Protokoll der Sitzung vom 13.06.2018

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Zeitspiel geht hier nicht, im Gegenteil: Wir alle, insbesondere diejenigen, die in der Küstenkoalition zusammen regiert haben, hätten vermutlich schon viel eher aktiv werden müssen und die Stadt Kiel

(Eka von Kalben)

auch. Wenn wir ehrlich sind, sind doch alle Seiten erst aufgewacht, als wir damit rechnen mussten, dass die Gerichte Fahrverbote erlassen würden. Ja, auch der Umweltminister hätte eher reagieren müssen. Das hat er gegenüber der Presse übrigens auch zugegeben. Das stellt doch auch gar keiner infrage.

Wenn Politik ernst genommen werden will, dann muss sie handeln, bevor die Gerichte entscheiden. Deshalb ist es gut, dass erste Vorschläge auf dem Tisch liegen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Lieber Herr Stegner, Sie bezeichnen es als unseriös, Menschen zu erschrecken - ich finde es unseriös, keine Lösungen anzubieten. Kopf in den Sand und auf die Gerichte warten! Das nenne ich unseriös.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Herr Stegner, Sie meinen, es sei elitär, keine Rücksicht auf die Fahrer von Dieselfahrzeugen zu nehmen. Ist es nicht genauso elitär, keine Rücksicht auf die Mieter und Mieterinnen von Wohnungen zu nehmen, die an stark befahrenen Straßen wohnen? Und ist es der elitäre Teil der Kieler, die am Theodor-Heuss-Ring wohnen? Ich glaube nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, anstatt dass wir uns gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben, sollten wir gemeinsam handeln, und zwar hier und in Berlin. Dazu gehört, nachzurüsten dort, wo es geht; wir sind dabei. Dazu gehört besserer ÖPNV; wir sind dabei. Dazu gehört auch, umweltfreundliche Antriebe zu fördern. Auch hier sind wir dabei. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Christopher Vogt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es gut, dass wir die SPD-Fraktion beim Verhindern von unverhältnismäßigen Fahrverboten an unserer Seite haben. Das ist auch ein wichtiges Signal an die betroffenen Autofahrer. Noch besser und vor allem hilfreicher wäre es allerdings für die betroffenen Autobesitzer, wenn sie die

zuständigen Sozialdemokraten in der Stadt Kiel, in Berlin, in Brüssel und nicht zuletzt auch in den Aufsichtsräten der Autohersteller an ihrer Seite hätten; das würde den Menschen tatsächlich helfen.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unterkomplexe Empörungstiraden in Aktuellen Stunden helfen jedenfalls niemandem weiter.

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Wir wollen keine Fahrverbote am Theodor-Heuss-Ring in Kiel. Es handelt sich hier ja nicht um irgendeine Nebenstraße in unserer Landeshauptstadt, sondern um eine der Hauptverkehrsverbindungen in der gesamten Region. Schon heute ist die Verkehrslage dort sehr angespannt. Das müssen viele Menschen jeden Tag vor allem in den Stoßzeiten morgens und nachmittags erleben. Ich denke, jeder hier kennt das.

Ich sehe, ehrlich gesagt, bisher nicht, wie man die rund 12.000 betroffenen Fahrzeuge in Kiel sinnvoll umleiten könnte. Es gibt einfach keine vernünftige Ausweichstrecke. Es sollte einmal eine Umgehung gebaut werden; diese liegt allerdings nach wie vor in weiter Ferne.

Ich glaube, es macht keinen Sinn, auch umweltpolitisch nicht, das Problem auf andere Straßen mit deutlich weniger Kapazität zu verlagern. Denn damit würde man das Problem vermutlich noch verschlimmern. Das Problem ist ja - an dieser Stelle haben wir ein sehr komplexes Problem -, dass auch dort Menschen wohnen, und zwar deutlich mehr als am Theodor-Heuss-Ring. Das müssen wir einfach sehen. Auch diese Menschen können wir natürlich nicht über Gebühr belasten. Wir können die Stickoxidbelastung nicht einfach verlagern.

