Protokoll der Sitzung vom 19.07.2017

Natürlich gibt es auch hier wie überall im Leben keine Stunde Null. Wir können anknüpfen und weiterstricken, aber - und das sage ich hier ausdrücklich - auch neue Muster sind willkommen. Vor allem ist mir wichtig, dass kulturelle Bildung stärker als bislang ressortübergreifend als gemeinsame Verantwortung und Aufgabe verstanden wird. Dass die Kulturabteilung nunmehr im Bildungsministerium zu Hause ist, sollte dabei hilfreich sein. Ich denke aber durchaus auch an die Einbeziehung von Sozial- und Integrationsministerium, weil die bekannten Aufgaben und Möglichkeiten, die am Anfang genannt wurden, weil die kulturelle Bildung einen großen Beitrag zur Integration einer Gesellschaft leisten kann.

Meine Damen und Herren, „Ist das Kunst, oder kann das weg?“, das ist ein viel und immer wieder gern zitiertes Aperçu, in dem eine Geringschätzung von Kunst und Kultur anklingt, die diese in den Augen mancher auch zu einem eher weichen oder nicht so wichtigen Politikfeld machen. Die Vorstellung, Mathe ist halt immer noch wichtiger als Musik, schwingt da mit. So ist es auch seit Jahrzehnten vielfach geübte Praxis im Schulalltag. Kultur wird auch jenseits der rein juristischen Debatte von vielen nicht als Pflichtaufgabe der Politik betrachtet. Auf der anderen Seite stehen aber diejenigen, die die kulturelle Infrastruktur als Aufgabe der Daseinsvorsorge betrachten, wie die Energieversorgung und die Müllabfuhr. Ich selbst zähle zu den Letzteren und hoffe, dass ich auch andere

(Zuruf Regierungsbank)

- ich denke, dass ich einige, wenn ich gerade den Zuruf richtig gehört habe, davon überzeugen kann. Ich wünsche mir, dass das „Forum Kulturelle Bildung“ breit aufgestellt wird und interdisziplinär arbeitet. Um es mit dem alten Briest zu sagen: Kulturelle Bildung ist ein „weites Feld“.

Ich freue mich, dass dieses jetzt beackert und weiter bestellt wird. - Vielen Dank dafür.

(Vizepräsident Oliver Kumbartzky)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Martin Habersaat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter den Umständen einer normal vollen Tagesordnung hätte ich gewettet, dass dies ein Tagesordnungspunkt gewesen wäre, den wir möglicherweise ohne Aussprache in den Bildungsausschuss überwiesen hätten.

(Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW] - Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein, nein!)

Es sind drei wesentliche Feststellungen zu treffen: Erstens ist kulturelle Bildung wichtig. Zweitens war die Küstenkoalition in diesem Bereich auf einem guten Weg, und drittens: Damit es gut weitergeht, bilden wir einen Arbeitskreis. Das beschließen wir natürlich gern mit, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Im Grundsatz gehört die kulturelle Bildung sicher allgemein zu den Themen mit eher weniger Reibungsflächen und eher weniger kontroversen Debatten. Ich will jetzt gar nicht näher ausführen, warum kulturelle Bildung wichtig ist. Da sind wir uns mit Sicherheit einig. Streiten können wir uns über die Fragen der Ressourcen, aber nicht heute. Streiten können wir uns vielleicht über die Frage, warum es die Kultur nicht in das 100-Tage-Programm der Landesregierung geschafft hat. Aber stattdessen erfreuen Sie in diesem 100-Tage-Programm den kulturinteressierten Menschen mit einigen Kleinoden der Sprachkultur. Daraus wollte ich drei nennen, da ich noch Redezeit habe und zwar 3 Minuten und 50 Sekunden.

(Heiterkeit SPD)

Da ist das doppelte „Wenn“ bei der versprochenen Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei Straßenausbaubeiträgen. - Das lohnt sich nachzulesen.

Da ist die Wortschöpfung vom „Lehrkräftebedarfsanalysekonzept“. - Ich muss sagen: Chapeau. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, ich hoffe, Sie haben dafür auch eine Lehrkräftebedarfsanalysekonzepterstellungsstrategie.

(Heiterkeit und Beifall SPD und SSW - Zu- ruf Dennys Bornhöft [FDP])

Dann haben wir noch den Kunstgriff, die Vorarbeiten zum Haushaltsjahr 2018 als besondere Maßnahme zu verkaufen. - Aber geschenkt, es war unterhaltsam, und darum geht es, wenn es um Kultur geht.

Unsere damalige Kulturministerin, Frau Spoorendonk, hat in der Aussprache zum Jahr der kulturellen Bildung auf den Zusammenhang von kultureller Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe hingewiesen. Dabei hat sie zu Recht die Erwartung geäußert, dass derjenige, der kulturelle Bildung ernst nimmt, auch wählen geht, und dass kulturelle Bildung auch untrennbar mit politischer Bildung verknüpft ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das hat der Wäh- ler gerade gemacht!)

