Protokoll der Sitzung vom 09.12.2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen werden eine kleine Narbe am linken Oberarm haben. Sie haben wahrscheinlich lange gar nicht drüber nachgedacht. Sie hat Ihnen aber vielleicht das Leben gerettet. Das macht es bei Impfungen so kompliziert: Wenn es gut verläuft, ist es selbstverständlich, und wir denken nicht darüber nach. Die Möglichkeit, dass es nicht gut verläuft, schürt aber ganz stark Ängste und Sorgen. Die müssen wir ernst nehmen. Das respektiere ich auch.

Aber überlegen Sie einmal: Vor Jahren gab es noch eine Kinderlähmung. Die Polio-Impfung kennen viele von Ihnen noch. Überlegen Sie mal, was es für unsere Gesellschaft bedeutet hat, als es noch keine Pockenimpfung gegeben hat. Denken Sie auch einmal darüber nach, was es global bedeutet. In vielen anderen Ländern würden die Menschen sich freuen, wenn sie Zugang zu Impfstoff hätten. Ich finde es gut und richtig, dass versucht wird, bei diesem Vi

(Serpil Midyatli)

rus, der ja nicht vor Landesgrenzen und internationalen Grenzen Halt macht, zu versuchen, in einem großen Akt der Solidarität, in einem großen Kraftakt, überall Impfstoff zur Verfügung zu stellen. Es ist richtig und gut, dass wir uns daran beteiligen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Der Impfstoff selbst ist schon an 40.000 Personen verimpft worden. Natürlich sind das in der Regel nicht diejenigen, die einer Risikogruppe angehören. Das ist klar, weil natürlich zunächst einmal gesehen werden muss, wie der Impfstoff funktioniert. Es ist auch klar, dass wir einen Impfstoff brauchen, der so sicher und wirksam wie möglich, gut getestet und jetzt - wie wir in Großbritannien sehen - offiziell zugelassen ist.

Jeder einzelne Impfstoff, ob von BioNTech/Pfizer, Moderna oder AstraZeneca, ist eine Chance, die wir ergreifen sollten. Es wird im Moment mit Hochdruck daran gearbeitet, dass wir, ähnlich wie in Großbritannien, mit den Impfungen anfangen können.

Lieber Heiner Garg: Vielen Dank an das Ministerium und an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, an die Ärztinnen und Ärzte und das medizinische Personal, das sich freiwillig gemeldet hat. Einmal mehr zeigen wir in Schleswig-Holstein: Wenn es hart auf hart geht und der Wind richtig von vorne kommt, halten wir zusammen und kriegen das hin. Klasse, vielen Dank dafür!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und FDP)

Eine persönliche Anmerkung im Namen meiner ganzen Verwandtschaft und meiner Freunde: Vielen Dank, dass es mit den mobilen Impfzentren für die Inseln und Halligen klappt. - Foole tunk deerfor!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist klar: Die zur Verfügung stehenden Impfdosen werden am Anfang nicht reichen. Wir unterhalten uns jetzt in verschiedenen Runden viel über Kritik am Impfstoff. Ich glaube, dass es umgekehrt sein wird: Es wird ganz viele Menschen geben, die sich so schnell wie möglich impfen lassen wollen.

(Beifall Werner Kalinka [CDU])

Das finde ich gut, denn sie schützen sich, und sie schützen andere.

(Beifall Hans-Jörn Arp [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ganz wichtig, dass im Bericht der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut Prioritäten gesetzt werden. Es ist doch klar: Wenn der Impfstoff nicht gleich für alle da ist, muss erst einmal der Reihe nach geguckt werden, wer diesen Impfstoff am dringendsten braucht. Die Risikogruppen sollen zuerst geimpft werden, das hat die Kollegin Katja Rathje-Hoffmann schon gesagt, und das medizinische und pflegerische Personal, das zu Covid-19-Patienten Kontakt hat. Das ist auch richtig. Es nützt ja nichts, am Anfang der Pandemie zu klatschen. Wir müssen ihnen nicht nur Schutzausrüstung geben, sondern sie auch mit einer Impfung schützen, die zur Verfügung gestellt wird. Ich bin mir ganz sicher, dass in diesem Bereich die Akzeptanz sehr groß sein wird.

Eines ist mir noch ganz wichtig: Die Impfung ist freiwillig. Sie ist freiwillig! Das ist für die Akzeptanz nach meiner festen Überzeugung sehr wichtig, dass wir alle immer wieder darauf hinweisen: Die Impfung ist freiwillig.

