Protokoll der Sitzung vom 15.11.2019

- Okay, dann sage ich das Abstimmungsergebnis noch einmal: Sie haben als Fraktionslose dem Antrag Drucksache 19/1830 auch zugestimmt.

(Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [frakti- onslos]: Ja!)

Dann wiederhole ich die Abstimmung über den Antrag der Koalitionsfraktionen. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist

dieser Antrag mit den Stimmen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SPD und SSW gegen die Stimmen der AfD und der Abgeordneten von Sayn-Wittgenstein angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:

Aushöhlung des Arbeitszeitgesetzes verhindern

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/1788

Mit einem modernen Arbeitszeitgesetz den Anforderungen von Beschäftigten und Unternehmen gerecht werden

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/1825

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Serpil Midyatli.

(Unruhe)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Digitalisierung der Arbeitswelt ist in aller Munde. Es wird oft von Flexibilität gesprochen.

(Unruhe)

- Ich lasse allen, die jetzt rausmüssen, einmal die Zeit hinauszugehen. - Es wird oft über Flexibilität gesprochen, aber auch davon, dass wir neue Regeln brauchen. Für uns Sozialdemokraten sind gute Arbeitsbedingungen ein Kernthema, und so wird es auch bleiben.

(Beifall SPD)

Daher hat der Bundesratsantrag aus Bayern „Arbeitszeiten familienfreundlich und unbürokratisch gestalten - Digitalisierung im Sinn von Beschäftigten und Unternehmen nutzen“ unser Interesse geweckt. Unbedenklich oder gar sinnvoll würden einige meinen, aber in Wirklichkeit verbirgt sich hinter dieser Bundesratsinitiative weder Familienfreundlichkeit, noch geht es um Digitalisierung, sondern der Arbeitnehmerschutz soll gelockert werden, und es geht um das Arbeitszeitgesetz. Das lehnen wir als SPD-Fraktion ab und fordern die Landesregierung auf, im Bundesrat gegen den Antrag aus Bayern zu stimmen.

(Minister Dr. Bernd Buchholz)

(Beifall SPD und Flemming Meyer [SSW])

Der Antrag ist nicht im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Kern geht es um die Ruhezeiten, die verkürzt beziehungsweise unterbrochen werden sollen, aber auch darum, die Höchstarbeitszeit pro Tag weiter zu erhöhen.

Meine verehrten Damen und Herren, wir haben den Antrag heute gestellt und fordern Sie damit auf, dagegen zu stimmen, nachdem wir festgestellt haben, dass Schleswig-Holstein bereits in zwei Bundesratsausschüssen dieser Bayerninitiative zugestimmt hat; das Votum von zwei weiteren Ausschüssen steht noch aus. Daher fanden wir es richtig und wichtig, heute darüber zu debattieren.

(Beifall SPD und SSW)

Sie haben bereits mit der Reform des Tariftreueund Vergabegesetzes die Tarifbindung in Schleswig-Holstein geschwächt. Dann wollten Sie die Arbeitszeitdokumentation beim Mindestlohn lockern, und jetzt geht es darum, das Arbeitszeitgesetz aufzuweichen. Liebe Landesregierung von CDU, Grünen und FDP, Sie setzen sich damit nicht für die Interessen der Beschäftigten im Land ein, sondern das Gegenteil passiert hier.

Wir wissen alle, dass sich die Erwerbsverläufe und die Arbeitswelt in den vergangen Jahren erheblich verändert haben. Sie sind vielfältiger und individueller geworden. Es wird zu weiteren Veränderungen in der Arbeitswelt kommen. Wir sind der Ansicht, dass man den Veränderungen der Bedingungen nicht mit weniger, sondern mit mehr Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechten begegnen sollte. Die ständige Erreichbarkeit und die überbordende Inanspruchnahme der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfordern neue Formen des Schutzes.

Auch in der analogen Welt ist der Antrag aus Bayern nicht familienfreundlich, ganz im Gegenteil. Hier wird versucht, über das Aufweichen der gesetzlichen Arbeitszeit personelle Engpässe in gewissen Branchen zu lösen. Ich sage Ihnen hier auch als ehemalige Chefin sehr deutlich: Es ist bestimmt keine gute Idee, Angestellte in 12- oder 14-Stunden-Schichten schuften zu lassen. Durch längeres Arbeiten werden Sie das generelle Problem des Fachkräftemangels in den nächsten Jahren mit Sicherheit nicht lösen.

