Protokoll der Sitzung vom 06.03.2019

bei solchen Fragen fernab von ihrer Lebensrealität. Wer sich das Video der Rede anschaut, in der Angela Merkel vor wenigen Tagen ihre Position in Sachen Upload-Filter verteidigt hat, stellt fest - abgesehen davon, dass ich in der Sache anderer Meinung bin als sie -, wie konsequent die Kanzlerin zwischen der sogenannten realen Welt und der digitalen Welt unterscheidet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, wir sind uns alle einig: Dieser Gegensatz ist ebenso unsinnig wie aus der Zeit gefallen ist. Es ist 2019. Die reale Welt ist digital, die digitale Welt ist real. Neuland ist das schon seit vielen Jahren nicht mehr. Die alte europäische Richtlinie stammt aus dem Jahr 2001. Wer in diesem Jahr auf die Welt kam, darf in diesem Jahr das Europaparlament wählen. Hoffen wir, dass viele der jungen Menschen diese Chance klug einsetzen.

Eine Bemerkung am Rande: Ginge es nach uns, dürften übrigens auch schon die wählen, die erst 2003 auf die Welt gekommen sind. Wir finden nämlich, dass auch 16-Jährige bei der Europawahl mitentscheiden können sollten. Die Konservativen sind es, die das blockieren.

(Beifall SPD, Dennys Bornhöft [FDP] und Lars Harms [SSW])

Die Debatte um die Upload-Filter zeigt einmal mehr: Auch im Europäischen Parlament gibt es bedeutend mehr Unterschiede als nur zwischen EUGegnern und -Befürwortern. Es lohnt der Blick auf die Details. Ich bin gespannt auf die Abstimmung.

Nur um das einmal zu sagen: Im Kabinett wird nicht abgestimmt. Frau Barley hat im Bundeskabinett für die SPD zu Protokoll gegeben, dass wir den Artikel 13 falsch finden. Wir sind allerdings der Meinung, dass es eine Urheberrechtsrichtlinie geben muss, die modern ist, und wir wollen, dass die Europaabgeordneten, wenn sie dann darüber entscheiden, den Artikel 13 ablehnen. Dann ist nämlich allen gedient. Dafür treten wir ein. Deshalb können wir dem Antrag hier zustimmen. Wir sollten hier keine Nebelkerzen werfen, was die Frage angeht, wer wofür und wer wogegen ist. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Lukas Kilian das Wort.

(Dr. Ralf Stegner)

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin, ehrlich gesagt, kein großer Fan davon, wenn wir im Landtag hier Themen diskutieren, auf die wir keinen großen Einfluss haben. Eigentlich macht es keinen Sinn, wie eine Art Laienspielgruppe hier mal Debatten aus dem Bundestag oder aus dem Europäischen Parlament nachzuspielen.

(Zuruf Christopher Vogt [FDP] - Weitere Zu- rufe)

- Lassen Sie mich einmal ausreden, bleiben Sie ganz ruhig. Sie kommen noch dran.

Wir sind hier Mitglieder des Schleswig-Holsteinischen Landtags, und wir haben genug zu tun, unser Land stets zu verbessern.

(Beifall CDU - Zurufe Dr. Kai Dolgner [SPD], Birte Pauls [SPD] und Christopher Vogt [FDP])

Leider leben wir nicht losgelöst von anderen politischen Ebenen, und so müssen wir heute einmal unseren Unmut zu einem bundes- und europapolitischen Thema deutlich machen. Um es von Anfang an klar zu sagen: Wir spucken hier in eine Suppe, die wir nicht gekocht haben. Es geht um die Europäische Urheberrechtsreform und insbesondere den Artikel 13, der Upload-Filter zur Folge haben wird.

(Zuruf)

Die Justizministerin Katarina Barley, gleichzeitig Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, hat auf EU-Ebene der Richtlinie die Zustimmung erteilt. Jetzt so zu tun, als ob man wie die Jungfrau zum Kinde gekommen sei, liebe SPD, ist hochnotpeinlich. Wir werden von einer Bundesregierung aus CDU und SPD regiert.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Da muss sich auch die CDU Kritik gefallen lassen.