(Beifall CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann auch verstehen, dass es Sorge vor Impfreaktionen gibt. Bei den Impfreaktionen ist es in der Regel aber so, dass sie für ein oder zwei Tage unangenehm sind, dann aber weg sind. Was nicht weg ist, sind die Spätfolgen von Covid-19. Gucken Sie sich die Berichte der Patientinnen und Patienten an, die Covid-19 überleben, mit welchen Spätfolgen diese Patientinnen und Patienten zu kämpfen haben. Da kann ich aufgrund meines beruflichen Hintergrundes als Ärztin nur raten: Legen Sie das in eine Waagschale, auf der einen Seite: „Was kann ich für mich und andere gewinnen?“ und auf der anderen Seite: „Welches Risiko gehe ich damit ein?“ - Ich glaube, die Waagschale wird sich ganz deutlich für das Impfen aussprechen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt das Wort.

(Lukas Kilian [CDU]: Wird der nicht heiser?)

(Dr. Marret Bohn)

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hallo, Lukas Kilian: Ich mache nicht alle Tagesordnungspunkte, keine Sorge, und werde die Redezeit auch nicht komplett brauchen.

(Beifall Dennys Bornhöft [FDP])

Ich möchte dem Minister ganz herzlich für seinen Bericht zur Impfstrategie danken.

(Beifall FDP)

Wir hatten darum gebeten, diesen Bericht prominent in dieser Sitzung zu geben. Es ist wichtig, dass wir in dieser Phase bei allen Gelegenheiten über dieses Thema sprechen. Ich habe großes Verständnis für die Zeitüberziehung, Herr Minister - heute mehr denn je. Ich muss auch deutlich sagen: Es ist im Ältestenrat nicht an der Landesregierung gescheitert, dass wir nicht mehr Redezeit eingeplant haben. Es war absolut angemessen, und als Mitglied des Ältestenrates unterstütze ich es sehr, dass Sie lange und ausführlich dazu gesprochen haben.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Besonders dankbar bin ich, dass wir in SchleswigHolstein auf die bevorstehende Zulassung des Impfstoffes, die ja offenbar Ende Dezember 2020 ansteht, sehr gut vorbereitet sind. Es wurden sehr frühzeitig die benötigten Kühlgeräte und weiteres Material bestellt, die 29 Impfzentren im Land sind ebenfalls frühzeitig geplant und sehr schnell aufgebaut worden. In Schalten mit Länderkollegen habe ich festgestellt: Als wir hier darüber schon gesprochen hatten, hatten die das Thema noch gar nicht berührt. Das zeigt wieder, dass Schleswig-Holstein sehr schnell war.

(Beifall FDP, CDU und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist an dieser Stelle auch wichtig, ganz besonders den Kommunen zu danken, der Kassenärztlichen Vereinigung, unserer Bundeswehr und den vielen Freiwilligen, die sich bereits gemeldet hatten. Die Zahlen, die Heiner Garg genannt hat, sind wirklich beeindruckend. Viele Menschen, die der Materie nahestehen, sind offenbar überzeugt, dass sie sich einsetzen müssen, und melden sich freiwillig. Ich halte das wirklich für beeindruckend und hätte es mir vor wenigen Wochen noch nicht vorstellen können. Ganz herzlichen Dank für diese hohe Bereitschaft!

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und Serpil Midyatli [SPD])

Es gibt auch viele Ehrenamtler, die sich - wieder einmal - hier einbringen, vor allem vom Technischen Hilfswerk, das bei der Einrichtung vielerorts eine große Hilfe war. Es hätte wenig Verständnis dafür gegeben, wenn die Kreise erst irgendwelche Ausschreibungen machen müssten, um beispielsweise diese Sichtschutzwände und anderes aufzubauen. Das haben viele THWler ehrenamtlich am Wochenende, binnen weniger Tage gemacht. Sie haben Sachen und Material eingekauft und aufgebaut. Im Lauenburgischen habe ich gehört, wie es gelaufen ist: Es ist wirklich beeindruckend, wie die Menschen binnen weniger Tage eine solche Leistung geschafft haben. Auch dafür ganz herzlichen Dank.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt CDU und Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

In der Tat macht die Impfung sehr vielen Menschen große Hoffnung, dass wir die Pandemie irgendwann im kommenden Jahr - vielleicht eher Ende nächsten Jahres - in den Griff bekommen können und damit unsere gewohnte Freiheit und unsere Art zu leben zurückbekommen. Frau Midyatli hat es gesagt: Es gibt eigentlich keine bessere Möglichkeit. Wenn wir uns den Besteckkasten angucken, den die Menschheit derzeit zur Verfügung hat, dann gibt es keine bessere Möglichkeit, als die Pandemie über einen Impfstoff wieder in den Griff zu bekommen.

Auch ich gehöre zu den Menschen, die große Hoffnung in diesen Impfstoff setzen. Ich sage sehr deutlich: Ich habe mich schon dazu entschieden, dass ich mich impfen lassen werde, wenn ich an der Reihe bin.

Die Impfung muss in der Tat freiwillig bleiben. Ich hoffe sehr, dass viele Menschen die Möglichkeit der Impfung wahrnehmen werden. Die Kollegin Bohn hat es gesagt: In anderen Teilen der Erde würden die Menschen sich freuen, wenn sie eine solche Impfstoffverfügbarkeit wie in Deutschland hätten.

