Protokoll der Sitzung vom 23.01.2020

(Jörg Nobis [AfD]: Da sehen Sie doch, dass Sie eine Zwangsmitgliedschaft haben!)

Bei einer freiwilligen Vereinigung läge nicht nur die Rechtsaufsicht, sondern auch die Fachaufsicht wieder beim Ministerium, und damit wäre die Pflege wieder politisch abhängig. Politik und Arbeitgeber könnten weiterhin berufliche Belange diktieren. Mit der Kammer ist stattdessen ein klarer Strich unter die Fremdbestimmung der Pflege gezogen worden.

In einer freiwilligen Vereinigung wären die verschiedenen Berufsgruppen nicht entsprechend ihrer Größe vertreten. Wer bestimmt hier also über wen, und welchen Einfluss haben dann wieder die Arbeitgeber, von denen sich die Pflege gerade mit der Kammer emanzipiert? Verbände neben Einzelpersonen verwischen ebenfalls die Gleichgewichtigkeit der Berufsgruppen. Wenn nicht alle beruflich Pflegenden registriert sind, ist eine valide Datenlage überhaupt nicht möglich. Durch die Registrierung der Pflegenden in der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein liegen erstmalig tatsächliche Zahlen zur demographischen Entwicklung der Pflegeberufe vor.

Dies sind Zahlen, die wir vorher nicht hatten und mit einer freiwilligen Vereinigung niemals bekämen.

(Beifall SPD und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Aufsicht, Förderung und Vertretung der Pflegeberufe sind aufgrund der fehlenden Legitimation bei einer freiwilligen Vereinigung nur sehr eingeschränkt möglich. Es gibt mit der Freiwilligkeit keine Autonomie in Sachen Fort- und Weiterbildung. Die Fremdbestimmung, unter der die Pflege bislang lei

det, nimmt dann wieder fröhlich ihren Lauf. Die notwendige Expertise für Pflege hat eben nur die Profession Pflege selber.

Das Sie dies jetzt mit Ihrem Gesetzentwurf wieder infrage stellen, ist eine Respektlosigkeit gegenüber allen beruflich Pflegenden. Eine Kammer ist nicht nur finanziell, sondern eben auch politisch unabhängig. Genau das ist wichtig, beispielsweise bei Anhörungen zu Gesetzentwürfen. Eine freiwillige Vereinigung, an der die Arbeitgeber prozentual stärker beteiligt wären, wäre von der jeweiligen Kassenlage und politischen Zustimmung des Landes abhängig und damit nicht planbar. Die Pflege darf aber nicht zum Spielball politischer Mehrheiten werden.

Wir haben 2013 als erstes Bundesland die Einrichtung einer Pflegekammer auf den Weg gebracht. Zwischenzeitlich sind uns andere Länder gefolgt: Rheinland-Pfalz, Niedersachen, Baden-Württemberg. Jetzt kommt Nordrhein-Westfalen dazu. Eine Bundespflegekammer ist in Vorbereitung. Damit wäre die Pflege endlich auf politischer und organisatorischer Augenhöhe mit den anderen Heilberufen angekommen und könnte ihren Einfluss auch auf Bundesebene geltend machen. Freiwillige Vereinigungen können daran natürlich nicht beteiligt werden, das ist selbstverständlich. Die Pflegenden in Schleswig-Holstein hätten das Nachsehen. All das will die AfD mit ihrem Gesetzentwurf ausbremsen.

Die SPD nimmt die Kritik, die im Augenblick von einigen Pflegenden ausgeht, sehr ernst. Wir sind dort im Dialog; ich habe an vielen Veranstaltungen teilgenommen. Wir setzen aber weiter auf sachlichen Austausch und Information.

Frau Abgeordnete.

