Protokoll der Sitzung vom 08.11.2018

Zu dieser konsequenten Haltung gehört eben Zweierlei: Bekämpfung von Antisemitismus, aber vor allen Dingen auch - und darüber freue ich mich - positive Darstellung von jüdischem Leben und nicht immer nur im Zusammenhang mit den ganzen Defiziten, die wir in unserer gemeinsamen Vergangenheit hatten.

Beides gehört zusammen. Ich freue mich über den heutigen Tag, und ich freue mich, dass Sie hier sind. - Vielen Dank.

(Eka von Kalben)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Christopher Vogt.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Antisemitismus hat keinen Platz in unserer Gesellschaft. - Ich denke, das muss die Botschaft des heutigen Tages und der Debatte sein. In diesen Tagen wird uns wieder sehr bewusst, wohin Menschenfeindlichkeit im Allgemeinen und Hass gegenüber Juden im Besonderen führen kann. 80 Jahre ist morgen das Reichsprogrom vom 9. November 1938 her. Daran zu erinnern, ist aus unserer Sicht ungeheuer wichtig. Wir gedenken der Opfer.

Wir erinnern uns auch an die Täter. Der Kollege Loose hat das eindrucksvoll mit Blick auf die Ereignisse damals in Kiel gemacht. Wir sollten auch immer daran denken, wohin die Gleichgültigkeit vieler Menschen damals führte, und was Gleichgültigkeit heute noch als Problem bedeutet. Das sollten wir uns auch vor Augen führen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich ärgere mich sehr darüber, wenn gelegentlich so getan wird, als wäre Antisemitismus in Deutschland kein großes Problem mehr. Die Daten, die dazu vorliegen, sprechen eine ganz andere Sprache. Eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hat ergeben: In Schleswig-Holstein gab es seit dem Jahr 2010 fast 300 antisemitische Straftaten. Einige davon waren gewalttätige Übergriffe.

Wer genau hinsieht, erkennt das Problem auch abseits der Statistiken. Dass zum Beispiel seit vielen Jahren vor der Lübecker Synagoge Polizisten stehen müssen, um diese Einrichtung zu schützen - das wurde bereits angesprochen -, ist doch eine Schande für unsere Gesellschaft.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Dr. Frank Brodehl [AfD])

Auch daran, finde ich, darf man sich nicht einfach gewöhnen. Nationalistische, ausgrenzende Tendenzen machen sich leider überall wieder verstärkt breit, in Deutschland, im europäischen Ausland und auch darüber hinaus. Die liberale Gesellschaft ist leider ernsthaft in Gefahr, und deshalb muss man

etwas tun, wenn man sie bewahren möchte, insbesondere dann, wenn sich Menschen in Deutschland nicht mehr trauen, sich offen zu ihrem Glauben zu bekennen. Wenn man zum Beispiel Angst haben muss, mit der Kippa vor die Tür zu gehen, dann läuft hier in diesem Land etwas ganz gewaltig falsch, meine Damen und Herren. Wenn zum Beispiel auf Demonstrationen auf unseren Straßen offen antisemitische Parolen verbreitet werden, müssen wir uns dagegen wehren. Dann muss auch die Polizei konsequent dagegen einschreiten. Auch hier gab es Versäumnisse in der Vergangenheit, auch darauf müssen wir hinweisen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Dr. Frank Brodehl [AfD])

Antisemitismus in unserer Gesellschaft kommt aus verschiedenen Richtungen, sogar teilweise vom linken Rand, vor allem vom rechten Rand - auch darauf hat die Ministerin hingewiesen - und auch von fundamentalen Christen und Muslimen, aber teilweise auch aus der Mitte unserer Gesellschaft. Dies passiert immer wieder, das müssen wir leider feststellen. Deshalb ist aus unserer Sicht die Prävention so wichtig. Je früher man damit beginnt, umso besser ist es.

