Protokoll der Sitzung vom 17.11.2017

a) Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Landesverwaltungsgesetzes

Gesetzentwurf der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/276

b) Bestimmungen zur Charta der Regionaloder Minderheitensprachen nachmelden

Antrag der Abgeordneten des SSW und der Fraktion der SPD Drucksache 19/275 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? Das ist nicht der Fall.

Dann eröffne ich die Grundsatzberatung und erteile dem Abgeordneten Lars Harms vom SSW das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor 25 Jahren, am 5. November 1992, wurde die Europäische Sprachencharta unter anderem auch von der Bundesrepublik Deutschland unterschrieben. Seit 1999 ist die Charta geltendes Recht, und die Staaten sind aufgefordert, die dort angemeldeten Punkte in nationales Recht umzuwandeln,

wenn dies nicht ohnehin schon geschehen ist. So ist man bei der anfänglichen Implementierung der Charta auch hier bei uns in Deutschland vorgegangen. Man konnte feststellen, dass die Charta ein dynamisches Instrument ist. So sind zum Beispiel 2004 Charta-Bestimmungen, die sich auf die Friesen bezogen haben, durch das Friesischgesetz in Landesrecht umgewandelt worden.

Aber, meine Damen und Herren, die Charta ist eben auch in eine andere Richtung dynamisch. Wenn nämlich für Minderheiten und Sprachengruppen Rechte geschaffen werden, die durch die Charta noch nicht vorgegeben wurden, dann besteht die Möglichkeit, diese ohnehin erfüllten Rechte für die Charta nachzumelden. Dies hat zwei Effekte: Erstens schafft es noch mehr Rechtssicherheit für die betroffenen Minderheiten und Sprachgruppen, und zweitens könnten die Staaten dokumentieren, dass sich ihre Politik in diesem Bereich positiv ausgewirkt hat. Genau diesen Ansatz wollen wir verfolgen.

Wie gesagt, es gab vereinzelt Nachmeldungen von Bestimmungen. So ist es zum Beispiel nach dem neuen Namensrecht erlaubt, dass Minderheitenangehörige ihre Namen in der Schreibweise der Minderheitensprache benutzen können. Der Sorbe kann also sorbische Schriftzeichen verwenden, und der dänische Südschleswiger mit dem Namen Jörgensen darf nun auch das dänische „ø“ in seinem deutschen Pass verwenden. Derzeit denkt man auf Bundesebene darüber nach, auch weibliche Namensschreibungen der Sorben zuzulassen und das Gerichtsverfassungsgesetz zu ändern, um so die offizielle Nutzung der Minderheiten- und Regionalsprachen hier auch zuzulassen. Das Ganze würde dann für die Charta nachgemeldet werden können, so jedenfalls die Debatte des Bundestages vom 2. Juli dieses Jahres.

Aber das sind alles Bundesregelungen, meine Damen und Herren. Was fehlt, sind Landesregelungen, die nachgemeldet werden könnten. Hier muss man sagen, dass die Erfolge der letzten 25 Jahre gerade hier bei uns in Schleswig-Holstein enorm groß waren, und das gilt parteiübergreifend. Warum soll man diese Erfolge nicht auch öffentlich europaweit zeigen, indem man das, was ohnehin geltendes Recht ist, eben auch zur Sprachencharta anmeldet?

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt SPD und Beifall Volker Schnurr- busch [AfD])

Ich glaube, es ist in Zeiten von Nationalismus und Separatismus wichtig zu zeigen, dass ein Staat mit

(Ministerin Dr. Sabine Sütterlin-Waack)

Minderheiten durchaus nach außen dokumentieren kann, dass man Minderheiten fördern kann, ohne dass es zu solchen Auswirkungen kommt, und dass man verträglich miteinander zusammenleben kann. Auch das würde eben dokumentiert werden, wenn ein Staat sagt: Wir haben da etwas getan, und wir sagen es auch öffentlich, indem wir auf europäischer Ebene zeigen, dass wir hier etwas getan haben. - Genau hier wollen wir ansetzen.

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes weist schon für 2005, also ganz am Anfang der Charta, einige Möglichkeiten der Nachmeldung aus. Seitdem ist unter verschiedenen Regierungen mit unterschiedlichen Mehrheiten einiges geschehen. Wir haben das Friesischgesetz novelliert und hier die Sprachnutzungsmöglichkeiten verbessert, und wir haben erste Schritte zu einer mehrsprachigen Beschilderung gemacht. Wir haben das Landesverwaltungsgesetz geändert und so Grundlagen für eine verbesserte Nutzung der Sprachen gegenüber Verwaltungen geschaffen. Wir haben im Schulunterricht vieles verändert und Möglichkeiten geschaffen, auch die Regional- und Minderheitensprachen zu nutzen, im Übrigen auch in den Kindergärten. Meine Damen und Herren, auch und gerade die Änderungen in der Landesverfassung zugunsten der Minderheiten und Sprachen sind hier zu nennen.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt SPD und Beifall Peter Lehnert [CDU])

