Protokoll der Sitzung vom 04.07.2018

Der Ministerpräsident und Tobias Koch haben schon viel über das erste Jahr unserer Jamaika-Koalition gesagt. Gemeinsam haben wir viel Gutes auf den Weg gebracht und Pläne für die Zukunft geschmiedet, und im Großen und Ganzen funktioniert unsere Zusammenarbeit wirklich sehr gut. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich von Rissen oder gar von vertuschten Konflikten in der Koalition höre. Ich denke immer, ich bin in 1.000 Sitzungen, aber irgendwie muss ich da etwas verpasst haben. Liebe Opposition, ich denke, wir bieten Ihnen hier eigentlich häufig genug offen unterschiedliche Sichtweisen. Es gab Sprüche in der SPD: Hier kommt wieder die Popcorn-Szene, wenn Sie sehen, wie unterschiedlich wir positioniert sind. Ob Sie es glauben oder nicht: So funktioniert Jamaika, und so funktioniert Jamaika auch gut.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Ja, nicht immer ist alles Friede, Freude, Eierkuchen. Es gibt viele Themen, bei denen die Vorstellungen und Ziele von CDU, FDP und Grünen sehr weit auseinanderliegen. Deshalb wäre meine Fraktion bestimmt auch nicht glücklich, wenn ich hier stünde und Jamaika zu 100 % abfeiern würde.

Ein schwieriges Thema ist natürlich immer wieder die Flüchtlingspolitik. Als wir im Herbst 2017 über den § 219 a des Strafgesetzbuches, hier geht es um Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen, debattiert haben, war die Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner ein sehr schwieriger Prozess, aber es war ein guter Prozess mit einem guten Kompromiss am Ende.

(Eka von Kalben)

Es ist auch kein Geheimnis, dass wir Grüne uns vor allem im Umwelt- und Agrarbereich noch ganz andere politische Schritte gewünscht hätten. Ich könnte mir aber vorstellen, dass sich unsere Koalitionspartner auch andere Sachen gewünscht hätten. Unsere Anträge zu Schwulen und Lesben beziehungsweise zur Queer-Politik erfreuen auch nicht jeden oder jede in der Koalition.

Wir als Jamaika-Koalition übernehmen Verantwortung, die bis in den Bund hineinreicht, vor allem aber im Land. In den nächsten Jahren werden uns noch viele Themen beschäftigen. Ich denke da insbesondere an die Digitalisierung, den Gewässerschutz, den Erhalt der Artenvielfalt und den Klimaschutz, aber natürlich auch an den Fachkräftemangel und an vieles mehr. Es ist gut, wenn wir zum Beispiel viele Euros in die Kindertagesstätten stecken, aber Geld allein reicht nicht aus. Kinder werden von Menschen erzogen und nicht von Euros. Auch wenn uns die Digitalisierung in vielen Bereichen sehr helfen wird, so ersetzt sie doch nicht die Menschen, die in der Pflege arbeiten. Ich jedenfalls möchte im Alter nicht, dass ein Roboter mir die Hand hält.

Wir stehen also vor vielen Herausforderungen, aber ich mache mir keine Sorgen, denn wir werden diese gemeinsam meistern. In der Politik ist es nicht das Wichtigste, in einer Koalition politisch immer einer Meinung zu sein. Das wäre auch kein gutes Zeichen für die Demokratie. Es ist gut, dass Parteien unterschiedliche Ziele verfolgen. Was aber wirklich wichtig ist und woran sich die Arbeit einer Regierungskoalition letzten Endes entscheidet, ist das Zwischenmenschliche. Wenn die Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Fraktionen, und hier schließe ich die Opposition ausdrücklich mit ein, wertschätzend, vertrauensvoll und kritisch konstruktiv zusammenarbeiten, ist es möglich, gute Kompromisse zu schließen und gemeinsam eine gute Politik für Schleswig-Holstein und die Menschen in diesem Land zu machen.

Was mich auch optimistisch stimmt, ist, dass wir mit Daniel Günther einen CDU-Ministerpräsidenten haben, der sich nicht auf den Rechtsruck innerhalb der Union einlässt und der auch in den schwierigen letzten Wochen Haltung bewiesen hat. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Herzlichen Dank, Herr Günther, denn nur so ist Jamaika möglich. Mit einem Seehofer und seiner

CSU könnte meine Fraktion dieses Bündnis nicht führen.

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

- Müssen wir zum Glück auch nicht.

Meine Damen und Herren, wir hier in SchleswigHolstein halten Kurs. Wir lassen es nicht zu, dass sich das Koordinatensystem der Parteienlandschaft nach rechts verschiebt. Unser Heimatverständnis ist weltoffen und für alle: für diejenigen, die hier ihre Wurzeln haben und für diejenigen, die erst als Kinder oder Erwachsene in unser Land kommen, um neue Wurzeln zu schlagen. Wir sind froh, dass wir an dieser Stelle auch die demokratische Opposition - ich möchte das noch einmal im Hinblick auf die Zivilgesellschaft am Beispiel der Feuerwehr betonen - an unserer Seite haben. - Vielen Dank dafür.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender, der Abgeordnete Christopher Vogt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten für seine klaren Worte. Ich fand heute auch die Rede des Herrn Oppositionsführers vergleichsweise staatstragend, und das möchte ich anerkennen. Ich würde jetzt viel lieber über die Landespolitik und die vielen grandiosen Erfolge unserer Jamaika-Koalition sprechen, aber man kommt derzeit um die Bundespolitik nicht herum.