Wir müssen in den Schulen für Aufklärung und Austausch sorgen und die Kinder zu Toleranz ermuntern. Schülerinnen und Schüler, die wissen, was das Judentum ist, die mit israelischen Austauschschülern ein paar Wochen lang zur Schule gehen, sammeln wertvolles Wissen und wichtige Erfahrungen. Bildung stärkt die Toleranz. Leider ist das Wissen um das Judentum unter deutschen Schülerinnen und Schülern oft nicht so umfassend, wie man sich das wünscht. Eine aktuelle Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen hat gezeigt: Nur ein Drittel der Grundschüler weiß, was das Wort „Jude“ überhaupt bedeutet. Auf den Schulhöfen gilt es teilweise - das wurde schon gesagt - wieder als Schimpfwort. Das ist wirklich unfassbar. Ich finde, wir sollten schon bei den Jüngsten ansetzen, weil sich Vorurteile besonders leicht in der frühen Kindheit einprägen.

Das Judentum ist zum Glück selbstverständlicher Teil Deutschlands. Es ist schön, zu sehen, dass das jüdische Leben in Deutschland nach den schrecklichen Verbrechen der Vergangenheit vielerorts wieder aufgeblüht ist. Diese erfreuliche Entwicklung sollten wir mit der Zustimmung zum Vertrag über die Förderung des jüdischen Lebens unterstützen. Wir geben den jüdischen Gemeinden künftig mehr Geld an die Hand, mit dem sie ihre Infrastruktur er

(Eka von Kalben)

halten und ausbauen können. Dabei geht es aus meiner Sicht auch um überfällige Gleichbehandlungen. Damit das jüdische Leben in Deutschland florieren kann, damit Antisemitismus hier keine Chance hat, müssen wir alle einen Beitrag leisten. Wir sollten vor allem Vorbilder für unsere Kinder sein und ihnen jeden Tag zeigen, wie ein offenes und faires Miteinander aussehen kann. Ich freue mich, dass ich in rund drei Wochen an der Reise nach Israel teilnehmen kann. Ich werde zum ersten Mal nach Israel reisen; und ich freue mich sehr auf diese Reise, auf den Austausch, den wir weiterhin verstärken sollten. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl für die AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste auf der Tribüne! Es ist für unsere Fraktion das erste Mal, dass in diesem Haus über die Themen "Antisemitismus und jüdisches Leben" gesprochen wird. Ich möchte dies und den morgigen 9. November zum Anlass nehmen, zunächst etwas Grundsätzliches voranzustellen, was mir und unserer Fraktion sehr wichtig ist: Die AfDFraktion verurteilt ohne jedes Wenn und Aber jedwede Form der Verharmlosung oder der Relativierung der Shoa. Die industriell betriebene Vernichtung von deutschen und europäischen Juden durch NS-Deutschland steht in der Menschheitsgeschichte einzigartig da. Die unvorstellbar große Zahl der Opfer ist das eine; das dahinterstehende Leid eines jeden Einzelnen ist das andere.

Aus den bitteren Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit erwächst uns auch heute noch eine Verantwortung - eine Verantwortung, die aus unserer Sicht ein eindeutiges und frühzeitiges Einschreiten gegen Diskriminierung oder Herabwürdigung jüdischen Lebens in allen seinen Erscheinungsformen nach sich ziehen muss: gegen „Judenfeindschaft“, gegen „Antizionismus“, gegen „Antijudaismus“, gegen „Antisemitismus“, gegen „BDS-Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, oder positiv formuliert: eine Verantwortung für das Wiedergedeihen jüdischen Lebens bei uns in Schleswig-Holstein.

Dass es bei uns im Land wieder jüdisches Leben gibt, ist für unser Land ein großer Glücksfall.

(Beifall AfD)

Bevor ich zum Staatsvertrag komme, zunächst zum Antrag „Antisemitismus muss überall in der Gesellschaft vorgebeugt werden“: Antisemitismus muss und soll überall vorgebeugt werden. Dies schließt Schule und Unterricht mit ein, denn diese sind ein Teil unserer Gesellschaft. Es ist beantragt, in einen Dialog mit den jüdischen Landesverbänden zu treten, um gemeinsam über Maßnahmen zu beraten, wie dem Antisemitismus besser als bislang vorgebeugt werden kann.

