Protokoll der Sitzung vom 07.05.2020

Ich finde es schon erstaunlich: Die Autoindustrie ist extrem wichtig, auch für Schleswig-Holstein, für andere Bundesländer aber noch viel, viel wichtiger. Dass jetzt aber schon wieder über Abwrackprämien gesprochen wird, halte ich für Nonsens. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung, nichts anderes.

(Vereinzelter Beifall FDP, CDU, AfD und Beifall Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])

Wir müssen an bessere Rahmenbedingungen für alle Branchen denken, und wir brauchen in dieser Phase keine Diskussion über Steuererhöhungen. Dass der Bundeswirtschaftsminister diese nicht ausschließt, halte ich für Gift für die Konjunktur in der nächsten Zeit.

(Beifall FDP und Lars Harms [SSW])

Wir haben Diskussionen und die Forderung nach einem starken Staat, um wieder mehr Verstaatlichung einzuführen, und Abgesänge auf die Marktwirtschaft. Ich glaube, das Gegenteil wird notwendig sein, wenn wir wieder stärker werden wollen. Jeder sagt ein bisschen das voraus und fordert das, was er eh schon immer gefordert hat. Das gilt auch für uns. Aber es ist ja immer schön, wenn man der Meinung ist, man sei insgesamt auf einem guten Weg.

Wir sehen, wie leistungsfähig unser Gesundheitssystem zum Glück ist. Ich verweise gern auf andere europäische Staaten. Dann kann man sehen, wie gut es uns da geht - trotz noch einiger Probleme - und wie gut unsere Verwaltungen funktionieren.

In der Tat ist das Wichtigste - das macht mir in der politischen Diskussion am größten Sorge - die Frage, wie es mit Europa weitergeht. Dort haben wir auch als Bundesland Schleswig-Holstein eine Verantwortung. Das Machtgefüge in der Welt scheint sich durch diese Krise noch einmal stärker zu verschieben, auch zwischen China und den USA. Europa ist nicht nur für unseren Export wichtig, sondern auch für unser Zusammenleben, für die Zu

(Christopher Vogt)

kunft, für unsere Kinder. Es ist wichtig, dass wir Europa zusammenhalten. Ich habe mich natürlich sehr gefreut, dass sich Herr Macron beim Ministerpräsidenten für die Versorgung von französischen Patienten hier am UKSH bedankt hat. Ich glaube, eine solche Versorgung sollten wir weiterhin gewährleisten und vielleicht noch stärker ausweiten, wenn wir die Kapazitäten dafür haben. Das ist ein wichtiger Beitrag.

Ich glaube, wir müssen Europa stärken. Ich bin nicht für Eurobonds. Ich bin aber schon der Meinung, dass wir in Europa wichtige Signale setzen müssen, auch was die finanz- und wirtschaftspolitische Stabilität angeht. Trotzdem muss ich sagen: In Italien gibt es viele, die sich eher an Putin orientieren als an der Demokratie. Von diesen Leuten sollten wir uns Europa nicht kaputt machen lassen. Das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich.

(Beifall FDP und Lars Harms [SSW])

Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Wir haben gute Schritte für die nächsten Wochen vereinbart. Bleiben wir verantwortungsvoll, dann bekommen wir unsere Freiheit auch schnellstmöglich wieder zurück. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender, der Abgeordnete Jörg Nobis.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Vielen Dank für Ihren Bericht von der gestrigen Videokonferenz mit Frau Merkel und auch Ihren Amtskollegen, wenngleich ich feststellen muss, dass die Verschiebung der Plenarsitzung von gestern auf heute letztlich nicht nötig war. Doch wie man der aktuellen Berichterstattung entnehmen konnte, war Frau Merkel gestern bei dem Versuch, eine bundesweite Linie zu finden, kurz davor aufzugeben. So soll es die Kanzlerin selbst in der Videokonferenz gesagt haben.

(Zurufe FDP)

Also, Herr Günther, wenn wir noch einen weiteren Tag hätten zuwarten müssen, damit Frau Merkel aufgibt - uns wäre es das wert gewesen, dann hätten wir auch gern noch den Samstag drangehängt.

Im Grunde haben die Länder doch in den vergangenen Tagen schon Fakten geschaffen. Bayern ging vorneweg, aber auch Sie hier bei uns, Herr Günther, mit Ihrem Livestatement zum Tourismus bereits am Dienstag.

(Wortmeldung Lasse Petersdotter [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Abgeordneter Nobis, gestatten Sie eine Bemerkung des Abgeordneten?

