(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW, vereinzelt CDU und Beifall Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])
Diese Grundsätze haben wir im Sozialausschuss am 10. Januar 2019 gemeinsam als Konsequenz aus dem Symposium vom 28. und 29. November 2018 beschlossen. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen von CDU, Grünen, FDP und SSW außerordentlich dankbar dafür, dass es uns gelungen ist, diesen gemeinsamen Beschluss als gemeinsames Versprechen auf den Weg zu bringen. Ein ganz besonderer Dank gilt dem Vorsitzenden des Sozialausschusses, Werner Kalinka, der den vorliegenden Beschluss des Sozialausschusses gut vorbereitet und mit seiner offen-konstruktiven Art zu einem gemeinsamen Ergebnis geführt hat.
Die Verletzung und Missachtung von Menschrechten, die Misshandlung von Kindern und Jugendlichen, die in der Obhut des Staates eigentlich Schutz finden sollten, darf nie wieder geschehen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich am Anfang meiner Rede eines feststellen: Das, was in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Schleswig passiert ist, macht uns alle fassungslos. Angesichts der Berichte, die wir auf dem Symposium gehört haben, ist es, glaube ich, für uns alle nicht leicht, die richtigen Worte und den richtigen Tonfall zu finden; denn eines ist auch ganz klar: Den Kindern und Jugendlichen können wir ein unbeschwertes Heranwachsen und Leben nicht zurückgeben.
Kinder und Jugendliche, die sich in der Obhut des Landes befanden, sind geschlagen, gequält und misshandelt worden, und das über einen langen Zeitraum ihrer Kindheit und ihres Heranwachsens. Ich kann mich nur dem anschließen, was die Kollegen Vorredner gerade gesagt haben: Mein ganz besonderer Dank - bei aller Härte, in der wir uns sonst manchmal auseinandersetzen - gilt den Kolleginnen und Kollegen des Sozialausschusses, insbesondere
dem Kollegen Werner Kalinka, aber auch dir, lieber Wolfgang Baasch. Ich finde es gut und richtig, dass wir hier zu einem gemeinsamen Antrag gekommen sind. Vielen, vielen Dank dafür.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Sachen sind schon gesagt worden. Ich glaube, drei Aspekte sollten wir in dieser Debatte noch einmal aufgreifen. Das eine ist die Anerkennung. Es ist richtig und wichtig: Bei dem Versuch - es kann immer nur ein Versuch sein -, etwas Schlimmes zu verarbeiten, ist die Anerkennung dessen, was passiert ist, richtig und wichtig gewesen. Das gilt auch für den Ort, den die Betroffenen sich gewünscht haben. Hier, wo wir sonst sitzen und über Gesetze reden und verhandeln, wollten sie mit uns ins Gespräch kommen; denn genau hier ist die Verantwortung des Landes symbolisch zum Tragen gekommen. Das war richtig und wichtig.
Deswegen bedanke ich mich ganz ausdrücklich auch bei unserem Sozialminister Heiner Garg. Lieber Heiner, ich fand es richtig, dass du so mutig warst und gesagt hast: Ja, wir machen das hier. Wir haben ja darüber gesprochen, was auch hätte passieren können. Es ist ja am zweiten Tag des Symposiums allen klar geworden, wie belastend und wie schwierig es für die Betroffenen war. Ich sage es an dieser Stelle gerne noch einmal: Ich finde es unglaublich beeindruckend, wie mutig sie hier gesprochen haben und sich zu berichten getraut haben.
