Protokoll der Sitzung vom 19.06.2020

(Beifall FDP - Zuruf FDP: So ist das!)

Lassen Sie mich zum Schluss sehr deutlich sagen: An dieser Ratspräsidentschaft wird am Ende des Tages die politische Leistung und das geschichtliche Erbe von Angela Merkel gemessen. Die nächsten sechs Monate sind auch entscheidend für die Zukunft Europas. Sie können in die Geschichtsbü

cher eingehen. Gerade deshalb muss es heißen: Frau Merkel, Schluss mit der Lethargie, raus an die Arbeit! - Vielen Dank.

(Beifall FDP - Dr. RalfStegner [SPD]: Ange- la Merkel wird fragen: Wer ist dieser Holo- waty?)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Volker Schnurrbusch.

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Claussen, vielen Dank für Ihren Bericht. Wie Sie schon gesagt haben: Die EU befindet sich in der größten Krise ihrer Geschichte. Denn wenn der coronabedingte Stillstand eines gezeigt hat, dann ist es auch die Erkenntnis, dass sich Krisen auf nationaler Ebene besser bewältigen lassen als auf supranationaler Ebene.

In Deutschland haben sogar die Bundesländer ihren eigenen Weg durch die Krise gesucht und haben teilweise hier die Grenzen zugemacht. Europaweit galt Österreich als Vorreiter bei der Krisenbewältigung, Polen, Ungarn und Tschechien reagierten schnell und sehr strikt auf die drohende Gefahr von Corona, Portugal handelte konsequenter als Spanien, Dänemark strenger als Schweden, das bis heute seinen ganz eigenen Weg beschreitet.

(Beate Raudies [SPD]: Ja, und mit welchen Ergebnissen!)

Jede Nation entschied selbstständig, während die EU komplett gelähmt war. Genauso sollte es auch weitergehen; denn wo wäre der Vorteil, wenn eine Zentralbürokratie die Probleme in 27 sehr unterschiedlichen Staaten zu lösen versuchte?

Europa steuert jetzt auf eine tiefgreifende Rezession zu, eine Wirtschaftskrise wie seit 1929 nicht mehr, die sich schon bald zu einer Währungskrise auswachsen kann, von schweren sozialen Verwerfungen ganz zu schweigen. Doch während immer noch unklar ist, ob es zu einem harten Brexit kommt oder nicht, werden in Brüssel sämtliche wichtigen Entscheidungen vertagt, denn alles hängt am Geld, das die wenigen Nettozahler in den großen Topf werfen, damit sich möglichst viele Nettoempfänger daraus bedienen können.

In den letzten Monaten scheiterten sämtliche Vorschläge, die eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge vorsahen. Kein Wunder, denn obwohl Deutschland

(Stephan Holowaty)

mehr einzahlen soll, bekommt es am Ende noch weniger heraus, zum Beispiel für die Kohäsionsmittel, die INTERREG-Mittel oder die Landwirtschaft. Noch ist der Streit um höhere Mitgliedsbeiträge nicht beigelegt, da bricht schon die nächste Debatte über das Coronahilfsprogramm los. ESM, Merkel und Macron, die Kommission - alle legen Pläne vor und treiben die Milliardenbeträge in schwindelerregende Höhen.

Zum Glück gibt es noch die sparsamen Vier - Dänemark, Schweden, Holland und Österreich -, die sich gegen eine grenzenlose Bezuschussung von Pleitestaaten wie Italien, Spanien und mittlerweile auch Frankreich zur Wehr setzen. Aber mit dem Beginn der Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik steht zu befürchten, dass Deutschland einmal mehr zum Zahlmeister Europas wird. Aktuell steht eine Erhöhung von satten 40 % für Deutschland ins Haus schlanke 13 Milliarden € mehr sollen überwiesen werden. Als ob das nicht reichen würde, schicken Parteien wie die SPD eine Wunschliste nach Brüssel. Da muss man sagen: Die ist - ganz vorsichtig ausgedrückt - sehr naiv, denn von einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik ist die EU weit entfernt. Das Gleiche gilt auch für den gemeinsamen Mindestlohn.

