Protokoll der Sitzung vom 15.12.2017

Was mich und meine Partei aber überzeugt hat, ist die Tatsache, dass Kinderrechte als Staatsziel eben doch Einfluss auf die Rechtsprechung haben. Damit hat die Aufnahme in Landes- und Bundesverfassung also durchaus einen Einfluss auf die Lebenswelt unserer Kinder.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus Sicht des SSW sollten wir grundsätzlich alles unterstützen, was ihre Situation verbessert. Weil auch die Aufnahme ins Grundgesetz dazu zählt, ist dieser Antrag natürlich wichtig. Ich freue mich darüber, dass hier große Einigkeit herrscht und wir gemeinsam einen Antrag formulieren konnten.

(Beifall SSW und Tobias von Pein [SPD])

Die Kolleginnen und Kollegen der SPD argumentieren in ihrem ersten Antrag aus gutem Grund mit der UN-Kinderrechtskonvention und unserer Landesverfassung. Für den SSW steht aber auch unabhängig davon fest, dass wir Kinder effektiv vor Armut und Ausbeutung schützen müssen. Uns muss klar sein: Spätestens dann, wenn Eltern und Angehörige hierzu nicht in der Lage sind, muss der Staat diese Schutzfunktion übernehmen. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch wenn wir ehrlich sind, dann scheitern wir sogar an dieser

wirklich grundlegenden Aufgabe immer wieder aufs Neue. Wenn Sie mich fragen, dann sage ich: Das ist eigentlich beschämend.

(Beifall SSW und Tobias von Pein [SPD])

Aber Kinder brauchen nicht nur Schutz und Fürsorge. Sie sind auch Träger eigener Rechte. Das verlangt viel mehr als den bloßen Schutz vor Armut, Gewalt und Vernachlässigung. Zum einen sind Kinder eigenständige rechtsfähige Menschen. Gleichzeitig sind sie aber auch auf Unterstützung durch andere angewiesen. Ihre Entwicklung und die Frage, wie sie sich entfalten können, liegen in der Hand ihrer Erziehungsberechtigten. Deshalb benötigen sie eigene verbriefte Rechte, Rechte, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat der UN-Kinderrechtskonvention im Übrigen längst verpflichtet hat.

Wir alle wissen, dass noch immer viel zu viele Kinder arm sind. Viel zu viele haben damit nicht die Möglichkeit, so zu leben und sich so zu entwickeln, wie sie und wie wir es uns wünschen.

Ganz ehrlich: Hier und da das Kindergeld zu erhöhen oder geringfügig an der Grundsicherung herumzubasteln, darf uns nicht reichen. Es muss um mehr gehen als um die Sicherung des körperlichen Überlebens. Auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben muss sichergestellt sein.

(Beifall SSW und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Das muss nicht nur für alle Bereiche des Lebens gelten, sondern vor allem auch für alle Menschen in unserem Land. Dies sicherzustellen ist unsere Aufgabe, und hier, liebe Freunde, gibt es noch einiges zu tun.

Natürlich ist die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz nicht das Allheilmittel. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung und weit mehr als Symbolpolitik.

(Beifall SSW und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Hiermit würden nicht nur die Rechte der Kinder, sondern auch ihr besonderer Stellenwert für unsere Gesellschaft deutlich. Noch dazu liegen die Eckpunkte für eine entsprechende Formulierung ja längst auf dem Tisch.

Hier geht es im Kern um den Vorrang des Kindeswohls bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen. Es geht um das Recht des Kindes auf Anerkennung als eigenständige Persönlichkeit und auf Entwicklung und Entfaltung.

(Claus Schaffer)

Es geht um das Recht des Kindes auf Schutz, Förderung und einen angemessenen Lebensstandard und um das Recht auf Beteiligung. Es geht vor allem auch darum, die Verpflichtung des Staates, für kindgerechte Lebensbedingungen zu sorgen, stärker in den Vordergrund zu stellen. Dies alles sind Ziele, die der SSW ohne Einschränkung unterstützt.

