Seien Sie uns alle herzlich willkommen auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags!
Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gern drei Anmerkungen zu der Debatte machen.
Erstens, Herr Kollege Loose, finde ich es außerordentlich positiv, dass Sie hervorgehoben haben, zur Demokratiebildung gehört auch, dass wir Menschen dazu ermuntern, sich in demokratischen Parteien politisch zu engagieren. Das gehört auch an die Schulen. Wir sind mit unseren demokratischen Parteien in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sehr gut gefahren, auch wenn wir Reformbedarf bei uns haben. Ich will deutlich sagen: Wenn wir in Länder schauen, in denen das nicht der Fall ist, sehen wir, was wir daran haben.
Parteien heißt übrigens, nicht nur Teil der Gesellschaft zu sein, sondern auch Partei zu ergreifen, zum Beispiel für diejenigen, die unsere Hilfe brauchen, zum Beispiel für Toleranz, zum Beispiel für unsere Verfassung. Denn sie zu kennen, ist das eine, sie zu leben, ist das andere. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass Sie auch für unsere demokratischen Parteien werben und sie nicht schlechtreden lassen, was wir auch ganz häufig in den Debatten hören.
Zweitens, Herr Kollege Petersdotter: Ich fand Ihre Anregung, was die Rhetorik in den Schulen angeht, gut. Rhetorik ist eine Kunst. Zu lernen, miteinander Argumente auszutauschen, ist etwas, mit dem man nicht früh genug anfangen kann. Man sieht daran übrigens - das hat eine kleine Zwischenfrage ergeben -, dass zur Demokratiebildung auch das Recht auf Dummheit gehört. Man kann zum Beispiel mit einem Zitat - völlig aus dem Zusammenhang gerissen - so tun, als sei Adorno alles andere als ein progressiver Mensch gewesen. Das war aber ein progressiver Mensch, den allerdings nicht viele verstehen. Er hat relativ komplex geschrieben, damit muss man sich auseinandersetzen. In der Demokratie zu erdulden und zu ertragen, dass Menschen auch dumm sein dürfen, gehört zu der Toleranz, die
Das Dritte, das ich sagen möchte, ist ein eher unerfreulicher Anlass. Ich habe heute Morgen gelesen, dass der Chefredakteur der „Bild“-Zeitung geschrieben hat, der Bundespräsident könne sich jetzt beim Empfang des türkischen Ministerpräsidenten wieder in seiner Lieblingsdisziplin üben, die er besonders gut könne, nämlich in die Rolle dessen zu schlüpfen, der sich von den Despoten einseifen lasse. - Das ist ein besonders törichter und dummer Spruch.
Er zeigt aber auch etwas anderes, nämlich dass wir in einer Demokratie die Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung aushalten, dass auch Dinge gesagt werden, die wir nur schwer erträglich finden. Das unterscheidet uns übrigens genau von den Gesellschaftsordnungen derjenigen, die eine Gesellschaftsordnung haben wollen, in der das nicht mehr zulässig ist. Das ist der große Vorteil der Demokratie.
Das erleben wir gelegentlich auf den Straßen, wenn unsere Polizisten Demonstrationen schützen, vor denen sie sich eigentlich ekeln, wo man aber immer sagen muss: Sie schützen das Recht und nicht die Rechten.
Das ist die Stärke der Demokratie, das ist Teil von Demokratiebildung, immer darauf hinzuweisen, dass wir das aushalten - im Gegensatz zu den anderen Gesellschaftsordnungen, die das verbieten.
Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Karin Prien, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie auch mich heute mit einem Zitat beginnen:
ist und auch bei unserem Landesbeauftragten Anfang dieses Jahres zu Besuch war. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Krise der Demokratie in Amerika und Europa.
Der Deutschlandfunk hat ihn kürzlich den Propheten des Untergangs der Demokratie genannt. So weit würde ich nicht gehen, in Schleswig-Holstein schon gar nicht, aber seine Forschungsergebnisse müssen uns wachrütteln. Sie belegen, dass Demokratie jungen Menschen, die in den 80er-, 90er-, und 2000er-Jahren geboren sind, weniger bedeutet als der Nachkriegsgeneration. Sie öffnen der Studie nach damit, bewusst oder nicht bewusst, die Tür für Antidemokraten. In den USA können wir das beobachten, in Frankreich, in den Niederlanden, in Schweden. Die Brexit-Entscheidung in Großbritannien wäre wohl anders ausgegangen, wenn mehr junge Menschen zur Wahl gegangen wären. Sie haben sich für Politik eben nicht interessiert.
Das dürfen wir nicht hinnehmen, so nicht stehen lassen. Wir müssen in Europa, auch in Deutschland, in Schleswig-Holstein für Demokratie, für Toleranz, für den Kompromiss werben. „Demokratie ist die einzige … Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss.“ - Auch das ist ein Zitat. Es stammt vom Sozialphilosophen Oskar Negt, übrigens auch ein Mitglied der Frankfurter Schule. Adorno war sein Doktorvater. Negt sagt diesen berühmten Satz vor dem Hintergrund seines Erlebens des Nationalsozialismus und der noch jungen Bundesrepublik.