Nein. - Zu diesem Zeitpunkt war doch schon längst klar: Eine gemeinsame Bundeslinie gibt es nicht mehr. Jedes Bundesland führt jetzt eine eigene Linie, macht das, was es an Lockerungen für richtig hält oder eben auch nicht. Neu ist lediglich jetzt die Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, ab wann dann erneut regionale oder lokale Beschränkungskonzepte greifen.

Es ist auch gar nicht schlecht, die Maßnahmen künftig auf das lokale Infektionsgeschehen abzustimmen. Für den Landkreis Tirschenreuth in Bayern sollten selbstverständlich andere Maßnahmen gelten als für Ostholstein mit gerade einmal 67 Infektionsfällen insgesamt - Stand gestern. Wir begrüßen also ausdrücklich, dass jetzt auch SchleswigHolstein die Verantwortung für weitere Lockerungen und Maßnahmen selbstständig übernimmt. Am Anfang der Pandemie war es gut und richtig - das sage ich auch ausdrücklich -, dass die Bundesländer quasi im Einklang Maßnahmen beschlossen haben. Aber nun haben die Maßnahmen Wirkungen gezeigt, die Neuinfektionszahlen haben sich in den letzten Wochen von Tag zu Tag reduziert, und die Bürger von Flensburg bis Garmisch haben sich größtenteils an die notwendigen Verhaltens- und Hygienemaßnahmen gehalten.

Längst ist auch klar, dass die Dynamik des Infektionsgeschehens sehr unterschiedlich ist. Aus diesem Grund sollten zukünftig einschränkende Maßnahmen regional begrenzt werden, um zielgerichtet auf die Pandemiesituation vor Ort zu reagieren. Damit meine ich auch tatsächlich vor Ort, Herr Günther. Sie sollen also nicht pauschal für ganz SchleswigHolstein die gleichen einschränkenden Maßnahmen beschließen oder fortführen. So viel Lockerung wie möglich, so viel Einschränkungen wie nötig - so wie wir es bereits am 14. April 2020 in unserer Exit-Strategie gefordert haben. Genau das sollte

(Christopher Vogt)

jetzt für jeden einzelnen Landkreis, für jede Stadt oder Gemeinde Gültigkeit haben.

(Beifall AfD)

Das bedeutet viel Arbeit für die Staatskanzlei und allen voran auch für das Bildungsministerium, und natürlich geht es einher mit viel Verantwortung auch für Landräte und Bürgermeister vor Ort sowie auch für die Kreisgesundheitsämter. Ich kann nur hoffen, dass zukünftig alle Kreisgesundheitsämter dieser Verantwortung gerecht werden. Denn eins ist klar: So ein Versagen, wie wir das in Rümpel erlebt haben, darf sich nicht wiederholen!

Entscheidend bleibt jedoch, dass nicht die Lockerungen einer Begründung bedürfen, sondern die einschränkenden Maßnahmen der persönlichen Freiheit. Unsere Grundrechte müssen immer wieder aufs Neue überprüft und begründet werden. Jedem ist dabei sicherlich auch bewusst, dass es vielleicht auch einmal einen Schritt oder vielleicht auch zwei Schritte zurück wird geben müssen, wenn sich die Neuinfektionen lokal häufen.

Ich unterstreiche das, was ich an dieser Stelle schon mehrfach gesagt habe: Die Anzahl der tatsächlich durchgeführten Tests muss erhöht werden. Das Sozialministerium darf sich da nicht weiter wegducken und dieses Thema weiterhin so stiefmütterlich behandeln. Nur wenn Infektionsherde schnell lokalisiert werden, können Maßnahmen lokal begrenzt werden. „Testen, testen, testen“ lautet daher die Begleitdevise zur jetzt anstehenden Lockerung und Aufhebung von Maßnahmen.

Dazu gehören auch, aber nicht nur, Reihentests, gerade in medizinischen Einrichtungen oder in Pflegeeinrichtungen.

Herr Minister Garg, vor diesem Hintergrund ist es auch nicht länger hinnehmbar, dass angeblich aufgrund eines Erlasses aus Ihrem Haus lediglich die Infektionszahlen pro Landkreis und kreisfreier Stadt veröffentlicht werden. Ihnen liegen die Infektionszahlen von jeder einzelnen Stadt und jeder einzelnen Gemeinde in Schleswig-Holstein vor. Ich fordere Sie hiermit auf, diese Daten transparent für alle zu veröffentlichen.

(Zuruf SPD: So ein Blödsinn!)

Jeder Bürger hat das Recht, über das Infektionsgeschehen in seiner Heimatstadt oder seiner Gemeinde informiert zu sein.

