Protokoll der Sitzung vom 18.06.2020

Ich finde den Ansatz von Barbara Plankensteiner aus Hamburg, der Direktorin des Hamburger Museums am Rothenbaum für Kulturen und Künste, viel besser geeignet als die Beseitigung solcher Denkmäler. Sie schlägt vor, Gegendenkmäler zu errichten, also Denkmäler zu schaffen und Straßennamen auszuwählen, die gezielt an die Opfer des deutschen Kolonialismus und auch an die Menschen erinnern, die sich schon damals gegen den deutschen Kolonialismus ausgesprochen haben.

(Beifall FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Das dürfte dann eine viel stärkere und aktivere Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus anregen als die schlichte Beseitigung solcher Denkmäler. Letzteres hätte die Wirkung, dass die deutsche Kolonialgeschichte nämlich aus der öffentlichen Wahrnehmung komplett verschwinden und damit eine thematische Auseinandersetzung nicht mehr stattfinden wird.

Deshalb lassen Sie uns auch für Schleswig-Holstein ein solches Erinnerungskonzept entwickeln, dass die kritische Auseinandersetzung mit unserer Geschichte fördert und sie nicht unterdrückt. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Volker Schnurrbusch das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen vom SSW! Vielen

Dank für Ihre Große Anfrage zu diesem interessanten Aspekt der deutschen Geschichte, denn tatsächlich ist, wie Sie gesagt haben, Herr Harms, dieses Kapitel viel zu wenig bekannt. Innerhalb der AfD habe ich schon sehr früh die Forderung aufgestellt, dass man in unserer Erinnerungskultur den Blick nicht nur auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 richten sollte, da die deutsche Geschichte deutlich länger ist als diese zwölf Jahre. Diese Forderung hat es bis ins Bundesprogramm geschafft, worauf ich ein bisschen stolz bin.

Die Große Anfrage richtet unseren Blick auf die Jahre zwischen 1884 und 1918, in denen das Deutsche Reich den Versuch unternommen hat, es den damaligen Weltmächten England und Frankreich gleichzutun und ebenfalls nach einem Platz an der Sonne suchte.

Doch dieses Bestreben stieß auf das Missfallen des Britischen Empires, das zur Zeit seiner größten Ausdehnung ein Viertel der gesamten Landmasse der Erde sein Eigen nannte und über 450 Millionen Menschen auf fünf Kontinenten herrschte und nicht weniger als die gesamten Weltmeere für sich beanspruchte.

Das Deutsche Kaiserreich erlebte in jener Epoche eine nie dagewesene Blüte. In wenigen Jahrzehnten wurde Deutschland zur führenden Nation auf den Gebieten der Wissenschaft, der Technik, der Bildung und der Künste. Deutsche Erfindungen veränderten die Welt, deutsche Forscher wurden nach 1901 regelmäßig mit Nobelpreisen ausgezeichnet. Deutsch war die Sprache der Wissenschaft, aber auch die eines Literaten wie Gerhard Hauptmann oder eines Historikers wie Theodor Mommsen.

Mit diesem Selbstbewusstsein ausgestattet, wagte das Kaiserreich den Sprung in die weite Welt, nur der ist nicht überall gelungen, wie wir wissen und wie wir heute auch schon gehört haben.

(Zuruf)

- Ja, es ist nicht überall gelungen!

In kurzer Zeit wurden dort sehr intensiv und mit preußischer Disziplin Orte, Straßen, Infrastruktur und Bahnstrecken, die zum Teil heute noch zu sehen sind, gebaut. Im chinesischen Tsingtau bauten die Deutschen sogar eine große Brauerei, die bis heute noch ein Bier braut, das in ganz China bekannt und beliebt ist.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Können Sie auch zum Thema reden?)

(Jan Marcus Rossa)

- Ich rede zur Kolonialgeschichte, und Tsingtau war deutsches Kolonialgebiet, Herr Dr. Stegner, das sollten Sie vielleicht wissen. Ich habe das zumindest in meinem Studium gelernt.