- Herr Kubicki, ich freue mich, dass Sie da sind. Wenn Sie wollen, gestatte ich Ihnen gern eine Zwischenfrage.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Will ich aber nicht! - Heiterkeit SPD - Dr. Ralf Stegner [SPD]: So munter ist er noch nicht!)

- Dann haben Sie für Zwischenrufe, die ja Ihr verfassungsgemäßes Recht als Parlamentarier sind und die wir hier vielleicht nur noch bis September genießen dürfen, ungefähr noch einen Absatz lang Zeit.

Ich wollte gerade meine Kollegin Raudies für ihre Feststellung loben,

(Beifall Serpil Midyatli [SPD])

dass außerschulische Bildungsangebote den ordentlichen Schulunterricht nicht ersetzen dürfen und dass es ästhetische Bildung und kulturelle Bildung auch in der Schule zur Pflicht und nicht zur Kür gehören. Frau Fritzen ist darauf auch bereits eingegangen. Das Ziel der 100-prozentigen Unterrichtsversorgung, das wir teilen, muss auch für die bildende Kunst, die Musik und die sonstigen musischen Fächer gelten.

Meine Damen und Herren, wir werden das im Auge behalten. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche noch einen schönen Abend. Vielen Dank.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

(Marlies Fritzen)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt die Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass Herr Habersaat das alles im Auge behalten will, denn wir, die JamaikaKoalition, der SSW und die SPD wollen uns um die Vermittlung der Kultur an junge Menschen kümmern. Es ist schön, dass Sie uns da auch begleiten wollen.

(Martin Habersaat [SPD]: Wollen reicht nicht, Frau Rathje-Hoffmann! - Heiterkeit SPD)

- Sie müssen es auch können, da wollen wir mal gucken.

(Beifall Lukas Kilian [CDU])

Im Besonderen geht es um die kulturelle Bildung und dort im Einzelnen um die kulturelle Teilhabe und die Gestaltungskraft. Wie überall kommt es auch hier auf die richtige Vermittlung und die richtige Ansprache an. Kinder und Jugendliche sollen Lust und Spaß an der Kultur empfinden. Die kulturelle Bildung gehört fest verbunden zur Allgemeinbildung, und es geht hier auch um die Zuständigkeit der verschiedenen Politikfelder von Jugend-, Bildungs-, Schul-, Sozialpolitik und natürlich Kulturpolitik. Es geht auch um die gute Zusammenarbeit mit Stiftungen, wie zum Beispiel der Stiftung Mercator, die bei uns eine sehr hervorragende Arbeit in Schleswig-Holstein leistet. Durch diese Förderung der Stiftung Mercator werden die Persönlichkeitsentwicklung, die Ausdrucksfähigkeit und die Kreativität von Kindern und Jugendlichen gefördert. Wir wollen die Zusammenarbeit mit der Stiftung Mercator weiter fördern, damit möglichst jedes Kind und jeder Jugendliche kulturelle Bildung erfahren kann.

(Beifall CDU, vereinzelt FDP und AfD)

Hierzu sollen weiterhin gemeinsame Konzepte und Instrumente zur Implementierung der kulturellen Bildung im Schulsystem entwickelt werden. Dort müssen entsprechend Lehrerinnen und Lehrer als Multiplikatoren weitergebildet werden. Wir wollen über die Schulen den niedrigschwelligen Zugang zu kulturellen Bildungsangeboten für alle Kinder ermöglichen, egal, aus welchem familiären, kulturellen oder sozialen Umfeld sie kommen. Durch diese kulturelle Bildung wird die Auseinandersetzung mit der kulturellen Vielfalt und der kulturellen Her

kunft gefördert. Sie unterstreicht die Kreativität und die eigene Schaffenskraft, weckt damit auch Freude und unterstützt die Persönlichkeitsbildung und Persönlichkeitsentwicklung.

Zudem werden Kommunikation, Interaktion und gegenseitiges Verständnis gestärkt. Der digitale Wandel bietet unterstützend auch noch weitere Möglichkeiten für die kulturelle Einbindung über Tablets und spezielle Handy-Apps. Solche Möglichkeiten müssen wir im schulischen Bereich voll ausschöpfen.

Viele neue Facetten bieten sich durch die digitalen Medien. Interaktionen sind dadurch international und interkulturell sozial verbindend möglich. Es wird das gegenseitige Verständnis gefördert und ist sozial verbindend. Man geht der Frage nach: Woher komme ich, und woher kommen andere? Was verbindet uns, und was trennt uns eventuell?

