Protokoll der Sitzung vom 17.04.2020

Die Regierungschefs der Länder und die Bundeskanzlerin haben einen ersten Aufschlag gemacht,

(Christopher Vogt)

und Sie, Herr Günther, haben uns erläutert, wie sich die Landesregierung den Weg zurück in die neue Normalität vorstellt. Der Großteil dessen, was Sie als erste Exit-Schritte umsetzen wollen, findet unsere Zustimmung und ist, mehr noch, in weiten Teilen deckungsgleich mit der Exit-Strategie meiner Fraktion, die wir am 14. April veröffentlicht haben.

Für besonders viele Menschen in Schleswig-Holstein ist aktuell die Situation im Bildungsbereich, an unseren Schulen und Kitas, von Bedeutung. Schüler in den Abschlussklassen wollen Sicherheit bezüglich ihrer Schulabschlüsse, wollen zu Recht wissen, wie die Abschlussprüfungen stattfinden werden. Auch jenseits von Prüfungen haben Schüler aller Klassenstufen ein Interesse daran zu erfahren, wie es weitergeht. Das gilt umso mehr für die Eltern, die bereits vor den Osterferien recht kurzfristig die Betreuung ihrer Kinder im schulischen Homeoffice organisieren mussten. Nicht zuletzt werden natürlich die Lehrer vor völlig neue Herausforderungen gestellt.

(Beate Raudies [SPD]: Die Lehrerinnen erst recht!)

All diese Gruppen benötigen jetzt so schnell wie möglich Klarheit darüber, wie es weitergeht. Die erste große Frage ist: zuerst die oberen Jahrgänge oder die Grundschulen öffnen? - Während sich die Leopoldina dafür aussprach, mit den Kleinen zu beginnen, also mit den Grundschulen und den Kitas, weil hier Fernunterricht - wenn überhaupt - am schwierigsten umzusetzen sei, haben wir von Anfang an den umgekehrten Weg für richtig gehalten und sind erfreut zu hören, dass die Landesregierung das ebenso sieht. Gerade in den älteren Jahrgängen können Hygiene und Distanzregeln besser umgesetzt werden als in den unteren Schulklassen.

Auch dürfen wir einen einfachen Fakt nicht ausblenden: Je dichter der jeweilige Schulabschluss rückt, desto weniger Zeit bleibt, Versäumnisse durch Unterrichtsausfall wieder aufzuholen und wettzumachen. Wir müssen verhindern, dass am Ende auf den Abschlusszeugnissen von ganzen Jahrgängen in der Fußnote eine Erklärung steht, dass bestimmte Inhalte coronabedingt gestrichen werden mussten. Das wird jetzt voraussichtlich nicht nötig sein, und das ist gut so.

Für die weitere Planung muss bis zum Monatswechsel ein Plan her, wie der Unterricht bis zum Sommer gestaltet werden soll. Das sind Sie neben den Schülern insbesondere den Eltern und Lehrern schuldig.

In einem weiteren Bereich ist ein Schritt in die richtige Richtung gemacht worden: Die Öffnung kleinerer und mittlerer Geschäfte ist richtig, auch wenn die konkrete Umsetzung nicht ganz unberechtigt bereits für reichlich Diskussionen gesorgt hat. Für uns steht eine sorgfältige Abwägung der Interessen im Mittelpunkt, wozu auch eine Gewichtung gehört: Zuerst die kleinen und mittleren Geschäfte öffnen zu lassen, ist von besonderer Bedeutung, weil diese das Herz unserer Innenstädte ausmachen und häufig heute schon mit der Konkurrenz aus dem Internet, von der grünen Wiese oder großen Einkaufszentren zu kämpfen haben.

