Protokoll der Sitzung vom 15.02.2019

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

Mindestvergütung, Schutz vor Tarifflucht, Sicherung des Lebensunterhalts: Das alles klingt toll. Aber hält der Antrag auch, was er verspricht?

Sie sagen: Wer arbeitet und eine Ausbildung macht, muss seine Lebenshaltungskosten decken können. Das stimmt. Das muss jeder Mensch. Allerdings sind - das klang bereits an - Arbeit und Ausbildung zwei Paar Schuhe.

Ich habe bei Ihrer Rede vorhin erleben dürfen, dass Sie das nicht genau wissen, aber es ist so. Die Ar

(Rasmus Andresen)

beit unterliegt dem Mindestlohn, weil man von der Arbeit leben können muss.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Sie von der SPD tun immer so, als ob wir, die Freien Demokraten, gegen die Beschränkung der prekären Entlohnung seien. Das ist falsch. Das wissen Sie auch. Sie unterschlagen das FDP-Konzept zur Lohnuntergrenze, das damals parallel zu Ihrem Konzept diskutiert wurde, und sich von Ihrem Modell nur durch mehr Tarifautonomie unterscheidet.

(Beifall FDP)

Ihr Verständnis von Tarifautonomie und staatlicher Regelung, Ihr Vertrauen in die Gestaltungskraft der deutschen Gewerkschaften ist sehr speziell - trotz Ihrer Schmeicheleien und fragwürdigen Zwischenrufe!

(Beifall FDP - Unruhe)

Aber diejenigen, die die erste Ausbildung absolvieren, müssen sich keine Sorgen um ihren Lebensunterhalt machen. Warum müssen sie das nicht? Weil für die erste Ausbildung die Eltern zu sorgen haben. Die Eltern sind verpflichtet, jedem ihrer Kinder eine Vorbildung für einen ersten Beruf zu finanzieren, egal, ob es sich um ein Studium oder eine Ausbildung handelt.

Ich weiß, das können sich nicht alle Eltern leisten. Es wird hierzu bestimmt noch andere exotische Fallkonstruktionen geben. Aber zum einen gibt es bei Bedürftigkeit andere Hilfen und zum anderen helfen dann auch 635 € nicht.

Weiter fordern Sie in Ihren Antrag eine faire Ausbildungsvergütung. Auch das ist sehr interessant. Denn was ist fair? Wer gibt denn in der Ausbildung mehr? Der Azubi mit seiner Arbeitskraft oder der Betrieb mit seiner Ausbildungsleistung?

(Martin Habersaat [SPD]: Soll der Azubi da- für bezahlen? - weitere Zurufe SPD)

- Ich finde, die Phrase, diese Worthülse, die Sie hier bringen, ist unangebracht und sehr unreflektiert!

(Beifall FDP)

Weiter behaupten Sie, eine Mindestvergütung steigere die Attraktivität der Ausbildung. Womit belegen Sie das bitte? Haben Sie sich überhaupt thematisch damit befasst? Ihre Behauptung klingt ganz toll, aber die Zahlen sprechen doch eine ganz andere Sprache. Die 15 Ausbildungsberufe, in denen die stärksten Probleme bei der Besetzung der Stellen vorliegen, zahlen Ausbildungsvergütungen zwischen 637 € und 1.104 € pro Monat. Die Vergütung

liegt bei diesen Ausbildungen immer über 635 €. Trotzdem haben diese Branchen Besetzungsprobleme.

Das wurde uns übrigens auch beim Empfang des Handwerks am vergangenen Mittwoch, an dem die arbeitspolitischen Sprecher hoffentlich alle teilgenommen haben, vor Augen geführt. Das Bäckerhandwerk hat keine Probleme bei der Besetzung der Ausbildungsstellen im Gegensatz zum Baugewerbe, in dem eine wesentlich höhere Vergütung gezahlt wird.

Empirisch belegt ist, dass für junge Menschen ganz andere Dinge wichtig sind: beispielsweise eine interessante Tätigkeit, gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, eine Perspektive, ein gutes Betriebsklima und schließlich sichere Arbeitsplätze.

(Martin Habersaat [SPD]: Nicht das Geld!)

Diese Faktoren sind in erster Linie entscheidend für die jungen Menschen. Ein gutes Klima und sichere Arbeitsplätze gefährden Sie durch Ihre Planwirtschaft. Warum? Es würde die Kostenbelastung der Betriebe steigen. Die Kostensteigerung von Handwerksbetrieben läge geschätzt bei 15 %. Besonders würde die Regelung Betriebe in strukturschwachen Regionen sowie kleine Betriebe treffen.

Außerdem kann ein Betrieb auf Azubis - anders ist es bei ausgebildeten Arbeitskräften - verzichten und trotzdem funktionieren. Was würden die Betriebe, wenn der Antrag umgesetzt würde, machen? Sie würden schlicht nicht mehr ausbilden. Das würde unseren Fachkräftemangel nur verstärken.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU - Dennys Bornhöft [FDP]: Das darf nicht sein!)

Wir möchten, dass sich die Auszubildenden im Betrieb wohlführen und ihren Beruf mit Freude erlernen können. Wir wollen keine Verschlimmbesserungen am Arbeitsmarkt. Wir wollen auch keine Schaufensteranträge aus der Marketingabteilung. Wir werden uns trotzdem der Überweisung des Antrags in den Ausschuss nicht versperren. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Volker Schnurrbusch.

(Birte Pauls [SPD]: Der erzählt jetzt wahr- scheinlich das Gleiche!- Weitere Zurufe)

(Kay Richert)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe verbliebene Gäste! Mit dem vorliegenden Antrag -

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

- Ich dachte, ich wäre dran. - Mit dem vorliegenden Antrag versucht die SPD entsprechend ihrer wiederentdeckten Sozialstrategie ein weiteres Mal, die soziale Karte zu spielen. Das Problem ist nur: Der Antrag geht von falschen Voraussetzungen aus. Wenn bereits die Eingangsanalyse falsch ist, können auch die Schlussfolgerungen nicht richtig sein.