Ich hoffe, dass wir es alle miteinander schaffen, dass sich noch mehr Betroffene an die Beratungsstellen wenden und die Unterstützung, die wir ihnen zukommen lassen können, in Anspruch nehmen.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP, SSW, vereinzelt AfD und Beifall Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [frakti- onslos])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein zweiter Aspekt ist die Aufarbeitung. Der NDR hat schon vor Jahren berichtet, dass es dort Probleme gibt, und recherchiert. Die Auseinandersetzung darüber, wie wir damit umgehen, begleitet uns schon eine Zeit lang. Wir haben von grüner Seite immer gesagt: Es muss lückenlos aufgeklärt werden. Wir müssen gucken, was noch in den Akten und Unterlagen verborgen ist, denn das, was dort über Medikamentenversuche beschrieben ist, kann ich überhaupt nicht in Worte fassen. Ich kann nicht fassen, wie es mög
lich ist, dass das passiert ist. Deswegen möchte ich einen Aspekt noch nennen: Zu einer lückenlosen Aufklärung gehört für mich einmal die Verantwortung des Landes, aber auch die Rolle der Pharmaindustrie. Ich appelliere noch einmal an die Pharmaindustrie, sich freiwillig an der Aufarbeitung zu beteiligen. Ich finde, das wäre richtig und angemessen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der dritte Aspekt ist der der Unterstützung, die gegeben werden kann. Lieber Kollege Kalinka, wir sind ja im offiziellen Teil, lieber Werner, das hast du gerade eben richtig gesagt. Das, was wir tun können, wollen wir vonseiten des Landes gern versuchen, zu tun, denn die sozialen Folgen und Auswirkungen für die Betroffenen werden diese ihr Leben lang begleiten. Deshalb ist es richtig: Wir können ihnen ihre Kindheit und Jugend nicht zurückgeben, aber wir können überall dort, wo es möglich ist, Unterstützung anbieten. Wir alle hier im Parlament, die Kontakte in den Kommunen und zu Einrichtungen haben, können uns dafür einsetzen, dass darüber gesprochen wird und dass die Beratung denjenigen auch zugutekommt.
Am wichtigsten ist vor allem eins, gerade am Ende dieser ganzen Debatte: Die Menschenrechte der Kinder und Jugendlichen sind damals nicht verteidigt worden. Es ist unsere Aufgabe, immer dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche, die in der Obhut des Staates sind, ihre Menschenrechte bekommen, und wir uns dafür einzusetzen und dafür zu kämpfen. - Vielen Dank.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn- Wittgenstein [fraktionslos])
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das zweitätige Symposium „Die Vergangenheit im Kopf - die Zukunft in der Hand“ Ende November des letzten Jahres hat für die Öffentlichkeit Schleswig-Holsteins unfassbares erfahrenes Leid offengelegt. Mindestens in dem Zeitraum von 1949 bis 1975 wurden von einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in sozialen Einrichtun
gen schwerste Verfehlungen bis hin zu Straftaten gegenüber den Schutzbefohlenen begangen. Das, was die Betroffenen hier im Plenarsaal aus ihrer Kindheit und Jugend berichtet haben, ließ einem den Atem stocken. Das, was an den beiden Tagen hier berichtet wurde, machte betroffen, und es machte wütend; es machte wütend auf das, was sie damals erleiden mussten. Es gehören enormer Mut und Courage dazu, das erfahrene Leid so detailliert und bildlich vorzutragen, dass man die Szenen vor dem geistigen Auge haben konnte.
Für mich, Jahrgang 1986, ist es eigentlich unvorstellbar gewesen, dass es noch 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hier in der Bundesrepublik und mitten in Schleswig-Holstein in Teilen ein derartiges Menschenbild vor allem gegenüber Kindern und Jugendlichen gegeben hat; ein Menschenbild, das mit Artikel 1 Grundgesetz wenig zu tun hat, ein Menschenbild, das mit Menschenrechten auch wenig zu tun hat.
Sie berichteten von unfreiwilliger Medikamentengabe, von körperlicher Gewalt, von Ausbeutung der Arbeitskraft bis hin zu Zwangsarbeit. Es wurde sogar von unterlassenen Hilfeleistungen mit Todesfolge berichtet. Diese Übergriffe wurden den Kleinsten und Schwächsten unserer Gesellschaft angetan. Dies geschah in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Der lange Zeitraum, die Schwere der Verfehlungen sowie deren Anzahl sprechen dafür, dass dies keine isolierten, auf lediglich einzelne Angestellte begründete Vorfälle waren. Diese Übergriffe hatten in Teilen leider System. Mehrere Akteure müssen beteiligt gewesen sein oder haben hier zumindest nicht richtig hingeschaut.
