Protokoll der Sitzung vom 20.09.2017

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Nachfolgerin für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Axel Bernstein hat der Landeswahlleiter Frau Anette Röttger festgestellt. Frau Röttger hat Ihr Landtagsmandat am 1. September 2017 angenommen. Ich bitte Sie, Frau Kollegin Röttger, zur Verpflichtung nach vorn zu kommen, und ich bitte die Damen und Herren Abgeordneten, sich von den Plätzen zu erheben.

Ich spreche Ihnen die Eidesformel vor und bitte Sie, die rechte Hand zu heben und mir nachzusprechen.

(Die Anwesenden erheben sich - Die Abge- ordnete wird nach folgender Eidesformel vereidigt: Ich schwöre, meine Pflichten als Abgeordnete gewissenhaft zu erfüllen, Ver- fassung und Gesetze zu wahren und dem Lande unbestechlich und ohne Eigennutz zu dienen, so wahr mir Gott helfe.)

- Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen alles Gute für die Arbeit für die Menschen in Schleswig-Holstein.

(Anette Röttger [CDU]: Vielen Dank, Herr Präsident. - Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde zu Aussagen des Wirtschaftsministers Dr. Bernd Buchholz zum vergaberechtlichen Mindestlohn in Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion der SPD und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/181

Das Wort für die Fraktion der SPD hat der Fraktionsvorsitzende, der Herr Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust“, lässt Goethe seinen Faust sagen, und das trifft auch auf den Herrn Wirtschaftsminister zu, der zum einen Bundestagskandidat der FDP ist, immerhin auf Platz 2 der Landesliste, zum anderen aber auch hier Minister für Wirtschaft ist. Dies macht deutlich, dass das Chaos der vergangenen Woche auch ein wenig über die Kompliziertheit der Regierungsverbindung aussagt und wie harmonisch und belastbar das Klima in der schwarzen Ampel ist.

Ich fange einmal mit der Chronologie an: Am 7. September 2017 treten die drei Landeswirtschaftsminister der FDP vor der Bundespressekonferenz auf. Und der Wirtschaftsminister sagt: „Schleswig-Holstein ist das Land der zwei Küsten.“ - Das stimmt. - Es ist aber auch das Land der drei Mindestlöhne.

Da es ein Wahlkampftermin war, fügte der Minister hinzu, mit Billigung der Koalitionspartner wolle er zwei davon wegnehmen. Im Klartext bedeutet das, dass neben dem Landesmindestlohn, den wir damals eingeführt haben, um den Weg für den Herrn Bundesminister zu bereiten und der in der Tat auslaufen kann, auch der Mindestlohn abgeschafft werden soll, der verhindern soll, dass es Vergaben gibt, die zu einem Dumpingwettbewerb führen, um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dem einzuschränken, was sie verdienen können. Genau darum geht es.

(Beifall SPD)

(Präsident Klaus Schlie)

Die Grünen zeigen sich irritiert, diese Position sei nicht abgesprochen. Dann wurde gemutmaßt, Herr Buchholz habe das vielleicht verwechselt. Aber ich muss ihn in Schutz nehmen; denn er ist ja nicht Herr Kubicki. Ich glaube schon, dass er eher zu den intellektuellen Schwergewichten in der FDP gehört, weshalb er das wohl mitnichten vergessen hat, sondern sehr genau weiß, was er sagt.

(Lachen und Beifall FDP - Wolfgang Ku- bicki [FDP]: Sehr wahr!)

Der Kollege Andresen hat dann ergänzt, dass Lohngerechtigkeit für die Grünen ein wichtiges politisches Ziel sei. Es sei nichts vereinbart, was vereinbar sei mit dem, was der Herr Wirtschaftsminister vorgetragen habe.

Nun kann man das auf zweierlei Weise lesen: Entweder haben die Minister in dieser Koalition nichts zu melden, oder es ist ihnen egal, was die Regierungsfraktionen denken. Für eine der beiden Varianten kann man sich entscheiden.

Das ist ein bisschen schwer, denn in der letzten Zeit ist das in Mode gekommen. So geht der Landwirtschaftsminister zur NORLA, wo der Ministerpräsident mit ihm im Gefolge den erstaunten Bauern mitteilt, dass künftig eine rein schwarze Landwirtschaftspolitik gemacht werde. Dazu sagt er keinen Ton. Man merkt sozusagen, wie sich das entwickelt.

Aber ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das ist nicht nur lustig, sondern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Schleswig-Holstein haben Klarheit verdient. 1,15 € Differenz zwischen Bundes- und Vergabemindestlohn machen für viele Menschen im Niedriglohnland Schleswig-Holstein den Unterschied aus, ob sie zurechtkommen oder nicht, ob am Monatsende etwas übrig bleibt oder nicht. Das ist uns wichtig, und darauf kommt es an, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Vergabemindestlohn schützt vor Dumping. Wer auf Kosten seiner Mitarbeiter die Preise drückt, soll in Schleswig-Holstein keine öffentlichen Aufträge bekommen. Das jedenfalls ist die Auffassung der Sozialdemokratie.

(Beifall SPD, Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Flemming Meyer [SSW])

Deswegen verdienen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine klare Antwort.