Wir danken den in der Pflegeberufekammer ehrenamtlich Tätigen für ihren Einsatz, den sie kundig und gut leisten. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

(Birte Pauls)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einmal wieder sprechen wir über die Pflegekammer, denn darum geht es ja eigentlich, auch wenn hier ein Gesetzentwurf vorliegt, der einen etwas anderen Titel hat. Die Kolleginnen und Kollegen haben dazu schon alles gesagt: Es ist eine Idee aus Bayern. Es ist durchaus legitim, solche Ideen hier einzubringen. Das Problem ist nur: Es ist keine gute Idee.

(Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!)

Ich sage Ihnen auch, warum dies so ist. Ich löse mich jetzt etwas von meinen Notizen, weil ich einen anderen Aspekt herausstellen möchte. Wir haben hier gestern wieder einmal über pflegende Angehörige gesprochen. Ist allen hier im Raum eigentlich klar, wohin sich pflegende Angehörige überhaupt wenden können, wenn es Probleme gibt, wie sie durch Überlastung von Pflegekräften entstehen können?

(Birte Pauls [SPD]: Zum Beispiel!)

Wohin wenden die sich? - Sie wenden sich zunehmend an die Pflegekammer. Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn wir an einem Tag sagen, es sei uns so wichtig, wie es den pflegenden Angehörigen geht, müssen wir am nächsten Tag auch sagen: Ja, es gibt Probleme mit der Pflegekammer und der Kommunikation. Die Kommunikation muss besser werden. Ich teile eins zu eins, was die Kollegin Birte Pauls da gesagt hat.

Wenn aber pflegende Angehörige die Pflegekammer in Anspruch nehmen, um sich Rat zu holen und sich beraten zu lassen, ist es gut für sie. Es wäre unsere Pflicht, die Kammer besser zu unterstützen.

(Beifall SPD, Joschka Knuth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

In dem Gesetzentwurf, zu dem wir hier sprechen, ist in Artikel 1 § 6 festgelegt, dass staatliche Zuwendungen nach Maßgabe des Landeshaushaltes fließen sollen. Das klingt erst einmal ganz harmlos, ist es aber nicht.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

Wollen Sie denn die Ärztekammer auch abschaffen? - Dann stellen Sie sich hier hin und sagen das! Wollen Sie die Psychotherapeutenkammer abschaffen? - Stellen Sie sich hier hin und sagen das! Wollen Sie die Apothekerkammer abschaffen? - Dann stellen Sie sich hier hin und sagen das!

All das sagen Sie aber nicht. Nur die Pflege soll keine eigenen Rechte haben? - Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein. Das ist ein Unding.

(Beifall SPD, Joschka Knuth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Es ist völlig klar, dass seit Jahren immer wieder Kritik von Seiten der Gewerkschaften und der Arbeitgeber geäußert wird. Das ist aus deren jeweiliger Rolle völlig nachvollziehbar.

Wir nehmen es natürlich ernst, wenn viele Pflegekräfte sagen: Wir möchten in unserer aktuellen Situation nicht auch noch Beiträge zahlen müssen. Wir haben überprüft, ob es möglich ist, dass die Beiträge vom Landeshaushalt übernommen werden. Das Problem ist nur, dass es dann nach dem Kammerrecht nicht mehr möglich wäre, unabhängig zu sein. Eine andere Lösung gibt es nun einmal nicht. Ich kann verstehen, dass es frustriert, und ich kann jede Pflegekraft verstehen, die sagt: Es steht mir bis hier, es geht so nicht weiter.

Die Abschaffung der Pflegekammer würde aber zum Gegenteil führen. Das liegt an dem, was die Kollegin Pauls eben gesagt hat und was von den Kammerkritikern in der Debatte einfach ausgeblendet wird. Das ist ein Unding, und meine Geduld mit allen Beteiligten, die sich auf Demonstrationen zu Wort melden, ist am Ende.