Das Land Schleswig-Holstein als Träger des damaligen Landeskrankenhauses Schleswig stellt sich der Verantwortung und betreibt proaktiv die Aufarbeitung und gesteht die damaligen Verfehlungen auch ein. Das Land geht hier glücklicherweise mittlerweile voran. Es ist leider davon auszugehen, dass ähnliche Verfehlungen auch in anderen Bundesländern stattfanden. Die Aufarbeitung in SchleswigHolstein wird somit auch indirekt Betroffenen anderswo helfen können.
Es klang eben schon bei Frau Bohn an: Auch die anderen damaligen Beteiligten wie die Träger der Wohlfahrtshilfe oder der Pharmakonzerne müssen sich hier deutlich stärker als bisher einbringen. Das ist nicht einfach nur eine Bitte. Das ist eine Aufforderung, und die Erfüllung dieser Aufforderung sollte meiner Meinung nach von den Akteuren als Pflicht verstanden werden.
Eine weitere Forderung des Sozialausschusses und dieser Drucksache ist, dass die Fristen für die Beantragung von Entschädigungsleistungen aus dem Budget der Stiftung Anerkennung und Hilfe deutlich verlängert werden und nicht alsbald enden. Bei der Interessensabwägung zwischen planbarer Antragsbearbeitung auf der einen Seite und längerfristigen Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Betroffenen auf der anderen Seite stellen wir uns natürlich ganz klar hinter die Betroffenen. Die Umsetzung dieser Forderung würde auch Opfern aus anderen Bundesländern zugutekommen. Wir als Parlament, und das wird sicherlich auch für die Landesregierung gelten, werden weiterhin und wiederkehrend den Stand der Aufarbeitung begleiten, zuarbeiten, aber auch Zwischenstände abfragen und einfordern. Sollte sich hieraus ergeben, dass für die wissenschaftliche Auswertung mehr Ressourcen benötigt werden, so werden wir natürlich auch dies positiv begleiten.
Das erfahrene Leid und die Aufarbeitung sind definitiv ein Thema, das absolut unangemessen für parteipolitische Schlagabtausche ist. Daher möchte ich mich hier ausdrücklich bei allen unterzeichnenden Fraktionen und Abgeordneten dieser Drucksache bedanken, vor allem für die konsensuale Beratung, die wir im Sozialausschuss hatten.
Schließen möchte ich noch mit einem Dank an all diejenigen, die am Symposium teilgenommen und es organisiert haben. Stellvertretend für die Organisation nenne ich hier sowohl Sozialminister Heiner Garg als auch den Vorsitzenden des Sozialausschusses Werner Kalinka. Insbesondere nenne ich aber die Vortragenden, und viele von ihnen sind auch hier: Herrn Kim, Herrn Kowalke, Herrn Wagle, Herrn Wulf, Frau Nicklas-Beck und Frau Kähler. Vielen Dank an Sie, dass Sie sich für sich, aber auch für diejenigen, die nicht mehr sprechen können, hier hingestellt haben und das erfahrene Leid ausgesprochen haben, sodass es auch in die Öffentlichkeit dringen konnte. Damit haben Sie den Deckmantel des Schweigens über die Missbräuche weggezogen, damit nie wieder weggeguckt werden kann. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt AfD und Beifall Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [frakti- onslos])
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Die Verletzungen und der Missbrauch, die Kinder in Heimen und Kliniken in der Zeit zwischen 1949 und 1975 erfahren haben, wiegen enorm schwer. Wie schwer, das haben diese beiden Tage des Symposiums hier im Hause ergeben. Umso wichtiger ist jetzt, dass die Betroffenen endlich sowohl die verdiente öffentliche Anerkennung als auch die individuelle Anerkennung des erfahrenen Leids und Unrechts durch Gespräche in der Anlauf- und Beratungsstelle erhalten.
Ebenso wichtig sind konkrete Unterstützungsleistungen in Form von Geld- und Rentenersatzleistungen. Diese wichtigen Aufgaben werden bereits durch die Stiftung Anerkennung und Hilfe wahrgenommen. Die wesentlichen Ziele der Stiftung Anerkennung und Hilfe sind jene Anerkennung des Leids und des Unrechts, das Menschen in der damaligen Zeit in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie erfahren haben, und die Unterstützung der Betroffenen bei der Bewältigung und Milderung der heute leider immer noch bestehenden Folgewirkungen.