Wenn es um die Rechte von Kindern geht, sind alle Ebenen dauerhaft in der Pflicht. Auch wir sind klar in der Verantwortung, wenn es zum Beispiel um die Sicherung von Beteiligungsrechten oder um die Herstellung von gleichen Bildungschancen für Kinder und Jugendliche in unserem Land geht. Auch wir haben einen klaren Auftrag und sollten alle bestehenden Regelungen, die im Sinne der Kinder in unserem Land sind, weiter verbessern. Denn letztendlich entscheiden natürlich weder Landesnoch Bundesverfassung darüber, wie kinderfreundlich unser Land ist. Entscheidend ist vielmehr, wie diese Kinderrechte im Alltag gelebt werden. Und hier können wir entscheidend beitragen und gute Rahmenbedingungen schaffen. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und AfD)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Bernd Heinemann.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, ich bin entsetzt. Sie sprechen hier von Artikel 1 des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Das ist gut so. Sie sprechen aber anschließend - damit relativieren Sie das sofort wieder - von Artikel 6 und hier von Elternrechten. Nichts gegen Elternrechte, aber das Menschenbild einer solchen Familienstruktur ist überkommen.

Ich müsste Ihnen als Bezirkssozialarbeiter, der ich lange war, Geschichten erzählen, für die die Zeit nicht reicht, die aber aufzeigen, wie Kinderrechte von den Eltern und Angehörigen mit Füßen getreten werden. Diese Kinder hatten nichts anderes als den Artikel 6, und mit dem konnten sie nichts anfangen. Sie waren auf die Eltern angewiesen. Das hat sie in diese Zwangsverpflichtung der Elternschaft hineingeführt.

Ich kann Ihnen sagen: Es gibt Kinder, denen wünsche ich nichts mehr, als sofort aus diesen Familien herausgenommen zu werden. Dafür brauchen sie ei

gene Rechte. Diese eigenen Rechte gehören ins Grundgesetz. Da müssten wir heute endlich angekommen sein, und das müssen Sie verstehen.

Unterhalten Sie sich einmal mit den Mitarbeitern des Mädchenhauses in Kiel! Reden Sie einmal mit denen über die Strukturen, aus denen die Mädchen kommen! Die Mädchen müssen sich immer wieder rechtfertigen, werden missbraucht, körperlich angegangen, und, und, und. Sie haben keine Chance, aus diesem Teufelskreis herauszukommen, weil das Grundgesetz sie daran hindert, weil es irgendwelche Anwaltsvereine gibt, die ihnen sagen: Deine Eltern bestimmen, was für dich gut ist.

Das darf nicht passieren. Ich sage Ihnen aus meiner Praxis heraus: Wir müssen uns endlich auf den Weg begeben, den Kindern ein eigenes Recht und eine eigene Würde zu geben. Das ist der Anfang.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat der Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Kollege Heinemann, wir bestreiten an keiner Stelle, dass Kinderrechte etwas Elementares in dieser Gesellschaft sind. Wir folgen aber einer ganz pragmatischen Idee und einer Betrachtung des Deutschen Anwaltvereins. Es geht nicht darum, Kinder grundsätzlich aus dem Grundgesetz herauszuhalten, sondern es geht einfach darum, die Rechte gegeneinander abzuwägen.

Mit Verlaub, verwahrloste Kinder, misshandelte Kinder werden nicht durch eine einzige Zeile im Grundgesetz besser geschützt. Das passiert nicht. Dafür haben wir andere Institutionen. Dafür haben wir andere Rechte, und die müssen wir schon sehr viel länger beachten. Auch ich habe in meiner beruflichen Erfahrung sehr viel Leid miterleben müssen. Es ist nicht das Grundgesetz, das die Kinder in diesem Fall schützt.

