Ich habe noch eine Frage an Sie: Warum nur das Abkommen mit der Türkei? Wissen Sie, wie alt das jüngste Abkommen ist, das Deutschland geschlossen hat, und mit wem? Es ist Albanien, und dieses Abkommen ist keine zwei Monate alt. Wo war da Ihr Aufschrei? Das ist aktuell, und wir müssen da nicht etwas behandeln, was 50 Jahre alt ist.
Bringt es fiskalisch irgendetwas? Wir haben 56,5 Millionen Beitragszahler. Wenn man das herunterrechnet, brächte es eine monatliche Entlastung von 0,7 Cent pro Beitragszahler. 0,7 Cent runtergerechnet pro Kopf würde die Kündigung bringen!
Ich sehe gerade, dass meine Redezeit vorbei ist. Es tut mir leid, aber wenn Sie weiter solche Anträge aus der Schreckenskammer von Höcke, Poggenburg und Gauland bedienen, sehe ich für Sie nicht nur schwarz, sondern dunkelbraun. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man hat eigentlich immer den starken Wunsch, sich mit wichtigen Sachthemen zu beschäftigen. Doof, dass der vorliegende Antrag der AfD zur Aufkündigung des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens - wie so viele andere auch - eigentlich an Sinnlosigkeit kaum zu überbieten ist.
Dabei ist doch allgemein bekannt, dass diese Initiative wirklich alles andere als neu ist. Sie wurde also einfach völlig unreflektiert übernommen. Wenn ich ehrlich sein darf: Die Tatsache, dass auch die NPD schon versucht hat, hiermit Stimmung zu machen, lässt verdammt tief blicken.
Kommen wir zum eigentlichen Thema: Wie wir wissen, stammt das deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen, das aus AfD- und NPD-Sicht so entbehrlich ist, aus dem Jahr 1964. Richtig ist, dass in der Türkei lebende Familienangehörige eines in Deutschland krankenversicherten Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin mitgeschützt sind. Im absoluten Regelfall sind hierdurch die Ehepartner oder Kinder mitversichert. In seltenen Fällen auch die Eltern, sofern sie nicht selbst berufstätig sind.
Wenn diese Angehörigen also in der Türkei zum Arzt gehen, geht die dortige Krankenversicherung in Vorleistung. Im Übrigen werden die Behandlungskosten mittels einer Pauschale von der deutschen Krankenversicherung wieder ausgeglichen. Das heißt, es wird nicht jeder Einzelfall abgerechnet, sondern man hat sich auf eine Pauschale pro Versichertem geeinigt.
An dieser Regelung ist aus Sicht des SSW rein gar nichts anstößig, sie ist noch nicht einmal besonders ungewöhnlich. Das Modell Familienversicherung ist in Deutschland eigentlich völlig normal. Krankenversicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können auch hierzulande völlig problemlos ihre Kinder und Ehepartner mitversichern. Der einzige Unterschied und vermeintliche Grund für unsinnige Neiddebatten ist, dass die betroffenen Angehörigen auch ihre Eltern sein könnten und dass sie im Ausland wohnen.
Doch hierfür gibt es aus Sicht des SSW gute Gründe, nicht nur den Grund, dass man seinerzeit die Menschen anwerben wollte. Heute machen die Zahlungen, die in diesem Rahmen gewährt werden, ganze 0,01 % unserer Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich aus. Noch dazu gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt für irgendeinen Missbrauch dieser Regelung. Das geht auch nicht, weil eine Pauschale gezahlt wird. Da kann kein türkischer Mensch in der Türkei dieses Sozialversicherungsabkommen in irgendeiner Art und Weise missbrauchen.
Die Kritiker dieses Abkommens, allen voran NPD und AfD, stützen sich offensichtlich einzig und allein auf eins, und zwar den Umstand, dass Leistungen für Menschen übernommen werden, die im Ausland leben und türkische Staatsangehörige sein können. Das scheint das besonders Schlimme zu sein, sonst hätte man sich vielleicht das deutsch-australische oder das deutsch-koreanische Abkommen aussuchen können. Aber dass man die Türken für diesen Antrag missbrauchen will, hat schon seinen Grund.
