Protokoll der Sitzung vom 27.04.2018

Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive fortsetzen

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/684

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der 18. Wahlperiode haben wir mit der Studie zur geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive nach 1945 einen ersten wichtigen Blick auf die Geschichte dieses Hohen Hauses geworfen. Damit reiht sich diese Studie neben weiteren historischen Studien zur Geschichte der Landtage in anderen Bundesländern ein. Auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat durch eine unabhängige wissenschaftliche Kommission ihre Geschichte über mehrere Jahre aufarbeiten lassen.

Wir bitten nun den Landtag, die gewonnen Erkenntnisse aus der ersten Studie in einer Folgestudie fortzusetzen. Der Schwerpunkt soll nunmehr auf der Landtagsverwaltung und auf kommunaler Ebene liegen.

Das schleswig-holsteinische Institut für Zeit- und Regionalgeschichte hat in Zusammenarbeit mit der Europa-Universität Flensburg bereits in der ersten Studie ihre Kompetenz unter Beweis gestellt, weshalb wir sie auch mit der Folgestudie betrauen möchten.

Ebenso wie die Ausgangsstudie ist unser Auftrag nicht nur aus historischer Sicht ein wichtiges Zeichen. Dieser Auftrag verfolgt darüber hinaus einen bildungspolitischen Ansatz. Die erste Studie hat nämlich nicht nur eine Methodik zu einer neutralen und sachlichen Aufklärung entwickelt, sondern

(Minister Hans-Joachim Grote)

auch einen umfangreichen Quellenbestand in den verschiedensten Archiven ausgewertet. Daraus resultierende offen geblieben Fragen sollen nun abschließend beantwortet werden. Dabei steht die Netzwerkgeschichte deutlich im Vordergrund. Kritiker einer solchen Aufarbeitung betonen häufig, dass man schon alles über den Nationalsozialismus, die Nachkriegszeit und die Entnazifizierung wissen würde. Diesem Argument ist entschieden entgegenzutreten. Zahlreiche Studien, Biographien und Lexika die jedes Jahr neu oder in einer überarbeiteten Auflage erscheinen, beweisen uns das Gegenteil.

Gerade weil die historische Aufarbeitung des Themas Nationalsozialismus kein abgeschlossenes Kapitel der deutschen Geschichte ist und in Literatur und Wissenschaft nach wie vor aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert wird, ist es uns wichtig, die parlamentarische Aufarbeitung für Schleswig-Holstein objektiv, wissenschaftlich ausarbeiten zu lassen und aufgeworfene Fragen zu klären. Dabei wollen wir uns auch nicht den Fragen verschließen, die sich insbesondere in den nunmehr genannten Schwerpunktbereichen stellen.

Für uns ist es wichtig, dass das politische Agieren einzelner Akteure oder Gruppen in einen argumentativ nachvollziehbaren Zusammenhang gebracht wird, denn Netzwerkforschung ist ein breites Forschungsfeld. So lassen sich in unserem Beispiel Netzwerke in private, berufliche und parteiliche unterteilen. Dies lässt sich dann noch auf die Kommunikationsweise erweitern. Anhand der Quellenbestände lassen sich unter anderem Korrespondenznetzwerke anhand von Selbstzeugnisbeständen nachverfolgen. Dazu zählen nicht nur Briefe und Tagebücher, sondern auch Reden oder Protokolle. Anhand dieser Quellen werden die Auftragnehmer zum Teil erschließen können, wie sich die unterschiedlichen Akteure mit den unterschiedlichen Beweggründen positioniert haben. Die Periodisierung sowie die Verknüpfung mit der Zeitgeschichte und dem dahinterstehenden Individuum sind dabei essentiell zur Ausarbeitung der im Antrag gestellten Fragen.

Für die Geschichtswissenschaft und die bildungspolitische Arbeit stellen Netzwerke und ihre Analyse eine bedeutsame Quelle dar, um den Einfluss von Personen und Institutionen zu verstehen und darüber hinaus einen Blick auf die dahinterstehenden Interaktionen von diesen zu werfen. Eine Einordnung in zeitgeschichtliche Aspekte außerhalb dieser Strukturen ist dennoch notwendig.

