Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bilder, die wir in den letzten Tagen aus Chemnitz gesehen haben, machen deutlich, dass wir es bei der politischen Auseinandersetzung, zumindest was die jüngste Vergangenheit angeht, mit einer ganz neuen Qualität zu tun haben. Der rechte Rand in unserem Land wird zunehmend hemmungsloser, die AfD lässt immer mehr die Maske fallen, die eh schon nicht besonders fest gesessen hat.
In Chemnitz ist in der Tat ein schreckliches Verbrechen geschehen. Daniel H. ist Opfer eines völlig sinnlosen Verbrechens geworden. Es ist absolut nachvollziehbar, dass das viele Menschen wütend macht. Ich glaube, es geht uns allen hier im Saal auch so, und wir haben kein Verständnis für dieses Verbrechen und die Umstände. Der rechte Rand scheint mir aber auf einen Anlass gewartet zu haben, bundesweit derart zu mobilisieren und zu zeigen, was möglich ist.
- Herr Nobis, wir haben entsetzliche Bilder aus Chemnitz gesehen. Ihre Partei ist im offenen Schulterschluss mit PEGIDA und auch mit Pro Chemnitz durch die Stadt marschiert. Wenn Sie dann sagen, Sie haben mit all dem nichts zu tun, so ist das nicht
nur völlig unglaubwürdig, sondern es ist einfach unverschämt, was Sie hier präsentieren. Wir werden gleich Ihren Beitrag hören. Aber Sie machen sich mit diesen Neonazis, mit diesen Hetzern gemein. Es gab keinen Widerspruch aus der AfD, auch nicht aus Schleswig-Holstein. Ganz im Gegenteil. Deswegen debattieren wir ja hier.
Klar muss sein: Der Staat muss alle Bürger gleichermaßen schützen. Daran darf kein Zweifel aufkommen. Wir werden uns dagegen wehren, dass solche Leute wie Sie versuchen, dieses Land an sich zu reißen.
Meine Damen und Herren, auch die AfD in Schleswig-Holstein gibt sich immer weniger Mühe, die Fassade zu wahren. Die Äußerungen der Landesvorsitzenden haben uns zu dieser Aktuellen Stunde veranlasst. Wo Frau von Sayn-Wittgenstein politisch steht, ist spätestens seit dem AfD-Bundesparteitag, auf dem sie fast zur Bundesvorsitzenden der Partei gewählt wurde, aus meiner Sicht sehr klar. Andere AfD-Vertreter in Schleswig-Holstein treten bisher in der Regel gemäßigter auf. Aber Sie müssen sich angesichts der Ereignisse in Chemnitz genau überlegen, wo sie da immer noch mitmachen, meine Herren. Oder Sie verlassen die Partei. Das wäre dann auch ein klares Statement. Aber solange Sie weiter mitmachen, machen Sie sich mit dieser Sache gemein.
Ich bin der Meinung - das habe ich immer vertreten und vertrete es auch weiterhin -, dass man im Umgang mit Populisten nicht den Fehler machen sollte, über jedes Stöckchen zu springen, das einem hingehalten wird, auch wenn das angesichts der zunehmenden Provokation schwerfällt. Man darf die Gefahr des Populismus nicht unterschätzen, aber Populisten auch nicht größer machen, als sie sind. Das ist der schmale Grat, auf dem wir als Demokraten wandeln.
Frau von Sayn-Wittgenstein hat sich in einer Art und Weise zu Chemnitz geäußert, die man gerade in der jetzigen Situation nicht einfach ignorieren kann. Herr Dr. Stegner, ich habe ein gewisses Verständnis für Ihre Bedenken. Auf der anderen Seite muss ich sagen: Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem man auch einmal ein Stoppschild aufstellen muss. Darum ging es uns.
Herr Kollege Koch hat es schon angesprochen. Wenn mit Blick auf die Berichterstattung zu Chemnitz von der „Aktuellen Kamera“ gesprochen wird, dann ist das nicht nur ein Frontalangriff auf die freie Presse in diesem Land, es ist auch eine unverschämte Verharmlosung des SED-Regimes.
Da wird dann von Patrioten gesprochen, wo doch Bilder vorhanden sind, die ganz anderes deutlich machen. Wenn Menschen sich selbst in Sprechchören als Adolf-Hitler-Hooligans bezeichnen oder den Hitlergruß zeigen, zu Gewalt und sogar zu Mord aufrufen, dann sind das keine Patrioten, sondern Rechtsextremisten und Kriminelle, und das muss man dann auch entsprechend benennen.
Den getöteten Daniel H. nennt Frau Sayn-Wittgenstein einen Kubaner. Meines Wissens war er ein Deutscher, dessen einer Elternteil kubanisch-stämmig ist. Diese postume „Ausbürgerung“ finde ich wirklich ekelhaft und widerlich.
Die Instrumentalisierung dieses Verbrechens ist offenkundig. Unerträglich war - das ging, glaube ich, den anderen auch so - insbesondere die aufgesetzte Trauermine von Herrn Höcke und anderen Rechtsextremisten, die Daniel H. offensichtlich nicht respektiert hätten und ihn immer noch nicht respektieren, aber nun mit schwarzem Anzug und weißer Rose durch Chemnitz laufen.
Die versuchte Vereinnahmung der DDR-Opposition und Bürgerrechtsbewegung durch die AfD, in dem der Ausruf „Wir sind das Volk!“ gekapert wird, ist politisch schändlich. Man will dadurch suggerieren, dass man auf der richtigen Seite stehe und eine unterdrückte Opposition in einem Unrechtsregime sei. Das ist einfach nur absurd.
