Protokoll der Sitzung vom 23.01.2019

Der Sozialatlas wird - je nach Bedarf der Schulen gestuft sein. Wir wollen die Schulen mit dem höchsten Bedarf als Erstes fördern; denn diese Schulen müssen spürbar entlastet werden. Es hilft nicht, wenn jede Schule eine halbe Lehrerstelle oder vielleicht sogar weniger bekommt. Wir wollen uns auf die Schulen konzentrieren, die die größte Belastung haben. Diese wollen wir spürbar entlasten. Dabei wird es schwierige Entscheidungen geben; denn es wird immer Grenzfälle geben, das heißt, Schulen, die es auch brauchen könnten, die man gerade noch hineinnehmen könnte. Aber wir stehen dazu, dass wir uns diesbezüglich entscheiden müssen, damit wir eine spürbare Entlastung schaffen. Wir wollen nicht das Gießkannenprinzip anwenden.

Ich bin gespannt auf die Ergebnisse des Sozialatlas. Wenn klar ist, welche Schulen Mittel bekommen, dann werden sich die Schulen bewerben und ein Konzept vorlegen. Das ist im Bericht vielleicht etwas missverständlich ausgeführt; denn einige haben es so verstanden, dass es quasi ein Casting gibt, dass sich viele Schulen bewerben können und die Schulen mit den besten Konzepten genommen werden. So ist das nicht gedacht. Die Schulen, die ausgewählt werden und ein Anrecht darauf haben, einen Bildungsbonus zu bekommen, die sich bewerben und sagen, ja, wir wollen das machen, erarbeiten ein Konzept. Dabei erhalten sie auch Unterstützung vom Bildungsministerium. Es ist nicht so, dass sie hinauskatapultiert werden, wenn das Konzept nicht gut ist, sondern dann erhalten sie Unterstützung bei der Weiterentwicklung des Konzepts. Das ist auch richtig.

Ich finde es auch richtig, dass die „Schulen am Wind“ es noch einmal hinterfragen. Sie sagen ja immer, wir brauchen Systemzeit. Das heißt, sie stehen im Moment auf dem Standpunkt, dass es richtig ist, alle Mittel in Lehrerstunden zu investieren, also in Reduzierung der Arbeitszeit und Verkleinerung der Klassen. Das kann man machen. Das kann auch das Ergebnis sein, das die „Schulen am Wind“ letztendlich für sich für richtig halten.

Ich halte es aber für wichtig, dass sie noch einmal einen Schritt zur Seite machen, sich Expertinnen und Experten von außen holen und dann entscheiden, ob sie nicht vielleicht doch Verwaltungskräfte zur Unterstützung brauchen, die die Anträge zum Bildungs- und Teilhabepaket mit den Schülerinnen und Schülern und den Eltern ausfüllen, während sie weiter den Unterricht machen, oder aber ob sie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen oder andere dazunehmen. Ich finde es richtig, dass wir diesen Zwischenschritt machen. Bei der Verwendung der Mittel haben die Schulen eine große Freiheit, und das ist richtig so; denn jede Schule ist anders.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Die Schulen können Erzieherinnen und Erzieher oder Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen einstellen. Sie können Tanzprojekte, Sportprojekte, Kunstprojekte oder Ganztag machen. Sie können mit den Verbänden und Vereinen zusammenarbeiten. Das ist die Chance. Die Chance ist auch, dass sich eine Schule noch stärker als Gesamtheit empfindet und im Team gearbeitet wird. Dann unterstützen sich die Lehrkräfte gegenseitig, und man fühlt sich auch mit dem Stadtteil verbunden. Das ist ein guter Nebeneffekt des Bildungsbonus.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Auf der Fachtagung des Bildungsministeriums zum Thema Bildungsbonus wurden zwei Dinge klar, nämlich einmal, wie wichtig Schulleitung ist. Die Bildungsministerin hat es gesagt: Es wird auch da ein Netzwerk von Schulleitungen geben. Es wird Fortbildungen geben, Begleitung von Schulleitungen; denn es ist nicht einfach, eine Schule in herausfordernder Lage zu führen und einen Veränderungsprozess in Gang zu bringen. Deshalb ist es richtig, dass wir auch die Schulleitungen unterstützen.

Als Zweites wurde gesagt, dass es ganz wichtig ist, nicht mit einem Defizitblick auf die Schülerinnen und Schüler zu gucken. Schulen sind dann erfolgreich, wenn sie ihren Schülerinnen und Schülern

(Ines Strehlau)

zutrauen, ihre Ziele zu erreichen. Dafür braucht es multiprofessionelle Teams mit genügend Personal; denn sie sind die Basis für gute Arbeit an den Schulen.

Frau Abgeordnete, bitte!

Ja, letzter Satz: Der Bildungsbonus ist ein wichtiger Baustein für mehr Bildungsgerechtigkeit. Wir wollen, dass alle Schülerinnen bestmögliche Unterstützung und die Chance auf erfolgreiche Bildung haben, egal welche Voraussetzungen sie von zu Hause mitbringen. Mit dem Bildungsbonus geben wir diesen Schulen Rückenwind. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Tobias Loose.