Die konkrete Umsetzung wirft aber Fragen auf. Ob die Grenzziehung bei 800 m2 Verkaufsfläche sinnvoll ist, kann vorerst dahingestellt bleiben; irgendwo muss eine Grenze gezogen werden. Wenn diese Begrenzung für Buchläden, Autohäuser und Fahrradgeschäfte nicht gilt, für Möbelhäuser aber sehr wohl, für Outlet-Center erst ja, dann nein, dann doch wieder ja - nur, um zu argumentieren, man wolle Magneteffekte verhindern, also dass Einkaufstempel zu Ausflugszielen tausender ansonsten ausgangsbeschränkter Bürger werden, man wolle Massenaufläufe verhindern -, wird diese Regelung spätestens durch die Öffnung der Einkaufszentren konterkariert.

Sie stolpern jetzt genauso in die Öffnung, wie Sie vor einem Monat in die Schließung gestolpert sind, mit undurchdachtem Aktionismus. Was haben Sie denn vor einem Monat gemacht? Wir haben die Maßnahmen begrüßt, aber wäre es nicht möglich gewesen, den Feriengästen mit einem Tag Vorlauf zu sagen: „Bitte reist nicht mehr an, wir werden dann und dann die Inseln räumen und den Tourismus herunterfahren müssen“?

(Zurufe)

Diese Regierung hat auch während der letzten Wochen der Krise nicht gelernt, wenigstens ein paar Tage - auch mir ist klar, dass wir auf Sicht fahren nach vorn zu planen. Sie hatten in der Osterpause etwas Gelegenheit dazu. Stattdessen schieben Sie den Schwarzen Peter jetzt den Kommunen zu, die sich nach Ihrem Schlingerkurs seit Mittwoch holterdiepolter darum kümmern dürfen, die Schutzkonzepte der diversen Läden - eigentlich übers Wochenende - zu prüfen: heute beschlossen, Montag sollen die Geschäfte aufmachen und bis dahin die Hygieneschutzkonzepte geprüft worden sein. Ich frage mich, wie das über das Wochenende gehen soll. Sie sagen, dafür seien die Kommunen zuständig.

(Jörg Nobis)

(Unruhe)

Hier braucht es einen stringenten Ansatz mit einer klaren Perspektive, und zwar für alle Einzelhändler. Dazu gehört unseres Erachtens auch die Konkretisierung der Schutzmaßnahmen. Eine Maskenpflicht zum Beispiel würde eine zeitnahe Öffnung aller Einzelhandelsgeschäfte begleitend ermöglichen. Darüber sollten wir wirklich einmal nachdenken. Seit wenigen Stunden wissen wir, dass der Freistaat Sachsen mutig vorangeht und eine Maskenpflicht beschlossen hat; nach den Städten Erfurt und - ich glaube - Hanau geht jetzt das gesamte Bundesland Sachsen da voran.

(Christopher Vogt [FDP]: Es war Jena!)

Es ist in diesem Zusammenhang ein Armutszeugnis, dass das Hauptargument gegen eine Tragepflicht von Masken die nicht vorhandene Verfügbarkeit ist.

(Zuruf Lars Harms [SSW])

Sehr geehrter Herr Günther, Sie haben es eben selbst gesagt: Es gibt Firmen in Schleswig-Holstein, die Schutzmasken herstellen, zertifizierte Schutzmasken, die im professionellen Bereich eingesetzt werden können. Diese Unternehmen exportieren zum Teil immer noch ins Ausland.

(Beate Raudies [SPD]: Unerhört!)

Dafür fehlt mir angesichts des Versorgungsmangels im eigenen Land das Verständnis.

Wir halten es nicht nur im Handel, sondern vor allem auch im Tourismus und in allen anderen betroffenen Bereichen für wichtig, so schnell wie möglich für Klarheit zu sorgen, unter welchen Umständen welche Maßnahmen gelockert oder aufgehoben werden können. Eine zeitlich begrenzte Maßnahme ist immer besser zu ertragen als ein permanentes Fahren auf Sicht. Denn so unübersichtlich die Lage sein mag und so schwer es ist, Prognosen zu treffen - das ist mir sehr wohl bewusst -, es geht darum, die Bedingungen zu formulieren, die dann, wenn sie denn eintreten, zu Entscheidungen führen. Das muss kein Datum sein, ich rede von Bedingungen, die eintreten, und dann sagt man: Man macht das und das.

