Protokoll der Sitzung vom 09.12.2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eigentlich sollten wir uns darin einig sein, Kleinsparer nicht noch zusätzlich zu belasten. Wir Freie Demokraten sehen im Gegenteil sogar dringenden Handlungsbedarf, den privaten Vermögensaufbau zu stärken, um einer wachsenden Altersarmut entgegenzuwirken. Die Deutschen haben relativ hohe Einkommen und relativ kleine Vermögen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Belastung mit Steuern und Abgaben ist hoch, die Wohneigentumsquote extrem niedrig. Die Grunderwerbsteuer ist eine Hürde auf dem Weg zum Eigentum, die wir Freie Demokraten gern senken würden. Leider hat es die Bundesregierung immer noch nicht fertiggebracht, das Steuerschlupfloch bei den Share Deals zu schließen, damit wir die Bürger an anderer Stelle entlasten können.

(Beifall FDP, Tobias Koch [CDU] und Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ein weiterer Grund für das niedrige Vermögen der Deutschen ist die geringe Aktienquote. Das Geldvermögen der Deutschen schmilzt in Zeiten negativer Realzinsen wie Schnee in der Frühlingssonne.

(Lasse Petersdotter)

Je nach Studie besitzen nur 12 bis 16 % der Deutschen Aktien, obwohl eine langfristige und breit gestreute Aktienanlage zu den besten Anlageformen gehört, die es gibt.

(Zurufe)

Es passt ins Bild, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz eine Finanztransaktionssteuer vorgeschlagen hat, die ausgerechnet Aktienkäufe besteuert, aber Finanzderivate ausspart. Betroffen wären also nicht in erster Linie Spekulanten, sondern Kleinanleger. Auch Lebensversicherungen und Versorgungswerke, die sich um die Altersvorsorge von Millionen Menschen bemühen, wären von dieser Steuer betroffen.

(Beifall FDP, Tobias Koch [CDU] und Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Man kann sich nur an den Kopf fassen, was Olaf Scholz da schon wieder geritten hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine vernünftige Politik für die Mitte sieht aus meiner Sicht anders aus.

(Beifall FDP, Tobias Koch [CDU] und Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was wir stattdessen fordern, ist die Wiedereinführung der Spekulationsfrist, mit der die Gewinne auf Aktien steuerfrei gestellt werden, wenn die Anleger die Wertpapiere eine gewisse Zeitspanne halten. Denn das dürfen wir in dieser Diskussion nicht vergessen: Auf alle Gewinne, die den Sparerpauschbetrag übersteigen, fällt die Abgeltungssteuer an. Mit der Spekulationsfrist könnten wir diejenigen Bürger belohnen, die langfristig anlegen und eben nicht an den Finanzmärkten zocken.

Als Freie Demokraten wollen wir den privaten Vermögensaufbau stärken, nicht behindern. Wir wollen Bürger und Unternehmen entlasten, nicht mit neuen Steuern belasten. Deshalb lehnen wir die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ab. Wenn wir die Finanzmärkte stabiler machen wollen, dann hilft keine Besteuerung. Wir sollten stattdessen den Blick auf die Notenbanken der Welt richten, die ungeheure Geldmengen in die Märkte gepumpt haben. Dieses Geld hat die Vermögenspreise befeuert, die Volatilität der Finanzmärkte vergrößert und Spekulanten reich gemacht.

(Beifall FDP)

Damit wir das anständig diskutieren und vielleicht auch die Kollegen im Wirtschaftsausschuss von unseren Gedanken überzeugen können ebenso wie unsere grünen Koalitionspartner, möchten wir mitbe

ratend auch im Wirtschaftsausschuss hierüber sprechen. - Besten Dank.

(Beifall FDP)

Das Wort für den Zusammenschluss der AfD hat der Abgeordnete Jörg Nobis.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen und Herren! Das Wichtigste vorneweg: Wir brauchen keine neuen Steuern. Wir brauchen weder die am 1. Januar in Kraft tretende CO2-Steuer noch eine irgendwie geartete Finanztransaktionssteuer. Herr Harms, was wir brauchen, sind Politiker, die mit Steuergeldern sorgsam umzugehen wissen.