Wir möchten uns einen Überblick über die unterschiedlichen Ausgestaltungen verschaffen, die die bisherige Zusammenarbeit in Schulen evaluieren, und so Erkenntnisse gewinnen, wie wir Kooperation künftig noch besser gestalten können. Selbstverständlich wollen wir auch andere bestehende Projekte und Träger weiterhin in diesen Prozess mit einbinden. Deswegen wollen wir ein Forum für kulturelle Bildung einrichten, das Akteuren aus verschiedenen Bereichen der Kultur wie Musik, Kunst, Theater und so weiter eine Plattform bietet. So schaffen wir eine Möglichkeit zum Austausch der Ideen und Anregungen. Lassen Sie uns anfangen! Danke schön.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Kunst und Kultur sind die Grundlagen einer Gesellschaft, für die Verständigung untereinander und die Quelle von Identität und Kreativität. Kunst und Kultur spiegeln den Zustand einer Gesellschaft wider und treiben deren Entwicklung voran. Ohne Kunst und Kultur wäre unsere Gesellschaft nicht kreativ, unsere Bildung technokratisch und unsere Wirtschaft nicht innovativ. Kunst und Kultur entscheiden wesentlich über den Fortschritt der Gesellschaft.

Artikel 5 Absatz 3 unseres Grundgesetzes schützt die Freiheit der Kunst. Die kulturelle Vielfalt in unserem Land steht somit unter dem Schutz des Staates. Trotzdem gehen die öffentlichen Kulturausgaben seit Jahren zurück und können nicht von privaten Förderern in gleichem Umfang aufgebracht werden. Es gibt die fatale Entwicklung in den Schulen, dass der Kunst- und Musikunterricht immer noch zurückgeht. Es fehlen Fachlehrer, und es fehlen Stunden für Vertretungsunterricht. Das geht in der Regel zulasten von Musik und Kunst.

Umso wichtiger sind an dieser Stelle die geförderten Projekte durch die Stiftung Mercator, die wir unbedingt weiterhin nutzen sollten. Kulturelle Bildung ist ein wesentliches Fundament für die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen; denn es gibt kaum einen besseren Weg, jungen Menschen so wichtige Kompetenzen wie Kreativität, Teamfähigkeit, Flexibilität, Leistungsbereitschaft und Toleranz zu vermitteln als über die Kultur. In kaum einem anderen Lebensbereich sind liberale Wertvorstellungen und Gesellschaftsbilder so weit verbreitet und essentiell wie in der Kultur. Kultur ist ohne Freiheit nicht denkbar. Kultur lebt von der Vielfalt und dem Spannungsverhältnis zwischen Vertrautem und Neuem, zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Kultur ist weder bestimmten Schichten noch Ideologien zuzuordnen, ist nicht rechts oder links, sondern markiert die Mitte der Gesellschaft ebenso wie ihre Ränder und Nischen. Kultur ist also höchst individuell, unmittelbar, persönlich und zugleich das Verbindende und die Basis für die Verständigung untereinander.

Somit gehört auch der Themenkomplex Integration dazu. Die Notwendigkeit, bei dieser Herausforderung der Integration zahlreicher Bürger in Deutschland auch auf die Kultur zu setzen, wird unweigerlich dazu führen, dass wir uns auch mit unserer eigenen Kultur genauer auseinandersetzen müssen. Voraussetzung für die Begegnung mit anderen Kulturen auch im eigenen Land ist immer das Bewusstsein für die eigene Kultur. Je größer das eigene kulturelle Selbstbewusstsein ist, desto gelassener können wir der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und deren Integration entgegensehen. Alle Kulturen der Welt haben immer davon gelebt, dass es Einflüsse anderer Kulturen von außen gab. Es ist also eine wichtige Frage, wie es uns gelingt, unsere kulturellen Werte und Vorstellungen an unsere Kinder weiterzugeben.

In der Kulturpolitik wird leider viel zu viel über die Finanzierung und Erhaltung der Theater oder sonstiger Einrichtungen gesprochen und viel zu wenig

über die Frage, wer diese in 10, 20 oder 30 Jahren überhaupt noch nutzen soll. Wenn wir uns also nicht in viel intensiverer Weise um die kulturelle Bildung und um die Vermittlung kultureller Interessen und Kenntnisse kümmern und dieses gemeinsam mit den öffentlich geförderten Einrichtungen tun, dann können wir in 20 Jahren unsere Theater und Opernhäuser schließen, weil niemand mehr da ist, der diese Kunstformen versteht. Im Gegenzug muss sich die Kulturpolitik auch stärker mit den kulturellen Ausdrucksweisen und Vorlieben der Kinder und Jugendlichen auseinandersetzen. Projekte wie zum Beispiel „Classic meets Beat“ sind dafür ein Baustein. Auf die Art und Weise wird klassische Kultur modern umgesetzt. Das läuft in diesem Sommer am Strand.

Wir verlieren unsere Jugendlichen als zukünftige kulturinteressierte Bildungsbürger, wenn wir von ihnen erwarten, dass Theater und Oper für sie das Gleiche bedeuten, wie es das bei uns oder unseren Eltern einmal war. Aber wir müssen ihnen die Chance geben, auch dies für sich zu entdecken. Dafür werden wir die Bildungsangebote in unseren Schulen stärken. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt AfD)