Es mir wichtig, deutlich zu machen, dass es wie auch bei der Vorgängerstudie nicht unser Ziel ist,

den Erkenntnisgewinn für persönliche Verurteilungen oder politische Bloßstellungen zu nutzen. Es geht uns allein darum, unseren Beitrag zur Geschichtswissenschaft und zur politischen Bildung unseres Landes zu leisten. Es freut mich, dass wir uns weiterhin einig sind, unsere nationalsozialistische Geschichte wissenschaftlich fundiert und parteipolitisch neutral aufarbeiten zu lassen. Dieser überparteiliche Ansatz ist notwendig, um den gewünschten Beitrag zur politischen Bildung leisten zu können. Letztendlich wollen wir mit dieser neuen Studie das Vertrauen in Landtagsverwaltung und kommunale Ebene stärken.

Mit Respekt vor allen Menschen, die unter den Restriktionen des Nationalsozialismus gelitten haben, und verbunden mit dem Wunsch, dass sich so etwas nicht wieder ereignet, sehe ich in der Fortsetzung des Forschungsauftrags einen weiteren Beitrag zur Stärkung unserer gemeinsamen demokratischen Zukunft. Ich freue mich darauf, wenn sich der begleitende Beirat konstituiert hat und wir erste Ergebnisse vorgestellt bekommen. - Vielen Dank.

Herr Präsident! „Wir haben ja nichts gewusst“, das ist der Satz, den man nach dem Krieg immer wieder gehört hat, von Deutschen, die nichts von den Verbrechen des Nationalsozialismus mitbekommen haben wollen. Auch wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben erst im Jahr 2016 erfahren, wie umfassend die Kontinuitäten in der Landespolitik nach 1945 wirklich waren. Denn wir haben es vorher nicht in diesem Umfang gewusst. Aber das ist keine Ausrede. Vielmehr war uns als gesamtes Haus im Jahr 2013 ein Anliegen, damit sich eben nie wieder jemand darauf berufen kann, nichts gewusst zu haben. Das ist eine der Kernaufgaben der Geschichtswissenschaft: Wenn sie auch Geschehenes nicht ungeschehen machen kann, so soll sie doch zumindest aufarbeiten, um zu erinnern, aber auch um zu verhindern, dass so etwas wie die Shoa wieder geschehen kann.

Unser großer Dank gilt darum Herrn Professor Danker und seinem Team von der Universität Flensburg für die unfassbar kleinteilige Aufarbeitung der Vergangenheit unseres Parlaments. Schleswig-Holsteins Landtag und seine Regierung waren bis weit in die 1970er-Jahre von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern durchsetzt, denn Schleswig-Holstein war nicht nur unter den Nationalsozialisten eine sehr braune Region, es hatte auch anschließend als junges Bundesland eine in Teilen braune politische Führung. Allein diese Gewissheit muss uns

(Barbara Ostmeier)

heute Mahnung sein, und es war ein unglaublicher Kraftakt der Forschenden. Aber wir wollen dort nicht stehenbleiben, sondern wir wollen mehr.

Als Antragsstellerinnen und Antragssteller haben wir uns dazu entschlossen, eine Folgestudie in Auftrag zu geben, mithilfe derer wir der Frage nach dem politischen Einfluss der personellen Kontinuitäten nachgehen wollen: Wie hat sich der vergleichsweise hohe Anteil ehemaliger NSDAP-Kader in Legislative und Exekutive auf die konkrete Landespolitik ausgewirkt? Lässt sich zum Beispiel aufgrund der hohen Anzahl von Staatssekretären mit Nazi-Vergangenheit eine Renazifizierung einiger Teile der Politik feststellen, etwa indem bewusst Gräueltaten verharmlost wurden oder durch eine noch immer braun gefärbte Grundeinstellung Positionen in einzelnen Politikbereichen vertreten wurden, die eigentlich nicht vorstellbar hätten sein dürfen? Aber wir wollen unsere Fragen auch ausweiten: auf die Landesverwaltung, etwa die Polizei, die Sozialverwaltung, insbesondere die Justiz, sowie auf die Kommunalverwaltung, denn aller Wahrscheinlichkeit nach war es hier noch leichter, sich zu verstecken.