Wir erleben heute, dass seine Aussage Gültigkeit hat. Immer wieder muss Demokratie gelernt werden, und die Studie von Mounk, die ich zitiert habe - sehr lesenswert übrigens -, macht das deutlich.
Das ist natürlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber in jedem Fall ist es auch Aufgabe von Schule, meine Damen und Herren, und an dieser Stelle darf Schule nicht neutral sein.
Ich freue mich darauf, dass wir im nächsten Jahr, im Jahr 2019, in dem die Bundesrepublik 70 Jahre alt wird, 70 Jahre Demokratie feiern, 70 Jahre Frieden in Freiheit feiern, dass wir das gemeinsam feiern werden, dass sich auch die ganz überwiegende Mehrheit dieses Hauses darin einig ist, dass das ein Grund zum Feiern ist, und dass wir das Feiern auch in unsere Schulen tragen werden.
Demokratie ist für uns selbstverständlich, ich fürchte, zu selbstverständlich. Das ist ein fataler Denkfehler. Die islamistischen Anschläge in Europa, auch in Deutschland, waren Anschläge auf unsere Demokratie, auf unsere Freiheit, auf unser Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Religion. Rechtsradikale Aufmärsche in Chemnitz, in Köthen und Dortmund, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit sind Angriffe auf unsere Freiheit und auf unsere Demokratie.
Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung ist nicht hinnehmbar, ganz gleich, mit welcher kruden Weltanschauung sie begründet wird.
Ich will den Gedanken von Frau Klahn und von anderen aufgreifen. Die Zivilität unserer Streitkultur steht heute oft infrage. Die Kanzlerin hat gestern Abend gesagt, wo der Kompromiss verächtlich gemacht werde, sei die Demokratie in Gefahr. Auch Kompromiss zu lehren und zu lernen, ist die Aufgabe von Schule. Wenn es um die freiheitlich-demokratische Grundordnung geht, kann und darf sich der Staat nicht neutral verhalten, auch die Schule nicht. Ich habe es eben erwähnt.
Deshalb kann ich meinen vielen Vorrednern nur zustimmen. Demokratiebildung und Demokratieerziehung sind das, was wir unseren jungen Menschen schulden, aber auch abverlangen müssen. Ich bin außerordentlich dankbar, dass sich die Landesschülervertretungen übrigens aller Schularten in einem langen Positionspapier dazu eindeutig positioniert haben. Ich begrüße das ausdrücklich. Mit dem Jungen Rat der Stadt Kiel bin ich schon im Gespräch. Ich werde mit den Landesschülervertretungen über deren Vorschläge für das Jahr der politischen Bildung und über die Zeit darüber hinaus ins Gespräch kommen. Natürlich darf dies kein Strohfeuer bleiben, sondern hierbei geht es um Nachhaltigkeit.
Im Ministerium überprüfen wir zurzeit die Fachanforderungen genau daraufhin, ob das, was wir an Angebot in unseren Fachanforderungen haben, ausreicht, damit ein Schüler oder eine Schülerin, wenn er oder sie nach der 9. Klasse die Schule verlässt, wirklich genug und solide politische Bildung erfahren hat, und ob unsere Rahmenbedingungen dafür ausreichen, dass Schülerinnen und Schüler positive Grunderfahrungen mit Mitbestimmung und Demokratie in Kita, in Grundschule und Schule machen. Auch das ist Bestandteil unserer Überlegungen.
Wir brauchen dafür starke Verbündete in der Gesellschaft. Der Landesbeauftragte ist ein Verbündeter in diesem gemeinsamen Bemühen. Darüber freue ich mich sehr. Er ist uns ein wichtiger Ratgeber.
Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, ob das, was wir den Schulen über das IQSH, über den Landesbeauftragten an Material zur Verfügung stellen, heute noch den Nerv der jungen Menschen trifft. Auch das werden wir uns genau anschauen müssen.
Wir werden das Jahr der politischen Bildung nutzen, um die politische Bildung und die Demokratieerziehung in unseren Schulen stark zu machen. Wir werden jugendgerechte, kindgerechte Angebote machen. Wir werden einen Projekttag zum Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes durchführen. Wir werden auch im Fach Deutsch als Zweitsprache mehr über unsere Regeln des demokratischen Zusammenlebens sprechen und werden einen Beitrag dazu leisten, dass Verständnis und Toleranz als Voraussetzungen für einen erfolgreichen Bildungsweg und ein friedliches Zusammenleben in unserem Land breit angelegt werden.
Ich freue mich darauf, mit Ihnen gemeinsam diese Themen in den verschiedenen Ausschüssen zu beraten. Ich denke, es ist ein gutes, starkes Zeichen, das von dieser heutigen Parlamentssitzung ausgeht. Meine Damen und Herren, wir stärken die demokratische Bildung unserer Schülerinnen und Schüler gemeinsam als Demokraten in diesem Parlament, und ich danke Ihnen dafür.
Die Ministerin hat die vereinbarte Redezeit um eineinhalb Minuten erweitert. Diese Zeit steht Ihnen jetzt ebenfalls zur Verfügung. - Ich sehe, davon wird kein Gebrauch gemacht. Weitere Wortmeldungen liegen also nicht vor. Ich schließe somit die Beratung.
Es ist beantragt worden, über den Antrag in der Sache abzustimmen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.