Protokoll der Sitzung vom 05.09.2018

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit beende ich die absolut notwendige Aktuelle Stunde.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 und 29 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Wer Fachkräfte abschiebt, gefährdet Deutschlands Zukunft!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/891

b) Asylrecht nicht aushöhlen - „Spurwechsel“ verhindern

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/897

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/918

Ich sehe, das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.

Bevor ich die Rednerinnen und Redner aufrufe, begrüße ich auf der Tribüne den Flüchtlingsbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein, Stefan Schmidt, den Landesbrandmeister, Herrn Homrich, und seinen Geschäftsführer, Herrn Arp. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPDFraktion hat der Oppositionsführer, der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

(Tobias Koch)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir freuen uns immer über neue Verbündete - gerade wenn sie überraschend und von unerwarteter Seite kommen. Insofern, Herr Ministerpräsident, haben wir uns in der Sommerpause über Ihre Äußerungen zum Thema Spurwechsel gefreut. Der linke Günther fordert das, und die SPD stimmt zu so war es in Pressemeldungen zu lesen. Das ist ein bisschen Etikettenschwindel, aber geschenkt! Herr Ministerpräsident, wenn das Ihrem Image dient, ist das okay. Es geht um eine gute Sache. Die SPD fordert das schon lange.

Es geht - das versteckt sich hinter dem technischen Begriff „Spurwechsel“ - darum, gut integrierten Menschen in Deutschland eine Perspektive zu geben auch und gerade dann, wenn ihnen die Abschiebung droht. Es ist doch eine irre Situation, über Fachkräftemangel zu klagen, im Ausland um qualifizierte Zuwanderer zu werben und gleichzeitig Menschen, die hier in Deutschland in Arbeit oder in Ausbildung sind, abschieben zu wollen teilweise mit ihren Kindern, die hier geboren sind.

Keine Frage: Es gibt auch Menschen, bei denen wir bei einer möglichst schnellen Rückführung keine falschen Skrupel haben dürfen, zum Beispiel bei kriminellen Gewalttätern, bei Terroristen, bei Menschen, die unsere Demokratie ablehnen und bekämpfen. Bei denen brauchen wir Konsequenzen und eine schnelle Abschiebung. Aber statt darüber zu philosophieren, ob der Islam zu Deutschland gehört, könnte Herr Seehofer hier Aktivitäten entwickeln, zum Beispiel bei der Passersatzbehörde in Potsdam.

Wenn einmal eine Abschiebung durchgeführt wird - wie bei der schwarz-gelben Regierung in Nordrhein-Westfalen -, wird die Verfassung gebrochen, die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, und Leute aus Ihren Reihen schwadronieren darüber, dass Gerichtsurteile dem Volksempfinden entsprechen sollten. Dazu kann ich nur sagen: So etwas kennen wir. Nein, danke! Wir wollen eine unabhängige Justiz.

Fakt ist aber - das sagen viele Menschen -: Wir schieben die falschen Leute ab. Das tun wir übrigens nicht nur in Bayern, sondern auch in Schleswig-Holstein. Wir schieben Menschen ab, die schon lange hier sind, die integriert sind. Es bleiben Leute hier, die uns bedrohen, die Gefährder und kriminelle Gewalttäter sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Das muss und wird es auch in Zukunft bleiben. Un

ser Problem ist, dass ein modernes, ein zur Realität passendes Einwanderungsgesetz seit vielen Jahren von der Union auf allen Ebenen blockiert wird. Die SPD musste hart dafür kämpfen, diesen Punkt im Koalitionsvertrag der Großen Koalition zu verankern. Beim Thema Spurwechsel haben übrigens auch Sie, Herr Ministerpräsident, nicht geholfen, als wir in den Verhandlungen zur Großen Koalition verhandelt haben. Das kann ich aus eigenem Erleben berichten.