Die dänischen Schulen beispielsweise sind jetzt quasi die öffentlichen Schulen der dänischen Minderheit, die nun finanziell gleichgestellt sind, und auch der Friesischunterricht und der Unterricht in Niederdeutsch sind sowohl in der Landesverfassung als auch im Schulgesetz besser abgesichert. Das heißt, wir haben hier die rechtlichen Grundlagen geschaffen und haben jetzt die Möglichkeit, das, was wir erreicht haben, nach Europa zu melden.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt SPD und Beifall Peter Lehnert [CDU])

Meine Damen und Herren, unsere Auflistung, die in dem Antrag wiedergegeben ist, gibt sicherlich die maximalen Möglichkeiten wieder. Wir sind ja immer die Partei der maximalen Möglichkeiten. Aber - dies ist ganz wichtig - jede einzelne Anmeldung, und wenn es nur eine einzige Bestimmung ist, die wir anmelden würden, wäre schon ein Fortschritt für die Minderheiten und Sprachgruppen. Wie gesagt, wir haben ja eine Vielzahl von Möglichkeiten ermittelt. Wenn am Ende zehn Bestimmungen für

drei Sprachgruppen herauskommen, dann ist das ein Riesenerfolg. Genau dafür wollen wir werben. Wir sollten uns den Mut nehmen und die Möglichkeiten nutzen, tatsächlich Sprachen nachzumelden; denn - noch einmal, meine Damen und Herren -, es sind unsere gemeinsamen Erfolge, die wir dann nachmelden. Es sind nicht die Erfolge einer Partei, einer Minderheit oder einer Gruppierung, sondern das ist unser gemeinsamer Erfolg als Landtag Schleswig-Holstein, und ich finde, der ist es wert, anderen ein bisschen vor Augen gehalten zu werden. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, FDP und Volker Schnurr- busch [AfD])

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Peter Lehnert das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Lars, volle Zustimmung.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut!)

Einige Punkte will ich aber doch noch erwähnen, weil wir uns, glaube ich, einig darüber sind, dass wir die Anträge in den Ausschuss überweisen sollten, um dort noch einmal vertieft einige fachliche Punkte zu klären.

Da ist zunächst der Punkt „Bestimmungen zur Charta der Regional- oder Minderheitensprachen nachmelden“. Da besteht große Einigkeit. Du hast das, Sie haben das - ich glaube, hier muss man sich siezen - ja betont, Kollege Harms, dass es da eine große politische Übereinstimmung gibt. An der Stelle ist auch der Minderheitenbeauftragte zu nennen. Vielen Dank an Frau Schnack, die das viele Jahre gemacht hat, und auch an Johannes Callsen, der das jetzt übernommen hat. Wir hatten ja erst vor wenigen Tagen Gelegenheit, dieses Thema mit Ihnen noch einmal abzustimmen.

Ich glaube, es ist auch ein wichtiges politisches Signal, dass wir das parteiübergreifend gemacht haben. Wir haben in vielen Punkten - ich will Sie gar nicht im Einzelnen aufzählen - Verbesserungen erreicht. Der Kollege Harms hat schon gesagt, welche Verbesserungen wir gerade in den letzten Jahren auch im Bildungsbereich erreicht haben. Die Erfolge, die wir im Bereich Bildung, Kindergärten und Schulen erzielt haben, sind ganz wichtig, weil das die Zu

(Lars Harms)

kunft unserer Gesellschaft ist. Eine Sprache kann nur leben, wenn sie durch Menschen gelernt wird.

Wenn sie die Kinder im Kindergarten und in der Schule lernen, dann ist das die wichtigste Grundlage dafür, dass diese Sprachen am Leben erhalten bleiben. Ich weiß das aus meiner eigenen Familie. Meine Großeltern und meine Mutter kommen aus Schleswig. Deswegen bin ich dem Plattdeutschen und selbst der dänischen Sprache nicht so ganz abhold. Ich glaube, es ist ein wichtiges politisches Signal, das wir heute senden können.

Das Dänische - das ist im Antrag sehr schön aufgeführt - hat natürlich große Vorteile, was zusätzliche Bestimmungen angeht. Aber auch Friesisch und Niederdeutsch sind ganz wichtige Punkte, die wir berücksichtigen sollten.

An der Stelle ist wichtig, dass wir uns in den anderen Bundesländern Verbündete suchen. Dies könnte über den Bundesrat geschehen; denn auch dort gibt es einige Ansatzpunkte dazu. Die Sorben sind hier schon angesprochen worden; aber es gibt auch noch andere Minderheiten, zu denen wir mit anderen Landtagen in Kontakt treten sollten. Die Landesregierung sollte über den Bundesrat mit anderen Landesregierungen in Kontakt treten, um so eine weitere Unterstützung für dieses Anliegen zu erhalten.

