Protokoll der Sitzung vom 05.07.2018

(Birte Pauls)

nicht. Gute Pflege braucht gute Rahmenbedingungen für alle Pflegekräfte.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt SPD)

Genau hier setzt als erster Schritt das „Sofortprogramm Pflege“ der Bundesregierung an. Dies ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. 13.000 zusätzliche Stellen für Alten- und Pflegeheime in Deutschland - das hört sich erst einmal relativ wenig an, das bedeutet aber, dass jedes Heim in Deutschland davon profitiert, zwar die kleinen mit bis zu 40 Bewohnerinnen und Bewohnern nur mit einer halben Stelle, jene von 41 bis 80 Bewohnerinnen und Bewohnern mit einer ganzen Stelle, Heime von 81 bis 120 Bewohnerinnen und Bewohnern mit eineinhalb Stellen, und ab 121 Plätzen gibt es zwei zusätzliche Pflegekräfte, vom Bund bezahlt. Ich halte das wirklich für einen guten ersten Schritt.

Zu fragen ist: Wie sieht es bei den Krankenhäusern aus? Hier gibt es ebenfalls die Möglichkeit, dass jede zusätzliche neue Stelle, die die Klinik dann auch besetzen kann, vom Bund übernommen wird.

Das, was der Bund macht, hat meine Kollegin Frau Pauls schon gelobt. Ich tue dies ebenfalls. Aber wir hier müssen auch etwas tun. Und was tun wir hier in Schleswig-Holstein? Für Schleswig-Holstein wollen wir die Erkenntnisse des Branchenchecks nutzen, um die Rahmenbedingungen in der Pflege und Altenpflege kontinuierlich zu verbessern. Unser Ziel ist es, branchenspezifische Problemfelder für die Fachkraftgewinnung zu lokalisieren und dann Ansatzpunkte zu definieren, damit wir mit diesen Erkenntnissen weiterarbeiten können. Das sind Ansatzpunkte für ein besseres Arbeitsfeld Pflege.

Auch werden wir den Einsatz moderner Assistenzsysteme erproben, um so eine Verbesserung der Pflegesituation von Patientinnen und Patienten und Beschäftigten zu erreichen. Das bedeutet auch, dass die Möglichkeiten der Digitalisierung in der pflegerischen und medizinischen Versorgung genutzt werden müssen, die Belastungen zu verringern und zugleich die Pflegequalität zu unterstützen.

Unser Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen in der Pflege deutlich und nachhaltig zu verbessern. Dazu zählt auch, dass wir den Wiedereinstieg in die Pflege verbessern wollen. Aber das gelingt nur, wenn sich die Rahmenbedingungen verbessern und entsprechende Angebote geschaffen werden, und das mit Varianten wie zum Beispiel der Teilzeitausbildung in der Pflege, wie es sie bereits in Kiel am Städtischen Krankenhaus gibt, oder mit der Be

schleunigung der Anerkennung der ausländischen Abschlüsse. Die Verfahren dauern einfach noch zu lange. Fachkräfte aus dem Ausland, die in Deutschland in diesen Beruf wechseln wollen, müssen zügige und möglichst schlanke Anerkennungsverfahren durchlaufen.

Wir wollen auch, dass die berufliche Anerkennung der Auszubildenden gestärkt wird. Auch in diesem Berufszweig muss es eine Ehrung der jeweils Ausbildungsbesten geben. Zudem wollen wir verbesserte Rahmenbedingungen, das heißt, eine zügige Umsetzung der Pflegeberufe-Reform, ebenso die Anpassung der Rechtsgrundlage der Ausbildung der Pflegehelferinnen und Pflegehelfer in Schleswig-Holstein.

Das alles, meine Damen und Herren, denkt Jamaika mit. Fazit: Wir haben viel zu tun; denn die Lage verändert sich stetig. Im Jahr 2055 werden 5 Millionen Menschen in der Bundesrepublik pflegebedürftig sein oder Leistungen aus der Pflegekasse erhalten. Das ist im Vergleich zu heute eine Verdoppelung. Heute müssen wir uns schon damit beschäftigen, wie wir das wuppen.

Dies ist ein guter Anfang. Ich beantrage Abstimmung in der Sache. - Danke schön.

(Beifall CDU, FDP und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Pflege brennt es an allen Ecken und Enden. Das hat die Kollegin Pauls gerade eben in ihren einleitenden Worten deutlich gemacht. In den Krankenhäusern, in den Pflegeheimen, in der ambulanten Pflege - überall dasselbe Bild: Die Pflege ist selbst zum Pflegefall geworden. Das kann so nicht weitergehen.