(Beifall FDP und CDU)

Nach den jetzt doch sehr ausführlichen Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Stegner habe ich noch nicht so ganz verstanden, was die SPD-Fraktion denn nun konkret vorschlägt - außer abstrakten Programmen, für die angeblich die Landesregierung zuständig sein soll. Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass man eine vermeintliche Uneinigkeit in der Koalition kritisiert, über die man sich zugleich diebisch freut; das konnte man ja kaum verhehlen. Ich sage nur eines: Herr Dr. Stegner, Sie sind ja stellvertretender Bundesvorsitzender. Wenn Sie eine uneinige Koalition sehen wollen, dann müssen Sie nur den Fernseher einschalten und sich angucken, was derzeit in Berlin passiert. Da kann man sehen, wie uneinig eine Koalition sein kann. Ich hatte nun eigentlich mit Applaus der Unions

(Eka von Kalben)

fraktion gerechnet. Aber das muss man ehrlicherweise auch einmal sagen.

(Beifall FDP und Lachen AfD)

Man kann sich doch hier nicht als stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender hinstellen und sagen, es sei eine Sauerei, dass es unterschiedliche Auffassungen gebe. Was ist denn das für eine fachliche Einschätzung?

Man kann ja in der Nachbarschaft beobachten, was denn passiert, wenn die SPD an einer Landesregierung beteiligt ist. Gucken wir nach Hamburg. In Altona haben wir die kuriose Situation, dass solche Fahrverbote von einem grünen Umweltsenator einer rot-grünen Koalition sogar feierlich eröffnet wurden. Das wurde mit großem Pressetermin feierlich getan. Dort sieht man: Das kann eigentlich nicht vernünftig komponiert werden. Man weicht auf andere Nebenstraßen aus, aber richtig sinnvoll ist das alles nicht. Das Befahren von für Dieselfahrzeuge gesperrten Straßen kostet für Pkw-Fahrer 25 € und für Lkw-Fahrer 75 €. Das juckt niemanden, zumal man kaum Gefahr läuft, erwischt zu werden. Schon daran können wir erkennen, wie schwierig das alles ist.

Natürlich muss man mit dem Problem der überschrittenen Grenzwerte umgehen. Ich muss ganz ehrlich sagen, die Luft in den Städten wird seit Jahrzehnten besser; aber an der Stelle reicht es eben nicht aus.

Das Problem ist ja auch nicht erst seit einigen Monaten bekannt, auch wenn Herr Dr. Stegner dies heute behauptet hat. Eka von Kalben hatte dankenswerterweise schon gesagt: Das Problem ist schon seit Jahren bekannt, es war auch der Vorgängerregierung schon bekannt. Nur Herr Dr. Stegner hat es wieder nicht mitbekommen. Deshalb muss ich sagen: Es ist schon ein Stück weit extrem unehrlich, wenn man hier sagt, das sei erst seit einigen Monaten ein Problem. Es ist seit Jahren ein Problem, genau genommen schon seit 2011.

Die Stadt Kiel und das Umweltministerium sind deshalb nun aufgefordert, geeignete Maßnahmen auf den Weg zu bringen, damit die Situation an der Stelle entschärft wird. Unsere Erwartung ist, dass es gemeinsam gelingt, ohne Fahrverbote am TheodorHeuss-Ring auszukommen. Dies muss das gemeinsame Ziel sein.

Die Zusammenarbeit zwischen der Stadt Kiel und dem Umweltministerium ist noch ausbaufähig; die beteiligten Akteure kennen sich ja. Auch wenn die Zuständigkeit in der Tat beim Land liegt, würde ich

mich freuen, wenn man sich dann, wenn die Gutachten - wahrscheinlich Ende Juni - vorliegen, zusammensetzt und einen vernünftigen Luftreinhalteplan ausarbeitet. Der von mir sehr geschätzte Kieler SPD-Oberbürgermeister Ulf Kämpfer hat den Kollegen Koch und mich gestern ja als fachlich unbeleckte Politiker betitelt. Bei mir mag das noch okay sein. Aber beim Kollegen Koch muss ich sagen, dass ich ihn ausdrücklich in Schutz nehme; er hat eben gezeigt, dass er auch bei diesem Thema durchaus kompetent ist.

(Heiterkeit FDP und SPD)

Aber im Ernst: Das Thema ist zu wichtig, um sich ohne Lösungsansätze gegenseitig einfach nur die Schuld zuzuschieben.