Die finanzielle Bewältigung der Krise kann durch gemeinsame Anstrengungen erfolgen. Das haben wir in unserem Alternativantrag festgestellt. Wir beteiligen uns allerdings nicht an Umverteilungsfantasien, sondern erwarten Hilfen, die als rückzahlbare Kredite gestaltet werden, nicht als Zuschüsse ohne Bedingungen. Italien wünscht sich das. Die erwarten 170 Milliarden € aus dem Topf und wollen damit ihre Steuern senken. - Da sind es übrigens die Linkspopulisten, lieber Herr Voß, die das nach vorne treiben. Die gibt es nämlich auch. Die sind genauso EU-kritisch wie wir.

Jeder Mitgliedstaat, der in den Genuss von Krediten kommt, hat die Steuermittel so einzusetzen, dass sie die jeweiligen Volkswirtschaften nachhaltig stabilisieren. Mit den Milliarden aus fremden Taschen dürfen keine Löcher gestopft werden, die durch jahrelange Misswirtschaft entstanden sind.

(Beifall AfD)

Warum soll unser Staat hier darauf achten, dass Hilfen für Unternehmen keine Altlasten verdecken dürfen, und dieselbe Sorgfalt soll nicht für Hilfen für andere Länder gelten? - Nur das wäre wirklich solidarisch, wie die SPD sich das wünscht. Mit uns wird es aber keine Transfer- und keine Schulden

union geben. Deswegen bitten wir um Zustimmung zu unserem Alternativantrag.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu dem Alternativantrag von Jamaika sagen. Der hat schon mit den ganzen Illusionen aufgeräumt, die die SPD aufgeführt hatte und sowieso nicht gehen. Man muss aber auch ganz klar sagen: Der Green New Deal ist auch nicht finanzierbar. Das ist einfach nicht drin. Selbst die frühere Europaministerin hat im Ausschuss zugegeben, dass dafür im Moment einfach keine Zeit, kein Geld und kein Sinn da ist. Es gibt viel dringendere Dinge, als solche Umgestaltungen der Wirtschaft am offenen Herzen vorzunehmen. Die Wirtschaft liegt am Boden, und die würde jetzt eine Dekarbonisierung nicht überleben. Dieser Plan ist unsinnig und unbezahlbar.

Das Gleiche gilt für das Programm „Next Generation EU“. Dafür - das sagt aber im Moment noch keiner - sollen neue Steuern erhoben werden. Das heißt, es werden Schulden gemacht, es werden Kredite vergeben, und es sollen noch mindestens vier riesige EU-weite Steuern eingeführt werden. Ich glaube nicht daran, dass 27 Mitgliedstaaten diese Steuern akzeptieren. Das heißt, das ist ein völlig falscher Weg, auf dem die EU-Kommission dort ist

Kommen Sie bitte zum Schluss.

- und leider auch die Bundeskanzlerin. Sie wird ja heute mit Kollegen reden. Mal schauen, was dabei herauskommt. Wir sind da sehr skeptisch, und wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall AfD)

Liebe Kollegen und Kolleginnen, es ist sehr unruhig geworden. Ich würde Sie bitten, jetzt noch der letzten Rednerin zuzuhören, der Abgeordneten des SSW, Jette Waldinger-Thiering.

Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 1. Juli 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft für die folgenden sechs Monate. Auch wenn das Präsidentschaftsprogramm kurzfristig angepasst werden

(Volker Schnurrbusch)

muss, so darf der Vorsitz im EU-Rat keine reine Corona-Ratspräsidentschaft sein. Dazu sind die Herausforderungen, vor denen die EU und wir alle als Bürgerinnen und Bürger stehen, zu vielfältig und zu gravierend. Unser vorliegender gemeinsamer Antrag beinhaltet daher eine konkrete Auflistung wichtiger Themenblöcke, die neben dem alles überschattenden Oberthema Corona eben auch nicht aus dem Blick geraten dürfen.

