Protokoll der Sitzung vom 20.06.2019

(Präsident Klaus Schlie)

(Beifall Beate Raudies [SPD])

Außerdem wollen wir großzügige Freibeträge für Schülerjobs, Praktika, Ferienjobs und Ausbildungsvergütungen. Aus diesen Freibeträgen soll kein Kostenbeitrag mehr abgezogen werden. Deswegen muss das geändert werden.

Wichtig dabei: Egal, wie das jetzt angepasst werden soll, es darf keine faktischen Verschlechterungen geben. Da ist der Hinweis unserer Bürgerbeauftragten zur Frage der Betrachtung des Monats- und Durchschnittseinkommens sehr hilfreich. Ich hoffe, die Fachleute in unserem Ministerium haben sich das gleich notiert und Sie, Herr Dr. Garg, nehmen das dann auch mit.

Wenn wir hier weiterkommen und die jungen Leute wirklich spürbar entlasten könnten, wäre das ein echter Schritt nach vorn. Das ist unser Ziel. Deswegen haben wir diese Initiative als SPD gestartet hin zu mehr Selbstbestimmung, mehr Unterstützung, mehr Unabhängigkeit. Genau das sollte eben auch Ziel jeder Jugendhilfemaßnahme sein.

(Beifall SPD)

Kurzum: Wir wollen Kinder und Jugendliche für ein gutes, selbstständiges Leben bestmöglich unterstützen. Ich würde mich daher freuen, wenn wir an dieser Stelle zu Verbesserungen kämen und Sie unseren Antrag unterstützten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall SPD)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns bereits in der letzten Sitzung mit einem Berichtsantrag eingebracht, der die Situation von Kindern in Heimen intensiv beleuchten soll. Wir haben viele Fragen dazu gestellt. Mit dem Antrag wollen wir klären, wie es mit dem Kinderschutz von Kindern in Heimen und mit der fachlichen Betreuung durch die Pflegefamilien aussieht, wir fragen nach der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben, nach dem Anspruch der Leistungsberechtigten und nach etwaigen Handlungsbedarfen.

Der Antrag der Kolleginnen und Kollegen der SPD greift nun einen anderen Aspekt eines möglichen Handlungsbedarfes auf. Es geht um die Frage der

finanziellen Entlastung der Pflege- und Heimkinder.

Wir begrüßen diese angestoßene Diskussion ausdrücklich und müssen in der Tat darüber nachdenken, inwiefern diese Regelungen einer Nachbesserung bedürfen. Ein Großteil der Jugendlichen jobbt nebenbei und verdient sich dadurch regelmäßig Geld. Das ist gut so.

Was für viele von ihnen zur Finanzierung des Mofas, des Smartphones, des Mobiliars für die eigene Wohnung dient, ist für Pflegekinder aus Heimen, Wohngruppen oder Pflegefamilien oftmals eine Belastung, die ihnen nicht wirklich nützt. Laut Gesetz geht der größte Teil des erwirtschafteten Nettoeinkommens für die Jugendlichen einfach flöten. Sie haben nicht viel davon, weil das Jugendamt das Geld, das verdient wurde, anrechnet - zum großen Teil. Denn - wie schon erwähnt wurde - es wird erwartet, dass sich der Jugendliche und der junge Erwachsene mit einem Anteil von 75 % an den Kosten der Unterbringung in den jeweiligen Pflegefamilien, Heimen und Einrichtungen beteiligt.

Über die derzeit bestehende Gesetzeslage kann man nicht besonders glücklich sein - das muss man ehrlich sagen. In Deutschland lebten im Jahr 2017 laut Auskunft der Bundesregierung 81.000 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 0 und 18 Jahren und noch einmal 10.000 junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren in Pflegefamilien. Hier bei uns in Schleswig-Holstein sind es 3.000 junge Menschen, die bei Pflegeeltern wohnen.

Das zuständige Jugendamt zahlt als Jugendhilfeträger für den Lebensunterhalt, die Krankenhilfe, die Kosten der Sachaufwendungen, die Pflege und Erziehung der jungen Menschen sowie Kleidung, Hygieneartikel und Kosten für Arbeitskleidung.

