Protokoll der Sitzung vom 10.12.2020

Dieses Jahr werden wir - meine noch kleineren Kinder und meine Frau - nicht mit meiner fast 90jährigen Mutter Weihnachten feiern können. Das ist schmerzhaft, aber vernünftig. Umso mehr rufe ich den Coronagegnern, aber auch den Sorglosen zu:

Schützen Sie meine, schützen Sie Ihre Eltern und Großeltern, schützen Sie sich selbst! - Das Einhalten der Coronaregeln ist nun wirklich nicht so schwer, und es rettet Leben.

(Beifall SPD)

Corona ist nicht vorbei, Corona ist heftig, Corona ist tödlich. Wir müssen alles tun, um die Verbreitung des Virus zu stoppen oder zumindest einzuschränken. Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, die Infektionsketten nachzuvollziehen, und wir haben auch gelernt, dass es für die Gesundheitsämter bei Zahlen über einem wöchentlichen Inzidenzwert von 50 Fällen auf 100.000 Menschen deutlich schwerer bis unmöglich wird, die Infektionsketten noch nachzuverfolgen.

Hier sind wir bei der Corona-App. Die JamaikaFraktionen haben einen Antrag vorgelegt, der vieles Richtige, vielleicht aber zu viel des Guten beinhaltet. Wenn ich richtig gezählt habe, dann schlagen Sie 17 Maßnahmen vor. Wenn ich die Nebensätze mitberücksichtige, sind es weit über 20 Maßnahmen. Da kann es einem schon wie in dem Märchen passieren: Wer alles haben will, geht manchmal leer aus. Wir müssen Prioritäten setzen, Maßnahmen müssen schnell umgesetzt werden, denn wir haben keine Zeit mehr.

Erstens. Nach einer Befragung von Infratest vor gut drei Wochen wollen über die Hälfte der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger die App nicht nutzen. Außerdem würden circa 40 % der Nutzerinnen und Nutzer positive Ergebnisse nicht eintragen. Wir haben also immer noch ein massives Akzeptanzproblem. Dieses Problem dürfen wir nicht durch eine Lockerung des Datenschutzes und der Datensicherheit weiter gefährden. Verbesserung der Nutzung, wo es möglich ist, und eine massive Werbung für die Nutzung der App auf allen Ebenen und Kanälen haben aber höchste Priorität.

(Beifall SPD)

Zweitens. Schon vor einigen Monaten hat nicht nur Christian Drosten davor gewarnt, dass die Gesundheitsämter mit einer Kontaktverfolgung auf der Ebene Einzelner überfordert sein werden und gefordert, dass mit der App eine Cluster-Erkennung möglich sein sollte: weg von einer Kontaktverfolgung jedes Infizierten hin zu einer schnellen Reaktion möglicher Clustermitglieder, die dann zum Beispiel in Quarantäne gehen müssten.

Wir wissen mittlerweile, dass nicht so sehr Einzelbegegnungen, sondern vor allem Gruppensituationen in geschlossenen Räumen über einen längeren

(Ole-Christopher Plambeck)

Zeitraum besonders gefährlich sein können. Hier ist meinem Hamburger Kollegen Hansjörg Schmidt nur recht zu geben - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -:

„Statt der seit Monaten bekannten Notwendigkeit zur Cluster-Erkennung höchste Priorität zu geben, haben bei der Corona-WarnApp offenbar momentan andere Features Vorrang“.

Diese höchste Priorität zur Cluster-Erkennung sollte auch in Schleswig-Holstein gelten.

(Beifall SPD)

Ich führe noch einmal Christian Drosten an: Im Rahmen der Corona-Warn-App sollte es einfach möglich sein, ein sogenanntes Kontakttagebuch zu führen. Auch hier sollten vorrangig Situationen erfasst werden können, bei denen man sich mit vielen Menschen in einem geschlossenen oder engen Raum aufgehalten hat.