Einigermaßen kurios ist aus meiner Sicht auch, dass man ganz offensichtlich grundlegende Details dieses deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens vergisst oder unterschlägt; denn dieser Vertrag gilt naturgemäß in beide Richtungen. Mit der Aufkündigung würde auch der Versicherungsschutz von deutschen Türkei-Touristen oder auch von in der Türkei lebenden Arbeitnehmern oder auch den vielen deutschen Rentnern aufgehoben werden. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Auswirkungen im Sinne der NPD und der AfD wären, aber es ist mir auch egal.
Eines muss ich vor diesem Hintergrund in aller Deutlichkeit sagen: Wer auf dieser Basis irgendwelche Ressentiments befördern will und den betroffenen Menschen so etwas wie eine Mitnahmementalität unterstellt, sollte sich eigentlich nur schämen.
Dieses Thema für plumpe Stimmungsmache zu missbrauchen, ist einfach nur billig. Deutschland hat mit einer ganzen Reihe von Ländern ähnliche Sozialversicherungsabkommen, neben der Türkei zum Beispiel auch mit Staaten wie den USA, Australien oder Israel. Ich nannte auch schon Korea.
Wir haben sogar mit der Provinz Quebec und dem Rest von Kanada Abkommen. Wir haben in der gesamten EU gegenseitige Abkommen zur sozialen Absicherung. Ich finde nichts Schlimmes daran, dass Menschen sozial abgesichert werden, auch wenn sie vielleicht die Grenzen unseres Staates verlassen. Wir haben für diese Menschen eine Verantwortung, und ich finde gut, dass durch solche Abkommen genau dieser Verantwortung nachgekommen wird.
Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Herr Dr. Heiner Garg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landesregierung bleibt angesichts dieser interessanten Initiative am Ende die Möglichkeit, all die Argumente, die von den Kolleginnen und Kollegen gekommen sind, hoffentlich sinnvoll noch einmal zusammenzufassen. Erwarten Sie jetzt nicht allzu viel Neues, denn viel Richtiges zu diesem fulminanten Beitrag der AfD ist schon gesagt worden. Ich denke, zur politischen Einordnung des vorliegenden Antrags ist hier schon eine ganze Menge gesagt worden.
Ich will jetzt noch auf ein paar Tatsachen eingehen, denn, meine Herren, meine Dame von der AfDFraktion, damit haben Sie es offensichtlich nicht so. Aus diesen Fakten ergibt sich, dass es nach Auffassung der Landesregierung keinerlei Anlass gibt, das deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen aufzukündigen, und zwar - das will ich hier noch einmal ganz deutlich sagen - keinerlei Anlass auch und gerade im deutschen Interesse. Deutschland hat aktuell - das haben die Kolleginnen und Kollegen gerade ausgeführt - mit 20 Staaten bilaterale Sozialversicherungsabkommen geschlossen. Sie regeln im Wesentlichen den Erwerb von Rentenansprüchen und die Zahlung von Renten über Landesgrenzen hinweg, wovon auch deutsche Touristinnen und Touristen und Auswanderer profitieren.
Das Abkommen mit der Türkei sieht vor, dass in der Türkei lebende Familienangehörige eines in Deutschland krankenversicherten Arbeitnehmers mit geschützt sind. Das gilt in erster Linie für Ehepartner und Kinder, wie es im Übrigen auch für je
den Deutschen möglich ist. Türkische Zuwanderer können allerdings auch ihre Eltern mitversichern, das ist richtig, allerdings nur unter engen Voraussetzungen. Es darf erstens kein vorrangiger Versicherungsschutz bestehen, und zweitens - hören Sie gut zu - muss ihr Nettoeinkommen geringer sein als umgerechnet knapp 150 €.
Über wie viele Familien reden wir? - Das haben die Kolleginnen und Kollegen sehr deutlich gemacht. Wir reden nicht über einzelne Mitversicherte, sondern über mitversicherte Familien, für die eine pauschalierte Abrechnung zwischen der zuständigen Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland - abgekürzt: DVKA - und den türkischen Sozialversicherungsträgern erfolgt. Für deren Höhe ist es unerheblich, ob eine Ehefrau, zusätzlich zwei Kinder oder auch die Eltern mitversichert sind; denn es werden alle Kosten für die in der Türkei wohnenden Familienangehörigen pauschal abgegolten. Bei Festlegung der Pauschale werden die in der Türkei deutlich geringeren Behandlungskosten zugrunde gelegt. Derzeit sind dies pro Familie 40,90 € im Monat. Zum Vergleich: In 2016 fielen in Deutschland für jeden einzelnen gesetzlich Krankenversicherten monatliche Leistungsausgaben in Höhe von rund 240 € an.