Eine Ausbildungsvergütung ist weder Lohn noch Gehalt, sondern ein Zuschuss zum Lebensunterhalt. Auch Arbeitszeiten außerhalb des Betriebs, wie zum Beispiel während des Besuchs der Berufsschule, werden hier erfasst.

Sie behandeln in Ihrem Antrag das Thema Ausbildungsvergütung wie den Mindestlohn; von daher ist der Antrag bereits im Ansatz verfehlt. Hier Vergütung, da Lohn, das ist nicht dasselbe.

Das Thema Mindestausbildungsvergütung steht bereits im Koalitionsvertrag der momentanen Bundesregierung. CDU/CSU und SPD wollen eine Mindestvergütung im Berufsbildungsgesetz verankern, die zu Beginn des Jahres 2020 in Kraft treten soll. Im neuen Bundesgesetzentwurf zur Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung geht es um die Wahrung eines sozialen Mindeststandards. Nach allem, was uns hierzu bekanntgeworden ist, soll nach der Vorstellung der Bundesbildungsministerin eine Art Mindestlohn bestehen, der im ersten Lehrjahr bei etwa 500 € liegt, ein Betrag, der sich am Betrag für Vollzeitschüler orientiert.

Aktuell regt sich gegenüber dem Gesamtprojekt Widerstand vonseiten des Wirtschaftsflügels der Union. Hier wird argumentiert - wir haben es gerade, auch von der FDP, gehört -, dass Vergütung Sache der Tarifparteien sei und nicht gesetzlich geregelt werden müsse. Das sehen wir auch so. Denn Arbeitgeber und Gewerkschaften können am besten einschätzen, welche Betriebe in welcher Region wie leistungsfähig sind.

Ja, in einigen Ausbildungsberufen werden tatsächlich niedrige Vergütungen gezahlt. Hierzu zählen das Frisör-, das Parkettleger- oder das Floristengewerbe mit Beträgen von unter 650 € pro Monat. Glücklicherweise handelt es sich nur um eine geringe Zahl an Ausbildungsberufen, bei denen eine Mindestvergütung zum Tragen kommen würde.

Außerdem ist Folgendes zu berücksichtigen. Im Jahr 2017 zahlten 44 % der Ausbildungsbetriebe Tariflöhne. Das ist nach wie vor ein sehr hoher Anteil. Auch sonst zahlen die meisten Ausbildungsbetriebe deutlich höhere Vergütungen. Die soziale Grenze, die eine Mindestvergütung absichern soll, hat in der Praxis also nur eine sehr geringe Relevanz.

Die wirklich wichtigen Fragen liegen ganz woanders und lauten: Wie wirken wir dem Trend entgegen, dass die absolute Zahl der Auszubildenden zwischen 2007 und 2016 um 11 % zurückgegangen ist? In den bauenden Gewerken, die über 50 % der Handwerksbetriebe ausmachen, gab es sogar einen Rückgang um die Hälfte.

Besonders stark ist der Rückgang bei den kleinen Betrieben. Es kann dazu kommen, wie Herr Knöfler gerade sagte, dass sich ein kleiner Betrieb einen Auszubildenden nicht leisten kann, wenn die Vergütung zu hoch ist.

Eine weitere Frage ist: Was sind die Ursachen? Die tariflichen Vergütungen sind im bundesdeutschen Gesamtdurchschnitt in den letzten zehn Jahren um 40 % gestiegen, und zwar von monatlich 628 € auf 876 € pro Monat. Gibt es wirklich ein Problem mit den zu niedrigen Vergütungen?

„Woran liegt es?“, fragen wir, dass auch in Berufen große Probleme bei der Besetzung von Lehrstellen bestehen, in denen hohe Vergütungen gezahlt werden.

Unter den 15 Berufen mit den stärksten Besetzungsproblemen werden heute zwischen 650 bis 1.100 € gezahlt. Das reicht von Berufen wie Fleischer über Gebäudereiniger bis hin zum Beton- und Stahlbetonbauer. Ein angehender Verfahrenstechniker in der Beschichtungstechnik bekommt im Bundesdurchschnitt heute schon 1.015 € pro Monat; trotzdem gibt es einen Mangel an Azubis.

In den allermeisten Ausbildungsgängen wird also schon heute gutes Geld gezahlt. Trotzdem bleiben die Lehrstellen leer. Mit Geld allein macht man diese Berufe nicht attraktiver.

Als Gründe für Vertragsauflösungen werden übrigens laut mehreren Studien fehlende Leistungsbereitschaft oder fehlende Fähigkeit der Auszubildenden genannt und - vonseiten der Auszubildenden eine schlechte Ausbildungsqualität und schlechte Arbeitsbedingungen. Hier muss man also ansetzen nicht beim Mindestlohn.

Viel wichtiger bleibt daher ein grundsätzlicher Politikwechsel für eine bessere Akzeptanz klassischer

Ausbildungsberufe. Diese für den Mittelstand wichtigen Berufe haben eine bessere Unterstützung verdient, weil der Mittelstand nun einmal das Rückgrat unserer Wirtschaft ist.

Die AfD-Fraktion ist im Übrigen der Auffassung, dass bei diesem Thema dem Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene hier und heute nicht vorgegriffen werden sollte. Auch deshalb lehnen wir den SPD-Antrag als voreiligen Aktionismus ab und beantragen Abstimmung in der Sache.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat das Wort der Abgeordnete Flemming Meyer.