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

Deshalb muss man fragen, ob die Aussagen des Wirtschaftsministers zur Abschaffung des Vergabemindestlohns ernst zu nehmen sind. Fühlt er sich an den Koalitionsvertrag überhaupt gebunden?

Ich muss ehrlich sagen: Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir in diesem Landtag eine Kuriosität haben. Der Herr Alterspräsident kandidiert gleichzeitig für zwei Parlamente und fügt hinzu, dass er in jedem Fall nach Berlin gehen werde. Der Herr Wirtschaftsminister kandidiert für den Bundestag und erklärt Wochen vor der Wahl, dass er auf keinen Fall sein Mandat annehmen werde. - Wo ist eigentlich der Respekt vor den Wählerinnen und Wählern, wenn man sich so verhält? Das muss ich Ihnen ehrlich sagen.

(Beifall SPD - Hans-Jörn Arp [CDU]: Kommt da so etwas wie Neid auf?)

Das wäre in keiner anderen Partei vorstellbar, und das erklärt natürlich die unterschiedlichen Aussagen. Der Wahlkämpfer Buchholz sagt, was er eigentlich denkt, nämlich dass „gute Arbeit“ bei der FDP ein Fremdwort ist. Schwarz-Gelb ist in denkbar schlechter Erinnerung, was Arbeitnehmerrechte und gute Arbeit in Schleswig-Holstein angehen.

(Zurufe FDP: Oh!)

Mit Blick auf die Grünen hat der SSW zu Recht darauf hingewiesen, dass der Weg von „sozial“ zu „neoliberal“ denkbar kurz gewesen sei. Das hat der Kollege Harms festgestellt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Bei Facebook ge- postet!)

Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Das ist in der Tat zutreffend. Das haben wir gesehen, als es um den Vergabemindestlohn beim öffentlichen Personennahverkehr ging.

Aber das ist nicht alles, sondern wir haben auch noch der Tragödie zweiter Teil. Beim Norddeutschen Immobilientag am 13. September 2017 war es wiederum der Herr Wirtschaftsminister, bei dem nicht klar war: Spricht jetzt der Herr Wirtschaftsminister, oder spricht der Bundestagskandidat?

Er hat schneidige Initiativen zur Grunderwerbsteuer angekündigt. Diese waren so schneidig, dass die Finanzministerin ihn gleich per Pressemitteilung zurückpfeifen musste. Die eine Ministerin sagt dieses, der andere Minister sagt jenes. Offenbar gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was eigentlich im Koalitionsvertrag steht. Will man die Unternehmen stärker belasten, die sich um die Zah

(Dr. Ralf Stegner)

lung der Grunderwerbsteuer bislang drücken? Will man den Immobilienkäufern die Steuer erlassen? Vor allen Dingen kann man daran sehen, dass die Schwächen der Koalition ganz offenkundig sind. Beide zeigen nämlich, dass es dem Minister schwerfällt, zwischen den Rollen zu unterscheiden, die er hat, während die Öffentlichkeit schon nach wenigen Wochen Honeymoon erkennen muss, wie die Lage wirklich ist.

Im Koalitionsvertrag stehen hauptsächlich Prüfaufträge, es werden Auslassungen gemacht, und er enthält Ungenauigkeiten. Man muss sagen, dass das Thema „gute Arbeit“ bei Ihnen keine Priorität hat. Das kann man jedem Satz dieses Koalitionsvertrags entnehmen.

Diese Schwächen hat er natürlich auch, weil er Dinge zusammenbringen musste, die wirklich nicht zusammenpassen.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Der Herr Ministerpräsident sammelt sozusagen erst seine Wahlversprechen ein und hält hauptsächlich Grußworte.

(Lachen CDU und FDP)

Herr Ministerpräsident, Sie haben inzwischen sage und schreibe drei Regierungssprecher. Die verkünden zwischendrin, dass Sie ab und zu mal Machtworte hielten. - Es gibt also Grußworte und Machtworte des Ministerpräsidenten, aber keine Einigkeit in der Koalition. Das müssen wir feststellen.

Am Ende muss man sagen: Jamaika liegt im Hurrikan-Gebiet, und da fallen auch die schwarzen Ampeln völlig aus, wenn der Hurrikan da ist. Das kann man bei Ihnen feststellen: Es ist nichts da, was gemeinsame Substanz verrät. Beim Thema „gute Arbeit“ herrscht bei Ihnen Fehlanzeige. Gute Arbeit liefern Sie auch nicht ab.

(Zuruf FDP: Sie auch nicht!)

Der Herr Wirtschaftsminister sagt, was er wirklich denkt. Das finde ich begrüßenswert. Das hat aber nun gar nichts mit dem zu tun, was Sie uns über gute Arbeit erzählen wollen. Dass wir das hier diskutieren, darauf haben die Menschen ein Anrecht. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Lukas Kilian.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das einzige, das man nach dieser Rede feststellen kann, ist, dass die Opposition noch übt.

(Heiterkeit und Beifall CDU, FDP und Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was muss noch passieren? Am Sonntag ist die Bundestagswahl. Es wird eine Aktuelle Stunde beantragt, und man denkt: Jetzt kommt ein knackiger Auftritt; jetzt kommt ein Angriff auf die Regierungskoalition; jetzt kommt irgendetwas, mit dem man den Finger in die Wunde legt.