Es ist aber selbstverständlich immer eine Abwägungsfrage. Es gibt noch eine Reihe an offenen Fragen, wir haben es heute beim Bericht des Ministers gesehen. Es gibt sehr viele fachliche und logistische Fragen. Diese Fragen müssen schnellstmöglich und nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet werden. Die schnelle Entwicklung der Impfstoffe ist eine herausragende Leistung. Wer das im Frühjahr so vorausgesagt hätte, wäre für verrückt erklärt worden. Das gehört zur Ehrlichkeit auch dazu.

Ich muss aber auch deutlich sagen: Meiner Meinung nach muss noch mehr erklärt werden. Was

jetzt schon erklärt werden kann, muss erklärt werden. Was in den nächsten Wochen an Fragen beantwortet werden kann, muss so offen und klar beantwortet werden, wie es möglich ist.

(Beifall FDP)

Viele Menschen sagen: Wie kann es möglich sein, einen Impfstoff innerhalb von wenigen Monaten zu entwickeln, wo es bei anderen Krankheiten über Jahrzehnte nicht gelingt? Die Menschen sind auch nicht unbedingt vom Fach. Ich glaube, man muss es erklären. Beim gewählten Verfahren der Firma BioNTech - es gibt ja auch noch andere Impfstoffe, die vielleicht nicht eine ganz so hohe Wirksamkeit, aber durchaus auch eine Wirksamkeit haben - muss man ganz genau erläutern, warum es möglich war und dass es auch für andere Krankheiten ein Verfahren sein kann. Es hat hier gepasst. Das muss man in den Medien noch einmal deutlicher erklären - überall, wo es möglich ist -, damit da mehr Vertrauen aufgebaut werden kann. Vertrauen kann durch große Offenheit und Transparenz aufgebaut und vertieft werden. Schleswig-Holstein ist auch hier bisher vorbildlich. Es wurde früh darüber gesprochen.

Ich habe angesichts dieser schnellen Entwicklung großes Verständnis für die Skepsis vieler Menschen. Ich muss es deutlich sagen: Es ist am Ende immer eine persönliche Entscheidung. Ich meine nicht die Radikalen, die Corona sowieso leugnen und eh meinen, der Staat, das sei irgendwie alles ganz merkwürdig und dubios. Diese Verrückten meine ich nicht. Ich meine ganz normale Menschen, die einfach Sorgen haben, und diese Sorgen müssen wir ihnen nach Möglichkeit nehmen, und das sollten wir tun.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich lese auch immer mit großer Freude und Interesse die Erläuterungen des Kollegen Dr. Dolgner auf Facebook. Man muss natürlich an der Stelle auch festhalten: Es gibt einfach unendlich viele Menschen, denen man mit Statistiken und Daten nicht kommen kann. Das ist einfach so. Damit müssen wir umgehen. - Herr Dr. Dolgner, wenn es jemand schafft, dann Sie, aber wir müssen einfach damit umgehen, dass Statistiken und Daten viele Menschen nicht überzeugen. Wenn viele Menschen geimpft sind, wird das Vertrauen auch bei dieser Gruppe wachsen.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

- Das hoffe ich zumindest.

Ich staune an der Stelle auch darüber - jeder Mensch ist halt anders -, dass es nicht wenige Menschen gibt, die wenig oder keine Angst vor einer Covid-19-Erkrankung haben, aber eine horrende Angst vor einer Impfung. Das geht für mich persönlich in meinem Kopf nicht ganz zusammen, aber das muss man trotzdem ernst nehmen. Fake News, die schon jetzt massiv verbreitet werden - übrigens schon, bevor der Impfstoff entwickelt war, das ist auch erstaunlich -, müssen wir massiv auf allen Ebenen entgegentreten.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir sprechen auch über eine ganz wichtige ethische Frage, nämlich über die Priorisierung bei der Verteilung des Impfstoffes. Das muss jetzt zügig geklärt werden, der Minister hat es ausgeführt. Für mich steht außer Frage, dass vor allem die besonders verletzlichen Gruppen Vorrang haben müssen. Ich glaube, da gibt es auch einen breiten Konsens. Hinzukommen müssen vor allem medizinisches und pflegerisches Personal, aber absehbar auch andere Menschen, die aus meiner Sicht in der Gesellschaft an der Front stehen. Das sind zum Beispiel Polizisten und Feuerwehrleute. Auch die müssen sinnvoll eingereiht werden. Das sollte man an dieser Stelle auch deutlich machen. Das ist nicht so einfach angesichts der Millionen auch älterer Menschen, die wir in Deutschland haben. Aber ich glaube, es muss trotzdem beachtet werden, dass das sinnvoll eingereiht wird.