Protokoll der Sitzung vom 26.09.2019

Das merken wir besonders im ländlichen Raum. Fast ein Drittel aller niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sind 60 Jahre alt oder älter. Sie brauchen in den nächsten fünf bis zehn Jahren - überlegen Sie, wie lange eine Legislaturperiode dauert und wie schnell wir jetzt handeln müssen - dringend eine Nachfolge für ihre Praxen; sonst ist da keiner mehr.

In den Krankenhäusern und im öffentlichen Gesundheitsdienst klaffen ebenfalls große Lücken im Stellenplan. Auch in den Brennpunktstadtteilen darauf hat mich Lasse Petersdotter neulich noch einmal aufmerksam gemacht - gibt es nicht mehr genug Ärztinnen und Ärzte. Wartezeiten von bis zu fünf Monaten für einen Termin bei einer Kinderärztin oder bei einem Kinderarzt sind völlig indiskutabel. Deswegen wollen wir handeln.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Heiner Rickers und Hauke Göttsch wissen ganz genau: Wer morgen ernten will, muss heute säen. Wer morgen genug Fachärztinnen und Fachärzte haben will, der muss genügend ausbilden. So einfach ist das.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

(Ministerpräsident Daniel Günther)

Deswegen freue ich mich, dass Jamaika eine Studienplatzoffensive Medizin auf den Weg bringt. Ich würde mich riesig freuen, wenn sich dem auch die anderen Parteien und Fraktionen anschließen könnten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum wollen wir das? Ein Medizinstudium dauert in der Regel etwa sechseinhalb Jahre, eine Facharztweiterbildung dauert mindestens fünf Jahre. Wenn ich mir das jetzt einmal ausrechne: Diejenigen, die im Wintersemester 2019 ihr Studium aufnehmen, stehen frühestens im Jahr 2031 zur Verfügung, um eine Praxis zu übernehmen. Das heißt, wir müssen jetzt handeln, jetzt schneller werden. Sonst haben wir morgen keine medizinische Versorgung mehr. Das wollen wir Grüne nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen ganz deutlich, was das bedeutet, wenn die Stellen in den Krankenhäusern unbesetzt bleiben. Das führt immer zu einer Mehrbelastung derjenigen, die noch da sind und die mit allen Kräften versuchen, die Patientenversorgung aufrechtzuerhalten. Die Stammbelegschaften arbeiten sowieso schon am Limit. Wenn es dann Monate dauert, bis ein neuer Kollege oder eine neue Kollegin gefunden worden ist, dann ist das für die Ärztinnen und die Ärzte schlecht, aber es ist auch für die Patienten total schlecht, weil dadurch die Qualität leiden kann, und das wollen wir nicht. Der Behandlungserfolg soll auch nicht darunter leiden, und daher ist es wichtig, dass wir das heute beschließen. Darüber würde ich mich sehr freuen.

Wie soll es also funktionieren? Das Gleiche gilt natürlich für das Pflegepersonal. Das ist völlig klar. Das brauchen wir auch, aber in diesem Antrag geht es jetzt um die Medizinstudienplätze. All dies hängt damit zusammen, dass die Landärztinnen und die Landärzte, früher waren es überwiegend Männer, 80 Stunden in der Woche gearbeitet haben. Sie waren rund um die Uhr bereit für ihre Patientinnen und Patienten. Das wollen aber viele junge Kolleginnen und Kollegen nicht mehr. Wenn es früher 80 Stunden waren und jetzt 40, dann kann ich mir doch ausrechnen, dass ich jetzt doppelt so viele Personalstellen brauche und dass wir diese auch füllen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir sagen, wir können uns das alles ausrechnen, dann sage ich aber auch eines ganz deutlich: Ein Medizinstudienplatz wird von den Universitäten mit etwa 30.000 € pro Jahr veranschlagt. Das ist mir völlig klar. Ich

sage Ihnen aber auch ganz klar: Wir wollen mit dieser Initiative, dass der Bund in die Verantwortung kommt. Der Bund darf die Länder bei der Daseinsvorsorge nicht im Stich lassen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss mich ein bisschen beeilen, aber ich komme noch auf den Punkt der Bildungsgerechtigkeit. Das ist doch sinnvoll. Wenn wir etwa 40.000 Bewerbungen haben, aber nur knapp 10.000 Studienplätze, dann heißt es doch, dass viele Bewerbungen ins Leere laufen. Viele können ihren Traumberuf nicht ergreifen, und wir brauchen diese jungen Menschen. Wir brauchen mehr Ärztinnen und Ärzte, und deswegen finde ich es sinnvoll, dass wir dem Bund sagen, er muss mehr Studienplätze schaffen. Er muss sie auch finanzieren. Ich bin ganz optimistisch, dass auch aus anderen Bundesländern, die in Bezug auf die medizinische Versorgung im ländlichen Raum eine ähnliche Situation haben wie wir, die Unterstützung groß sein wird.