(Zurufe SPD)

- Es gibt immer einen Antragsteller. Dann gehen wir nach der Größe der Fraktion vor.

(Martin Habersaat [SPD]: Nicht, wenn die Antragsteller sich untereinander auf eine an- dere Reihenfolge einigen!)

- Ja, gut. Dann hat jetzt das Wort der Abgeordnete Martin Habersaat für die SPD-Fraktion.

Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine Damen und Herren! Weil lobende Worte vielleicht das Herz öffnen, um den einen oder anderen konstruktiven Hinweis mitzunehmen, will ich mit lobenden Worten anfangen:

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Sozialindex oder Bildungsbonus hat 2017 erstmals den Weg in die Landtagswahlprogramme vieler verschiedener Parteien hier im Haus gefunden und wird jetzt umgesetzt. Da mit der Umsetzung immer die Regierung befasst ist, ist das ein Verdienst von Jamaika.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Vorgeschichte solcher Indizes ist lang. Ich glaube, Hamburg hat in den 90er-Jahren mit dem KESS-Index angefangen. Der Beginn in der Rütli

Schule in Berlin liegt jetzt ungefähr dreizehn Jahre zurück. Frau Ministerin, ich bedanke mich auch bei Ihnen dafür, dass Sie gesagt haben: Wir starten nicht bei null, denn es gab schon verschiedene Einzelmaßnahmen, die diesen Umständen Rechnung getragen haben.

Es werden jetzt zusätzliche Mittel für die Bildung bewegt. Das kann ich immer begrüßen. In der Frage, was eine gute Schule ist, orientiert sich Jamaika an den Erarbeitungen der Küstenkoalition. Das kann ich natürlich auch begrüßen.

(Beifall Beate Raudies [SPD] und Jette Wald- inger-Thiering [SSW])

Jetzt kommt aber der Teil, den ich Ihnen leider nicht ersparen kann. Ich schaue mir den Beschluss aus dem Jahr 2017 an, als wir uns hier im Landtag auf den Weg gemacht haben. Da stand erstens: Die Landesregierung soll ein Konzept zur Unterstützung von Schulen in Sozialräumen mit besonderen Herausforderungen entwickeln. Zweitens. Die Unterstützung der Schulen soll auch über die Personalausstattung hinausgehende Bedarfe berücksichtigen. Drittens. Das Konzept soll im dritten Quartal 2018 vorgelegt werden.

Alle drei Hürden wurden gerissen. Das bedauert niemand mehr als ich. Eine Hürde davon ist am wenigsten schlimm, nämlich die des Termins. Der Bericht kam ein bisschen zu spät; geschenkt. Das ist allerdings auch noch kein Konzept, sondern ein Vorbericht, der andeutet, wie das Konzept sein könnte. Wie viele Schulen konkret auf welcher Basis gefördert werden, ist leider noch offen, aber das werden wir in Kürze diskutieren.

Zwischendurch sah es schlimmer aus: Im März 2018 hat die Ministerin ein Interview gegeben, aus dem hervorging, dass der Bildungsbonus nicht etwa in Gemeinschaftsschulen in städtischen Problemvierteln gelenkt werden soll, sondern in Grundschulen im ländlichen Raum. Der Kelch ging glücklicherweise an uns vorüber.

Der zweite Punkt war die Unterstützung über die Personalbedarfe hinaus. Dies möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen: Mein Lieblingsheiliger ist seit jeher Sankt Martin. Jetzt stellen wir uns einmal vor, Sankt Martin hätte seinen halben Mantel abgegeben und den frierenden Mann gefragt: Welche Bedürfnisse hast du denn noch über den Mantel hinaus? Ich hätte es so verstanden, dass der Frierende den Mantel behalten darf und vielleicht noch etwas zu essen oder zu trinken bekommt oder eine Münze. Ihre Definition von über den personellen Bedarf hinaus ist: Sie nehmen den Mantel wieder weg, le

(Ines Strehlau)

gen ihn in eine Reihe mit etwas zu essen, etwas zu trinken und einer Münze und sagen: Es gibt nicht nur den Mantel, es gibt viele schöne Dinge, such dir etwas aus. Es geht nicht mehr darum, zuerst personelle Bedarfe zu befriedigen und dann darüber hinaus zu helfen.

Wir müssen uns einmal klarmachen, dass in Hamburg für einzelne Schulen zum Teil zweistellige Personalzahlen bewegt werden. Es kann sein, dass dort eine Schule zehn Stellen extra bekommt durch den Sozialindex. Das ist mit Ihrem Konzept auch möglich, das will ich gar nicht bestreiten, wenn Sie auf sehr wenige Schulen fokussieren. Das würde ich unterstützen, denn der Effekt muss am Ende spürbar sein. Es wird uns am Ende nicht helfen, wenn an 150 Schulen in Schleswig-Holstein Leseecken eröffnet werden und gesagt wird: Das fördert Schulen mit besonderen Bedarfen.