Leider gibt es auch viele weniger erfreuliche Kapitel in der Kolonial- und auch in der Postkolonialgeschichte. Zu nennen ist hier der Herero-Aufstand, der gerade schon genannt worden ist. Dort ist glücklicherweise die Bundesregierung schon seit fünf Jahren dabei, die blutige Niederschlagung dieses Aufstandes zu rekonstruieren und möglicherweise zu entschädigen. Das hat lange gedauert und ist jetzt meines Erachtens auf einem guten Weg.

Die Antworten der Landesregierung zeigen, dass auch in Schleswig-Holstein das Thema Kolonialgeschichte immer noch lebendig ist. Das ist unbedingt zu begrüßen, denn die Verbindungen unseres Bundeslandes sind vielfältig - vom Rumhandel der Flensburger mit den damals dänischen Jungferninseln über die Missionarsarbeit in Ost- und Südwestafrika bis hin zu den Marineexpeditionen in der Südsee. Die angefragten Museen widmen sich zum größten Teil auch der Provenienzforschung, die für einen offenen Dialog mit den Herkunftsländern wichtig ist.

Sollten sich tatsächlich Ansprüche auf Restitution von Museumsstücken ergeben, existieren bereits internationale und nationale Richtlinien. Die Rückgabe von Gebeinen an die Regierung von Namibia sei hier beispielhaft genannt.

In den Schulen ist die Kolonialzeit fester Bestandteil des Unterrichtes, das ist unbedingt zu begrüßen; denn so kann der Blick der Schüler über unser Bundesland und über die Grenzen Europas hinaus auf ferne Kontinente fallen und so den Horizont erweitern. Die zahlreichen Kontakte zwischen Schulen und Kirchengemeinden hier und in Tansania zum Beispiel bilden eine stabile Brücke zwischen ganz unterschiedlichen Kulturen, über die gerade junge Menschen gehen sollten, um das jeweils Fremde kennenlernen und besser verstehen zu können.

Es wäre wünschenswert - da bin ich auch bei Ihnen, Herr Harms -, wenn der Kontakt mit dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, also mit dem heutigen Namibia, weiter intensiviert werden könnte. Die partnerschaftlichen Beziehungen sind auf einem guten Weg. Heute schon erhält Namibia die höchste deutsche Entwicklungshilfe pro Kopf auf dem afrikanischen Kontinent, und der Besuch des Ministerpräsidenten hat dort sicherlich auch Eindruck gemacht.

Ich denke, wir sollten aus wohlverstandenem Interesse unsere Beziehungen zu den Ländern Afrikas generell pflegen, damit dieser Kontinent nicht vollständig unter den Einfluss der neuen Kolonialmacht China gerät. Die Städtepartnerschaft zwischen Kiel und Qingdao öffnet Wege für Kommunikation und Handel mit der wichtigsten Weltmacht der Zukunft. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert Chinas sein, und es wäre töricht, wenn die stärkste Wirtschaftsnation Europas nicht jede Gelegenheit nutzte, um guten Kontakt zum Reich der Mitte zu halten.

Die Kolonialgeschichte, sei sie auch ein noch so kleines Kapitel in Schleswig-Holstein, bietet eine Fülle von spannenden Anknüpfungspunkten in Schulen, Museen, Kultur und Wirtschaft. Nutzen wir diese für einen produktiven und vor allem friedlichen Austausch mit unseren ehemaligen Kolonien.

In diesem Sinne freuen wir uns auf die Beratungen im Ausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort hat die Abgeordnete Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Vorredner haben schon einige Punkte beleuchtet, die wichtig und auch wesentlich sind. Ich möchte weitere Facetten der Großen Anfrage beleuchten.