Wir haben erstmals in der Geschichte SchleswigHolsteins überhaupt eine Analyse, wie der demografische Wandel bei den Pflegekräften selbst aussieht. Gucken Sie sich den Bericht der Pflegekammer an. Wenn wir nicht ganz schnell handeln, ist der Pflegenotstand, den wir derzeit erleben, der Anfang einer Katastrophe. Diese Katastrophe möchte ich nicht erleben. Wir müssen im Gegenteil das Ruder herumreißen und alles für Verbesserungen tun. Das können wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sicherlich nicht.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist ganz klar: Wir werden den Gesetzentwurf in den Sozialausschuss überweisen und uns dort noch einmal allen Argumenten stellen. Ich möchte aber noch eine persönliche Anmerkung machen: Die Pflegekammer ist keine fixe Idee von Birte Pauls und mir, sondern in einem demokratischen Verfahren nach ausführlicher parlamentarischer Beratung hier, in diesem Saal, beschlossen worden. Bei den Koalitionsverhandlungen ist sie bestätigt worden. Ich sage noch einmal: Ja, es gibt Probleme in der Kommuni

kation. Die müssen besser werden, die können aber auch besser werden. Da kann die Pflegekammer Fahrt aufnehmen.

(Jörg Nobis [AfD]: Das gucken wir uns doch schon seit Jahren an, wie viel Fahrt die schon haben!)

Ein Pflegering mit 800 Mitgliedern wie in Bayern kann nie repräsentativ sein und helfen. Sie haben eine Verantwortung für das, was Sie hier vorlegen. Es ist kontraproduktiv. Es ist ganz typisch: Es klingt einfach, in Wahrheit ist es aber leider nicht so einfach. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An der Pflegeberufekammer in Schleswig-Holstein scheiden sich die Geister. Schon in der letzten Wahlperiode gab es manch zünftige Plenardebatte über dieses Konstrukt. Unsere damalige Kritik als FDP an der Errichtung einer Kammer bleibt bis heute überwiegend bestehen. Unsere Sorge, dass eine Kammer nicht im Sinne der meisten Pflegekräfte sein könnte, scheint sich in Teilen zu bewahrheiten. Das wurde damals schon besprochen. Dennoch hat, es wurde gerade festgestellt, die damalige SPD-geführte Landesregierung die Errichtung per Gesetz im Landtag durchgebracht.

Nun, wenige Jahre später, haben wir die Situation, dass viele hundert Pflegekräfte ihren hart verdienten Erholungsurlaub - ihre Urlaubstage - damit verbringen, bei Nieselregen und Kälte vor dem Landtag oder in den Kreisstädten gegen die Kammer zu demonstrieren.

(Birte Pauls [SPD]: Sag mal!)

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Da gehen fast tausend Pflegekräfte in Kiel auf die Straße, um für die Abschaffung einer Behörde zu streiten, die eigentlich dafür geschaffen wurde, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Kammer!)

- Die Kammer ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts und damit eine Behörde, Herr Baasch.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Keine Behörde!)

(Wolfgang Baasch [SPD]: Nein!)

- Doch, verwaltungsrechtlich schon. Es ist in Ordnung, Herr Baasch: eine Körperschaft.

Man hört Unmut über eine zu geringe Beteiligung vor allem während des Gründungsprozesses. Erschwerend kommt hinzu, dass von den 1.170 repräsentativ Befragten zwar 51 % einer Kammer positiv gegenüberstanden, aber nur knapp die Hälfte dieser 51 % dies auch bei Pflichtbeiträgen so gesehen hat.

Wie schon dargestellt, ist es aber rechtlich nicht anders umsetzbar, wenn man eine Kammer haben will. Daher ist es zur Kammer mit gesetzlicher Pflichtmitgliedschaft und finanziellem Pflichtbeitrag gekommen.

Ein Geburtsfehler bei der gesetzlichen Kammergründung war allerdings die zu geringe finanzielle Anschubfinanzierung dieser neuen Körperschaft. Dies hatte die Konsequenz, dass die Kammer zu Lasten der Mitglieder schon mit einem deutlichen Schuldenberg startete. Das hätte man damals schon anders machen müssen, vielleicht wäre dann die Stimmung jetzt auch anders.