Ich habe mich gefreut, dass die multiprofessionellen Teams weiterhin im Mittelpunkt bildungspolitischer Anstrengungen im Land Schleswig-Holstein stehen, und ich habe mich auch darüber gefreut, dass die Schulassistenz explizit genannt wurde, weil Sie, so meine ich, in Ihrem Koalitionsvertrag andeuten, dass diese abgeschafft werden könnte. Wenn Sie darüber aber hinaus sind, dann freut mich das sehr.

Der dritte Punkt ist die Unterstützung von Schulen in Sozialräumen mit besonderen Herausforderungen. Das ist aus meiner Sicht der kritischste Bereich, denn der Konsens in diesem Hause war: Es gibt Schulen, die haben ein besonders schwieriges Umfeld, und diesen Schulen wollen wir helfen. Die Grundlage für die Hilfe ist der Sozialatlas, mit dem man quasi quantifiziert, welche Schulen in einem besonders schwierigen Umfeld liegen. Soweit d‘accord.

Aber jetzt kommt dieser Bericht, und da steht drin: Der Sozialatlas ist nur die erste Stufe. In einer zweiten Stufe treten die Schulen, die es nötig haben, in einen Wettbewerb. Sie müssen Konzepte erarbeiten und bewerben sich dann um die Hilfe.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Wenn das klargestellt wird, dann freue ich mich. Dann hat parlamentarisches Arbeiten zwischen der Vorlage des Berichts und dem heutigen Tag schon etwas bewirkt. Das ist umso besser für uns alle hier im Landtag, meine Damen und Herren.

Der zweite kritische Punkt ist, dass in diesem Bericht nicht mehr - zumindest nicht mehr ausschließ

lich - die Lage in einem schwierigen Stadtteil als Ausgangsposition genommen wird, sondern die Arbeit an der Schule. Das ist ein Perspektivwechsel, mit dem Sie Ihre Perspektivschulen beschreiben. Sie sagen: Es gibt Schulen, die arbeiten schlecht, die haben es nötig, und da wollen wir einmal helfen. Da ist in Ihrem Bericht von schulinterner Prozessqualität, die verbessert werden muss, die Rede, von zu wenig Abstimmung zwischen den Lehrkräften, von fehlender Vertrautheit mit diagnostischen Verfahren und von Unklarheit im Handeln. Also: Freundliche Grüße an die „Schulen am Wind“; ihr könnt es nicht, aber wir helfen euch, damit ihr es vielleicht bald besser macht! - Das ist nicht der Geist, in dem wir diesen Bildungsbonus hier auf den Weg gebracht haben. Zumindest wir haben Ihrem Antrag nicht in diesem Geist zugestimmt.

(Beifall SPD)

Aber die Beratungen sind noch jung. Wir sind auf dem Weg. Ich fasse noch einmal zusammen, was sich die SPD wünscht: Wir wollen anerkennen, dass es Schulen in Schleswig-Holstein gibt, die unter schwierigen Bedingungen hervorragende Arbeit leisten. Wir wollen, dass Schulen in schwieriger Lage besonders unterstützt werden. Wir wollen, dass das mit Ressourcen geschieht, die auf Grundlage eines Sozialatlas verteilt werden und die in ihrer Höhe spürbar für die einzelne Schule sind, auch wenn das bedeutet, dass weniger Schulen gefördert werden. Wir wollen nicht Schulen und Lehrkräfte mit besonderen Herausforderungen beschimpfen, auch nicht in solchen Berichten. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und SSW)

Erlauben Sie mir diese geschäftsführende Bemerkung: Es wäre hilfreich, wenn es uns mitgeteilt wird, dass es in Bezug auf die Worterteilung des Antragstellers eine Änderung gibt. Ansonsten gilt § 52 unserer Geschäftsordnung. Danach wird das Wort nicht so, wie es jetzt logischerweise und verständlicherweise erteilt wurde, erteilt.

Das Wort hat nun für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Tobias Loose.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das gibt mir die Gelegenheit, hier und da auf Herrn Habersaat einzugehen. Deshalb bin

(Martin Habersaat)

ich ganz dankbar dafür, dass ich jetzt an dieser Stelle sprechen darf.

Zunächst aber: Ich glaube, der Bildungsbonus ist eine längst überfällige Maßnahme zur Unterstützung von Schulen in sozialen Brennpunkten. Die Jamaika-Koalition stellt bis 2022 30 Millionen € für dieses Programm zur Verfügung. Das ist eine riesengroße Summe für so ein Thema, und es macht deutlich, dass wir es ernst meinen damit, dass Schulen, die in sozialen Brennpunkten liegen, besondere Herausforderungen haben und unterstützt werden. Für uns als Koalition ist das ein sehr wichtiges Projekt.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt FDP)