Bis die Blockade der Union gebrochen worden ist und wir ein praxistaugliches Einwanderungsrecht haben, brauchen wir eine Bleibeperspektive für gut integrierte Menschen. Wir müssen als Land unseren Ermessensspielraum nutzen, den uns die Gesetzgebung bietet. Dieser Ermessensspielraum ist aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion ein Abschiebemoratorium für Menschen in Ausbildung und Beruf. Das können und wollen wir gemeinsam auf den Weg bringen. Ich fordere Sie auf, da mitzumachen.

(Beifall SPD)

Darauf, dass es gar nicht so wenige Leute sind, hat der Kollege Harms mit den Zahlen, die er hier in der Aktuellen Stunde genannt hat, hingewiesen. Es sind schon ganz schön viele, die sich Mühe geben, in Arbeit und in Ausbildung zu kommen. Wir waren jahrelang damit beschäftigt, klarzumachen, dass es falsch ist, die Leute nicht die deutsche Sprache lernen zu lassen, dass es falsch ist, wenn wir sie nicht arbeiten lassen, dass es falsch ist, wenn viele Afghanen hier sind und sie keine Ausbildung machen dürfen. Insbesondere junge Männer kommen nicht auf gute Ideen, wenn sie monatelang in Unterkünften sind und nichts tun dürfen. Deswegen war es richtig, das durchzusetzen, das zu machen. Jetzt muss aber die Konsequenz folgen. Ich habe mich mit jungen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern unterhalten, die mir den Ablehnungsbescheid gezeigt und gesagt haben: „Mir droht jetzt die Abschiebung, obwohl ich einen Ausbildungsplatz habe.“

Natürlich geht es nicht darum, einen dauerhaften Aufenthalt für alle zu schaffen, die abgelehnte Asylbewerber sind. Wir wollen auch keine neuen Anreize schaffen. Aber Menschen, die sich anständig integrieren, die über Jahre auf Entscheidungen warten, Menschen, die wir eigentlich dringend brauchen, abzuschieben, teilweise ganze Familien mit Kindern, die hier geboren worden sind, ist doch grotesk. Das müssen wir doch ändern wollen.

(Beifall SPD)

So viel Pragmatismus sollten wir uns auch erlauben. Man kann mit uns auch über Stichtagsregelungen reden. Nicht zuletzt ist es auch ein dringend notwendiges Signal an die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Die machen nämlich mit. Die Wirtschaft gibt uns recht. Erfreulich finde ich auch - das ist bei so einem Thema selten -: Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sagt, dass Menschen, die hier integriert sind, arbeiten und ausgebildet werden, hierbleiben und nicht bei Nacht und Nebel abgeschoben werden sollten, ohne dass sie vorher wissen, was ihnen droht. Das ist ein Missstand, den wir miteinander ändern sollten.

(Beifall SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie haben mit Ihren Ankündigungen auch zu anderen Themen für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt. Ich bin nicht ganz sicher, worum es Ihnen da gegangen ist, aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ihre Erfolge im CDU-Präsidium sind überschaubar. Frau Merkel ist dagegen. Die CSU in ihrem irrlichternden Wettbewerb mit der AfD im bayerischen Landtagswahlkampf will das schon gar nicht. Deswegen werden Tag für Tag Menschen abgeschoben, die wir hierbehalten sollten, auch in Schleswig-Holstein. Setzen Sie Ihr Gewicht dafür ein! Wenn Sie das auf Bundesebene nicht schaffen, sorgen Sie mit den Koalitionsfraktionen bitte dafür, dass wir das Abschiebemoratorium für Integrierte machen! Machen Sie mit! Stimmen Sie unserem Antrag zu! Das wäre eine tolle Sache für Schleswig-Holstein und für Menschen, die lange auf ein solches Signal warten.