Zugleich ist die Zahl der anspruchsberechtigten Angehörigen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. 2001 umfasste der Personenkreis noch 38.000 in Deutschland versicherte Personen mit in der Türkei lebenden anspruchsberechtigten Familienangehörigen. Im Jahr 2016 sind es nach Schätzungen der DVKA noch rund 10.000 in Deutschland versicherte Personen.
Noch einmal zur Erinnerung, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, also sozusagen ein Zwischenfazit: In 15 Jahren seit 2001 ist die Zahl der mitversicherten Familien um fast drei Viertel zurückgegangen. Dieser Trend hält an. 2014 betrug die Gesamterstattung nach Information der Bundesregierung etwas mehr als 5 Millionen €. Wissen Sie, wie hoch der Anteil der Aufwendungen für die in der Türkei wohnenden Familienangehörigen an den gesamten Leistungsausgaben der GKV sind? - Das wissen Sie inzwischen, das haben Ihnen die Kolleginnen und Kollegen nämlich gesagt: Es sind - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - 0,0021 %. Ich glaube, wir können festhalten: Das hätte auf den Beitragssatz der GKV keinerlei Auswirkungen.
Weil aber zum gesamten Thema - das will ich noch einmal in aller Deutlichkeit sagen - aus Ihrer Ecke reichlich Unsinn verbreitet wird, will ich noch ein paar Fakten klarstellen. Ich meine damit nicht nur Ihre etwas merkwürdige Rede heute zur Einbringung des Antrags, sondern ich meine auch das, was Ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen Landesparlamenten dazu erzählen.
Erstens. Das deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen beinhaltet die Kranken-, aber, anders als oft behauptet, nicht die Pflegeversicherung. In der Türkei wohnende Familienangehörige einer in Deutschland versicherten Person haben, anders als ab und zu behauptet, keinen Anspruch auf deutsches Pflegegeld.
Zweitens. Ebenso ist es falsch, dass die in der Türkei lebenden Angehörigen von in Deutschland Versicherten automatisch mitversichert wären. Dies ist unter den genannten Voraussetzungen lediglich bei Abschluss einer gesondert zu zahlenden Familienmitversicherung möglich.
Drittens. Unzutreffend ist es ebenfalls, dass in der Türkei lebende Mitversicherte zur Behandlung nach Deutschland reisen könnten. Ihr Behandlungsanspruch gilt in der Türkei, da sich bei Urlaub in Deutschland die Anspruchsvoraussetzungen nach deutschen Rechtsvorschriften richten.
So weit, meine Damen und Herren, die Fakten. Allein diese Fakten zeigen, dass die Interpretation der Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gesprochen haben, dessen, was Sie in Wahrheit mit Ihrem Antrag bezwecken, meiner Auffassung nach vollkommen zutreffend ist. Es ist richtig, dass das Abkommen die Mitversicherung auch von Eltern der Versicherten vorsieht, weil sich der Kreis der anspruchsberechtigten Familienangehörigen nach türkischem Familienrecht richtet. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist im internationalen Rechtsverkehr vollkommen üblich, das Familienrecht des Heimatlandes von Ausländern zu beachten. Wir reden hier schlicht über den Rechtsgedanken einer Beistandspflicht der Eltern, den im Übrigen auch das deutsche Recht kennt.
Mit etwas Nachdenken, meine sehr geehrten Damen und Herren von der AfD-Fraktion, müsste man erkennen können, dass es sinnvollerweise gar nicht anders sein kann, als dass ein Sozialversicherungsabkommen mit den Lebensverhältnissen in den beiden beteiligten Ländern kompatibel sein muss. Angesichts der tatsächlichen Zahlen ist aus meiner Sicht schon allein aus diesem Grund heute überhaupt kein Handlungsbedarf erkennbar, zumal - ich
bin mir nicht sicher, ob die Antragsteller das überhaupt verstanden haben - das Abkommen nicht nur die Kranken-, sondern beispielsweise auch die Unfall- und die Rentenversicherung betrifft.
Wie kann man glauben, man könne ein solches Paket aufschnüren und neu verhandeln - das ist ja offensichtlich Ihr Anspruch, hier nehme ich Sie einmal beim Wort; Sie wollen ja etwas für die deutschen Sozialversicherungssysteme tun -, ohne dass es an anderer Stelle teurer würde? Aber wenn man diese Einschätzung nicht teilt und das Abkommen zur Disposition stellt, wie Sie es tun, dann wäre es doch ein Mindestgebot des Nachdenkens, sich zu fragen, welche Folgen eine solche Kündigung eigentlich hätte. - Das will ich Ihnen klipp und klar sagen.