Es soll sich hierbei nicht allein um eine Anerkennung handeln, sondern um einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen heute, aber auch um einen Beitrag, der zur Befriedung beitragen soll. Diese Befriedung soll erreicht werden, indem die Stiftung die Geschehnisse der betroffenen Einrichtungen veröffentlicht und somit auch in der Gesellschaft darauf aufmerksam macht. Genau darum geht es: Es muss öffentlich werden. Leid und Unrecht werden benannt und öffentlich anerkannt. Damit soll es die von den Betroffenen zu Recht angemahnte gesellschaftliche Beachtung finden, und Länder und Kirchen erkennen auf diese Weise die Missstände und Versäumnisse der Vergangenheit an und kommunizieren diese auch umfänglich.
Es ist gut und richtig, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag sich ebenfalls zu dieser gesellschaftlichen Verantwortung bekennt und sogar mehr leistet, als mit der Stiftung Anerkennung und Hilfe vorgesehen ist. Insofern unterstützen auch wir von der AfD-Fraktion die Beschlussempfehlung des Sozialausschusses hier voll und ganz.
Die Stiftung Anerkennung und Hilfe hat eine nur fünfjährige Laufzeit bis zum 31. Dezember 2021. Anträge können zunächst auch nur bis zum 31. Dezember 2019 gestellt werden. Dass die Antragsfristen für Geschädigte und Opfer verlängert werden sollen, findet auch unsere Zustimmung.
Unrecht in diesem Kontext kann es aber auch durchaus noch nach 1975 gegeben haben, sodass wir explizit den Punkt unterstützen, zu prüfen, ob es nach 1975 weitere Vorkommnisse in Heimen und Kliniken in diesem Zusammenhang gab. Es ist für uns wichtig, die Missstände der Vergangenheit vollständig aufzudecken und hieraus die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Zum Schluss möchte ich darauf eingehen, dass wir auch den Punkt unterstützen, in dem es darum geht, Wege zu finden, bei Alter, Krankheit, Pflege oder anderer Unterstützungsbedürftigkeit geeignete Hilfestellung zu leisten. Diese Ausweitung der Hilfestellung wird aber nur dann möglich sein, wenn wir zusätzliches Geld in die Hand nehmen.
Die Länder sind mit 35 % an der Stiftung beteiligt. Dies sind für alle Bundesländer zusammen 99,4 Millionen €. Der finanzielle Anteil SchleswigHolsteins daran beträgt bescheidene 2,1 Millionen €, und das verteilt auf fünf Jahre.
Lassen Sie uns auch künftig im Auge behalten - das bitte partei- und fraktionsübergreifend -, wie wir die finanzielle Hilfe und Unterstützung der Betroffenen verbessern können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das, was vielen Menschen in der Obhut von Einrichtungen hier in Schleswig-Holstein angetan wurde, ist für mich im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar. Sicher, wir alle kennen die Berichte aus Fürsorgeheimen wie etwa in Glückstadt, in denen Übergriffe und Gewalt, aber auch Zwangsarbeit trauriger Alltag waren. Spätestens seit dem Symposium, das hier im November 2018 stattfand, kann niemand mehr behaupten, nichts von den skrupellosen Medikamentenversuchen zu wissen.
Aber auch noch so erschütternde Berichte der Betroffenen können uns eben doch nur ansatzweise vermitteln, wie sie sich damals gefühlt haben. Man kann nur erahnen, wie wertlos man sich in solch einer Situation vorkommen muss, wie machtlos man sich in einer solchen Situation fühlt und wie lange einen das Erlebte verfolgt. Wir haben in unserem gemeinsamen Antrag formuliert: Der Staat muss Garant für die Menschenwürde sein. - Doch die Geschichte vieler ehemaliger Heimkinder macht schmerzhaft deutlich, wie sehr der Staat bei dieser Aufgabe versagt hat.