Protokoll der Sitzung vom 13.02.2019

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Brexit-Über- gangsgesetz - BrexitÜG)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 19/1205

Wie ich sehe, wird das Wort zur Begründung nicht gewünscht. - Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile der Ministerin für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Frau Dr. Sabine Sütterlin-Waack, das Wort.

(Jörg Nobis)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wie wir alle wissen, ist die Hängepartie beim Brexit noch lange nicht zu Ende. Der Ausgang der Verhandlungen ist nach wie vor ungewiss. Ob das Vereinigte Königreich die EU nach dem 29. März 2019 geordnet oder ungeordnet - also mit Austrittsabkommen oder ohne - verlassen wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer noch nicht klar. Wir müssen uns deshalb in SchleswigHolstein auf alle Szenarien gefasst machen. Klar ist jedoch: Aus Sicht der Landesregierung bleibt ein geregelter Austritt Großbritanniens der wünschenswerte Ausgang der Brexit-Verhandlungen. Für diesen Fall hat mein Haus den heute zur Beratung in erster Lesung anstehenden Entwurf eines BrexitÜbergangsgesetzes auf den Weg gebracht.

Mit dem Gesetz soll klargestellt werden, dass das Vereinigte Königreich im Landesrecht während der im Austrittsabkommen vorgesehenen Übergangsphase, also mindestens bis Ende 2020, weiterhin wie ein Mitgliedstaat der EU zu behandeln ist. Das heißt insbesondere auch, dass die Rechte der bei uns lebenden britischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger im Wesentlichen unverändert bleiben. Eine Ausnahme hiervon soll - so sieht es das Austrittsabkommen vor - lediglich für das aktive und passive Kommunalwahlrecht gelten. Britische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die in Schleswig-Holstein leben, könnten somit bereits ab dem 30. März 2019 nicht mehr an den Kommunalwahlen teilnehmen.

Entsprechende Gesetzentwürfe sind derzeit in allen Landtagen eingebracht, in einigen sogar schon verabschiedet. Das Brexit-Übergangsgesetz des Bundes wird aller Voraussicht nach bereits an diesem Freitag den Bundesrat passieren. Unser Gesetzentwurf trägt dem Umstand Rechnung, dass der Ausgang der Brexit-Verhandlungen ungewiss ist. Wir haben das Inkrafttreten des Gesetzes an das Zustandekommen des Austrittsabkommens geknüpft. Das heißt: Das schleswig-holsteinische Brexit-Übergangsgesetz wird nur in Kraft treten, wenn das Europäische Parlament und das britische Unterhaus dem Austrittsabkommen zustimmen. Denn natürlich benötigen wir neue Regelungen nur dort, wo sie wirklich notwendig sind.

Noch einen Vorteil hat dieser - wie es rechtstechnisch heißt - dynamische Verweis auf das Austrittsabkommen: Er gewährleistet die notwendige Flexibilität, falls es zu einer derzeit noch nicht absehbaren Änderung der Sach- oder Rechtslage kommen

sollte, beispielsweise im Falle einer Modifizierung des Vertragstextes mit Blick auf die umstrittene irische Grenzfrage, bei einer Verschiebung des Austrittsdatums oder falls die britische Regierung den Austrittsantrag wider Erwarten doch noch zurücknehmen sollte. In keinem dieser Fälle bedürfte es somit einer Anpassung des Gesetzestextes.

Meine Damen und Herren, so holprig die BrexitVerhandlungen bisher auch waren, muss es uns nun darum gehen, den Blick nach vorn zu richten - auf die Gestaltung der Zukunft der EU ohne das Vereinigte Königreich. Zwar ist der erstmalige Austritt eines Mitgliedstaats zweifellos eine Zäsur für den europäischen Integrationsprozess; aber wir haben in den letzten Jahren auch gesehen, dass der befürchtete Nachahmungseffekt ausgeblieben ist. Weitere austrittswillige Mitgliedstaaten sind nicht erkennbar.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Noch nicht!)

Ich bleibe deshalb bei meiner Einschätzung, die ich erst unlängst in diesem Haus geäußert habe: Wir können und sollten den Brexit nicht nur als Verlust, sondern auch als Chance begreifen - als Chance für einen Neustart der EU mit Mitgliedstaaten, die sich in der Vergangenheit deutlich integrationswilliger als das Vereinigte Königreich gezeigt haben.