Unterstützung ist das Stichwort. Über Ihre Unterstützung und Ihre Zustimmung würde ich mich riesig freuen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP, SSW und vereinzelt AfD)

Das Wort für die Abgeordneten der SPD hat der Abgeordnete Dr. Heiner Dunckel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzunehmen: Wir werden dem Antrag zustimmen.

Erinnert sich noch jemand von Ihnen an das Erichsen-Gutachten? Ich hatte damals als Rektor der Universität und dann als Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz das zweifelhafte Vergnügen, mich mit diesem Gutachten zu beschäftigen. Zur Erinnerung: 2003 wurde eine hochrangige Expertenkommission unter Vorsitz von Professor Dr. Hans-Uwe Erichsen, Jurist, langjähriger Rektor der Universität Münster und langjähriger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, beauftragt, das damalige Hochschulsystem Schleswig-Holsteins unter die Lupe zu nehmen, um den Wissenschaftsstandort Schleswig-Holstein im Vergleich zum Bundesgebiet zu stärken. Zwar sollte keine beste

(Dr. Marret Bohn)

hende Hochschule und kein Hochschulstandort aufgegeben werden, es galt aber, so die Aufgabe, das Hochschulsystem den begrenzten finanziellen Ressourcen anzupassen.

Die wichtigste Empfehlung der Erichsen-Kommission betraf die Humanmedizin. Es wurde empfohlen, die Ausbildungskapazitäten um etwa 26 % zu reduzieren. Gleiches sollte für die Bettenkapazitäten an den beiden Standorten des UKSH gelten. Noch 2009 hat der Landesrechnungshof moniert, dass Schleswig-Holstein noch immer überproportional viele Medizinstudierende ausbilde und dass die Empfehlungen der Erichsen-Kommission nicht eins zu eins umgesetzt worden seien.

Und heute? Alle reden vom Ärztemangel und den Problemen im Gesundheitssystem. Überall - insbesondere in den ländlichen Regionen - ziehen sich Ärzte in den Ruhestand zurück und finden keine Nachfolger für ihre Praxis, wir haben es gerade schon gehört. Das Ergebnis: Die Wege zum Hausarzt werden immer länger. Insgesamt ist insbesondere in den ländlichen Regionen die gesundheitliche Versorgung bedroht. Das ist die Situation. Ich sage das auch ein bisschen selbstkritisch, weil ich manchmal über die Prognosefähigkeit von solchen hochschulpolitischen Gutachten ins Zweifeln komme.

Der Ärztetag hat im vergangenen Jahr die Forderung aufgestellt, bundesweit mindestens 6.000 neue Studienplätze in der Humanmedizin einzurichten, einige sagen 6.000 Studienplätze pro Jahr, um die Situation auch in den Jahren 2030 bis 2035 auf dem gleichen Stand zu realisieren. Dazu sollten materielle Verbesserungen in der Ausbildung kommen, zum Beispiel eine bundesweit einheitliche Vergütung von 1.500 € im Monat im Praktischen Jahr.

Wir haben bereits jetzt in vielen gesellschaftlichen Bereichen einen Fachkräftemangel, der sich in Zukunft noch verstärken wird. Zu einem erheblichen Teil liegt das daran, dass es zu wenig Interessentinnen und Interessenten für den betreffenden Beruf gibt. In der Medizin ist das exakt anders herum. Hier haben wir die Situation: Es gab und gibt sehr viel mehr Studieninteressierte als Studienplätze.

Wir haben es gehört: Gerade im ärztlichen Bereich darf es keine flächendeckende Verschlechterung der Versorgung geben, insbesondere nicht im Bereich der Allgemeinmedizin. Wir diskutieren immer wieder über Anreizsysteme wie eine Landarztquote, die aber ins Leere gehen wird, wenn wir motivierten und qualifizierten Abiturienten regelmäßig die Tür zur Universität vor der Nase zuschlagen. Es ist des

halb ein richtiger Ansatz, den Bund an seine Verpflichtung zur Aufrechterhaltung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu erinnern und ihn zu einem gemeinsamen Engagement mit den Ländern zu bewegen, bundesweit mehr Studienplätze für Humanmedizin zu schaffen.

(Beifall SPD und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir müssen uns natürlich im Klaren sein, dass 1.000 Studienplätze ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Je nachdem, wie wir es rechnen, werden das für Schleswig-Holstein nicht viel mehr als 28 bis 35 Studienplätze sein. Das ist aber besser als nichts. Das ist ein Anfang. Ich möchte dabei betonen: Wichtig wird sein, dass diese Studienplätze selbstverständlich auskömmlich und nicht zulasten anderer Studienplätze finanziert werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgetragen, das Zulassungsverfahren in der Medizin neu zu regeln. Ich wünsche mir nach wie vor, dass bei der Vergabe von Studienplätzen zum Beispiel berufliche Vorerfahrungen stärker berücksichtigt werden oder worden wären. Wir sind hier ja noch im Prozess. Die Abiturnote allein sagt wenig über die zukünftige Eignung für den Arztberuf aus.