Natürlich wird das weitere Management der Coronakrise im Fokus stehen, keine Frage. Gerade die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen und zum Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ werden viel Anstrengungen kosten. Aber es gilt eben auch, noch zahlreiche weitere Themen und ungelöste Fragen anzusprechen. Ich verstehe Europa als einen solidarischen Verbund. Europapolitik muss sich daran messen lassen, dass und wie gemeinsame Aufgaben gemeinsam gelöst werden gerade auch in stürmischen Zeiten.

Aus unserem Antrag möchte ich insbesondere auf folgende Punkte noch einmal näher eingehen. Seit Jahren ringt die EU um eine gemeinsame Flüchtlings- und Migrationspolitik. Wir müssen hier endlich zu einer humanitären Lösung kommen. Die Menschen müssen aus den überfüllten, katastrophalen Lagern vor den Toren Europas herausgeholt werden.

(Beifall SSW, Regina Poersch [SPD] und Sandra Redmann [SPD])

Natürlich müssen wir diesen Teufelskreis, dass sich die Lager dann in kürzester Zeit erneut füllen, endlich durchbrechen.

(Jörg Nobis [AfD]: Wie wollen Sie das denn machen?)

Solange aber Menschen an unsere Tür klopfen und Zuflucht suchen, darf die EU nicht wegschauen, sondern muss sich endlich auf ein solidarisches Verteilungssystem einigen und gleichzeitig

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

weiter an der Fluchtursachenbekämpfung mitwirken.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier ist die internationale Gemeinschaft gefragt, und Schleswig-Holstein kann auch hier seinen Beitrag dazu leisten.

Die Säule sozialer Rechte muss gerade in solchen Zeiten, wo die Menschen um ihre Arbeitsplätze

bangen oder sie sogar verlieren, gestärkt werden. Auch die Themen Klimapolitik, Digitalisierung und Mobilität müssen wir weiterhin ambitioniert angehen.

Drittens: die Bedeutung von Nordseekooperation und Ostseepolitik. Der Abschluss der Brexit-Gespräche wird die Zusammenarbeit mit allen Nordsee-Anrainern nachhaltig verändern. Als Land zwischen den Meeren sollten wir zusehen, dass wir hier stets aufmerksam mit am Tisch sitzen.

Von dort schauen wir natürlich auch auf unsere andere Meeresseite, die Ostseeregion. Hier arbeiten wir in zahlreichen Gremien mit und stehen mit unseren Partnern in einem hervorragenden Zusammenarbeitsverhältnis. Hervorheben und loben möchte ich an dieser Stelle auch einmal unsere Kooperation mit der russischen Oblast Kaliningrad.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und FDP)

Es ist schade, dass wir unsere Reise vorerst verschieben mussten, aber darunter sollen unser Netzwerk und unsere Zusammenarbeit nicht leiden. Wir haben im Europaausschuss gehört, dass die nächste Reise des Europaministers vielleicht nach Kaliningrad geht. Vielleicht könnten der Europaausschuss und der Europaminister im nächsten Jahr zusammen dorthin reisen, um ein Zeichen zu setzen. Wir konnten ja auch das 20-jährige Jubiläum der Partnerschaft mit Kaliningrad nicht feiern. Das wäre mein Vorschlag.

(Beifall SPD und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn wir wollen mit Kaliningrad gern in einem konstruktiven Austausch bleiben.

(Zurufe)

Wir wünschen uns natürlich auch weiter einen konstruktiven Austausch bei unserem Herzensthema: die Verankerung und verstärkte Sichtbarkeit der Minderheitenpolitik auf europäischer Ebene. Die Minderheiten bereichern Europa, doch dieser Reichtum ist nicht selbstverständlich. Die Erhaltung von Minderheitenkulturen und -sprachen erfordert viel Einsatz und Schutz. Die Minderheiten in Europa sind keine homogene Gruppe. Es ist daher folgerichtig und notwendig, Minderheitenthemen auf europäischer Ebene verstärkt zu bündeln und der Minderheitenpolitik insgesamt einen höheren Stellenwert beizumessen. Diese Anregung bietet sich gerade aus Schleswig- Holstein an.

Noch kurz zum Jamaika-Antrag: Es ist leider ziemlich offensichtlich, dass hier kurzfristig ein Alterna

(Jette Waldinger-Thiering)