Ich möchte noch einmal betonen, dass wir hierzu eine Aufstockung der zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel brauchen, da allein die Sichtung der Quellen für ein so kleines Team wie das von Herrn Danker Jahre dauern wird. Aufgrund der Erstellung der Methodik in der vorherigen Studie ist eine Vergabe an ihn aber mehr als sinnvoll.

Es geht darum, Lehren aus der Geschichte zu ziehen und herauszufinden, wie stark der Einfluss rechten Gedankengutes auf die konkrete Politik war. Die Aufarbeitung ist historisch und moralisch notwendig, denn gerade weil wir eine so belastete Vergangenheit haben, ist es wichtig, jetzt den nächsten Schritt zu gehen und die konkreten Auswirkungen auf reale Politik zu untersuchen. Ich bitte Sie darum um Annahme unseres Antrags.

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die am 1. Juli 2016 durch das Institut für schleswig-holsteinische Zeitund Regionalgeschichte vorgelegte Studie „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive“ ist ein Meilenstein in der institutionengebundenen Auftragsforschung zur Frage von Ausmaß und Qualität personeller Kontinuität zwischen Nazizeit

und der jungen Bundesrepublik. Sie ist deswegen so bemerkenswert, weil sie nicht - wie in vielen anderen Studien aus diesem Themenbereich - vordergründig auf die sogenannten formalen Belastungen der untersuchten Protagonistinnen und Protagonisten abstellt, also zum Beispiel auf die reine Mitgliedschaft in der NSDAP, sondern tiefer in die Einzelbiographien der Betroffenen eintaucht, soweit die Quellenlage dies zuließ.

Ergebnis ist ein hochdifferenziertes Tableau von insgesamt 389 Personen, die im Schleswig-Holsteinischen Landtag und in der Landesregierung in der Zeit von 1947 bis 1996 aktiv waren.

Ziel der durch Professor Danker und Dr. LehmannHimmel federführend erstellten Studie war es, über rein formale Belastungsfaktoren hinaus die realen Rollen der Betroffenen in der Zeit, vor, während und nach dem Nationalsozialismus zu durchleuchten. Methodischer Ansatz war, die untersuchte Personengruppe nach vier Grundorientierungen und Verhaltensmustern in der NS-Zeit einzuteilen von „oppositionell/gemeinschaftsfremd“ über „angepasst/ambivalent“ und „systemtragend/karrieristisch“ bis „exponiert/nationalsozialistisch“. Diese Grundorientierungen wurden dann noch einmal in 18 Untertypen differenziert, vom Widerstandskämpfer auf der einen Seite bis zum „Verfolgungsakteur“ vom Typus eines Heinz Reinefarth, dem berüchtigten „Henker von Warschau“ und späterem Landtagsabgeordneten auf der anderen Seite.

Der Rechercheaufwand war dementsprechend gewaltig und ausweislich der vorgelegten Studie äußerst ertragreich. Wer bisher nicht Gelegenheit hatte, sich mit der insgesamt 400 Seiten umfassenden Studie zu befassen, dem sei dies hiermit dringend anempfohlen. Sie ist inhaltlich und methodisch ein Meisterwerk neuester Geschichtsforschung.

Ein zentraler Befund der Studie war, dass Schleswig-Holstein vor allem in Bezug auf die Präsenz von Abgeordneten mit ehemaliger NSDAP-Mitgliedschaft und noch mehr bei den Regierungsmitgliedern in den Jahren von 1950 bis 1971, also für zwei volle Jahrzehnte, im Ländervergleich ein als extrem zu bezeichnender Ausnahmefall in der jungen Bundesrepublik war. In diesem Zeitraum waren durchweg fast die Hälfte aller Abgeordneten ehemalige NSDAP-Mitglieder. In der Regierung waren in diesem Zeitraum sogar über 70 % der Protagonisten ehemalige NSDAP-Mitglieder.

Dieser Befund knüpft jedoch - wie erwähnt - zunächst am alleinigen Kriterium der Parteimitgliedschaft an. Die Studie arbeitete daneben aber auch

(Tobias von Pein)

heraus, dass es im Rahmen eines Integrationsprozesses in vielen Fällen gelang, dass sich Belastete, nämlich ehemals den NS-Staat tragende und dezidierte Nationalsozialisten, in den demokratischen Staat eingliederten, einige zu wichtigen Protagonisten eines demokratischen Neuanfangs wurden.