(Beifall SPD, SSW und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen einen starken Tarifpartner, und das sind die Gewerkschaften. Auch an dieser Stelle noch einmal herzli

chen Glückwunsch; gestern haben wir in Hamburg 70 Jahre DGB Nord gefeiert. Auch da wurde deutlich, dass es bereits jetzt genügend Möglichkeiten gibt, was die Arbeitszeit angeht, mit Tariflösungen, mit Tariföffnungsklauseln zu arbeiten.

(Beifall SPD)

Es ist bereits jetzt möglich, neue, flexiblere Arbeitszeiten zu vereinbaren, neue Modelle auszutesten. Nehmen wir zum Beispiel die Stadt Kiel: Bei über 5.300 Beschäftigten hat die Stadt Kiel 2.000 verschiedene Vereinbarungen zur Arbeitszeit. Das jetzige Arbeitszeitgesetz ist bereits sehr flexibel und individuell anpassbar.

Wenn Sie die Angestellten stärken wollen, dann nur mit besseren Arbeitsbedingungen und einer starken Tarifbindung. Das sind die Voraussetzungen, um Fachkräfte zu gewinnen und langfristig zu sichern, auf Augenhöhe mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie können zum Beispiel eine unserer Forderungen unterstützen, tarifgebundene Unternehmen steuerlich besserzustellen als die, die sich nicht an Tarife halten.

(Beifall Birte Pauls [SPD])

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, Tarifverträge für ganze Branchen endlich leichter allgemeinverbindlich zu machen.

(Beifall SPD)

Daher schlagen wir Ihnen vor, das Vetorecht der Arbeitgeber dabei abzuschaffen.

Sie sehen, es gibt genügend Möglichkeiten, um den Fachkräftebedarf im Land zu sichern und sich dafür einzusetzen. Der Antrag aus Bayern ist weder familienpolitisch noch in anderer Hinsicht geeignet, den Fachkräftebedarf in den nächsten Jahren zu sichern, nicht nur in der Gastronomie oder bei den Abschleppdiensten. Wir werden uns in allen Branchen Modelle ausdenken müssen. Das geht nur mit einer starken Tarifbindung, mit starken Tarifpartnern, und das sind die Gewerkschaften.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie auf, unserem Antrag zuzustimmen. Ich sehe nicht, welchen Sinn Ihr Antrag macht.

Kommen Sie bitte zum Ende, Frau Abgeordnete!

Man kann nur entweder zustimmen oder ablehnen. - Vielen Dank.

(Serpil Midyatli)

(Beifall SPD)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Lukas Kilian.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Das Arbeitszeitgesetz, das aktuell gilt, stammt aus dem Jahr 1994, und das ist auch ein wenig das Problem des aktuell geltenden Arbeitszeitrechts, weil es zu der Zeit ganz andere Bedingungen in dieser Republik gab. Man könnte aus Sicht der SPD jetzt sagen: Die gute alte Zeit! Bei der Bundestagswahl 1994 erhielt die SPD noch 36,4 %; das kann man sich gar nicht mehr vorstellen! Auch die CDU kam damals noch auf 41,5 %; das wäre auch mal wieder schön.

(Beifall Tobias von der Heide [CDU])

Um auf die Arbeitszeit und die Arbeitnehmer abzustellen: Auch da war die Situation eine ganz andere. Wir haben keine digitalisierten Arbeitsprozesse gehabt. Digitalisierung fand in der Form statt, dass man im Jahr 1994 als große Neuerung Microsoft Office auf 32 Disketten erwerben konnte. Das war der große Fortschritt im Jahr 1994, aber auch arbeitsmarkttechnisch lief alles anders als heute.

Wenn man zum Beispiel auf die Elternzeit schaut, stellt man fest, dass im Jahr 1994 ganze 2 % der Väter Erziehungsurlaub genommen haben, um Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, dafür also Arbeitszeit sozusagen aufgegeben haben, um die Kinder zu erziehen. Heute sind wir bei einem Wert von 37 %.

(Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Für die zwei Monate, die man dann noch hat!)

Das ist ein massiver Fortschritt, eine massive Veränderung.

(Beifall Kay Richert [FDP])

Wenn man sich dann zum Beispiel den Väterreport der Bundesregierung anschaut, stellt man fest, dass 78 % der Väter angeben, dass die Elternzeit, die sie genommen haben, dazu geführt hat, dass Beruf und Familie jetzt eher in einem Gleichgewicht stehen.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das alles ist ein Thema, bei dem wir in dieser Debatte die Augen offenhalten und nicht reflexartig