Wir haben in der Küstenkoalition viel für die Pflege getan. Das ist richtig, und das war gut so, und meiner Fraktion und mir ist es wichtig, dass das auch in der Jamaika-Koalition weitergeht. Das tut es auch, und darüber freue ich mich riesig.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es brennt, müssen wir als gesundheitspolitische Feuerwehr

(Katja Rathje-Hoffmann)

auch einmal ein Sofortprogramm auf den Weg bringen. Wir können nicht immer nur warten, was der Bund macht. Ich bin gespannt, ob die Erfolge dieser konzertierten Aktion dann auch in der Realität, in den schleswig-holsteinischen Pflegeeinrichtungen, ankommen. Ich bin auch gespannt, ob dabei Finanzen hinterlegt werden. Wir von Jamaika tun das, was wir hier im Land tun können. Das ist wichtig.

Ich finde, wir sollten auch noch einen Blick darauf werfen, welche Bilder uns der NDR in den letzten Wochen gezeigt hat. Jeden Abend konnten wir uns in Farbe ansehen, wie die Realität der Pflegebedürftigen und der Pflegekräfte aussieht: Menschen, die Unterstützung brauchen, aber keinen Pflegedienst finden. Da frage ich mich doch: Wo bleiben die denn in der Zwischenzeit? Pflegedienste, die über Wochen und Monate kein Personal finden. Wer übernimmt denn die Schichten? Wer macht die Doppelschichten, wer springt am Wochenende ein? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort sind, haben bestimmt sehr unter dieser Last zu leiden. Die Situation an den Wochenenden und die Doppelschichten sind ein Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist, weshalb ich gleich noch ausführlicher hierauf zu sprechen komme.

Dann haben wir noch einen Fall gesehen: Engagierte Menschen aus anderen Ländern, die bereit sind, hier für uns in der Pflege zu arbeiten, aber in einer Warteschleife landen. Das kann doch wohl nicht unser Ernst sein! Das muss dringend geändert werden. Da muss mehr Dampf dahinter. Deswegen finde ich es wichtig, dass wir das der Landesregierung mit auf den Weg geben. Ich bin mir sicher, dass es bei unserem Sozialminister Heiner Garg in guten Händen sein wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeden Abend wurde uns vor Augen geführt, wie riesengroß die Lücke in der Versorgung ist. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Denn eines ist klar: Wir müssen uns mit aller Kraft gegen den Fachkräftemangel stemmen. Wenn ich von Stemmen spreche, so meine ich kein leichtes, angedeutetes: Ach, wir müssen einmal schauen, was wir tun können. - Nein, nicht mehr schnacken, anpacken, ein Ziel nach dem anderen! Das wollen wir heute tun.

Denn eines ist klar: Im Moment - mit Ebbe und Flut kenne ich mich als gebürtige Nordfriesin aus - steigen die Zahlen. Es gibt jetzt schon fast 100.000 Pflegebedürftige. In wenigen Jahren werden es 125.000 sein. Stellen Sie sich vor: Die Stadt

Eckernförde hat etwa 25.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Auf einen Schlag werden wir diese Anzahl von Menschen zusätzlich in der Pflege versorgen müssen. Deswegen ist es höchste Zeit, dass wir im Land das tun, was wir tun können. Dann können wir auch in ein paar Jahren, wenn wir das „Schleswig-Holstein Magazin“ schauen, nicht schlimmere, sondern bessere Bilder sehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin Rathje-Hoffmann hat es eben schon ausgeführt: Wir wollen einen Branchencheck. Ich finde es total interessant, dass die FDP bei den Koalitionsverhandlungen gesagt hat: Wir gehen das einmal von Grund auf an. Warum nicht einmal neue Wege gehen? Das unterstützen wir, und das finden wir richtig. Wir wollen, dass moderne Hilfsmittel, digitale und technische Assistenzsysteme, für Entlastung in der Pflege sorgen. Dabei ist es mir ganz wichtig: Das ist eine Unterstützung für die Pflegekräfte, das ist kein Ersatz. Unser Ziel muss in der Pflege bleiben, Menschen für Menschen zu beschäftigen.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse muss, das haben wir eben schon gesagt, beschleunigt werden. Sie wird auch beschleunigt werden können.

Ich komme zu einem weiteren Punkt: Ich habe vorhin die Wochenenden und die Doppeldienste erwähnt. Wenn es so wenige Pflegekräfte gibt, dann müssen wir doch versuchen, dass diejenigen, die irgendwann einmal aus der Pflege ausgeschieden sind, in die Pflege zurückkommen, damit wir mehr Pflegekräfte haben. Die Ärztekammer hat ein tolles Programm zum Wiedereinstieg in den Beruf gemacht. So etwas können wir hier auch für die Pflege machen, und ich bin sicher und optimistisch, dass das auch funktionieren kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Assistenzund Hilfsberufen hat gerade eben die Kollegin Pauls schon etwas gesagt. Auch hier muss angepasst werden, das ist gar keine Frage. Die Auszeichnung der Landesbesten ist ein kleiner Baustein, aber für mich ist das ein ganz wichtiger, weil den Menschen so gezeigt wird, wie wichtig uns die Pflege ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, Jamaika packt an. Ich würde mich über die Zustimmung zu unserem Antrag freuen, damit wir unser Sofortmaßnahmepaket heute auf den Weg bringen können. - Vielen Dank.