Während Kinder und Jugendliche 75 % ihres erwirtschafteten Nettoeinkommens einsetzen müssen, beziehen die Pflegeeltern weiterhin das komplette Pflegegeld aus diesem Leistungsbedarf. Das ist eine Problematik. Auf der Strecke bleibt hier der Anreiz für die jungen Menschen, für sich selbst etwas zu tun, sich zu verselbstständigen. Von beispielsweise 400 € bleiben nur 100 € übrig, und das ist ganz schön bitter. Es ist jedoch zu bedenken, dass bereits alle Leistungen - inklusive eines zustehenden angemessenen Taschengeldes - von den zuständigen Kostenträgern, also den Jugendämtern, gezahlt werden.

Zwar gibt es eine Hinzuverdienerregelung, eine Ausnahmeregelung, die ist aber sehr kompliziert

(Tobias von Pein)

und teilweise sehr unklar. Dort heißt es im Gesetz seit 2014:

„Eine Freistellung der Heranziehung des Verdienstes ist immer dann möglich, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die dem Zweck der Jugendhilfe dient.“

Was ist denn das? Diese Tätigkeiten sind dann jene, bei denen es um die Förderung gesellschaftlich anerkannter Tugenden wie beispielsweise Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit geht. Wo ist das denn nicht der Fall, wenn man arbeitet? Hier geht es also um Arbeit, die mit der Erziehung vereinbar ist, zum Beispiel Zeitungen austragen und so weiter. Diese Arbeit kann anerkannt werden, muss aber nicht. Genauso ist es bei Ferienjobs. Diese werden oft nicht anerkannt, manchmal aber schon. Allein diese Formulierungen verleiten zu Interpretationen, Spekulationen und manchmal zu Ungerechtigkeiten. Konflikte mit dem Jugendamt sind dann vorprogrammiert, aber natürlich auch Konflikte der jungen Erwachsenen mit Pflegeeltern.

Im aktuellen Koalitionsvertrag in Berlin haben die Partner vereinbart, das Kinder- und Jugendrecht weiterzuentwickeln. Das ist an der Stelle auch nötig. Im Zuge der Modernisierung des SGB VIII soll es - so steht es im Koalitionsvertrag - eine Gesetzesinitiative dazu geben. Darauf warten wir. Unser Impuls, sich darüber noch einmal intensiv Gedanken zu machen, ist aber, glaube ich, nicht schlecht.

Dieses Problem ist auch Gegenstand einer Diskussion einer Bund-Länder-Kommission. Wir müssen aber auch beachten, dass es dann auch eine Gleichstellung mit den Hartz-IV-Bezieherinnen und -Beziehern im Bereich der Jugendlichen geben muss.

Ja, auf Länderebene löst dies Konnexität aus. Das ist auch nicht so ganz einfach. Aktuell läuft bereits eine Anfrage an die Kreise und kreisfreien Städte, wie es hier bei uns in Schleswig-Holstein aussieht, um welche Gelder es sich handelt und welche Beträge es sich handelt. Ich glaube, das ist sehr gut. Diese Maßnahme sollten wir zusammen mit den Sozialdemokraten wirklich ergreifen. Das ist keine schlechte Idee.

Den Antrag der AfD werden wir ablehnen und uns gemeinsam im Ausschuss darüber unterhalten, wie wir das etwas verbessern können. - Danke schön.

(Beifall CDU, FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Aminata Touré.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Kinder und Jugendliche, die aus ihrem familiären Kontext gerissen werden müssen und dann in die Obhut des Staates kommen, gehören wahrscheinlich nicht zu den Menschen, die von Anfang an ein Vertrauen in diese Gesellschaft haben. In unseren ersten Jahren wird der Grundstein gelegt für alles, für Bildung, Startchancen, Teilhabe, soziale Kompetenzen, Empathie und nicht zuletzt auch der Glaube an Selbstwirksamkeit und in die Demokratie. Im Mai haben wir zu diesem Thema in diesem Haus einen Berichtsantrag zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien beraten.