Wir sind also gut beraten, Prioritäten zu setzen und die Maßnahmen so schnell wie möglich umzusetzen. Eigentlich haben wir auch keine Zeit mehr für ausführliche Beratungen, aber vielleicht ergibt sich doch kurzfristig die Möglichkeit, dass wir uns auf Prioritäten einigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben bis jetzt über technische Details der Corona-Warn-App gesprochen. Das ist sicherlich richtig und wichtig. Trotzdem bleibt einmal mehr festzuhalten: Es kommt auf jede und jeden Einzelnen an, wie wir durch die Pandemie kommen.

(Beifall SPD)

Es hängt von unserem Gesundheitssystem ab, ob und wie wir diese und zukünftige Pandemien meistern. Wenn ich vom Gesundheitssystem spreche, meine ich im Wesentlichen die Menschen im Gesundheitssystem, die schon jetzt über alle Maßen alles leisten, damit wir diese Pandemie bestehen und überleben.

Ja, wir müssen und sollten die Corona-App so schnell wie möglich besser machen. Genauso dringlich ist aber auch, dass insbesondere die Pflege quantitativ und qualitativ ausgebaut wird und endlich den Lohn bekommt, den sie verdient.

(Beifall SPD und Christian Dirschauer [SSW])

Es gibt aus der betriebswirtschaftlich orientierten Organisationswissenschaft den schönen alten Begriff der Personalpflege. Es steht an, dass endlich

das Personal der Pflege mehr und besser gepflegt wird. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Für die Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Joschka Knuth das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte verbliebene Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Tag beraten wir sozusagen über die einzelnen Bausteine, die alle einzeln nicht der Schlüssel zur Lösung und Bekämpfung der Pandemie sind, aber als Einzelmaßnahmen einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, dass wir am Ende in der Gesamtheit der Pandemie wieder Herr werden können. So ist es auch mit der Corona-Warn-App: Sie ist schon jetzt ein wichtiges Instrument zur Nachverfolgung von Infektionsketten und damit zur Eindämmung des Infektions- und Pandemiegeschehens insgesamt. Klar ist aber auch: Die App könnte ein noch besseres und noch wichtigeres Instrument sein. Vertrauen, eine gute Nutzbarkeit und ein guter Nutzungsumfang sind die Voraussetzungen dafür, dass wir eine noch höhere Nutzbarkeit und Nutzung dieser App erreichen. Dafür gibt es eine Reihe von Bausteinen, die wir vorschlagen und von denen wir meinen, dass sie zu einer Verbesserung der App beitragen würden.

Im Grundsatz ist mit der App in der Vergangenheit schon Vieles richtig gemacht worden: Sie basiert auf Open-Source-Quelltext, sie wahrt den Datenschutz, und sie wahrt auch die Hoheit der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer über die Informationen. So soll es auch bleiben.

Aber gleichzeitig hat die App in Teilen noch Mängel und vor allen Dingen Lücken. Dazu kommt von uns eine Reihe von Vorschlägen. Ein Teil der Vorschläge ist schon in der Umsetzung. Insofern sind es nicht insgesamt über 20 Vorschläge, die nur wir unterbreiten, sondern ein Teil der Maßnahmen kommt automatisch und sowieso schon von der Bundesregierung.

(Serpil Midyatli [SPD]: Warum dann der An- trag?)

- Wir wollen da noch nachsteuern. Da ist es natürlich richtig, dass man auch über Prioritäten redet. Aber wir müssen bei einer Priorisierung auch immer überlegen, für wen wir denn am Ende priorisie

(Dr. Heiner Dunckel)

ren. Ich würde beispielsweise nicht das Kontakttagebuch am Ende höher ranken wollen als die Übersetzung der App in arabische Sprache. Für die Menschen, die nur des Arabischen mächtig sind, ist die Sprache die Voraussetzung dafür, dass sie die App überhaupt verwenden können, während es für andere sozusagen ein zusätzlicher Nutzen ist. Da ist es am Ende eine klassische Aufgabe des Projektmanagements zu schauen, welche Ressourcen man hat. Ich wette, dass diejenigen, die die Übersetzung machen, nicht die Gleichen sind, die das Kontakttagebuch erstellen.

(Beifall Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ole-Christopher Plambeck [CDU])

Deswegen ist es selbstverständlich wichtig, dass wir diesen Umfang an Vorschlägen machen.

Ein paar möchte ich da noch einmal herausheben. Es ist deutlich geworden, dass wir ein paar einfache Verbesserungen tatsächlich haben können.