(Martin Habersaat [SPD]: Wenn ihr aus dem Landtag fliegt, mache ich eine Flasche Sekt auf! - Lukas Kilian [CDU]: Ich spendiere Champagner! - Weitere Zurufe)

Das können im Übrigen - das gehört zur Wahrheit dazu - auch einmal Rückschritte sein, wenn das Infektionsgeschehen wieder Fahrt aufnehmen sollte.

Um das jedoch einschätzen zu können, muss man erst einmal Kriterien definieren und veröffentlichen, und man muss dafür die Datenbasis schaffen, um sachgerechte Kriterien mit Leben füllen zu können.

Genau das ist leider immer noch ein Schwachpunkt. Die tägliche Testkapazität beträgt landesweit 2.300 Stück. Das hat uns die Regierung auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt. Seitdem liefert die Regierung dem Parlament keine weiteren Daten. Wir haben bereits im Vorfeld der Sitzung des Sozialausschusses am 3. April nachgefragt, wie viele Personen seit Beginn der Epidemie in Schleswig-Holstein getestet wurden. Eine Zahl, die im Ministerium eigentlich bekannt sein müsste, sollte man meinen, oder sie wäre jedenfalls leicht zu ermitteln. Im Ausschuss gab es dazu keine Antwort, Herr Garg. Auch in der nächsten Sitzung am 9. April wurde nicht nachgeliefert. Erst auf unsere E-Mail-Nachfrage vom gestrigen Tag gab es dann vom Ministerium heute die Zusicherung einer Antwort, und wir warten sehnsüchtig darauf; wir sind gespannt.

(Minister Dr. Heiner Garg: Haben Sie doch längst schriftlich gekriegt! Was haben Sie denn!)

Testen ist nämlich der einzige Weg, um das gesamte Infektionsgeschehen besser beurteilen zu können und eine fundierte Basis für weitere Entscheidungen zu erhalten.

(Unruhe)

Das sind Binsenweisheiten; das weiß ich auch.

Wir halten es deshalb für unabdingbar, dass die Testkapazitäten deutlich erhöht und mehr Tests durchgeführt werden. Überall da, wo Menschen, insbesondere berufsbedingt, mit vielen anderen Menschen Kontakt haben, muss zuerst getestet werden: in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, aber auch bei Polizei und Rettungsdienst oder auch in Schulen, wie wir es fordern. Das dient der Sicherheit der getesteten Personen und kann darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zum Verhindern weiterer Infektionen liefern.

Bis hierhin können wir alle in Schleswig-Holstein stolz auf uns sein; die allermeisten haben den Ernst der Lage begriffen und sich in den letzten Wochen sehr penibel an alle Beschränkungen gehalten, und zwar zum Wohle aller. Nur so war es letztlich möglich, das Infektionsgeschehen derart schnell zu verlangsamen. Wir sind da auf einem guten Weg.

Dennoch: Ostermontag hat es mir die Sprache verschlagen, als ich von den 72 Infektionen in der Pfle

(Jörg Nobis)

geeinrichtung in Rümpel las. Was mich fast vom Stuhl kippen ließ, war die Nachricht, dass infiziertes Personal weiterarbeiten solle, sofern die Mitarbeiter symptomfrei seien. Laut Kreis konnten die negativ getesteten Bewohner aufgrund der räumlichen Situation in der Einrichtung nicht isoliert werden.