Die SPD hat nun einen guten Antrag gestellt, bei dem es um die prekäre Situation von Kindern und Jugendlichen geht, die in Pflegefamilien oder im Heim leben. Pflegefamilien meistern eine große Herausforderung. Die Situation ist für die ganze Familie anspruchsvoll - für die Pflegeeltern, die Pflegekinder und die Geschwister. Alle geben ihr Bestes für Geborgenheit und gute Startchancen.

Wenn ein junger Mensch einen Ferienjob macht, sein Taschengeld mit einem Minijob aufbessert oder eine Ausbildungsvergütung bekommt, dann kann er oder sie das Geld behalten. Das ist in der Regel selbstverständlich. Wenn man aber Sozialgeld bekommt, weil die eigene Familie Transfereinkommen bezieht, dann darf man nur die ersten 100 € behalten. Ab dem 101. € bleiben nur noch 25 ct von einem Euro, ein Viertel, übrig. Der Rest wird auf das Sozialgeld angerechnet. Das motiviert nicht, Eigeninitiative zu zeigen, ganz im Gegenteil.

Ich musste bei diesem konkreten Punkt auch darüber nachdenken, wie ich das selbst als jemand erlebt habe, der eine alleinerziehende Mutter hat, die vier Kinder hat, die dann eine Umschulung gemacht hat und auf staatliche Hilfe angewiesen war. Man war genau in dieser Situation, Geld für die eigene Familie mitverdienen zu wollen, das aber nicht angerechnet wird. Das ist eine schwierige Situation für Familien, und es gibt Jugendlichen dann nicht den Anreiz, zu arbeiten.

Lebt man in einem Heim oder in einer Pflegefamilie, gehen sofort 75 %, also drei Viertel, des Einkommens an das Jugendamt. Das ist nicht gerecht.

(Katja Rathje-Hoffmann)

Damit refinanziert der Kostenträger der Jugendhilfe seine Leistungsausgaben. Zugespitzt könnte man sagen, dass man als Pflegekind seine eigenen Pflegeeltern finanziert. Wir Grüne halten das für falsch. Da sind wir uns mit unseren Koalitionspartnern in Jamaika einig. Wir unterstützen die Zielrichtung des SPD-Antrags, aber die SPD-Landtagsfraktion ist bei Weitem nicht die einzige, die an dem Thema dran ist.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendamtsleitungen befasst sich mit diesem Problem. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Fachministerinnen und Fachminister arbeitet auch an einer Lösung. Es kann sehr gut sein, dass noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf im Bundeskabinett beraten und in den Bundestag eingebracht werden wird.

Auch auf Bundesebene sind wir Grüne in Vorlage gegangen. Erst letzte Woche hat die Bundestagsfraktion ein Konzept für eine Kindergrundsicherung vorgelegt: Ein Garantiebetrag von 280 € für jedes Kind ohne Antragstellung und Bürokratie, ergänzt um einen am Bedarf orientierten Plusbetrag, sodass maximal 503 € gezahlt werden können. In der Kindergrundsicherung gehen die Kinderregelsätze, der Kindergeldzuschlag, das Bildungs- und Teilhabepaket, das Kindergeld und die Kinderfreibeträge auf. Insgesamt wollen wir 10 Milliarden € in die Hand nehmen und damit Kinderarmut aktiv bekämpfen. Das ist eine klare Ansage.

Es geht bei dem Thema, Pflegekinder und Heimkinder finanziell zu entlasten, um Bundesrecht und um primär kommunale Zuständigkeiten. Es wäre sehr gut, wenn die dringend erforderliche Änderung im Kinder- und Jugendhilfegesetz durch den Bund initiiert würde, und das ist nicht unwahrscheinlich. Würde das Bundesgesetz durch eine Initiative der Länderkammer auf den Weg gebracht werden, so ist vorprogrammiert, dass die Kommunen Konnexität geltend machen wollen.