Die Studie endete mit dem Satz: „Welche generellen Folgen für die politische Kultur des Landes damit einhergingen, wäre noch zu untersuchen“. Genau dies soll jetzt auf Grundlage des vorliegenden Antrags und mit den dafür bereits in den Haushalt eingestellten Mittel geschehen. Die im Antrag aufgeführten Fragestellungen orientieren sich dabei an denen, die Professor Danker und Dr. LehmannHimmel am Ende der bereits vorliegenden Studie konkret aufgeworfen haben. Es macht daher auch nur Sinn, dass das Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte mit der weiteren Bearbeitung des Auftrags betraut wird, allein schon deswegen, weil das Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte über den enormen Datenschatz aus der Vorstudie als Rechteinhaber verfügen kann.

Erfreulich ist, dass alle demokratischen Fraktionen im Parlament auch dieses Mal den Antrag für einen Forschungsauftrag unterstützen. Wir dürfen gespannt sein, welche weiterführenden Erkenntnisse die neue Studie über die auch heute brennend aktuelle Frage an gesellschaftliches und politisches Neubeginnen nach der Ablösung von Diktaturen am Beispiel des jungen Bundeslandes SchleswigHolstein zu Tage fördern wird.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung einer intensiven und profunden geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung von Staatsunrecht und seiner personellen und strukturellen Kontinuität nach Wiederherstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir uns vor menschenverachtendem Staatsunrecht nur wirksam schützen können, wenn wir verstehen, auf welchem Nährboden dieses Unrecht gedeihen, und wie es den Tätern immer wieder gelingen konnte, nach einem Regimewechsel umgehend in den Strukturen der rechtsstaatlichen Institutionen unterzutauchen. Dies birgt für den Rechtsstaat erhebliche Gefahren und ist für die Opfer, die jahrelang den Repressionen ausgesetzt und unter diesen gelitten haben, unerträglich, ja schlicht eine Zumutung.

Wir wollen deshalb in Schleswig-Holstein untersuchen, ob und in welchem Ausmaß Täter des nationalsozialistischen Regimes nach 1945 Einfluss auf Politik, Verwaltung und Justiz in unserem Land nehmen konnten und damit trotz des von ihnen zu verantwortenden Unrechts entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung eines jungen Staates nehmen konnten, der sich der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verpflichtet hat. Ich finde es bis heute beängstigend, dass die Täter, die für die Ermordung von Millionen von Menschen und die Repression eines ganzen Volkes mitverantwortlich gewesen sind, nach 1945 weiterhin die Geschicke unseres Landes maßgeblich mitbestimmen konnten.

Um so etwas verhindern zu können, brauchen wir eine umfassende Befassung mit unserer Vergangenheit. In Deutschland ist dies gleich zweimal innerhalb von weniger als 50 Jahren schiefgegangen, denn weder die Aufarbeitung des Staatsunrechts nach dem Untergang der nationalsozialistischen Diktatur, noch die Abarbeitung des Unrechtsregimes in der ehemaligen DDR vermögen zu überzeugen, sondern sind in hohem Maße unbefriedigend gewesen.

In beiden Fällen konnten Stützen dieser Unrechtsstaaten nach dem Regimewechsel in den Strukturen der nachfolgenden Staaten untertauchen und auf herausgehobenen Positionen in der öffentlichen Verwaltung oder in der Justiz weiter wirken, ohne dass gewährleistet war, dass die vormaligen Täter sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Rechtsstaats bekannt hätten. Wir haben nach 1945 genauso wie nach 1989 in unseren staatlichen Institutionen Menschen in zentralen Funktionen geduldet, denen wegen ihrer Vorgeschichte die notwendige rechtsstaatliche Gesinnung abgesprochen werden musste.

Ich habe selbst in der Nachwendezeit als junger Rechtsanwalt zahllose Prozesse, zum Teil bis zum Bundesarbeitsgericht, geführt, um Bedienstete der öffentlichen Hand aus dem Staatsdienst zu entfernen, die zuvor in der ehemaligen DDR für die Stasi tätig gewesen sind und auf niederträchtigste Art und Weise ihre Mitmenschen, ja sogar Freunde und Familienangehörige, ausgespäht und an die Stasi verraten haben. Gegenüber den Opfern des Unterdrückungs- und Spitzelsystems ist es unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Täter keinen Platz in Behörden oder Gerichten haben.