(Christopher Vogt [FDP]: CSU leider auch noch!)

Die Zustimmung zur Urheberrechtsrichtlinie halten wir - das sage ich klipp und klar für die CDU-Landtagsfraktion hier - insgesamt für falsch.

(Beifall CDU, FDP und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Beide Parteien, CDU und SPD, haben auf Bundesebene klipp und klar gegen den eigenen Koalitionsvertrag verstoßen. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition in Berlin steht nämlich - ich zitiere -:

„Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu ‚filtern‘, lehnen wir als unverhältnismäßig ab.“

(Zuruf Dennys Bornhöft [FDP])

Nun hört man hier und da - der Kollege Holowaty hat es eben gesagt -, dass im Entwurf zur Richtlinie das Wort „Upload-Filter“ gar nicht drinstehe. Das ist tatsächlich richtig. Doch was ist ein Upload-Filter eigentlich? Upload-Filter sind technische Filter, die von großen Plattformen eingesetzt werden sollen, um möglicherweise urheberrechtlich geschützte Werke vor der Veröffentlichung bei YouTube und Co herauszufiltern.

Zukünftig soll die Haftung bei Urheberrechtsverstößen nicht mehr bei dem User, der die Handlung der Urheberrechtsverletzung begeht, ansetzen, sondern nur die Plattform treffen. Die Folge werden zwangsläufig technische Upload-Filter sein, die eine Urheberrechtsverletzung eher bejahen, da man bei einer Falschbewertung in einer Haftungssituation wäre. Als Jurist kann ich Ihnen sagen - Herr Dr. Stegner, da sind wir überraschenderweise einmal einer Meinung -: Richtige juristische Bewertungen können nicht von Automaten vorgenommen werden.

Es ist kein Scherz: Ich habe den Vorschlag von EUPolitikern gelesen, dass Mitarbeiter der Internetplattformen die Überprüfung der einzelnen Posts vornehmen könnten. Technische Lösungen wie Upload-Filter seien gar nicht nötig. - Man stelle sich einmal vor, jeder Post würde von Mitarbeitern überprüft. Man postet ein Foto bei Facebook, und dann kommt wahrscheinlich die Meldung von Facebook: Die Überprüfung Ihres Posts wird vermutlich 379 Tage dauern. Nach erfolgter Überprüfung werden wir Ihren Beitrag am 19. März 2020 veröffentlichen.

Wer tatsächlich meint, dass der alltägliche Upload von Millionen Videos, Liedern oder Bildern durch Mitarbeiter überprüft werden kann, hat das Internet noch nicht einmal als Neuland entdeckt - der zieht zum Surfen im Internet den Neoprenanzug an.

(Beifall Stephan Holowaty [FDP] und Wolf Rüdiger Fehrs [CDU])

Ich halte es für vollkommen falsch, die urheberrechtliche Haftung für Verstöße einzelner Nutzer auf Plattformen zu verlagern. Das kann unmöglich die Position der CDU sein. Wir sind die Partei, die

normalerweise immer von der Eigenverantwortlichkeit der Menschen spricht.

(Christopher Vogt [FDP]: Das ist aber schon lange her!)

Wenn wir Eigenverantwortlichkeit predigen, muss auch im Internet jeder für seine Nutzung eigenverantwortlich geradestehen.

(Beifall CDU)

Jeder, der meint, dass sein Urheberrecht verletzt sei, muss dies selbständig einfordern - wie jeder andere, dessen Eigentumsrechte verletzt sind.

Um es deutlich zu sagen: Upload-Filter töten das Internet nicht, sie verändern aber die Netzkultur. Das Internet - gerade das Web 2.0 - lebt vom interaktiven Austausch und der schnellen, ungefilterten Kommunikation. Das Anstarren von Internetseiten, wie es im Web 1.0 gelebt wurde, ist vollkommen überholt.

Natürlich müssen Urheberrechte intensiv geschützt werden; aber wir sind da kein Entwicklungsland. In Deutschland gibt es eine regelrechte Abmahnindustrie. Einige meiner Berufskollegen machen nichts anderes, als jeden Tag automatisiert unzählige Abmahnungen herauszuschicken, um urheberrechtliche Verstöße im Internet abzumahnen und ordentlich Geld damit zu verdienen.