(Beifall SPD)

Es bleibt aber das Problem, dass wie auch immer motivierte und befähigte Studieninteressierte auf zu wenig Medizinstudienplätze treffen. Hier müssen wir dringend entsprechend handeln. Ich habe es schon gesagt, meine Fraktion wird deshalb dem Antrag zustimmen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtages Damen und Herren der Seniorenunion Lütjensee und des Seniorenbeirats der Stadt Norderstedt. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Hans Hinrich Neve.

(Dr. Heiner Dunckel)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verfügbarkeit eines Hausarztes ist für viele SchleswigHolsteiner wichtiger als gute Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe oder schnelles Internet. Das geht aus einer Forsa-Umfrage hervor, die Anfang des Monats von der AOK NORDWEST veröffentlicht wurde. Wir alle haben das hier und da in der Zeitung gelesen. Die medizinische Versorgung steht für die Bevölkerung in unserem Land an erster Stelle. Das dürfen wir bei all dem nicht vergessen.

Engpässe in der Ärzteversorgung beobachten wir schon seit vielen Jahren. Über die Entwicklung der hausärztlichen Versorgung haben wir im AugustPlenum schon gesprochen, aber auch in der Facharztversorgung werden Lücken sichtbar. Ich war vor Kurzem beim Marburger Bund. Dort klagten die Krankenhausärzte über die enorme Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung, die auch eine Folge von unbesetzten Arztstellen sind.

Wenn wir mit den Kreisen und kreisfreien Städten über ihre Gesundheitsämter sprechen, dann müssen wir auch hier feststellen, dass die Arztstellen dort ganz schwer zu besetzen sind. Sicherlich spielt hier auch die Besoldungsstruktur eine Rolle. Darüber sollten sich die Kreise und kreisfreien Städte noch einmal Gedanken machen, aber auch hier gibt es ein großes Problem. Auch die Amtsärzte brauchen wir.

Frau Dr. Bohn hat es eben schon erwähnt: Wir haben in unserer heutigen Gesellschaft andere Lebensentwürfe. Stichwort ist hier Work-Life-Balance. Man ist nicht mehr bereit, 60 Stunden und mehr in der Woche zu arbeiten. Das ist auch in Ordnung und richtig so. Das gilt ja für alle Bereiche. Das gilt auch für den Ärztebereich. Ein Hausarzt, der heute in den Ruhestand geht, muss in der Regel durch mindestens zwei junge Mediziner ersetzt werden. Diese Entwicklung beobachten wir schon länger, sie ist nicht neu. Insofern kennen wir das schon.

Fachkräftemangel haben wir in vielen Bereichen, aber ein Fachkräftemangel ist oft auch ein Resultat dessen, dass die entsprechenden Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Von der SPD wurde es schon erwähnt: In dem medizinischen Bereich ist das ganz anders. Viele sind bereit, dies zu tun. Das ist uns bereits seit Jahren bekannt.

Das Problem wird zurzeit dadurch gelöst, dass Ärzte aus dem Ausland nach Deutschland kommen. Ansonsten würden einige Patienten in einigen Teilen Deutschlands nicht mehr versorgt werden. Allein 2018 stieg die Zahl der praktizierenden Medi

zinerinnen und Mediziner aus dem Ausland auf 48.000. Das ist eine enorme Zahl. Das sind fast dreimal so viele wie zehn Jahre zuvor. Sie kommen aus Süd- und Osteuropa, Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Syrien oder Ägypten; sie kommen aus vielen verschiedenen Ländern.

So willkommen diese Fachkräfte sind, ist diese Entwicklung nicht unproblematisch. Uns muss doch bewusst sein, dass die zugewanderten Medizinerinnen und Mediziner in ihren Herkunftsländern fehlen werden. Ich habe Kontakte nach Rumänien und Griechenland und weißt: Dort nimmt der Ärztemangel mittlerweile katastrophale Züge an. Insofern haben wir eine hohe Verantwortung, die Anzahl der Medizinstudienplätze dem heutigen Bedarf anzupassen.

(Beifall CDU, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Die Gesundheitspolitiker der Länder fordern das auf Bundesebene schon länger. Bei unseren Treffen auf Bundesebene steht dieses Thema seit einigen Jahren schon im Vordergrund. Anfang des Jahres hat der ehemalige Präsident der Bundesärztekammer, Montgomery, wiederholt mehr Studienplätzen gefordert - ich zitiere, Herr Präsident -:

„Wir brauchen rund 1.000 zusätzliche Studienplätze pro Jahrgang.“

Im Jamaika-Koalitionsvertrag 2017 haben wir festgeschrieben - ich zitiere wieder -:

„Unser Ziel ist es, gemeinsam mit den anderen Bundesländern durch einen ‚Hochschulpakt Medizin“ bundesweit 1.000 neue Medizinstudienplätze zu schaffen.“