(Beifall CDU und FDP)

Die nächste wichtige Etappe auf diesem Weg wird der 9. Mai 2019 sein. Beim Gipfeltreffen der EUStaats- und Regierungschefs in Rumänien wird es darum gehen, eine neue strategische Agenda vorzubereiten, die die Richtung für die Arbeit der EU-27 in den kommenden fünf Jahren vorgeben soll. Denn, wie Sie wissen, sind die Herausforderungen immens, vor denen wir in der EU stehen, etwa in der Migrations- und Sicherheitspolitik, beim Klimaschutz, in der Digitalisierung und im Bereich der Forschung - um nur einige bekannte Beispiele zu nennen, die auch für die deutschen Länder Relevanz haben. Solange die Austrittsverhandlungen andauern, werden die EU-27 diese Herausforderungen jedoch nicht mit aller Kraft angehen können. Vor diesem Hintergrund hoffe ich sehr auf eine zügige Entscheidung in Sachen Brexit. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, vereinzelt SPD und Beifall Doris Fürs- tin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])

Für die CDU hat der Abgeordnete Hartmut Hamerich das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Besucher auf der Tribüne! Der 29. März 2019 steht nach wie vor als das kritische Datum im Raum. Wir alle wissen noch nicht, was passieren wird. Die britischen Staatsbürger ihren Rechten nach weiter wie EU-Bürger zu behandeln, ist einer der Kernpunkte des Brexit-Übergangsgesetzes. Ich halte es für sehr wichtig, dass man sich da nicht allzu große Sorgen machen muss. Es gibt nur die eine Ausnahme: das aktive und das passive Wahlrecht.

Eine Problematik besteht sicherlich nach wie vor auch mit der doppelten Staatsbürgerschaft. Das Beantragen der Staatsbürgerschaft für Briten bei uns in Deutschland ist davon abhängig, bis wann der Antrag gestellt worden ist. Bislang gilt das Datum 29. März 2019. Ob es den Antrag der Briten geben wird, den Termin 29. März 2019 nach hinten zu verlegen, wissen wir nicht. Theresa May hat gestern im Parlament ausgeführt, sie brauche mehr Zeit. Das ist aber ein Problem, das sie im britischen Parlament und nicht in der EU lösen muss. Die EU ist immer noch zu Gesprächen bereit. Die Briten könnten jederzeit eine Verlängerung dieses Termins beantragen und bekämen sie auch. Sie könnten jederzeit ein neues Referendum einsetzen. Sie könnten auch jederzeit sagen: Wir wollen das alles nicht mehr.

Wir stehen vor der Problematik, dass es einem nicht weiterhilft, wenn die Staatschefin aus Großbritannien für erneute Gesprächen zu Jean-Claude Juncker reist und sagt: „Nach Plan A kommt jetzt Plan B“, aber an diesem Plan außer dem Datum nichts Großartiges mehr geändert wird. Wachen die Briten nicht auf und machen dem EU-Parlament andere Lösungsvorschläge, wird das Wiederholen der alten Argumente nicht dazu führen, dass es ein Umdenken in der EU geben wird. Die 27 Staatschefs sind sich darüber einig, was passieren kann, darf und soll. Das Heft des Handelns liegt bei der britischen Regierung.

Wenn wir einen ungeregelten Brexit kriegen - die Ministerin hat das angesprochen -, brauchen wir das Brexit-Übergangsgesetz natürlich gar nicht. Dann greift das, was die Taskforce im Moment, wie ich glaube, vorbildlich macht. Wir als diejenigen, die in der letzten Europaausschusssitzung waren, haben den Ausführungen von Herrn Koopmann, der Mitglied in dieser Taskforce ist, und anderen gelauscht. Wir haben festgestellt, dass die deutsche Wirtschaft, die schleswig-holsteinische Wirtschaft und die IHK relativ gut vorbereitet sind; die haben eine Menge auf die Reihe bekommen. Wenn man

den Ausführungen von Herrn Koopmann intensiv gelauscht hat, hat man festgestellt, dass wir an den dann vorhandenen Grenzübergängen - ich rede von Fährverbindungen, Eurotunnel, Flughäfen und allem anderen, was wir da haben - Schlangen von 20 bis 25 km haben werden, wenn sich die Kontrolle von Fahrzeugen - in erster Linie Lkw mit Wirtschaftsgütern - auch nur um 2 Minuten pro Fahrzeug verlängert.