(Unruhe)

Um es kurz zu sagen: Wer auch immer die Verantwortung dafür trägt - dieses Versagen in Rümpel wird mit Sicherheit noch ein Nachspiel haben. Wie kann es angehen, dass bundesweit die Gesundheitsämter positiv getestete Personen in Zwangsquarantäne schicken, und zwar unabhängig davon, ob sie Symptome zeigen oder nicht - denn sie können das Virus ja trotzdem weitergeben -, dass 83 Millionen Bundesbürger nie da gewesene Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit hinnehmen müssen, um das Infektionsgeschehen bundesweit zu verlangsamen und in den Griff zu bekommen, aber in Rümpel in Schleswig-Holstein infizierte Mitarbeiter trotzdem weiterarbeiten und eine räumliche Trennung von nicht infizierten Bewohnern nicht erfolgt? Das ist Versagen par excellence. Sollten sich weitere Bewohner infizieren, die Ostern negativ getestet wurden, wovon ja - wie ich hören konnte - selbst der örtliche Amtsarzt ausgeht, wird das am Ende ein handfester Skandal.

(Unruhe)

Der Maßstab kann doch nicht wirklich sein, dass für die dementen oder psychisch kranken Bewohner in jedem Fall ihr Umfeld erhalten bleibt und die Betreuer nicht wechseln sollen. Der Schutz bis dato negativ getesteter Personen und damit der vermutlich noch nicht infizierten Bewohner hätte doch an erster Stelle stehen müssen. Eine räumliche Trennung der positiv getesteten Bewohner und Mitarbeiter von den negativ getesteten Bewohnern und Mitarbeitern wäre doch zwingend notwendig gewesen. Ich bin mir sicher, dass es da eine bessere Lösung gegeben hätte als dieses Stormarner „Weiter so“.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Mir ist völlig egal, wie man es macht; man hätte auch ein Hotel anmieten und die negativ getesteten Bewohner evakuieren können,

(Beate Raudies [SPD]: Ja, in ein anderes Pflegeheim!)

- in ein anderes Pflegeheim, aufteilen, wie auch immer. Das wäre möglich gewesen.

(Lukas Kilian [CDU]: „Wie auch immer“ ist das Problem! - Weitere Zurufe)

Dieses „Weiter so“ wird sich zu einem Skandal ausweiten. Das sage ich Ihnen heute ganz klar. Wir können nur hoffen, dass es am Ende nicht noch zu Toten unter den bis dato negativ getesteten Personen kommt.

(Anita Klahn [FDP]: Es ist unmöglich, was Sie da von sich geben! - Anhaltende Unruhe)

Zum Schluss darf ich resümieren: Die Richtung stimmt. Viele Ihrer Maßnahmen unterstützen wir. Aber sowohl bei den Tests als auch bei der konkreten Umsetzung hapert es noch. Unser Dank gilt weiter all denen, die in den vergangenen Wochen und nach wie vor an vorderster Front gegen das Virus kämpfen. Und er gilt allen Schleswig-Holsteinern, die sich an die Regeln halten und so ihren Teil zur Bewältigung der Krise beitragen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD - Beate Raudies [SPD]: Und die Schleswig-Holsteinerinnen werden wie im- mer nicht angesprochen!)

Herr Abgeordneter, es wäre schön, wenn wir die bisher durchgehaltenen Regeln weiter einhalten könnten. Das ist zwar nicht immer einfach, aber das wäre ganz gut. - Nun hat gleich der Abgeordnete Lars Harms für den SSW das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Spielchen kennen wir ja schon: Als sechster Redner nach der AfD muss man ein bisschen auf den Unsinn eingehen, den man vorher gehört hat. Auch wenn ich kein Gesundheitspolitiker bin - ich war es einmal -, die Berichterstattung über den Fall in Rümpel habe ich so verstanden, dass diejenigen Bewohner, die angesteckt sind, von denen gepflegt werden sollten, die schon angesteckt sind, aber noch keine Symptome haben, also pflegen können. Man kann sich dann ja nicht mehr gegenseitig anstecken. Diejenigen, die nicht angesteckt sind, sowohl Pfleger als auch Bewohner, sollten von diesen Menschen getrennt werden. Daran finde ich nichts Unlogisches, ich finde es ziemlich vernünftig und finde auch nicht, dass man das wie der Kollege Nobis skandalisieren sollte. Man sollte sich genau informieren, wie es dort läuft. Ich habe volles Vertrauen zum Sozialministerium, dass das geschieht.