Protokoll der Sitzung vom 21.07.2017

Natürlich warnt die Arbeitgeberseite reflexartig davor, ihren Anteil an der Finanzierung zu erhöhen, weil das Jobs kosten würde. Doch bis heute wurde weder dies noch das Gegenteil belegt. Die Deckelung der Arbeitgeberbeiträge hat ganz offensichtlich keine erkennbaren positiven Auswirkungen auf die Beschäftigung. Ich denke also, dass bei diesem Argument der Wirtschaft zumindest etwas Skepsis angebracht ist.

Gleichzeitig ist es aber kein Geheimnis, dass die Gesundheitskosten steigen. Diese Entwicklung ist auch ohne die vielen Ungerechtigkeiten und Fehlanreize im Gesundheitswesen logisch. Denn wir Menschen werden immer älter, und auch die Zahl der Erkrankungen nimmt zu. Aber das kann doch kein Grund dafür sein, die Arbeitgeber von der Finanzierung dieser steigenden Kosten auszunehmen.

(Beifall SSW und SPD)

(Dr. Frank Brodehl)

Im Gegenteil, gerade weil die Gesundheitskosten steigen, müssen alle gleichermaßen an der Finanzierung des medizinischen Fortschritts und an einer wirklich solidarischen Gesundheitsversorgung mitwirken.

Aus der Sicht des SSW sollten wir uns aber nicht in die Tasche lügen: Auch mit dem Grundsatz "halbehalbe", also Parität, werden wir in der Krankenversicherung mittelfristig an Grenzen stoßen. Unsere Gesellschaft wird, wie gesagt, immer älter. Demenzielle Erkrankungen oder Diabetes werden uns schon sehr bald viele zusätzliche Milliarden jährlich kosten. Die Bundesregierung muss sich also endlich bewegen und die Weichen in Richtung einer langfristig stabilen und gerechten finanziellen Basis des Gesundheitswesens stellen. Langfristig führt für den SSW kein Weg an der Bürgerversicherung vorbei.

(Beifall SSW und SPD)

Die stärksten Schultern müssen endlich auch die größten Lasten tragen. Wir wollen, dass in Zukunft alle Bürger zum Sozialwesen beitragen, anstatt leistungsstarke Gruppen durch private Versicherungen immer stärker hiervon auszunehmen. Nach meiner Auffassung ist und bleibt es eine Kernaufgabe des Staates, auch an all die Menschen zu denken, die keine starke Lobby haben und unsere Unterstützung brauchen. Hierfür werden wir uns weiter einsetzen. - Jo tak.

(Beifall SSW und SPD)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Dr. Bohn, wenn wir hier nur über die Dinge reden würden, über die der Landtag allein zu entscheiden hat, dann wären wir vermutlich meistens mittwochs fertig. Insofern reden wir hier in der Tat auch über Dinge, die die Bevölkerung interessieren und über die die Länder in verschiedenen Konstellationen gemeinsam mit dem Bund zu entscheiden haben. Das Land Schleswig-Holstein ist Teil des Bundesrates. Daher ist es interessant zu erfahren, wo die Dinge hingehen.

Ich finde, der junge Kollege von der FDP hat hier etwas Interessantes gesagt, was ich gern aufgreifen möchte, bevor der Gesundheitsminister, der ja auch aus der FDP stammt, das Wort ergreift. Er hat näm

lich den Markt so schön herausgestellt. Wenn ich mein Auto in die Werkstatt bringe, weil die Wasserpumpe kaputt ist, dann richtet sich der Preis, der für eine neue Wasserpumpe bezahlt werden muss, nicht nach dem Besitzer. Ist aber diese Pumpe betroffen,

(Dr. Ralf Stegner [SPD] deutet auf sein Herz)

dann richtet sich die Rechnung sozusagen danach, wer der Besitzer ist. Was ist daran vernünftig? Das ist Ihre Vorstellung von Markt? Ich kann nur sagen: Das ist doch falsch!

(Christopher Vogt [FDP]: Was Sie hier sa- gen, ist unterirdisch, Herr Dr. Stegner!)

Auch Ihr Hinweis, die Versicherung abzuschaffen und es aus Steuermitteln bezahlen zu lassen, ist Unfug. Wir wollen ein solidarisches Versicherungssystem, in dem diejenigen, die gesund sind, auch für die da sind, die krank sind; in dem diejenigen, die Arbeit haben, auch für die da sind, die keine Arbeit haben; in dem diejenigen, die jung sind, auch für die da sind, die alt sind. Wir wollen ein solidarisches System, in das alle einzahlen müssen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber das Gleiche.