Das nächste Problem, das die Briten dann haben werden, ist das Personal. Erst einmal werden sie Personal an der nord- und südirischen Grenze brauchen, weil das eine harte EU-Grenze wird, und dann an den Abfertigungsstellen der Häfen und Flughäfen. Das ist überhaupt nicht leistbar.

Ich glaube, dass man etwas zielführender herangehen muss. Ein positives Zeichen war für mich die Ankündigung von Jeremy Corbyn zu sagen: dauerhafte Zollunion. - Das wäre ein erster Schritt. Dagegen verweigert man sich im Moment noch. Ich glaube, hier muss konstruktiv gearbeitet werden. Wenn die Premierministerin nicht bereit ist, ihre Argumentation ein Stück weit zu wandeln, wird es keine Änderung geben.

Die Ministerin sprach es an: Wir wünschen uns natürlich den geregelten Übergang. Ich wünsche mir mehr als einen geregelten Übergang, ich wünsche mir die Rückkehr zum Remain

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

und dass wir das Brexit-Abkommen gar nicht brauchen. Das wäre mir wichtig.

Möglicherweise muss der eine oder andere aus dem britischen Unterhaus einfach einmal über seinen Schatten springen, fünf gerade sein lassen und sagen: Jetzt machen wir einmal Politik für unser Volk und nicht für unsere Parteien. - Das halte ich für sehr wichtig.

Ich bin aber froh, dass wir das Brexit-Übergangsgesetz haben, sodass wir das bei einem geregelten Übergang stressfrei, ohne große neue Reglementierung abarbeiten können. Ich hoffe nach wie vor die Hoffnung stirbt zuletzt -, dass wir eine andere Lösung bekommen. - Danke schön.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Regina Poersch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es? Es geht um den Übergangszeitraum bis Silvester 2020 nach einem geregelten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. In dieser Zeit soll das Vereinigte Königreich in dem Unionsrecht und dem darauf beruhenden nationalen Recht grundsätzlich weiter als Mitgliedstaat der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft gelten. Dies zu regeln, ist richtig und wichtig - gar keine Frage -, europäisch wie national oder - wie hier - regional.

Die Vorbemerkung zum Gesetzentwurf führt aus, das Gesetz schaffe lediglich Rechtsklarheit für den Rechtsanwender. Damit ist das Gesetz Pflicht, nicht Kür. Ich frage mich, ob es tatsächlich so einfach bleibt und es mit diesem Übergangsgesetz getan ist. Müssen wirklich keine anderen Gesetze angepasst werden?

Es gab hier im Haus, wenn über den Brexit gesprochen werden soll, bereits mehrfach Gelegenheit dazu, nämlich auf der Grundlage von gleich zwei SPD-Anträgen im vergangenen Jahr, mit denen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann doch ein bisschen lässig umgegangen sind. Unser Berichtsantrag zum Brexit wurde hier eher widerwillig diskutiert. Unser Antrag zum Brexit-Beauftragten wurde zunächst vertagt, dann in die Ausschüsse geschoben. Dass wir jetzt auf dem Weg zu einer gemeinsamen Lösung sind, Kollege Hamerich, will ich an dieser Stelle doch loben.

(Beifall SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal wie die Briten Ende März die EU verlassen werden - der Brexit betrifft uns in Schleswig-Holstein ganz direkt. Das hier ist kein Europathema, das ganz weit von den Menschen weg ist. Der Brexit ist das beherrschende Thema. Er wird ganz konkrete, spürbare Auswirkungen auf viele Bereiche unseres Lebens haben. Nicht nur die Wirtschaft steht vor vielen ungeklärten Fragen, auch die Schulen, die Hochschulen, die Austausche organisieren, Initiativen, Vereine, Kommunen und viele Bürgerinnen und Bürger, die Verbindungen nach Großbritannien haben oder als britische Staatsbürger bei uns leben und arbeiten, würden gern wissen, wie es weitergeht. Für all diese Fragen brauchen wir in Schleswig-Holstein eine verlässliche Anlaufstelle. Deshalb hat meine Fraktion im letzten Jahr die Initiative für einen Brexit-Beauftragten ergriffen, der Beratungs- und Ansprechperson für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft und die Kommunen sein soll.