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

Steuern haben nämlich eine äußerst unangenehme Eigenschaft: Einmal eingeführt, bleiben sie meist für immer. Das beste Beispiel dafür ist die Sektsteuer,

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

im Jahr 1902 vom Reichstag eingeführt, um die kaiserliche Kriegsflotte zu finanzieren. Die Steuer ist immer noch da. Wo zum Teufel ist die kaiserliche Flotte? - Genau, auf dem Grund von Scapa Flow.

(Zurufe)

Also: Nein, wir machen da nicht mit. Auf EU-Ebene gibt es derzeit ohnehin keine Mehrheit für die Einführung, und Deutschland sollte sie auf gar keinen Fall im Alleingang einführen. Auch der Hungerstreik eines französischen EU-Abgeordneten Ende Oktober ändert daran nichts.

Meine Damen und Herren, der Finanzplatz Frankfurt am Main profitiert derzeit vom Brexit. Rund 65 Banken und Finanzdienstleister wechseln von London nach Frankfurt, samt Jobs und Mitarbeitern. Auch das beschert uns Wohlstand und Steuereinnahmen. Eine Finanztransaktionssteuer würde vielmehr zu einer Abwanderung von Finanzdienstleistern aus Deutschland führen, und das kann ja wohl von uns kaum gewollt sein.

Außerdem ist der angestrebte Effekt einer solchen Steuer, nämlich eine Eindämmung des Hochfrequenzhandels, schlichtweg nicht zu erreichen. Hochfrequenzhändler, sogenannte Turbo Trader, würden einfach auf andere Handelsplätze, beispielsweise New York, ausweichen. Von ihrer Konstruktion her ist die Finanztransaktionssteuer auch viel

(Annabell Krämer)

mehr eine Steuer auf den Vermögensaufbau der kleinen Leute, denn die Finanztransaktionssteuer würde zumindest nach dem Modell von Olaf Scholz zu einer reinen Aktiensteuer werden und von den privaten Aktionären und Anlegern bezahlt werden, und das sehen viele namhafte Volkswirte genauso.

In Zeiten von Nullzinsen ausgerechnet die private Altersvorsorge in Aktien mit einer Steuer zu belegen, ist kontraproduktiv. Eine der wenigen Möglichkeiten, heute noch privat vorzusorgen, belegen Sie mit einer Strafabgabe, und da hilft Ihre Bagatellgrenze kaum weiter, denn spätestens dann, wenn angespartes Portfolio im Alter aufgelöst werden muss, um vielleicht einen Auszahlungsplan oder im Alter in defensivere Papiere umzuschichten, schlägt Ihre Finanztransaktionssteuer unbarmherzig zu. Die Bagatellgrenze von 3.000 € ist vielleicht in der Ansparphase für Kleinsparer relevant. In der Aussparphase, also dann, wenn ausgezahlt wird, ist das überhaupt nicht der Fall.

Anstatt die Menschen zu Vorsorge und zum Aktiensparen zu ermuntern, schrecken Sie sie mit Ihren Steuerplänen ab. Wir lehnen daher die Einführung einer solchen Transaktionssteuer als nicht zielführend und unsozial ab. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort für die Landesregierung hat die Finanzministerin Monika Heinold.

Sehr geehrte Damen und Herren! Unabhängig von der Finanztransaktionssteuer möchte ich nach dem letzten Beitrag einmal etwas im Grundsatz sagen: Steuereinnahmen sind im Grundsatz etwas Gutes. Ohne sie würde unser Staat, unser Sozialstaat nicht funktionieren. Sie finanzieren auch unsere Demokratie und, Herr Nobis, im Zweifel sogar Ihre eigene Weihnachtsgans.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Meine Damen und Herren, nach der Finanzkrise 2007/2008 war der Druck groß, dass hochspekulative Finanzgeschäfte eingedämmt werden sollen und dass sich die Finanzbranche an den horrenden Kosten der Krise beteiligen sollte. Der damalige Finanzminister Schäuble versprach uns, dass sich der Finanzsektor an den Kosten der Finanzkrise beteiligen werde. Herr Schäuble, darauf warte ich noch

heute. Die Kosten und die Schulden habe ich im Haushalt, die Einnahmen nicht.