(Zuruf)

Bei jeder weitgehenden Änderung - damit komme ich zum Ende - müssen wir verhältnismäßig vorgehen. Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition im Bund hat daher vollkommen recht in der Bewertung der Upload-Filter: Sie sind und bleiben „unverhältnismäßig“. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie stehst du zu Artikel 13? Diese Frage hat mir ein zwölfjähriger Schüler am Montag am Rande einer Schulveranstaltung gestellt. Diese Frage und dass sie von einem zwölfjährigen Schüler kommt, sagt etwas über die EU-Copyright-Reform aus. Während viele Ältere wenig über die EU-Copyright-Reform wissen, ist sie bei

den unter 20-Jährigen zurzeit das Topthema. Über 5 Millionen Menschen haben bereits online gegen die EU-Copyright-Reform und insbesondere Artikel 13 unterzeichnet. 2.000 Menschen haben gestern Abend spontan vor der CDU-Parteizentrale in Berlin demonstriert. Wir Grüne finden: zu Recht.

(Beifall Christopher Vogt [FDP] - Unruhe)

Wir Grüne freuen uns, dass sich so viele junge Menschen für ihre Rechte und ein freies Internet engagieren. Statt sie als Mob zu beschimpfen, wie es einige tun, sollten wir ihnen zuhören und auf ihre Argumente eingehen. Wir Grüne sagen ganz klar Nein zu Artikel 13 und den darin indirekt verankerten Upload-Filtern, denn Upload-Filter funktionieren nicht. Die Algorithmen werden nicht feinteilig zwischen beispielsweise Memes, Hochzeitsvideos mit Helene-Fischer-Hintergrundmusik oder Videos von Konzerten von unbekannten Musikerinnen und Musikern unterscheiden können. Es ist technisch hochkompliziert, urheberrechtlich geschütztes von anderem Material zu unterscheiden.

Gleichzeitig funktionieren Social-Media-Plattformen über das Teilen von Emotionen und persönlichen Erlebnissen. Auch deshalb glauben wir, das Upload-Filter der falsche Weg sind. Bei YouTube wird beispielsweise zur Aufarbeitung von Informationen oder Anregung der Debatte ganz viel mit Remixes gearbeitet. Dazu sagen wir: Wird das alles weggefiltert, fehlt etwas, und die Meinungsfreiheit wird dadurch stark herausgefordert.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass man Filter auf Nummer sicher programmiert und, bevor man als Plattform einen Rechtsbruch begeht, lieber erst einmal filtert. Genau das wollen wir nicht.

Es geht nicht nur um Meinungs- und Kunstfreiheit, sondern auch darum, ob wir gleichen Zugang im Netz für Start-ups wie für große Digitalkonzerne haben. Die EU-Copyright-Reform wird die großen Digitalkonzerne stärken und dadurch digitale Innovationen behindern. Denn extrem aufwendige Upload-Filter oder der Abgleich von Daten sind sehr ressourcenintensiv und werden vor allem von großen Playern wie YouTube gewährleistet werden können. Für viele andere wird dies unmöglich sein. Auch wenn es für Start-ups eine Ausnahmeregelung für die Anfangsphase gibt, wird dieses grundsätzliche Problem bleiben. Auch nach drei Jahren werden die wenigsten Digitalunternehmen in der Lage sein, mit so großen Plattformen wie Facebook oder YouTube zu konkurrieren. Deswegen bleibt das Problem bestehen.

(Lukas Kilian)

Die EU-Copyright-Reform soll eigentlich aus einem sehr guten Grund gemacht werden. Künstlerinnen und Künstler sollen geschützt werden. Man will Künstlerinnen und Künstler im Kampf gegen große digitale Plattformen stärken. Das Ziel teilen wir Grüne. Wir glauben aber, dass die EU-Copyright-Reform nicht das zum Ergebnis haben wird. Künstlerinnen und Künstler, die zurzeit vielleicht unter der Armutsgrenze leben, werden nicht dadurch geschützt, dass ihr Material weggefiltert wird, sondern dadurch gestärkt, wenn sie angemessen vergütet werden.