Wir alle schauen wohl seit zwei Wochen ziemlich irritiert auf das politische Berlin. Was die Unionsparteien dort an unfassbaren Szenen abgeliefert haben, hatte ich offen gestanden nicht für möglich gehalten. Der Konflikt zwischen CDU und CSU in der Flüchtlings- und Migrationspolitik schwelt zwar schon seit mindestens drei Jahren, aber ich bin wohl nicht der einzige im Raum, der den Eindruck hatte, dass es mittlerweile gar nicht mehr um einzelne Sachfragen wie mögliche Zurückweisungen an der Grenze zu Österreich geht, über die man sich vielleicht auch unterhalten kann, darüber, was da sinnvoll ist, sondern es nur darum ging, verletzte Eitelkeiten und Machtgerangel auszutoben. Das hat uns in eine Staatskrise geführt, die völlig unnötig und was verantwortungslos war.

(Beifall FDP, CDU und vereinzelt SPD)

(Eka von Kalben)

Ich sehe es auch so, dass Deutschland gerade in diesen international politisch bewegten Zeiten in Europa - und genauso, wenn wir weit über den Atlantik hinaussehen, wenn wir nach Asien blicken eigentlich der Stabilitätsanker in dieser internationalen Politik sein muss, statt sich ohne Not auf ein solches Niveau herabzubegeben. Jetzt hat man sowohl auf europäischer Ebene als auch in Berlin einige Formelkompromisse gefunden, mehr ist es ja in Wahrheit nicht. Das ist zwar besser als nichts, aber ich glaube nicht daran, dass der Burgfrieden in Europa und in Berlin lange halten wird. Diese Bundesregierung scheint bereits gescheitert zu sein, bevor sie richtig angefangen hat, das muss man deutlich so sehen.

Herr Seehofer hat es zwar immerhin geschafft, innerhalb der letzten zwei, drei Wochen vom BAMFSkandal und seiner Verantwortung bei dessen Aufarbeitung beziehungsweise Nichtaufarbeitung abzulenken, aber als Bundesinnenminister hat er bisher kein einziges Problem in seinem Zuständigkeitsbereich gelöst. Er ist jetzt auch kein bayerischer Landespolitiker mehr - das sollte man dem Herrn vielleicht einmal erklären -, sondern er ist jetzt Bundesinnenminister und sollte endlich seine Hausaufgaben machen. Anstatt die vorhandenen Probleme zu lösen, macht er sie viel größer, als sie tatsächlich sind. Damit verunsichert er viele Menschen und hilft niemandem - außer vielleicht den Populisten. Ich finde das ehrlich gesagt verantwortungslos.

(Beifall FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Man muss nicht drum herum reden: Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen unserer Demokratie massiven Schaden zugefügt. Das ärgert mich ehrlich gesagt sehr. Ich hoffe nur, dass dieser Schaden nicht nachhaltig ist.

Ich bin nun wirklich kein ausgewiesener Fan der Bundeskanzlerin, aber wie sie sich - zumindest vorerst - behauptet hat, verlangt mir einen gewissen Respekt ab. Ihr Politikstil ist aus meiner Sicht aber auch Teil des Problems, das möchte ich an dieser Stelle auch nicht verschweigen.

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

- Mit dem Applaus der Unionsfraktion hätte ich nicht gerechnet, ich weiß, ich spreche dem einen oder anderen aus der Seele -

(Heiterkeit CDU)

- Schwamm drüber.

(Zuruf Hans-Jörn Arp [CDU])

- Kollege Hans-Jörn Arp, du fühlst dich zu Recht angesprochen.

Meine Damen und Herren, der aktuellen CSU-Führung scheint es momentan nur noch darum zu gehen, Sündenböcke für die bevorstehende Wahlniederlage in Bayern auszumachen. Da mag sich in den letzten Jahren vielleicht viel aufgestaut haben, das ist aber noch lange kein Grund, mit unserem Land derart Schlitten zu fahren.

Man macht die Populisten nur wieder kleiner, indem man die Probleme offen benennt und diese auch löst. Wir brauchen endlich ein effektives Asylmanagement, die BAMF-Affäre lässt grüßen. Wir brauchen ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz mit klaren Kriterien.

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

Lieber Daniel Günther, ich wäre Ihnen noch dankbarer, wenn Sie das der eigenen Bundeskanzlerin und auch der eigenen Partei erklärten. Seit über 20 Jahren wird im Bundestag darüber gesprochen, und die Union ist es, die dieses Gesetz verhindert. Das muss endlich ein Ende haben.