(Wortmeldung Dr. Heiner Dunckel [SPD])

- Der Kollege möchte eine Frage stellen. Sehr gern.

Darf ich? Danke, Herr Abgeordneter. - Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Dunckel?

Selbstverständlich!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, ich habe eine Frage. Wir sind uns bei vielen der Maßnahmen einig, das ist nicht das Problem. Aber es ist doch die vornehme Pflicht von Politik, genau diese Priorisierung vorzunehmen und sie nicht irgendeinem Projektmanagement zu überlassen.

- Das würde ich tatsächlich nur bedingt unterschreiben. Wenn es darum geht, Rahmen und Recht zu setzen, dann ist es unsere Aufgabe, Prioritäten zu setzen. Da es hier allerdings um Einzelmaßnahmen in einem Projekt geht, das wir uns grundsätzlich zum Ziel gesetzt haben, würde ich sagen, dass es auch um eine Ressourcenfrage bei denjenigen geht, die das Projekt am Ende umzusetzen haben. Das sind nicht wir als Politik, sondern die Umsetzung erfolgt durch die Erstellerinnen und Ersteller der App und den von der Bundesregierung Beauftragten. Ich glaube, da ist es gut, wenn wir denen auch

die Hoheit geben, die Ressourcen, die verfügbar sind, maximal effizient einzusetzen und wir nicht falsche Prioritäten auf Basis fehlender Informationen setzen.

Ich komme zurück zu den Maßnahmen, die man am Ende in der richtigen Priorisierung umsetzen kann. Ich nehme noch einmal das Kontakttagebuch als Beispiel, weil ich glaube, dass das eine sinnvolle Maßnahme ist, um einen Beitrag zu der wichtigen Cluster-Erkennung zu leisten.

Aber wichtig, um das Infektionsgeschehen nachzuverfolgen und gegebenenfalls auch logische Schlussfolgerungen zu ziehen, ist beispielsweise auch das automatische Übertragen von Informationen von den Laboren in die App, wenn wir das möglich machen können.

Wir erleben das im Moment selbst. Wir haben glücklicherweise in den letzten Wochen immer negative Testergebnisse gehabt, wenn ich das richtig verfolge, aber wir haben das Problem, dass wir uns online anmelden müssen, um überhaupt ein Ergebnis einzusehen, während wir alle wahrscheinlich die App haben - ich hoffe es zumindest - und dort einfach eine Push-Benachrichtigung über das Ergebnis erhalten könnten. Das würde für alle Nutzerinnen und Nutzer die Handhabung deutlich vereinfachen, und das würde auch am Ende die Schlussfolgerungen beschleunigen, die notwendig sind, wenn jemand mal ein positives Testergebnis bekommt.

Das ist das, was wir haben wollen: eine Beschleunigung von Informationsprozessen. Und da ist es so: Wenn ich jetzt eine positive Meldung in die App bekomme, dann sind die logischen Handlungen, die daraus folgen - also das Gesundheitsamt zu kontaktieren, sich in Quarantäne zu begeben -, dort noch nicht umfangreich und ausführlich beinhaltet. Das muss doch als Information in diese App rein, dass mir als Nutzer klar gesagt wird, je nachdem in welcher Region ich bin, welches Gesundheitsamt ich anrufen muss. Das kann doch nicht so schwer sein. Das sind Maßnahmen, die definitiv in die Umsetzung müssen.

(Beifall Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich glaube, dass wir hier insgesamt einen ganz guten Katalog an Maßnahmen vorgelegt haben, die alle ihre Berechtigung und ihre Sinnhaftigkeit haben und die wir auch noch brauchen werden. Es ist nicht zu spät, die App upzudaten. Wir werden noch viele Monate mit der Pandemie zu tun haben. Es wird nicht im Februar oder März mit einem Mal wieder alles normal sein. Deswegen macht ein Up

(Joschka Knuth)

date Sinn. Die Diskussion macht auch noch Sinn. Ich freue mich, wenn wir diesen Antrag verabschieden und dann in den nächsten Monaten hoffentlich noch mehr als ein Update bei der Corona-App erleben werden. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)