(Vereinzelter Beifall AfD)

Ich warne davor, sich von der ständigen Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts hier zu lösen. Es gibt dort klare Aussagen, die insbesondere die Pflicht der Eltern beschreiben. Wenn diese ihrer Pflicht nicht nachkommen, ergeben sich daraus

(Flemming Meyer)

zwangsläufig Eingriffsbefugnisse für Behörden. Also, das allein ist es nicht. - Vielen Dank.

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die Abgeordnete von Sayn-Wittgenstein.

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Herr Heinemann, ich gebe Ihnen recht. Ich bin 34 Jahre im Familienrecht tätig gewesen. Aber ich bitte, die Diskussion nicht zu emotionalisieren. Der Anwaltverein hat eine Stellungnahme abgegeben, und ich kann Ihnen sagen: Papier hilft unseren Kindern nicht.

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

Wir müssen aufmerksam sein. Wir müssen in unserem eigenen Bekannten- und Freundeskreis gucken: Wo finden Rechtsmissbräuche statt? Wo werden Kinderrechte verletzt?

Ich darf Ihnen sagen, dass die Gerichte bei ihren Entscheidungen in den letzten Jahren zunehmend das Kindeswohl im Auge haben, und das ist gut so. Ich denke, wir sollten uns nicht an Papier klammern, sondern vor der eigenen Tür kehren. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich bin richtig froh, und zwar über zwei Dinge. Erstens über den Tag heute, über die gemeinsame Resolution beziehungsweise den gemeinsamen Antrag fast aller Fraktionen im Hause. Ich bin auch froh über die Emotionalität, mit der diese Debatte geführt wird. Danke dafür, meine lieben ehemaligen Kollegen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Die reinen Grundgesetzpuristen, die so etwas skeptisch sehen, akzeptiere ich. Ich gebe unumwunden zu, hier steht jemand vor Ihnen, der sich immer nicht nur als Minister - für die Aufnahme von Kin

derrechten in das Grundgesetz eingesetzt hat. Deswegen ist das ein guter und ein schöner Tag. Ich glaube, es ist mehr als nur ein Tag mit einem Symbol, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich bin auch wirklich froh und dankbar - das sage ich Ihnen in aller Offenheit -, dass es zu dem gemeinsamen Antrag gekommen ist; denn die Ursprungsintention, ausschließlich der Resolution Brandenburgs zu folgen, fand ich schwierig, weil es bereits eine Initiative gibt, die im Deutschen Bundesrat diskutiert wird. Das ist die Initiative aus Nordrhein-Westfalen, die übrigens noch vor dem Regierungswechsel im Mai eingebracht wurde. Ich finde es gut, dass man beides aufgreift. Deswegen glaube ich, Sie haben sich richtig entschieden, wenn ich das einmal ganz bescheiden sagen darf.

Auf der Justizministerkonferenz im November 2016 wurde mit der Stimme Schleswig-Holsteins beschlossen, in einer Arbeitsgruppe die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz immerhin zu überprüfen. Auch da sage ich, die Entscheidung, die von der ehemaligen Landesregierung mitgetragen wurde, war richtig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will sehr deutlich sagen: Natürlich hat das Bundesverfassungsgericht klar festgestellt, dass Kinder Träger von Grundrechten sind. Das ist aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit. Allerdings - das haben viele Vorrednerinnen und Vorredner vollkommen zutreffend beschrieben - bringt diese Subjektstellung nicht unmittelbar die Rechtsstellung des Kindes zum Ausdruck. Der Text des Grundgesetzes, Artikel 6, kennt Kinder lediglich als Gegenstand elterlicher Verantwortung. Ich sage Ihnen sehr deutlich - das haben wir bei der Verfassungsreform im Schleswig-Holsteinischen Landtag immer wieder miteinander diskutiert -: Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben etwas Wunderbares geschaffen. Aber keiner von denen hat gesagt, dass man ein Grundgesetz nicht weiterentwickeln kann, meine sehr geehrte Damen und Herren.