(Beifall SPD)

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schülerinnen und Schüler der Poul-Due-Jensen-Schule aus Wahlstedt. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort für die Abgeordneten der AfD hat der Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Gäste! Ministerpräsident Günther möchte abgelehnten Asylbewerbern einen Spurwechsel ermöglichen, damit diese doch noch in Deutschland bleiben können. Illegal eingereiste und schließlich abgelehnte Asylbewerber sollen dem

nach von der Asyl- in die Arbeitsmigration wechseln können und damit ein Aufenthaltsrecht zugesprochen bekommen. Teile der Bundesregierung wollen diesen Spurwechsel nun sogar in ein geplantes Fachkräftezuwanderungsgesetz eingliedern: als Asylbewerber in Deutschland abgelehnt, jedoch ein Bleiberecht, wenn sie einer geregelten Tätigkeit in einem deutschen Unternehmen nachgehen.

(Christopher Vogt [FDP]: Das ist doch gut so!)

Würden sich da nicht doch noch die Träume der abgelehnten Asylbewerber erfüllen? Unbesetzte Ausbildungsplätze, Mangel an Fachkräften sind Themen, die in diesem Zusammenhang immer wieder genannt werden. Aber hat das überhaupt etwas mit dem Fachkräftemangel zu tun? - Nein, natürlich nicht. Das war auch nicht die Intention der Väter des Grundgesetzes, als es darum ging, dort Asyl und Schutz einzubinden.

Die Realität hat uns doch längst eingeholt. Die Hoffnung, die Flüchtlingskrise spüle Fachkräfte in Massen auf den deutschen Arbeitsmarkt, hat sich als vollständig unbegründet erwiesen.

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

Die Bundesregierung und auch die Medien haben vor drei Jahren schlicht falsche Hoffnungen geweckt. Wir haben stattdessen eine Zuwanderung in die Sozialsysteme und immer stärker auch in die Kriminalstatistik erlebt.

Wir müssen in der Frage der Migration differenzieren und in der Diskussion eine Trennschärfe erreichen, die diesem Thema wieder gerecht wird. Wir von der AfD haben stets darauf verwiesen, die Begriffe „Asyl“, „Flucht“ und nun auch „Fachkräftezuwanderung“ nicht zu vermischen und zu vermengen. Eine Zuwanderung von Fachkräften hat sich doch zu allererst an dem Bedarf unseres Landes auszurichten, dem Bedarf des Arbeitsmarktes und eben nicht an der Frage, wie wir im Sinne der Asylsuchenden den Asylmissbrauch im Nachhinein legalisieren.

Der von Ihnen geplante Spurwechsel würde potenziellen Migranten nur signalisieren, dass man es nur über die Grenzen schaffen muss, um ein Jobangebot und damit ein Bleiberecht zu erlangen. Sie erzeugen mit diesem Plan eine Sogwirkung für noch mehr unberechtigte Asylmigration.

(Beifall AfD - Zuruf SPD: Quatsch!)

An dieser Stelle muss klargemacht werden, dass jeder Asylbewerber, dessen Antrag abgelehnt wird,

(Dr. Ralf Stegner)

Deutschland auf dem schnellsten Weg verlassen muss. Deutschland benötigt keinen Spurwechsel, sondern einen Richtungswechsel hin zu schnelleren Asylverfahren und konsequenteren Abschiebungen.

(Beifall AfD)

Hier stehen wir auch nicht allein. Der Hauptgeschäftsführer Oliver Zander vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall kritisiert die Debatte um den Spurwechsel als töricht, und zwar aus den gleichen Gründen, die ich gerade nannte. Er führt weiter aus - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -:

„Wer die Spurwechseldebatte führt, muss sich bewusst sein, dass er damit faktisch das Fachkräftezuwanderungsgesetz sabotiert.“

Auch die Bundeskanzlerin äußerte sich im Sommerinterview der ARD kritisch zu einer Übernahme abgelehnter Asylbewerber in den deutschen Arbeitsmarkt. Ich zitiere erneut mit Ihrer Erlaubnis: Es dürfe auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass ein abgelehnter Flüchtling einfach den Spurwechsel in Richtung Fachkräftemangel vollführen könne, um in der Bundesrepublik zu bleiben.

(Zuruf FDP: Hört, hört! - Dr. Frank Brodehl [AfD]: Ja, Merkel!)