(Beifall SPD)

Das ist der Kitt unserer Gesellschaft, das wollen wir. Da gibt es Fehlentwicklungen, die wir korrigieren müssen.

(Christopher Vogt [FDP]: Vielen Dank für die Rede!)

Herr Dr. Stegner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Mit dem größten Vergnügen! Wenn Sie auch noch die Zeit anhielten, dann wäre ich Ihnen restlos dankbar.

Das machen wir auch.

Herr Dr. Stegner, haben Sie mitbekommen, dass ich nicht gesagt habe, wir müssten die Versicherungen komplett abschaffen, sondern dass ich gesagt habe, wir müssten die Beitragsfinanzierung abschaffen - nach Ihrem Modell wäre dies konsequent - und zu einem Steuermodell kommen?

(Flemming Meyer)

Mit Verlaub, Herr Kollege, aber Beiträge sind der Kern von Versicherungssystemen. Eine Versicherung wird aus Beiträgen bezahlt, nicht aus Steuern; sonst ist es nämlich keine Versicherung mehr, und je nach Parlamentsmehrheit geht es dann herauf oder herunter. Das kann doch kein Mensch wollen!

Wir wollen den Fortschritt. Wir wollen eine Volksversicherung haben, in die alle hineinmüssen und aus der sich niemand flüchten kann. Das ist der Unterschied. Wir wollen paritätische Beiträge. Wir wollen nicht die Finanzierung durch die Steuer.

(Beifall SPD)

Bevor Sie das nächste Mal eine solche Frage stellen, sollten Sie darüber nachdenken, ob es klug ist, wenn man über Versicherungen spricht; denn wenn es über Steuern geregelt wird, ist das eben keine Versicherung mehr.

Der Kern ist: Die Fehlentwicklung liegt doch darin, dass es Menschen gibt, die zum Arzt gehen, und der Arzt sagt: „Ich würde Ihnen ja gern helfen, aber das teure Krebsmedikament kann ich Ihnen nicht verschreiben; das ist in meinem Budget nicht mehr drin.“

(Widerspruch CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wir kommen allmählich in eine Situation, in der es dahin geht, dass derjenige, der arm ist, krank wird und derjenige, der krank ist, arm wird. Das wollen wir ausschalten.

Schauen Sie sich so manche Stadt in der Bundesrepublik an! In einer Stadt wie Duisburg haben Sie eine Lebenserwartung, die zehn Jahre unter dem Bundesschnitt liegt.

(Christopher Vogt [FDP]: Das ist Ergebnis von SPD-Politik!)

Schauen Sie sich einmal an, wo sich Ärzte niederlassen! Es gibt Ärzte, die ihre Kassenzulassung zurückgegeben haben und nur noch Privatversicherte behandeln. Manche, die in sozial schwierigen Stadtteilen praktizieren, sind geradezu Helden, muss ich Ihnen ehrlich sagen, bezogen auf das, was Ärzte teilweise in diesem Land leisten.

(Christopher Vogt [FDP]: Sie kritisieren die Ergebnisse der Politik Ihrer Partei!)

Also: Der Markt funktioniert nicht.

Herr Abgeordneter Dr. Stegner, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung der Abgeordneten Dr. Bohn?

Sehr gern.

Sehr geehrter Herr Dr. Stegner, bei allem Wunsch nach einer scharfen politischen Auseinandersetzung: Sie haben gerade zum zweiten Mal ein Beispiel gebracht, von dem ich beim ersten Mal noch gedacht hätte, dass Ihnen in der Debatte die Pferde durchgegangen seien. Sie haben es aber zum zweiten Mal gebracht. Ich verwahre mich wirklich gegen den Vorwurf, dass in Schleswig-Holstein irgendein Arzt oder irgendeine Ärztin einen Patienten oder eine Patientin mit Krebs nicht behandelt, weil er oder sie falsch versichert ist.

(Lebhafter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, CDU, FDP)

Frau Kollegin, so habe ich das nicht gesagt.

(Zurufe CDU und FDP: Doch!)

- Es wird ja protokolliert.

(Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau!)

Sie müssen sich nicht aufregen, es wird ja protokolliert.

Ich habe gesagt, dass es teilweise durch die Budgetierung, die wir haben, nicht möglich ist, zu bestimmten Zeiten bestimmte Dinge zu tun, ärztlich. Das ist ein Problem der Finanzierung der Krankenversicherung. Dieses Problem besteht. Dieses Problem haben Sie übrigens als -

(Unruhe CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Dieses Problem haben Sie übrigens -

(Zurufe CDU und FDP)

- Darf ich meine Antwort geben? - Dieses Problem -