Ich will dazusagen, dass es nicht nur Deutschland ist; Europa insgesamt hat in Sachen Finanztransaktionssteuer nicht geliefert. Das ist bitter.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Lars Harms [SSW] und Doris Fürstin von Sayn- Wittgenstein [fraktionslos])

Es gab einen guten Start. Es gab Ernsthaftigkeit. Mittlerweile liegt ein Vorschlag vor, der aber unvollkommen beziehungsweise unzureichend ist das ist schon gesagt worden -, weil eben nicht mehr alles besteuert werden soll. Das ist der Vorschlag von Scholz, der jetzt auf dem Tisch liegt und gerade noch zwischen wenigen Ländern verhandelt wird. Dessen Realisierung würde dazu führen, dass wir nur noch mit rund 1,4 Milliarden € rechnen könnten; so ist die Schätzung von Bundesfinanzminister Scholz. Angedacht - bei der breit angelegten Steuer - waren 12 Milliarden € allein für Deutschland.

Sie sehen, das ist ein meilenweiter Unterschied. Das, was vorliegt, ist so löchrig wie ein Schweizer Käse. So sagt es zumindest die Forschungsdirektorin für Finanzmärkte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Meine Damen und Herren, neben der Frage der inhaltlichen Ausgestaltung der Finanztransaktionssteuer muss natürlich darüber diskutiert werden das haben Sie hier schon gemacht; das wird im Ausschuss weitergehen -, wie sinnvoll eine nationale Lösung ist. Der SSW spricht sich für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf nationaler Ebene aus, aber mit dem Zusatz: sollte die Einführung einer EU-weiten Steuer nicht gelingen. - Die erste Frage ist natürlich: Wann ist der Zeitpunkt erreicht, zu dem wir feststellen, dass es nicht gelingt?

(Lars Harms [SSW]: Morgen!)

- Dann wäre nur noch heute Abend Zeit. - Ich hoffe ja immer noch darauf, dass es gelingt. Das wäre das Erste, was man feststellen müsste.

Das Zweite ist natürlich die Frage der Wirkung; auch darüber ist hier schon diskutiert worden. Es ist sinnvoll, sich im Ausschuss noch einmal miteinander anzuschauen, wie die Wirkung wäre, wenn wir es nur auf nationaler Ebene machen würden. Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Stimmen von denjenigen, die sich damit intensiv beschäftigt haben. Natürlich gibt es die Sorge, dass eine nationale Lösung schlichtweg zu Ausweichbewegungen in andere Märkte oder Länder führen würde.

(Jörg Nobis)

Finanzminister Scholz hat zuletzt den Vorschlag gemacht, eine Übergangsklausel aufzunehmen, die es Ländern, die an einer europäischen Lösung mitgearbeitet haben, ermöglichen würde, ihre nationalen Lösungen vorerst beizubehalten. Ob dadurch neuer Schwung in die Verhandlungen und Debatten auf europäischer Ebene kommt, die ja zurzeit eh schwierig sind, weiß ich nicht.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass wir bei der Finanztransaktionssteuer als Jamaika-Regierung, als Jamaika-Koalition unterschiedlich unterwegs sind; auch das ist hier benannt worden. Die Finanztransaktionssteuer ist kein Jamaika-Projekt. Wir liegen in der Steuerpolitik - das ist bekannt; jeder kann es an den Programmen sehen - oft sehr weit auseinander; da beißt die Maus keinen Faden ab. Aber zu einer funktionierenden Demokratie, zu einer funktionierenden Koalition gehört es, dass diese Differenzen benannt werden, dass wir darüber sprechen, dass wir Argumente austauschen. Deshalb begrüße ich die Überweisung in den Ausschuss.

Passend zur Jahreszeit habe ich Ihnen noch einen Zweizeiler persönlich gedichtet:

(Zurufe: Oh!)

„Jamaika ist hier different. Ich wünsche Ihnen einen schönen Advent.“

(Heiterkeit und Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP, SSW und Doris Fürs- tin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])