(Beifall FDP und AfD)

Wir brauchen auch ein funktionierendes Rückführungsmanagement für die Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, auch das muss man offen sagen, und wir brauchen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik selbstverständlich europäische Lösungen, wie bei allen großen Fragen, die man eben nicht national lösen kann.

Ich halte es für absolut richtig, dass man die europäischen Außengrenzen sichert. Leider gibt es nach wie vor keinerlei Einigung darüber, wie man die Menschen, die man dort als schutzbedürftig anerkennt - wie auch immer das praktisch funktionieren soll, das habe ich noch nicht so ganz verstanden -, auf die EU verteilen will. Das ist die elementare Frage.

Wir müssen europaweit Humanität und Rechtsstaatlichkeit in Einklang bringen. Wir haben mittlerweile, und das gehört zur Wahrheit auch dazu, in Europa einige Regierungen, die gar kein Interesse daran haben, dass man anerkannte Schutzbedürftige auf Europa verteilt und europäische Lösungen findet. Das sieht man jetzt auch wieder bei der Diskussion über die bilateralen Abkommen, die an der einen oder anderen Stelle notwendig sind. Das wird massiv blockiert werden. Ich sage voraus, dass dies mit vielen Staaten eben nicht gelingen wird, da diese kein Interesse daran haben.

(Christopher Vogt)

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

- Da klatscht der Richtige.

Wir brauchen klare Regeln für die Zuwanderung und für die Schutzsuche in Europa. Europa muss als Kontinent der Aufklärung immer darauf achten, dass wir die Menschlichkeit und die Menschenrechte wahren. Wir müssen deshalb enger mit den Ländern Afrikas zusammenarbeiten, im Übrigen auf mehreren Ebenen. Es ist eine furchtbare Tragödie, dass sich Woche für Woche zahlreiche Menschen teilweise sogar mit ihren Kindern - im Mittelmeer in Lebensgefahr begeben und dort teilweise zu Tode kommen, weil sie dem Elend in Afrika entfliehen wollen. Deswegen brauchen wir mehr Perspektiven für Afrika mit seiner rasanten Bevölkerungsentwicklung. Wir müssen dabei endlich auch unsere Entwicklungspolitik kritischer in den Blick nehmen,

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt SSW, Beifall Tobias Koch [CDU] und Dr. Ralf Stegner [SPD])

aber auch vieles andere. Wir müssen auch unsere Handels- und Zollpolitik überdenken. Denn wir schaden mit der Zollpolitik Europas insbesondere den afrikanischen Staaten, und dann wundern wir uns, dass wir nicht dazu beitragen, dass es in Afrika besser wird. Das gehört auch zur Wahrheit dazu.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt CDU und AfD)

Wie das nun auf nationaler Ebene mit diesen Transitzentren, oder wie sie am Ende auch immer heißen werden, rechtlich und praktisch funktionieren soll, habe ich auch noch nicht so ganz verstanden. Das liegt wahrscheinlich weniger an mir, als an diesem komischen, faulen Kompromiss. Das nur die deutsch-österreichische oder besser gesagt bayerisch-österreichische Grenze im Fokus steht, hat wohl keine fachlichen Gründe. Ich finde es auch interessant, dass Markus Söder jetzt eine bayerische Grenzpolizei aufgestellt hat, obwohl der Freistaat Bayern dafür überhaupt keine Zuständigkeit hat. Was sollen die da eigentlich machen? Sollen sie die Bundespolizisten an der Grenze kontrollieren und ihnen hinterherlaufen? Sollen sie sie dann verhaften, wenn die etwas tun, was ihnen nicht gefällt? Was soll diese bayerische Grenzpolizei machen? Ich habe es nicht verstanden. Die wurden jetzt vereidigt und vorgestellt. Das ist wirklich Populismus, mit dem man die Menschen an der Nase herumführt.

(Beifall FDP und SPD)

Das ist wirklich ein absurdes Theater. Herr Dr. Stegner, ich habe Ihre Worte zu dem Kompromiss, den die Union miteinander getroffen hat, wahrgenommen. Das ist auch nicht das erste Mal, das war vor den Koalitionsverhandlungen auch schon der Fall, dass man sich erst einigen muss, bevor man in Gespräche geht. Ich denke ehrlich gesagt, dass die SPD das irgendwie mitmachen wird. Das ist politisch auch nachvollziehbar, aber der Machtverlust der einst so stolzen SPD in der Bundesregierung ist schon atemberaubend. Das muss man an dieser Stelle auch feststellen. Ich sage das wirklich frei von jeder Häme. Meine eigene Partei war im Jahr 2011 in einer ganz ähnlichen Situation, dass man, egal was man gemacht hat, eigentlich nur noch verloren hat. Das ist traurig, das ist ein Dilemma, vor dem die Bundespolitik steht. Daher glaube ich auch nicht, dass die Bundesregierung diese Wahlperiode überstehen wird.

Meine Damen und Herren, die Jamaika-Koalition hier im Land ist derzeit das genaue Gegenmodell zur Randale-Koalition in Berlin. Das hätten viele Menschen vor einem Jahr nicht für möglich gehalten.