Abgesehen davon, dass Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten nur kurz als Kolonialmacht auftrat, unterschied die deutsche Politik in den Schutzgebieten ein eklatanter Punkt von der Kolonialpolitik der Briten, Franzosen, Portugiesen und Belgier. Das Kaiserreich förderte die Wirtschaft und das Gesundheitswesen sowie das Schul- und Bildungssystem. So stellt der US-amerikanische Kolonialhistoriker Dr. Bruce Gilley, Professor an der Universität von Portland, fest, nicht der deutsche Kolonialismus habe zu der Spirale aus Gewalt, Korruption und Armut geführt, sondern erst sein Ende.

(Lachen Wolfgang Baasch [SPD] - Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb wird der einstigen Schutzmacht Deutschland in Namibia, aber auch in Kamerun, Tansania oder Togo noch immer Achtung entgegengebracht,

(Volker Schnurrbusch)

und einer der Väter des modernen China, Sun Yatsen, stellte schon 1912 fest, in 3.000 Jahren habe China in Tsingtau nicht geschafft, was die Deutschen in 15 Jahren geleistet hätten.

(Thomas Rother [SPD]: Dass ist Bevölke- rung verhungert ist! - Zuruf: Unglaublich! - Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, einseitige Schuldzuweisungen an die Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs sind fehl am Platz. Auch wenn sie politisch opportun sein mögen, sind sie doch nicht zielführend. - Vielen Dank.

(Lukas Kilian [CDU]: In drei Minuten kann man sich dermaßen unbeliebt machen! - Wei- tere Zurufe CDU und FDP)

Zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Martin Habersaat das Wort.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will das Zitat von Wilhelm II. noch einmal ausführlicher vorlesen:

„Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! … Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand.“

Es folgten Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Zerstörung. Und der Kollege von der AfD stellt sich hin und berichtet über eine gute Brauerei, die den Chinesen immerhin gegeben ist.

Frau Sayn-Wittgenstein, was Sie zusammenfassend dazu gesagt haben, hätte ich in einem deutschen Parlament im Jahr 2020 nicht mehr für möglich gehalten.

(Lebhafter Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wenn man Schülerinnen und Schülern heute erklären will, was ein Euphemismus ist, dann empfehle ich die Rede von Herrn Schnurrbusch. Er sagte, der Sprung in die weite Welt sei nicht überall gelungen. Wo ist er denn gelungen, Herr Schnurrbusch? Wo hat Deutschland denn „gelungen“ gemordet und gebrandschatzt und Gebiete annektiert?

(Volker Schnurrbusch [AfD]: Das ist eine Pauschalisierung, die nicht zulässig ist!)

Die Verantwortung für die deutsche Geschichte liegt bei uns. Der Ältestenrat unternahm im letzten

Jahr eine Reise nach Israel und hatte in Yad Vashem ein spannendes Gespräch mit dem Professor, der uns herumführte. Er hat die Ausstellung erläutert. Man endete in dem Raum der Opfer. Irgendeiner von uns fragte: Wie ist das eigentlich mit den Tätern? Werden die auch in Yad Vashem dokumentiert? - Die Antwort war: Nein. Wir sind für die Opfer zuständig, ihr müsstet euch um die Täter kümmern. - Und das müssen wir, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Insofern freue ich mich, dass heute erneut ein Aktionsplan gegen Rassismus angekündigt wurde. Wir würden gern daran mitarbeiten. Das kann ich im Namen meiner Fraktion zusagen. Wir hätten aber auch gern und bald eine Idee davon, wann und wie es damit losgeht. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die Abgeordnete Beate Raudies das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie können es sich denken: Es war Frau Sayn-Wittgenstein, die mich zu meiner Wortmeldung brachte, die sich tatsächlich hier hinstellt und das Märchen von den netten deutschen Kolonialherren erzählt, das die Rechtskonservativen jetzt schon jahrzehnte-, ja fast jahrhundertelang erzählen. Das erzählen auch noch Teile der deutschen Minderheit in Namibia. Ich habe es selbst dort gehört.