Eine erste Beratung in den Fachausschüssen zu der Frage hat ergeben, dass die jüngst eingerichtete Taskforce beim Wirtschaftsministerium bisher ausschließlich in Wirtschaftsfragen aktiv ist,

(Peter Lehnert [CDU]: Überraschung!)

und das auch nur im Fall eines harten Brexits.

Die niedersächsische Europaministerin Birgit Honé ist in dieser Woche einfach einmal nach London zu ihren Firmen geflogen. Das geht alles. Hier ist die Europaministerin nicht einmal richtig eingebunden, wie sich im Europaausschuss herausstellte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen laut Ihrem eigenen Koalitionsvertrag den Brexit transparent und bürgernah gestalten, aber Antworten auf wichtige Fragen muss meine Kollegin Beate Raudies durch eine Kleine Anfrage erst einmal aus Ihnen herauskitzeln,

(Beifall SPD)

nämlich die nach den schleswig-holsteinischen Beamtinnen und Beamten und Tarifangestellten mit britischer Staatsangehörigkeit, deren Weiterbeschäftigung und die nach Beratungs- und Unterstützungsangeboten des Landes als Arbeitgeber. Das wäre interessant zu erfahren.

Es wäre interessant zu erfahren, welche konkreten Hilfen und Angebote das Land den Betroffenen anbieten kann, und zwar allen vom Brexit betroffenen. Ihre Taskforce hat aus meiner Sicht - da bin ich anderer Auffassung als der Kollege Hamerich - noch nicht viel bewegt. Da ist, wie uns berichtet worden ist, ein Link auf eine Homepage gestellt worden.

Ich komme zum Schluss: Ihr Gesetzentwurf ist geeignet, erforderlich, angemessen, all das. Keine Frage, dass es auch Klarstellungen zum kommunalen Wahlrecht geben muss. Aber leider machen Sie in Sachen Brexit nicht mehr, als Sie machen müssen. Deswegen sage ich frei nach Shakespeare: Much Ado About Brexit-Übergangsgesetz. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Brexit bleibt ein Trauerspiel. Das haben wir hier unter den demokratischen Fraktionen gemeinsam schon vor drei Wochen festge

stellt. Das Traurige ist, dass seitdem im britischen Unterhaus wenig passiert ist. Vergegenwärtigt man sich die Rede der britischen Premierministerin von gestern, muss man sagen, dass Theresa May sehr ideenlos wirkt und man nicht das Gefühl hat, dass sich irgendetwas in irgendeine Richtung entwickelt. Das ist traurig. Das kann man von hier aus nur beobachten und zur Kenntnis nehmen. Es gibt schon Erkenntnisse, die in den letzten Wochen hinzugekommen sind. Es gibt immer mehr Studien, die belegen, wie viele Arbeitsplätze bei uns, aber natürlich auch auf der Insel durch einen harten Brexit gefährdet sind. Wir haben - das muss ich sagen, auch wenn ich ihn beim letzten Mal kritisiert habe durch die Labour-Party und Jeremy Corbyn konkrete Angebote auf dem Tisch, zumindest einen Hard Brexit zu vermeiden. Aber alles das ist bisher von Theresa May unbeantwortet geblieben. Das lässt uns besorgt zurück.

Ganz unabhängig davon, was beziehungsweise ob sich das britische Unterhaus noch für irgendeine Option entscheidet, müssen wir uns natürlich damit auseinandersetzen, was in der Zeit danach passiert. Da ist für uns Grüne eines ganz sicher - ganz egal, welche Gespräche dort noch stattfinden müssen -: Die EU darf keine Lösung akzeptieren, die den Frieden zwischen Nordirland und Irland gefährdet. Das ist eine rote Linie.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und FDP)

Im Übrigen unterstützen wir die EU 27, die sich dazu verhalten, die im Übrigen beim Brexit zeigen, dass sie in großer Einvernehmlichkeit unterwegs sind, und auch zeigen, dass Europa stark ist, wenn es gemeinsam steht. Deswegen muss man bei aller Trauer über den Brexit auch einmal feststellen, dass das etwas Positives in der Europäischen Union ist und Beispiel für anderes sein könnte.