Ich will noch kurz etwas zum Gesetzentwurf zur Änderung des Landesverwaltungsgesetzes sagen. Hier geht es darum, dass hinsichtlich der Rechte, Papiere und Urkunden in dänischer Sprache bei Behörden vorzulegen, auch die Stadt Kiel aufgenommen werden soll. Auch darüber sollten wir im Ausschuss noch einmal genauer sprechen, zumal in der Begründung zu dem Gesetzentwurf ausgeführt ist, dass selbst nach den bisherigen Bestimmungen noch ein wenig Unklarheit besteht. So ist zum Beispiel im Bereich der kreisfreien Stadt Flensburg, die im bestehenden Verwaltungsgesetz bereits berücksichtigt ist, bei Unterlagen, die diese dann wieder an die Landesbehörden weitergibt, plötzlich die Aufforderung gekommen, diese Dokumente zu übersetzen. Insoweit besteht also selbst nach der bisherigen Regelung des Landesverwaltungsgesetzes weiterer Klärungsbedarf.

Dieses alles sollten wir uns also erst einmal in Ruhe näher anschauen, bevor wir diese Neuregelung auch auf Kiel übertragen. Wir sollten die Fachleute dazu befragen und erst dann die entsprechenden Entscheidungen treffen. Hier handelt es sich ja ohnehin um einen Gesetzentwurf, der auf jeden Fall in den Ausschuss geht.

Ich bedanke mich herzlich für den Antrag des SSW sowie für die große politische Einigkeit dazu. Ich glaube, es ist ein wichtiges Signal, dass wir heute gemeinsam zum Ausdruck bringen, wie wichtig uns Minderheitenpolitik ist; denn Minderheitenpolitik ist ein ganz wichtiges strukturelles Merkmal für Schleswig-Holstein und diesen Landtag, besonders dann, wenn darüber große Einigkeit herrscht. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD und SSW)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Birte Pauls das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! 25 Staaten haben die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen mittlerweile ratifiziert. Weitaus mehr haben sie unterschrieben, aber eben nicht ratifiziert. Ziel der Charta ist es, die jeweiligen regionalen Minderheitensprachen in einem Land als Teil des reichen europäischen Kulturerbes anzuerkennen und sie für ihren Fortbestand zu schützen und zu fördern. Die Länder verpflichten sich, in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung dieser Sprachen zu ergreifen. Da liegt der echte Norden wieder ganz weit oben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Denn gleich vier Regional- und Minderheitensprachen sind bei uns beheimatet: Niederdeutsch, Dänisch, Friesisch und Romanes. Der damit verbundene kulturelle Reichtum hat bei uns Tradition. Dies macht uns vielfältig, dies macht uns einzigartig, und darauf sind wir mächtig stolz.

(Beifall SPD, SSW und FDP)

Nicht überall in Europa haben die Minderheiten so stabile Rahmenbedingungen wie bei uns. Deshalb hat sich die europäische Bürgerinitiative Minority SafePack auf den Weg gemacht. Auf unserem Landesparteitag haben wir in der vergangenen Woche viele Unterschriften dazu sammeln können. Ich empfehle diese Aktion unbedingt zur Nachahmung.

Um Sprachen zu erhalten, muss man sie sprechen, und um sie sprechen zu können, muss man sie lernen. Dafür müssen wir als Politik die Grundlagen schaffen, auch im öffentlichen Leben die Sprache

(Peter Lehnert)

zu verankern und sie einen selbstverständlichen Teil des Alltags in unserem Land sein zu lassen, und zwar von der Kita an.

Nicht in allen Familien werden unsere Landessprachen aktiv gesprochen. Politisches Handeln ist also erforderlich, und dafür bedarf es einer gewissen politischen Haltung. Deshalb haben wir in der Küstenkoalition richtig starke Akzente gesetzt. Ein starker Akzent zum Beispiel war, dass mit dem SSW erstmals in Europa eine Minderheitenpartei Teil einer Regierung war.

(Beifall SPD)

Die Küstenkoalition einte die politische Haltung, die autochthonen Minderheiten als selbstverständlichen Teil des gesellschaftlichen Lebens in unserem Land anzuerkennen und vor allem die Grundlagen für den Schutz und die Förderung ihrer Kultur zu sichern. Für diese vertrauensvolle Zusammenarbeit möchte ich mich bei allen, die damals mitgearbeitet haben, nochmals herzlich bedanken.

(Beifall SPD und SSW)

Wir haben gemeinsam viel erreicht. Wir haben die Minderheit der Sinti und Roma endlich unter den Schutz der Landesverfassung gestellt. Wir haben die Kürzung der schwarz-gelben Vorgängerregierung im dänischen Schul- und Kulturbereich und bei der Kulturarbeit anderer Minderheiten korrigieren können. Wir haben den Erwerb des Plattdeutschen an Modellschulen in einem aufbauenden System installiert, haben den Friesichunterricht an Schulen ausgebaut, haben den Kindern der Sinti und Roma in den Schulen Mentorinnen an die Seite gestellt. Zweisprachige Straßenschilder können wir an vielen Stellen im Land sehen. Wir haben das Friesisch-Gesetz beschlossen, haben sehr viele einzelne Projekte gefördert, haben den Handlungsplan Sprache entwickelt, der jedenfalls für uns als SPD Wegweiser auch für weitere Minderheitenpolitik sein soll.