Für die Menschen, die in der DDR massiv unterdrückt, drangsaliert und entrechtet wurden, ist es unerträglich gewesen, wenn die Täter von gestern auch nach dem Regimewechsel in verantwortlichen

(Burkhard Peters)

öffentlichen Positionen verbleiben durften, um dort weiterhin ungestört wirken zu können, ohne dass sie sich von ihrem Fehlverhalten distanziert, Reue gezeigt oder sich nachweislich zu unserem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat bekannt hätten. Dieses Ziel haben wir in der Praxis auch aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts trotz klarer Regelungen im Einigungsvertrag leider viel zu oft nicht erreicht, weil auch Milde und Verzeihen zu einem Rechtsstaat gehören.

Ich sehe in der unbefriedigenden Vergangenheitsbewältigung nach 1989 durchaus Parallelen zur mangelhaften Aufarbeitung des faschistischen Unrechts des Dritten Reichs in den 50er- und 60erJahren. Auch bei uns im Westen wurden führende Beamte des Nazi-Regimes nahtlos in die Strukturen der Bundesrepublik übernommen und integriert. Auch damals war ein ehrliches und nachweisliches Bekenntnis zum freiheitlichen Rechtsstaat nicht nötig, um im Staatsdienst bleiben zu dürfen.

Viele Nazis haben nach 1945 Entscheidungen getroffen, die mehr vom Geist des Dritten Reichs als von den Prinzipien eines Rechtsstaats geprägt waren. Die Rechtsprechung des BGH bietet hier zahlreiche erschreckende Beispiele. Richter haben die Auslegung unseres Rechts so lange strapaziert, bis eine Verurteilung der sogenannten Schreibtischtäter wegen Mordes über viele Jahrzehnte hinweg schlicht verhindert wurde. Erst als die Täter langsam ausstarben, änderte sich diese Rechtsprechung. Entscheidend ist dabei die Erkenntnis, dass die Täter über Jahrzehnte hinweg auf unseren Staat einen unsäglichen Einfluss hatten, obgleich sie für das Unrecht im Dritten Reich in erheblichem Maße mitverantwortlich waren.

Welche schädlichen Folgen diese mangelhafte Bereinigung unseres Beamtenapparats nach 1945 für unseren Rechtsstaat hatte, muss untersucht werden, damit wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Für eine Aufarbeitung dieser Frage ist es nie zu spät, und sie wird Erkenntnisse liefern, die für die Gestaltung unserer Zukunft wichtig sind.

Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu der Fortsetzung der geschichtswissenschaftlichen Studie über die personelle und strukturelle Kontinuität nach 1945. - Vielen Dank.

Herr Präsident! 2013 haben wir die erste geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in Legislative und Exekutive in Auftrag gegeben, um

unsere politische Geschichte aufzuarbeiten und herauszufinden, wer in der Politik im Nationalsozialismus verstrickt war und wer Widerstand leistete.

Jetzt wollen wir wissen, in wie weit sich Menschen mit NS-Vergangenheit im Schleswig-Holsteinischen Parlament zusammengeschlossen haben, um gemeinsam Politik zu machen und damit der Demokratie Schaden zuzufügen. Gleichzeitig sollen dahinterstehende Mechanismen ergründet und natürlich auch herausgefunden werden, warum manche auch wieder den Weg zurück zu demokratischem Denken gefunden haben.

Erkenntnisse hieraus dienen nicht nur der Geschichtsbewältigung, sondern können auch allgemeine Hilfestellung geben, wie man vergangene und heutige Diktaturen aufarbeiten könnte.

Diese Forschung fortzusetzen ist richtig und wichtig. Das Institut für schleswig-holsteinische Zeitund Regionalgeschichte hat mit der Ursprungsforschung hervorragende Arbeit geleistet, weswegen wir es als angebracht empfinden, diese Expertise zu nutzen und prüfen zu lassen, ob der Folgeauftrag wieder nach Flensburg gehen kann.

Leistungen der Kommunen würdigen - Konversion der Rantzau-Kaserne in Boostedt unterstützen

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/688