Protokoll der Sitzung vom 27.04.2018

Schleswig-Holstein. Diese Wahlen sind wichtig, denn hier haben die Bürger die Möglichkeit, ehrenamtliche Politiker zu wählen, die die Gegebenheiten und Probleme vor Ort kennen und beharrlich politische Lösungen suchen. An diesen Wahlen teilzunehmen, egal ob nun als Kandidat oder als Wähler, ist wahrlich ein Fest. Politische Inhalte stehen hier klar im Vordergrund. Überall im Land hängen während dieser Tage die entsprechenden Plakate.

Die AfD-Fraktion hat nun einen Antrag eingebracht, der dem der Piratenfraktion vom November 2015 gleicht. Kandidaten sollen nicht mehr ihre Adresse veröffentlichen müssen, sondern nur noch eine Kontaktadresse. Schon damals hatte der Landtag einen eindeutigen Beschluss gefasst und das abgelehnt.

Wir taten dies auch damals schon vor dem Hintergrund des § 51 des Bundesmeldegesetzes. Dieser Paragraf sieht vor, dass man bei einer Gefahr nicht erst dann, wenn etwas passiert ist - für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit und ähnlichen schutzwürdigen Interessen seine Adresse nicht offenlegen muss. Damit ist eigentlich alles geregelt, auch in Bezug auf Kandidaturen.

Bei Gefahr für das Leben oder die Gesundheit - das wurde hier als Grund schon mehrfach genannt muss die Adresse also nicht veröffentlicht werden. Damit muss niemand aus diesem Grunde von einer Kandidatur zurückschrecken. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Man muss nachweisen, dass man bedroht ist. Das mag für den einen oder anderen vielleicht ein Problem sein.

Mein Demokratieverständnis ist so, dass Menschen, wenn sie für etwas einstehen, dann auch voll und ganz dafür einstehen, das heißt auch, mit ihrer Adresse dafür einstehen sollten, damit sie vom Bürger jederzeit kontaktiert werden können.

(Beifall CDU)

Es ist für mich ein Teil der direkten Demokratie, dass man Leute direkt ansprechen kann - das halte ich für sehr wichtig -, und zwar nicht nur über Postfächer, über E-Mail-Adressen oder über Twitter und Facebook, sondern auch ganz normal physisch direkt an der Tür. Das ist Demokratie, das ist eine Wahl, und vor allem ist das auch Kern jeglicher Politik, sich auch einmal Auge in Auge mit seinen Bürgern zu treffen und sich auszutauschen und nicht immer nur anonym E-Mails hin und herzuschicken.

Wer sich einmal einen Wahlzettel genauer ansieht, der findet dort noch mehr Informationen als nur die

(Stephan Holowaty)

Adresse von Kandidaten, etwa auch den Namen das macht nämlich Sinn bei solchen Dingen - mit und ohne Titel und natürlich auch den Beruf. Hier geht es ja schließlich um eine Personenwahl. Man will die Person in irgendeiner Art und Weise ja auch einordnen können.

Wenn Kandidaten einer Partei oder Wählergemeinschaft nicht erkannt werden, wenn man sie nicht einordnen kann, wenn man sie nicht kontaktieren kann, dann entspricht das eben gerade nicht unseren demokratischen Vorstellungen, weil man dann nur ein anonymes Etwas hat, das man als Bürger wählen soll. Ich glaube, das führt zu mehr Verdruss als Freude, an einer Wahl teilzunehmen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Diese Personenwahl ist auch nicht mit Volksinitiativen vergleichbar. Darüber ist ja beim letzten Mal, im Jahre 2015, diskutiert worden. Wenn Menschen eine Volksinitiative machen und als deren Initiatoren auftreten, müssen diese ihre Adresse nicht preisgeben, sondern die Volksinitiative gibt eine Kontaktadresse an. Dahinter steckt auch eine gewisse Logik; denn es stellen sich ja nicht die Menschen der Volksinitiative zur Wahl, sondern sie setzen ein Thema auf die Tagesordnung, über das geredet und abgestimmt werden soll.

