleswig-Holstein Musik Festival bei uns vor Ort erleben, wie wir es finanzieren können, aber gar nicht wissen, ob es stattfinden kann.

Von daher der Appell an alle: Nutzen Sie alle Maßnahmen, damit wir alle gesund bleiben und möglichst bald zu einem offenen und kulturellen Leben zurückkehren können! - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU und Beifall Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat die Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering.

Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Ministerin! Erst einmal vielen Dank für Ihren Bericht zur Lage in der Kultur. In den letzten Wochen und Monaten fand ich es manchmal etwas verworren, wie wir Diskussionen um das große Schlagwort „Kultur“ führen. Corona und Kultur und Veranstaltungen. Welche Kultur eigentlich? Welche Veranstaltungen? Verschwindet Kultur durch Corona? Kann sie das überhaupt? Ich würde sagen: nein. Kultur lässt sich auch als Gewebe verstehen, als etwas unbegrenzt Umdeutbares, das ständig in Herstellung begriffen ist: Kultur als selbst gesponnenes Bedeutungsgewebe des Menschen, wie Clifford Geertz, ein amerikanischer Ethnologe, sagt. Aber schnell weg von dieser

Begriffsdebatte, denn was wirklich Schaden nehmen kann, sind die Strukturen, die unsere Gesellschaft geschaffen hat.

Damit sind wir bei der Kulturwirtschaft und der Kreativindustrie. Weil Politikerinnen und Politiker Entscheidungsmacht haben, hat auch ihre Deutung von Kultur Wirkung. Das ist dann wichtig, wenn sie Entscheidungen über Institutionalisierung und Strukturen treffen, wenn Förderprogramme wie die des Landes erstellt werden. Welche Einrichtungen können von diesen Förderprogrammen profitieren, welche nicht? Wie sieht es bei den Soloselbstständigen aus?

Mir ist bewusst, wie kompliziert die Situation aufgrund der vielfältigen Lebenswirklichkeiten und Anstellungsverhältnisse der Kulturschaffenden im Land ist. Da reden wir über öffentlich-rechtliche Trägerschaften neben Kulturschaffenden der freien Szene, gewinnorientierte Einrichtungen neben Ehrenamt, Theater, Museen, soziokulturelle Zentren oder Literaturhäuser. Für jene wie solche gibt es Fördermöglichkeiten - und doch, so stellen es die Koalitionäre in ihrem Antrag fest, haben die Kulturhilfen

„aufgrund der sehr diversen persönlichen Situationen von Künstlerinnen und Künstlern längst nicht alle erreicht“.

Deswegen möchte ich von hier aus, falls jemand zuhört, für den das von Bedeutung ist, auf die Überbrückungshilfe III des Bundes hinweisen, die insbesondere für Soloselbstständige im Kunst- und Kulturbetrieb, die bisher leer ausgegangen sind, gilt: 5.000 € als Einmalzahlung, die auch für Lebenshaltungskosten genutzt werden dürfen und nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden.

Zurück ins Land Schleswig-Holstein: Was mit dem Kulturfestival 2020 auf die Beine gestellt worden ist, möchte ich vonseiten des SSW wirklich einfach einmal loben. Da ist wirklich umgesetzt worden, was irgendwie machbar war, vielleicht sogar ein bisschen mehr. Künstlerinnen und Künstler haben profitiert, aber auch das Drumherum wie Technik und alles, was zur Logistik gehört.

Wir haben im ganzen Land wunderbare Veranstaltungen an ungewohnten Orten zu sehen bekommen. Vielleicht lässt sich davon ja sogar etwas beibehalten. Open-Air-Truck vor der Seniorenresidenz oder durch das Dorf fahrend, das hat mich wirklich begeistert. Von daher ein herzliches Dankeschön an unsere Verwaltung und alle anderen Beteiligten, die hier etwas ganz Besonderes auf die Beine gestellt haben.

(Anita Klahn)

(Beifall SSW, FDP und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])