(Martin Habersaat [SPD]: Das steht bei uns morgens in der Zeitung, bei Ihnen nicht? - Weitere Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, ob und wie stark ihre Gemeinde oder Stadt von der Pandemie betroffen ist. - Jetzt höre ich hier einen Zwischenruf. Also, in Segeberg hat der Landrat etwas anderes gesagt. Er hat gesagt: Aufgrund eines Erlasses des Sozialministeriums dürfen wir nicht bekannt geben, wie viele Infektionsfälle eine Gemeinde hat.

(Zuruf CDU: Das stimmt nicht, das hat er nicht gesagt! - Weiter Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An Sie gerichtet, Frau Prien: Ich habe landesweite Schulschließungen bereits am 11. März 2020 öffentlich gefordert. An diesem Tag hatte die Landesregierung lediglich das Verbot von Großveranstaltungen über 1.000 Personen verkündet. Die Schulschließungen kamen dann erst eine Woche später. Sie waren zu diesem Zeitpunkt wirklich begründet und richtig.

(Zurufe CDU)

Aber so richtig und notwendig die landesweiten Schulschließungen am 16. März 2020 waren, so richtig und notwendig ist es heute, Schulöffnungen und damit die Rückkehr zu einem normalen Schulbetrieb für alle Schüler nicht flächendeckend für ganz Schleswig-Holstein zu denken, sondern eben auch von Ort zu Ort zu entscheiden. Es könnten bereits heute einige Schulen im Land zu einem Normalbetrieb - natürlich unter Wahrung der Verhaltens- und Hygieneregeln - zurückkehren, während alle Schulen wiederum vielleicht komplett geschlossen bleiben sollten, von den Abschlussklassen sicherlich abgesehen. Wenn Sie dann sagen: „Na ja, die Abstandsregeln, Mindestabstand 1,5 m, das können wir unter den Schülern nicht gewährleisten“, dann sage ich Ihnen, dass wir die Klassen aufteilen müssen. Die eine Hälfte kommt morgens zur Schule, und die andere Hälfte kommt nachmittags zur Schule. Alternativ können wir zusätzlich noch den Samstagmorgen hinzunehmen, um die Unterrichtswoche etwas zu entzerren.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD] - Zuruf CDU: Und wo sollen die Lehrer dafür her- kommen?)

Samstagsunterricht hat uns früher auch nicht geschadet, ganz im Gegenteil, möchte man meinen.

(Zuruf FDP: Na ja!)

(Jörg Nobis)

Es geht weiter im Text. Das Hotel- und Gaststättengewerbe und die gesamte Tourismusbranche in Schleswig-Holstein sind für das Land von außerordentlich hoher Bedeutung und bedürfen schon deshalb einer besonderen Betrachtung. Die Hängepartie dieser Woche ist vor dem Hintergrund der Bedeutung dieser Branche unverständlich. Die gesamte Branche benötigt eine klare Perspektive. Die haben Sie jetzt gegeben: 18. Mai 2020, sagen Sie.

Vermutlich werden viele Deutsche in diesem Sommer Urlaub im eigenen Land machen. Das darf dann an der gebeutelten Tourismusbranche und dem Gastgewerbe in Schleswig-Holstein nicht vorbeigehen. Einschränkungen wird es sicherlich geben müssen. Aber auch hier sollte zwischen Außenbereichen und Innenbereichen unterschieden werden. Außenbereiche von Cafés, Restaurants und Eisdielen sollten doch schon längst öffnen dürfen und nicht erst ab dem 18. Mai 2020. Diese Regelung kann ich nicht verstehen.

Zum Schluss: Es ist auch gut, dass diese unsinnige 800-m²-Regelung für Geschäfte endlich vom Tisch ist. Die Personenanzahl pro Quadratmeter Verkaufsfläche zu begrenzen, ist immer noch richtig. Aber eine reine Verkaufsflächengrenze war zu keinem Zeitpunkt sinnvoll.

(Vereinzelter Beifall AfD)

Was bleibt also an Erkenntnis aus den letzten Tagen und Wochen? - Diese Landesregierung hing an Muttis Rockzipfel, stolperte mehr schlecht als recht durch die Öffnungsdebatte, anstatt einen klaren Kurs vorzugeben und auch vorher einmal zu sagen, dass man das tut. Jetzt tut man das, aber bei der Schließung hat man das nicht getan. Die Schließung der Inseln kam holterdiepolter über Nacht. Da waren noch Gäste angereist, die am nächsten Tag wieder abreisen mussten. Um 18 Uhr erst angekommen, um 8 Uhr wieder abreisen.

(Zurufe Lukas Kilian [CDU], Dennys Born- höft [FDP] und Christopher Vogt [FDP])

- Ja, das kann man aber mit etwas Ankündigung auch humaner gestalten.

(Zuruf Lukas Kilian [CDU])