Das ist bei einer Personenwahl völlig anders. Hier müssen die Personen identifizierbar und kontaktierbar sein. In meinem eigenen Heimatort und auch in vielen anderen Städten und Gemeinden haben alle Einwohner die gleiche Postleitzahl. Wenn sich also ein Bewerber für einen Wahlkreis in Husum bewirbt und nur dessen Postleitzahl angegeben ist, dann kann ich nicht feststellen, aus welchem Ortsteil er kommt und welche Ortsteilinteressen dieser Kandidat möglicherweise vertreten will oder eben nicht vertreten will. Wenn ich ihn oder sie nicht kenne, ist er oder sie nicht identifizierbar.

Deswegen ist es durchaus interessant zu wissen, woher die Kandidaten kommen, und es könnte schon das Interesse eines Bürgers geben, auch dies bei seiner Wahlentscheidung zugrunde zu legen. Aber natürlich können es auch ganz andere Gründe sein, die den Wähler zu seiner Wahlentscheidung bringen.

Für mich ist es eine Kernfrage der Demokratie, ob Menschen mit allem, was sie haben, auch mit der eigenen Anschrift, für eine Sache einstehen oder nicht, oft auch unter schwierigen Bedingungen. Das dokumentiert man dann dadurch, dass man deutlich macht - ich nehme als Beispiel meine Person -, wer man ist: Lars Harms, Schillerstraße 34, 25813 Hu

sum, stellt sich für diese Kommunalwahl auf. Er tut das in vollem Bewusstsein, dass ihn der Wähler jederzeit kontaktieren kann und soll und dass er auch identifiziert werden kann, falls es noch einen anderen Lars Harms geben sollte.

(Heiterkeit)

Das ist für mich ein Teil der Demokratie. Genau an diesem Teil der Demokratie sollten wir auch festhalten.

(Beifall SSW, CDU und FDP)

Ich bin ganz froh, dass der Kollege Harms, zumal er seine Redezeit bereits überzogen hat, jetzt nicht auch noch seine Telefonnummer und seine E-MailAdresse mitgeteilt hat.

Das Wort zu einem ersten Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Lasse Petersdotter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Lieber Kollege Harms, ich habe Ihre Rede zu dem Antrag der PIRATEN damals im Livestream verfolgt. Damals habe ich mich durchaus ein bisschen geärgert und nutze deshalb sehr gerne die Gelegenheit, noch einmal darauf einzugehen und dabei auch einige andere Gedanken zu äußern.

Ich kann sehr gut verstehen, dass das in Husum funktionieren mag, auch dass das auf bestimmten Politikfeldern funktionieren mag. Bei anderen Politikfeldern und in anderen Städten, zum Beispiel in Kiel, funktioniert es nicht so ohne Weiteres zu sagen: Kommt doch ruhig, wir führen die Gespräche, und man hat dabei nichts zu befürchten. Ich habe in den vergangenen Jahren akribisch darauf geachtet, dass meine Adresse nirgendwo im Internet zu finden ist. Das hatte zur Konsequenz, dass beispielsweise Menschen von der Kieler Liste, die mich in den Fokus genommen und die in ihrem blutverschmierten Stadtwappen aufgelistet haben, wo ich mich aufhalte, was ich in der Öffentlichkeit sage und mit wem ich mich so umtreibe, zumindest nur das beschreiben konnten. Sie konnten nicht explizit sagen, wo ich wohne.

Mit der Landtagswahl 2017 hat sich das geändert. Plötzlich stand meine private Adresse auf jedem Wahlzettel in meinem Wahlkreis. Das mag nett sein, aber einige Leute meinen es nicht so gut mit mir, wenn sie an mir vorbeigehen und mich als

(Lars Harms)

„Scheiß-Linksextremisten“ beschimpfen und Schlimmeres mehr. Seitdem hat sich das ein bisschen verändert. Ich hatte zum Nikolaus einen toten Vogel auf meiner Fußmatte liegen, und ich überlege mir zweimal, ob ich mein Bett unter die Fensterbank stelle. Das geht nicht nur mir so, das geht nicht nur Leuten, die sich in bestimmten Politikfeldern engagieren, so, sondern das geht auch anderen Menschen so, denn das politische Klima in Schleswig-Holstein hat sich verändert.