Wir schlagen vor, dass wir den Antrag an den Sozialausschuss überweisen. Dort können wir mit Betroffenen, Expertinnen und Experten und Jugendhilfeträgern vertiefend beraten. Gemeinsam können wir herausfinden, wie eine sinnvolle Lösung im Bund aussehen könnte, da wir hier gemeinsam an einem Ziel arbeiten. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Das Wort für die Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder und Jugendliche sind eine der schwächsten gesellschaftlichen Gruppen. Dies gilt noch stärker für jene, die in Pflegeeinrichtungen leben. Eine wohlbehütete Kindheit im elterlichen Haus ist leider nicht allen gegeben. Die jungen Menschen, die sich in frühen Jahren Arbeit suchen und sich eine Grundlage für ihr späteres Leben aufbauen wollen, bedürfen mehr Unterstützung. Bislang werden ihnen Steine in den Weg gelegt, die wir ihnen aus dem Weg räumen wollen. Wenn einem bis zu 75 % vom Einkommen abgenommen werden, dann ist das in meinen Augen ein großer Stein auf dem Weg hin zur Selbstständigkeit einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung.

Pflege- und Heimkinder fallen derzeit leider unter Abgaberegeln, aus denen die zugegebenermaßen nicht geringen öffentlichen Kosten für ihre Unterbringung in Teilen gegenfinanziert werden sollen. Viele Aushilfsjobs für Minderjährige werden allerdings nur mit 6 bis 10 € pro Stunde entlohnt. Nach Abzug von 75 % bleiben somit noch 1,50 € bis 2,50 € pro Stunde übrig. Wo bleibt hier der Anreiz, arbeiten zu gehen?

(Beifall FDP)

Das ist in höchstem Maße ungerecht und muss bei Jugendlichen zwangsläufig einen Eindruck erwecken, der nicht förderlich ist. Da wird man sich als junger Mensch schon fragen, ob sich eigene Arbeit überhaupt lohnt. Man wird sich auch fragen, wie das bei anderen jungen Menschen vonstattengeht, ob anderen in gleichem Maße bei ihrer persönlichen Entwicklung Steine in den Weg gelegt werden.

Ein weiteres unbehagliches Gefühl kann hinzukommen: Die finanzielle Heranziehung kann auch als eigene Verantwortlichkeit für die Situation der Kinder empfunden werden - sprich, dass die Kinder in den Pflegeeinrichtungen stets selbstverschuldet untergebracht seien. Dass dies eher selten der Fall ist, ist natürlich klar, aber trotzdem muss es sich für diejenigen Pflegekinder, die sich aus eigener Motivation einen Job suchen, wie eine Bestrafung anfühlen. Daher freue ich mich, dass wir über dieses wichtige Thema diskutieren und hier gemeinsam an Verbesserungen arbeiten werden.

(Aminata Touré)

Bestehende Hürden, die es einem schwer machen, Arbeit aufzunehmen, die es einem schwer machen, den Einstieg ins Berufsleben zu beginnen, sind konsequent abzubauen. Ich werte finanzielle Heranziehungsregelungen als demotivierend gegenüber der Aufnahme eines Jobs.

Ich denke, die meisten hier können sich noch an ihre erste Gehaltszahlung vor der Abgeordnetentätigkeit erinnern und daran, was das für ein angenehmes Gefühl gewesen ist, nach einem Monat Arbeit, sei es im Minijob, in der Ausbildung oder auch freiberuflich, die Wertschätzung für die geleistete Arbeit in Geld zu erfahren. Gerade in jungen Jahren ist es wichtig, früh zu erleben, dass sich eigene Leistung und eigene Arbeit lohnen und wichtig sind für die Gestaltung des eigenen Lebens.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und SSW)

Sowohl die FDP-Bundestagsfraktion als auch meine Jungen Liberalen Schleswig-Holstein haben ähnliche Beschlusslagen wie die nun vorliegende Initiative. Daher begrüße ich diese grundsätzliche Ausrichtung des Antrags ausdrücklich. Ich möchte aber noch gern im Sozialausschuss ein paar Fragen erörtern, so zum Beispiel, wie viele Personen in Schleswig-Holstein in den Kreisen und kreisfreien Städten in welchem Maße bisher von dieser Anrechnung konkret betroffen sind und von welchen Summen wir im Endeffekt sprechen. Voraussichtlich wird hier die Konnexität zu prüfen sein und auch die Frage, wie dann die Gegenfinanzierung aussehen müsste.