Unter den genannten Maßnahmen ist mir der deutsch-israelitische Jugendaustausch besonders wichtig. Dieser sollte wieder intensiviert werden, denn die Freundschaft zwischen Israel und Deutschland darf nicht einschlafen, Freundschaft muss gepflegt werden. Oder, um es mit den Worten Martin Bubers etwas philosophischer auszudrücken - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -:

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“

Der Austausch zwischen dem Land und den jüdischen Landesverbänden ist überfällig; und dies gilt auch für den Vertrag über die Förderung jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein. Andere Bundesländer sind hier früher aktiv geworden. Zweifelsfrei besitzt unser Land ein reiches kulturelles jüdisches Erbe. Es ist gut, sich daran zu erinnern. Es ist aber ebenso wichtig, daran zu erinnern, dass es wieder eine jüdische Gegenwart gibt - mit seinen positiven Seiten, leider aber auch mit seinen kaum zu ertragenen Schattenseiten, die heute auch schon angeklungen sind. Polizeischutz und die Sicherung von Synagogenbesuchen durch Zäune, haben auch in Schleswig-Holstein Einzug gehalten. Sicherheit ist wichtig, aber dies darf nicht Teil jüdischen Lebens werden - an so etwas wollen und sollen wir uns nicht gewöhnen, und zwar vollkommen unabhängig davon, von wem hier Gewalt, Gewaltandrohungen oder Diskriminierungen ausgehen.

(Beifall AfD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit dem Reich Karls des Großen waren Juden immer ein Teil Deutschlands. Das Zusammenleben war keineswegs immer schwierig gewesen. Überwogen haben aber Ausgrenzung und Verfolgung. Theodor Hertzl resignierte darüber und zog seine Konsequenzen. Andere betonten umso mehr den Willen zur Assimilation und versicherten den Deutschen immer wieder, sie seien nicht anders als sie, allein um nicht als fremd zu gelten.

(Christopher Vogt)

Für den Dichter und Shoa-Überlebenden H. G. Adler gab es nicht nur dieses Entweder-oder. Adler erinnerte an die vielbeschriebene deutsch-jüdische Symbiose und äußert mit Blick auf den Religionsphilosophen Martin Buber - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -:

„Hier erblicken wir, so dürfen wir sagen, die edelste Frucht deutsch-jüdischer Symbiose, ein Judentum, das sich nicht verleugnet, weder haltlos noch unwürdig preisgibt, sondern im eigenen Grunde geborgen und doch weltoffen ist, dem Deutschtum zugetan, von seinem Geiste getränkt, und beides einer höheren Gemeinschaft unterzuordnen trachtet: der Menschheit.“

Diese Zeilen, meine Damen und Herren, von H. G. Adler in den 50er-Jahren verfasst, sind heute aktueller denn je. Jüdisches Leben in Deutschland soll sichtbar sein. Es darf sich nicht fremd im eigenen Land fühlen. Der Vertrag wird hierbei seine positive Wirkung entfalten - und dies geht weit über die formalen Einzelheiten hinaus. Er geht weit über die einzelnen Regelungen oder die finanziellen Landesleistungen hinaus.

Lassen Sie mich mit einer Begebenheit schließen, die mir persönlich die besondere Verbindung zwischen Deutschen und Juden schon sehr früh bewusst gemacht hat: Eine Tante von mir, Jahrgang 1920, besuchte in den 1980er-Jahren Israel. Während eines Besuches in einem Thermalbad trafen sich ihre Blicke mit denen einer etwa gleichaltrigen Frau, die dort ebenfalls im Wasser saß. Nach einigen Minuten hob diese ihren Unterarm, auf dem eine eintätowierte Häftlingsnummer sichtbar wurde. Beide Frauen nahmen sich daraufhin wortlos in die Arme und weinten. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben, auch aufgrund der Geschichte, in Deutschland eine Verantwortung gegenüber der jüdischen Gemeinschaft. Ich glaube, das ist völlig klar; das haben auch schon meine Vorredner gesagt. Trotzdem ist es immer wieder wichtig, darauf hinzuweisen: Es geht hierbei nicht darum, dass man

Geschichte einfach vergisst, sondern es ist wichtig, aus der Geschichte zu lernen. Meine Damen und Herren, das, was den Juden vor knapp 80 Jahren angetan wurde, ist etwas, das uns immer wieder mahnen muss, auch im Umgang mit anderen Glaubensgemeinschaften, im Umgang mit anderen Menschen, damit man hierauf immer wieder zurückkommt und weiß, dass ein Mensch ein Mensch ist.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP)

Aber nicht nur die Geschichte mahnt uns, sondern, ich finde, die Grundlage für diesen Vertrag, wenn wir ihn denn in der nächsten Zeit beschließen werden, ist auch unser Wille zur Toleranz, zur Vielfalt, zu Menschenrechten und zum gegenseitigen Aufeinanderzukommen. Das bezieht sich nach meiner Auffassung nicht nur auf die jüdischen Gemeinschaften, sondern es ist ein ganz starkes Signal, das wir als Menschen aussenden, wenn wir jetzt einen solchen Vertrag mit den jüdischen Gemeinschaften in Deutschland schließen.