Dass es sich verändert hat und dass diese Korrelation sehr nah mit der Gründung der AfD zusammenhängt, das lasse ich hier einmal so hingestellt. Sie spielen eine Rolle dabei. Sie spielen gerade dann eine Rolle, wenn es darum geht, ob sich Menschen mit Migrationshintergrund zur Kommunalwahl oder zur Landtagswahl bewerben. Wenn Sie glauben, sich von dieser Rolle freisprechen zu können, dann schauen Sie sich die Reaktion Ihres Jugendverbands an, wenn sich eine FDP-Kandidatin in Neumünster, wo Sie noch nicht einmal antreten, mit Kopftuch zur Wahl bewirbt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Das heißt, Sie sind Teil des Problems, und Sie sorgen mit dafür, dass Menschen es sich zweimal überlegen, ob Sie sich bewerben und sich mit diesem antimuslimischen Rassismus auseinandersetzen möchten.

Die Sonderregelung, die Herr Kollege Harms beschrieben hat, kennt keiner. Das ist ein Problem, dass die keiner kennt. Das andere Problem ist nachzuweisen, dass man ein Bedrohungspotenzial hat. Dieses Potenzial entfaltet sich manchmal auch erst nach der Wahl oder verschärft sich danach.

Insofern ist das, so glaube ich, keine ausreichende Schutzmöglichkeit für Politikerinnen oder Politiker, denn die Gegebenheiten von vor einigen Jahren haben sich verändert. Deshalb würde ich mich sehr dafür aussprechen, dass wir zum einen die Möglichkeit bekommen, nur die Postleitzahl auf den Wahlzetteln zu haben, Name, Beruf und so weiter sind davon unbenommen, und dass dies zum anderen auf die Landtagswahl ausgeweitet wird. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Claus Schaffer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Verehrte Gäste! Es ist schon erschreckend, dass hier teilweise offen argumentiert oder zwischen den Zeilen angedeutet wird, dass Kandidaten der AfD selbst daran schuld sind, dass sie zu Hause angegriffen werden. Das ist Wahnsinn, das ist wirklich unfassbar.

(Beifall AfD)

Auch der Hinweis darauf, dass es Beifang einer freiheitlichen Gesellschaft ist, dass wir die Taten einer linksextremistischen Antifa erdulden müssen, ist eine steile These, Herr Rother, das muss ich schon sagen.

(Beifall AfD - Zuruf Thomas Rother [SPD])

Vielleicht mögen Sie das einmal den Kandidaten in Lübeck erklären, die allein in den letzten zehn Tagen fünfmal angegriffen worden ist. Dort ist die Hauswand beschmiert worden. Es gibt Outing-Aktionen und Flugblattaktionen. Sie können sich jetzt in der Nachbarschaft im Grunde mit diesen Lügen konfrontiert sehen, die da ausgegeben wurden.

Auch den Hinweis, dass eine Geschäftsstelle problemlos etwas abkriegen kann, kennen wir. Wir wissen das bei der AfD. Wir haben nicht umsonst schon vor Jahren bei der Landesgeschäftsstelle der AfD in Schleswig-Holstein für über 11.000 € gepanzerte Jalousien angebaut. Das muss kaum ein anderer tun.

Bei der zurückliegenden Bundestagswahl hatten wir einen Direktkandidaten als Kollegen, bei dem die Reifen zerstochen wurden und die Auspuffanlage zerstört wurde. Mit Verlaub, das hat kein anderer von Ihnen hier erlebt.

(Beifall AfD - Zurufe Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Birte Pauls [SPD] - Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, können wir jetzt zu geordneten Verhältnissen zurückkehren? - Herr Abgeordneter Schaffer, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Vogt?

Ja, gern.

Herr Abgeordneter Schaffer, ich kann für mich sagen und, ich glaube, auch für alle anderen hier im Hohen

(Lasse Petersdotter)

Hause, dass alle jede Form von Gewalt gegen politische Kandidaten ablehnen, auch wenn sie Ihrer Partei angehören.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Nur möchte ich sagen: Man muss schon sehr aufpassen, dass man sich nicht in eine einseitige Opferrolle begibt. Das, was mich an Ihrer Position stört, ist, dass Sie ausblenden, dass zur Vergiftung des politischen Klimas doch Vertreter Ihrer Partei ganz maßgeblich beigetragen haben in den letzten Jahren.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich glaube, es wäre bei dieser wichtigen und ernsthaften Debatte sehr wichtig, wenn Sie stärker reflektieren würden, was aus Ihrer eigenen Partei kommt, und wenn Sie sich davon klar abgrenzen würden. Das ist das, was bei Ihrer Fraktion und auch bei Ihrem Landesverband leider nicht der Fall ist. Und das ist das Problem, Herr Kollege.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)