(Dr. Marret Bohn)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über die Situation der Pflege ist dort, wo sie hingehört: ganz oben auf der Tagesordnung, auch auf der Bundesebene und bei den überregionalen Leitmedien.

(Beifall Kay Richert [FDP])

Bezüglich des Zusammenhalts der Gesellschaft und der Generationen wird die Behebung des Fachkräftemangels die zentrale Frage des kommenden Jahrzehnts. Wie können wir den Bedarf an Fachkräften zeitnah und nachhaltig decken? - Zum einen brauchen wir natürlich Menschen, die neu in die Pflegeberufe einsteigen. Hier werden bereits landesweit, auch in anderen Bundesländern, und bundesweit die Ausbildungszahlen erhöht. Aber der demografische Wandel lässt uns hier offen in einen Zielkonflikt laufen, vor allem im sozialen und öffentlichen Sektor. Wir wollen mehr Lehrerinnen und Lehrer, wir wollen mehr Polizistinnen und Polizisten, wir wollen mehr Erzieherinnen und Erzieher, wir wollen mehr Pflegekräfte, Bernd Buchholz möchte mehr Planerinnen und Planer, und auch andere Branchen möchten gern neue Nachwuchskräfte haben.

Das ist für junge Menschen prinzipiell eine relativ komfortable Situation, da man nicht nur eine breite Auswahl an Berufsbranchen hat, aus denen man auswählen kann, sondern auch innerhalb der Branche bei mehreren Arbeitgebern die Möglichkeit hat, mit der Arbeit zu beginnen.

Mit dem demografischen Wandel im Nacken müssen wir noch stärker auf das Anwerben ausländischer Fachkräfte und derjenigen, die Fachkräfte werden wollen, setzen. Hierfür muss, das wurde schon erwähnt, die Anerkennung der ausländischen Abschlüsse deutlich beschleunigt werden, denn noch immer gibt es in vielen europäischen Ländern eine enorm hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wir sollten versuchen, diesen jungen Menschen deutlich stärker aufzuzeigen, was für Chancen und Perspektiven es für sie in Deutschland gibt.

(Beifall FDP und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Feststellung, die ich nach einem Jahr hier im Landtag getroffen habe, ist, dass überwiegend in der politischen Debatte und weniger von den Pflegenden selbst angeführt wird, dass man besser über die Pflege sprechen müsse und dass man ein positiveres Image brauche. Das ist sicherlich nicht verkehrt, aber geht eine Nachtschicht leichter von der Hand, und verläuft sie besser, wenn wir uns als Politiker vor die Kameras stellen und im Fernsehen oder in Zeitungen sagen: Wir müssen besser über die Pflege reden? Oder hilft es, wenn die Bundesfamilienministerin Giffey sagt: Es muss cool sein, Pflegefachkraft zu sein? Ob das die jungen Menschen überzeugt, in den Beruf einzusteigen? - Ich weiß es nicht genau, aber, um im Sprachjargon zu bleiben: Was auf jeden Fall cool ist, das sind Arbeitsbedingungen, die einem nicht nur fünf bis acht Jahre, sondern gern bis zur Rente Freude am Job bereiten. Cool ist es auch, ausreichend Kolleginnen und Kollegin zu haben, sodass Urlaubs- und Krankheitsvertretung kein Problem ist.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Um beim Urlaub zu bleiben: Cool ist es auch, wenn man sich von seinem Gehalt irgendwann einmal einen längeren Urlaub ansparen kann, um auch mal einen Flug nach Costa Rica zu buchen.

Diese coolen Grundlagen bedingen sich allerdings gegenseitig. Wir werden daher nicht umhinkommen, deutlich mehr Geld ins System zu geben. Über die Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge und auch über die Bezuschussung aus dem allgemeinen Haushalt muss offener diskutiert werden,

(Vereinzelter Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sodass die Zuhilfenahme des Steueraufkommens nicht per se wesensfremd sein sollte. Aber das braucht eine Bedingung: Das Mehr an Geld, das wir akquirieren müssen, muss auch direkt dem Personal zugutekommen;

(Vereinzelter Beifall FDP, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

beispielsweise natürlich für die Lohnangleichung der einzelnen Personen, also für ein besseres Gehalt, aber fast noch wichtiger ist mehr Geld für mehr Kolleginnen und Kollegen in der Pflege, weil das die große Entlastung schafft.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Dr. Marret Bohn)