Ich frage mich, von wem Sie sich eigentlich das Land zurückholen wollen. Ich frage mich auch: Welches Land meinen Sie eigentlich, wenn Sie vom Zurückholen sprechen? Dazu sollten sie sich
vielleicht einmal äußern. Ich glaube, es liegt immer mehr auf der Hand, was Sie damit eigentlich meinen.
Was unser Land meines Erachtens jetzt nicht braucht, ist eine zunehmende Polarisierung zwischen rechts und links. Ich meine, man muss in einer solchen Phase sehr aufpassen. Das sollte uns auch die Geschichte lehren. Es wird jetzt immer viel von Weimar gesprochen. Damals waren viele Vorzeichen ganz anders, aber es gibt natürlich immer mehr Parallelen, was die Radikalisierung in einigen Bereichen unserer Gesellschaft angeht.
Ich meine, wir brauchen klare Kante gegen Gewalt, Hetze, Extremismus und Demokratiefeindlichkeit in unserem Land. Wir brauchen die konsequente Durchsetzung des Rechtsstaats an allen Stellen. Dafür müssen wir entsprechend handeln, ohne - wie in einigen Bundesländern - nun über das Ziel hinauszuschießen. Das ist der Sache auch nicht zuträglich.
Wir haben jetzt die Debatte über den Verfassungsschutz. Ich bin der festen Überzeugung, dass man sich mit der AfD nicht über Sicherheitsbehörden, sondern vor allem politisch auseinandersetzen sollte. Auf der anderen Seite, Herr Dr. Stegner, sehe ich es auch so: Teile der AfD agieren immer offener gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Eine Demokratie muss wehrhaft sein. Mittlerweile ist bekannt, dass der Verfassungsschutz gegen Teile der AfD tätig wird. Das ist aus meiner Sicht eine Entscheidung der Behörden. Es gibt aus gutem Grund hohe Hürden, aber immer häufiger überschreitet die AfD diese.
Sorgen muss allen Demokraten der zunehmende Vertrauensverlust in unserer Gesellschaft machen. Das hat verschiedene Ursachen und Gründe und betrifft nicht nur die Demokratie und den Rechtsstaat, sondern auch andere Institutionen und Unternehmen. Das ist eine Entwicklung, die wir in allen westlichen Gesellschaften beobachten. Die spannende Frage, mit der wir uns beschäftigen müssen, lautet: Wie gewinnt man verlorengegangenes Vertrauen zurück? Ich sage ganz deutlich und auch mit Blick auf meine eigene Partei - wir haben diesbezüglich leidvolle Erfahrungen gemacht -: Vertrauen verliert man schneller, als man es wieder zurückgewinnt, aber es zurückzugewinnen, ist möglich.
Viele Menschen in unserem Land sind verunsichert. Das sind Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und aus allen Teilen der Republik. Sie sind meiner Ansicht nach nicht verloren, aber man muss sie wieder abholen. Das bedarf einer gewissen Dialogbereitschaft zwischen den Parteien
Man muss vorhandene Probleme benennen und auch Lösungen anbieten. Man macht die Populisten nur kleiner, wenn man auch die Probleme wieder kleiner macht.
Wir debattieren gleich über ein Einwanderungsgesetz. Das wäre aus unserer Sicht das überfällige Kernelement einer Einwanderungspolitik mit klaren und sinnvollen Regeln, wobei man die Humanität im Blick hat, aber eben auch die Zuwanderung geordnet ablaufen lassen könnte. Wir brauchen auch mehr Integrationsmaßnahmen. Auch das ist, glaube ich, allen klar. Alles andere würde den Vertrauensverlust weiter verstärken.
Wir müssen jetzt vernünftige Konzepte anbieten. Das, was Herr Seehofer mit seinen Eckpunkte vorgelegt hat, ist bei Weitem nicht ausreichend, um die Einwanderung vernünftig zu regeln. Das ist aus meiner Sicht ein schlechter Witz. Ich bin froh, dass sich unser Ministerpräsident auf Bundesebene sehr deutlich für ein vernünftiges Einwanderungsgesetz - auch mit möglichem Spurwechsel; wir werden gleich darüber debattieren - einsetzt.
Meine Damen und Herren, ich bin auch überhaupt nicht davon überzeugt, dass es sinnvoll und angemessen ist, nun pauschale Sachsenschelte zu betreiben, wie das einige politisch Verantwortliche, aber auch einige Medien machen. Das macht nichts besser, aber vieles schlechter. Die Landesregierung, insbesondere die CDU als langjährige Regierungspartei in Sachsen, hat dort ohne Frage Fehler gemacht. Ich hoffe, das wird nun korrigiert. Ich glaube, man erkennt zunehmend, dass man anders auf bestimmte Ereignisse reagieren muss, und das ist auch richtig so.
Ich weise aber auch darauf hin - der Kollege Petersdotter hat es angesprochen -, dass es auch in anderen ostdeutschen Bundesländern massive Probleme mit Rechtsextremen gibt. Das ist ein Phänomen, das sich - mit Nuancen - in ganz Ostdeutschland zeigt. Aber eigentlich ist das Problem in ganz Ostdeutschland vorhanden - und eben auch in Westdeutschland und in Schleswig-Holstein. Ich komme aus der Nähe von Mölln, aber auch in allen anderen Landesteilen haben wir das Problem in etwas unterschiedlicher Ausprägung. Ich glaube, das sollte
Also: klare Kante gegen Extremisten, Dialogbereitschaft mit den vernünftigen Menschen und geeignete Lösungen, die auch umgesetzt werden. Das sollten wir in Schleswig-Holstein tun. - Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich wäre statt einer Aktuellen Stunde eine Gedenkminute angebracht gewesen.
Ich finde es beschämend, dass die Regierungsparteien kein Wort des Bedauerns für die vielen unschuldigen Opfer von Mord und Vergewaltigung finden, die sie politisch zu verantworten haben.