Es gibt Zuständigkeiten, und der fachlich extrem beleckte Oberbürgermeister ist nun am Ball und muss in den nächsten Wochen zeigen, was er vorschlägt, wenn ihm die Gutachten vorliegen.

Es ist ja auch eine wichtige soziale Frage. Hier wurde ja auch über Fahrräder gesprochen. Jetzt kann man der alleinerziehenden Mutter und Krankenschwester, die vielleicht in Ascheberg oder sonst wo wohnt, sagen: „Fahr doch mit dem Fahrrad nach Kiel zur Arbeit.“ Aber ich glaube nicht, dass das der richtige Ansatz ist. Es macht nämlich bei einer Bundesstraße relativ wenig Sinn, auf Fahrräder zu verweisen.

(Beifall FDP)

Insofern ist das sehr wohl auch eine soziale Frage. Auch das sollten wir an dieser Stelle nicht vergessen.

(Beifall FDP)

Herr Dr. Stegner, da Sie von intellektuellen Höhepunkten sprechen, muss ich auch auf die Verantwortung der Bundesregierung eingehen. Wenn ich richtig informiert bin, ist die SPD noch an der Bundesregierung beteiligt und war es auch in den letzten Jahren.

Nach dem Aufdecken des Dieselskandals und nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Thema Fahrverbote hat die Bundesregierung stets betont, dass sie keine Fahrverbote will. Das ist in der Sache völlig okay. Das Problem ist: Sie hat seitdem nicht wirklich etwas getan. Es gab zwei kleine Gipfel, wo man die Bürgermeister eingeladen und zweimal 500 Millionen € oder so etwas versprochen hat. Man sieht ja, dass es nicht am Geld scheitert, Lösungen zu finden, sondern dass es an Konzepten mangelt.

(Christopher Vogt)

Bis heute lehnt es die Bundesregierung zum Beispiel ab, die Automobilkonzerne konsequent zu Hardware-Nachrüstungen zu verpflichten. Es gab bisher nur rund 2,5 Millionen Software-Updates, vor allem bei VW-Modellen. Aber auch mit den Folgen dieser Nachrüstung, zum Beispiel beim Thema Verschleiß, werden die Kunden alleingelassen. Es kann doch nicht sein, dass nach wie vor die Kunden, die von Herstellern betrogen wurden, das Problem ausbaden müssen!

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- So viel zur Belastung der Wirtschaft, Kollegin Pauls. - Wer betrogen hat, muss für den Schaden aufkommen, und nicht derjenige, der betrogen wurde. Das ist ein ganz einfaches Prinzip; das sollte doch selbstverständlich sein.

Die Hersteller und die Bundesregierung sind in der Pflicht. Der Bund hat schließlich auch mit seiner zuständigen Behörde beim Thema Dieselskandal versagt. Er hat den Skandal nicht aufgedeckt und hat auch danach wenig getan, um Druck aufzubauen. Bei der Hardware-Nachrüstung muss man mehr Druck aufbauen.

Bundesumweltministerin Schulze von der SPD hat gesagt, sie sei für Hardware-Nachrüstungen, allerdings nur in den betroffenen Ballungsgebieten. Wie man das rechtlich abgrenzen will, habe ich - ehrlich gesagt - nicht verstanden. Wenn man im Kreis Plön ein Auto zugelassen hat, kriegt man eine HardwareNachrüstung, im Kreis Segeberg aber nicht? Ich verstehe nicht, was Frau Schulze uns sagen will. Ich glaube, die Bundesregierung muss ihren Worten jetzt endlich Taten folgen lassen.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man Fahrverbote tatsächlich verhindern will, muss man jetzt handeln, sich in den nächsten Wochen zusammensetzen, die Gutachten vernünftig auswerten, die einzelnen Maßnahmen aufstellen und gucken, wie man vor Gericht bestehen kann. Die Deutsche Umwelthilfe hat das Land bereits verklagt; es wird also früher oder später ein Gerichtsverfahren geben, wenn man keine sinnvolle Lösung anbieten kann.

Insofern weniger Schuldzuweisungen, mehr vernünftige Politik, sich zusammensetzen, dann schaffen wir es vielleicht gemeinsam, Fahrverbote zu verhindern. Das wäre im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger. - Ich danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)