Erstens käme als praktische Folge einer Kündigung Artikel 58 des Abkommens, den Sie sicherlich kennen, zum Tragen, und zwar sofort. Er besagt, dass bei Außerkrafttreten des Abkommens die bis dahin erworbenen Leistungsansprüche Bestand haben. Eine Kündigung änderte daran nicht das Geringste. Nicht ein einziger bisher mitversicherter Angehöriger verlöre seine bestehenden Ansprüche. Da ich unterstelle, dass die AfD-Abgeordneten das Abkommen ganz genau kennen, ist ihnen das doch auch ganz bewusst. Darum grenzt die hier vorgetragene Behauptung, irgendjemanden entlasten zu wollen, wirklich schon fast an Volksverdummung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ganz abgesehen davon ist die Botschaft - AfD kämpft für die Entlastung deutscher Beitragszahler um 0,0021 % - fast karnevalsreif.
Ernster wären allerdings andere Folgen einer Vertragsbeendigung, denn zweitens würde für die Zukunft der über das Abkommen geregelte Krankenversicherungsschutz - hören Sie gut zu! - für Deutsche, die in der Türkei medizinische Behandlung benötigen, ebenfalls entfallen. Dies betrifft trotz der politisch bedingten Rückgänge im Tourismus immer noch mehrere hunderttausend Personen im Jahr, nicht nur Urlauber, sondern auch nicht wenige Rentner, die ebenfalls einen Teil des Jahres in der Türkei verbringen. Man könnte also erwarten, dass eine Partei, die sich hier als einziger Wahrer deutscher Interessen aufführt, genau diese Folgen ihrer eigenen Forderungen berücksichtigt. Aber offensichtlich: Fehlanzeige bei Ihnen.
gehörigen entfällt für die Zukunft in der Abwägung des Für und Wider ein Punkt, der für den Verbleib dieser Angehörigen in der Türkei spricht. Wenn ich meine Familie nicht in der Türkei mitversichern kann - in Deutschland können Sie es. Was die AfD hier fordert, bedeutet im Ergebnis nichts anderes, als einen zusätzlichen Anreiz zu schaffen, Angehörige aus der Türkei nach Deutschland zu holen. Ich habe damit kein Problem. Ich glaube aber nicht, dass das die Intention des Antragstellers war. Ich wünsche Ihnen jedenfalls bei der Diskussion mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in den anderen Landtagsparlamenten viel Spaß.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus den genannten Gründen schließt sich die Landesregierung den hier bereits vorgetragenen Argumenten, warum es schlicht unsinnig ist, dieses bilaterale Abkommen zu kündigen - das gälte übrigens auch für alle anderen 19 Abkommen, die wir haben -, mit großer Begeisterung an. Vielleicht überlegen Sie sich ja in Zukunft einmal etwas Sinnvolles, wie man deutsche Sozialversicherungssysteme wirklich zukunftsfest macht. Dies jedenfalls war heute kein Beitrag dazu. Mir war es aber wichtig, hier in aller Ruhe - die ich mir gestattet habe, wenn ich die Uhr ansehe - darzustellen, was Sie der schleswig-holsteinischen Bevölkerung hier für einen Unsinn als Landtagsantrag präsentiert haben.
Die Ruhe in Bezug auf die in Anspruch genommene Redezeit der Landesregierung kann ich Ihnen bestätigen, Herr Minister. - Ich frage: Gibt es weitere Wortmeldungen? - Offensichtlich sind die Argumente dann aber doch so tragfähig gewesen, dass es keine weiteren Wortmeldungen gibt. Ich schließe also die Beratung.
Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 19/452 dem Sozialausschuss und mitberatend dem Finanzausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Mitglieder der AfD-Fraktion. Wer ist dagegen? - Das sind die anderen Abgeordneten des Hauses. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung in der Sache. Wer will dem Antrag Drucksache 19/452 zustimmen? Das sind die Abgeordneten der AfD-Fraktion. Wer ist dagegen? - Das sind alle anderen Abgeordneten dieses Hauses. Damit ist der Antrag Drucksache 19/452 abgelehnt.