Wir setzen heute in der Tat ein starkes Signal nach außen, nicht nur mit diesem Antrag, natürlich auch mit diesem, aber solche Anträge kann man sehr häufig stellen, und diese haben wir schon häufig gestellt, sondern hierbei geht es auch darum, dass wir ein sehr starkes Signal senden: gegen Antisemitismus, für Vielfalt und für ein weltoffenes Schleswig-Holstein. Das ist das Eigentliche, was dahintersteht.

Meine Damen und Herren, durch den Vertrag mit den jüdischen Gemeinschaften wird deutlich gemacht, dass jüdisches Leben in Schleswig-Holstein - zum Glück - zu Hause ist und dass wir alles tun wollen, um auch in Zukunft jüdisches Leben in Schleswig-Holstein zu haben. Das ist uns allen ein persönliches, aber auch ein parteipolitisches Anliegen.

Vor dem Hintergrund unserer Geschichte, aber auch vor dem Hintergrund, dass Juden in vielen anderen Ländern Anfeindungen ausgesetzt sind, ist es ein wichtiges Zeichen, das wir hier als Landtag setzen. Es freut mich besonders, dass wir mit einer Delegation des Landtags am Monatsende genau diese Botschaft mit nach Israel tragen können.

Der SSW hat sogenannte Staatskirchenverträge immer kritisch gesehen. Zum einen erwarten wir, dass die betroffenen Religionsgemeinschaften sich in unser Rechtssystem einordnen und als Körperschaft öffentlichen Rechts staatliche Aufgaben übernehmen. Genau das tut der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein, und ge

(Dr. Frank Brodehl)

nau das tut die jüdische Gemeinschaft SchleswigHolstein. Beide legen damit auch ein Bekenntnis zu unserem Staat ab. Sie übernehmen Aufgaben für uns, die wir dann nicht mehr selber erledigen müssen, indem sie zum Beispiel Religionsunterricht organisieren, Kulturarbeit betreiben und auch Seelsorge anbieten.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, FDP und Dr. Frank Brodehl [AfD])

Wichtig ist aber auch ein anderes Zeichen, nämlich dass man sich vonseiten der jüdischen Gemeinschaft dadurch, dass man Körperschaften des öffentlichen Rechts gegründet hat, dauerhaft am gesellschaftlichen Leben beteiligt, sich rechtstreu verhält und den verfassungsrechtlichen Grundprinzipien verpflichtet fühlt. Das ist nämlich das Wesen einer solchen Körperschaft. Das finde ich, ist auch ein starkes Bekenntnis. Dieses Bekenntnis der jüdischen Organisationen ist ein wichtiges Bekenntnis und eine wichtige Grundlage für den Vertrag, den wir heute beraten.

Wer den Vertrag durchliest, wird viele Dinge wiederfinden, die es auch in den Staatskirchenverträgen mit den christlichen Kirchen gibt. Einen Punkt sehen wir dabei allerdings kritisch, und auch das muss hier gesagt werden. Dass Glaubensgemeinschaften für Verwaltungsleistungen eine Gebührenbefreiung bekommen, ist nach unserer Auffassung aus der Zeit gefallen. Schließlich bekommen andere gemeinnützige Organisationen auch keine Gebührenbefreiung. Noch nicht einmal die Jüdischen Gemeinden haben eine bekommen, als es diesen Vertrag noch nicht gab. Dass die jüdischen Organisationen hier mit den großen Kirchen gleichgestellt werden wollen, ist aber natürlich auch zu verstehen. Solange eine politische Mehrheit für diese Gebührenbefreiungen besteht, solange müssen natürlich alle Religionsgemeinschaften gleichgestellt werden. Insofern ist diese Passage auch in Ordnung.