Protokoll der Sitzung vom 27.08.2020

(Tobias Koch [CDU]: Zum Besseren!)

Übrigens hat sich auch die Landesverfassung geändert, ich empfehle einen Blick in Artikel 7, da geht es um Inklusion.

Die AfD will rückwärtsgewandt die Uhr zurückdrehen.

(Lachen Dr. Frank Brodehl [AfD])

Das ist nichts Neues: Sie wollen keine Integration, Sie wollen Segregation.

Es kann aber doch nicht wirklich um 2007 gehen! Wir müssen doch gemeinsam darüber sprechen, was wir 2027 wollen, wenn die nächste Legislaturperiode zu Ende sein wird. Das ist aber nicht das Denken der AfD. Es ist aber leider auch nicht die Perspektive der Landesregierung mit ihrem Inklusionsbericht.

Wir haben in diesem Haus in verschiedenen Punkten Konsens. Ein Konsens ist: Inklusion braucht zusätzliche Ressourcen. Das hat seit Dr. Klug kein

(Anette Röttger)

Bildungsminister und keine Bildungsministerin mehr in Abrede gestellt.

Zweiter Konsens: Ohne Förderzentren wird es nicht gehen. Das ist hier völlig unstrittig.

Dritter Konsens: Qualität vor Quantität. Das ist gemeinsame Beschlusslage in diesem Hause, und zwar nicht erst seit 2017, sondern seit 2014, meine Damen und Herren.

Die SPD hat darüber hinaus noch Positionen, die möglicherweise nicht konsensfähig sind: Wir finden es schlecht, wenn die Exklusionsquote nach der 4. Klasse steigt. Wir finden: Die Inklusion muss Aufgabe aller Schulen sein.

(Beifall Bernd Heinemann [SPD] und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Wir stören uns zum Beispiel daran, dass die Gymnasien sowohl in der Großen Anfrage als auch im Inklusionsbericht schlicht nicht vorkommen. Wir finden: Zur Inklusion gehören Vielfalt, Hochbegabung, Migration und soziale Ausgangslagen.

Wir wollen zurück zum Leitbild der inklusiven Schule, das aus dem letzten Inklusionsbericht herausgeflogen ist. Wir wollen wieder Schulen haben, die für alle jungen Menschen offen sind.

Wir wollen auch an Förderzentren gebundenen Ganztag. Wenn es eine Information in dieser Anfrage gab, über die es sich zu sprechen lohnt, dann die: Es gibt heute kein einziges Förderzentrum, das eine gebundene Ganztagsschule ist.

(Zuruf Dr. Frank Brodehl [AfD])

Wir wollen endlich Klarheit über die Zukunft der Schulassistenz. Meine Damen und Herren, Sie geben über 200.000 € für eine Studie aus, die seit nunmehr einem Jahr im Ministerium herumdümpelt. Wir wissen immer noch nicht, was da herausgekommen ist. Es gibt immer noch Schulassistentinnen und Schulassistenten im Land, die auf befristeten Stellen hocken und sich endlich Klarheit wünschen.

(Beifall SPD und SSW)

Im Februar - es ist angesprochen worden - gab es einen Entwurf für eine neue Landesverordnung zur sonderpädagogischen Förderung. Es gab viel Widerstand für diesen Entwurf. Er ist bisher nicht im parlamentarischen Raum diskutiert worden. Die eigenen Schulräte waren aber interessanterweise erschrocken und sprachen von einem Paradigmenwechsel.

Der Entwurf wurde zurückgezogen, aus meiner Sicht zu Recht. Gerade die temporären intensivpädagogischen Maßnahmen sind aus meiner Sicht kritisch zu betrachten, nicht, weil es sie gibt - die gibt es bisher auch schon -, sondern weil Sie damit verbinden, Schülerinnen und Schüler aus der allgemeinbildenden Schule rauszunehmen und zu Schülerinnen und Schülern im Förderzentrum zu machen.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Temporär!)

Das ist wie früher: Wer irgendwie auffällt, wird rausgenommen und irgendwo anders hingesteckt. Das ist falsch.

(Beifall SPD, Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Wir wollen öffentlich über solche Themen sprechen. Inklusion ist ein schwieriges Thema. Es betrifft Menschen persönlich, auf Veranstaltungen, auf denen es darum geht, wird oft geweint. Aber es muss öffentlich stattfinden. Wir haben in der letzten Legislaturperiode in diesem Raum eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Sie haben sich einer weiteren öffentlichen Anhörung verweigert und bringen die Diskussion stattdessen ins Hinterzimmer. Das ist zu verurteilen.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW] - Widerspruch CDU)

Man braucht Haltung, man braucht Ressourcen, man braucht die Mitnahme von Betroffenen. Nichts davon zeigen Sie. Ändern Sie das! - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW] - Widerspruch CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Ines Strehlau das Wort.

(Unruhe)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollen hier heute über die Große Anfrage der AfD zu den sonderpädagogischen Standards an unseren Schulen und noch einmal über den Bericht der Landesregierung zum Stand der Inklusion im schulischen Bildungsbereich sprechen. Es passiert nicht oft, dass wir einen Bericht zweimal im Landtag diskutieren, es ist aber insofern hilfreich, als

(Martin Habersaat)

dass sich sehr viele Fragen der AfD mit dem sehr detailreichen Bericht beantworten lassen.

Ich habe mich gefragt, was diese Anfrage der AfD soll, warum die AfD diese Anfrage stellt. Da zeigen sich im Landtag und auf der Homepage von Herrn Brodehl wieder die zwei verschiedenen Gesichter der AfD. Herr Brodehl, hier stellen Sie sich hin und behaupten, Inklusion stellten Sie nicht infrage, insbesondere nicht, wenn sie gut gemacht ist, Sie seien zwar für ein gegliedertes Schulsystem, aber Inklusion stellten Sie nicht infrage. Aber in Ihren Pressemitteilungen äußern Sie sich immer gegen Inklusion und für mehr Beschulung in Förderzentren.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Blödsinn!)

So sagt Herr Brodehl laut einer PE auf seiner Homepage vom 24. September 2018:

„Bildung ist ein Menschenrecht - Inklusion ist es nicht.“

Herr Brodehl zitiert die UN-Behindertenrechtskonvention und sagt, dass es in Artikel 24 Absatz 1 Satz 1 der Konvention lediglich heiße: Jeder habe das Recht auf Bildung, von Inklusion sei dort nirgends die Rede. Damit hat Herr Brodehl aber nur den ersten Satz von Artikel 24 zitiert. In Artikel 24 geht es nämlich weiter:

„Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen …“

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

In Absatz 2 heißt es:

„Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass … Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihnen erfolgreiche Bildung zu erleichtern; …“

Inklusion ist also sehr wohl ein Menschenrecht

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Dennys Bornhöft [FDP])

und mit Sicherheit kein Irrweg, wie Herr Brodehl an anderer Stelle schreibt.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Schreibe ich an anderer Stelle nicht! Blödsinn!)

Es ist eine Haltung, dass jeder Mensch, egal, welche Stärken und Schwächen er oder sie hat, das

Recht auf Unterstützung und Wertschätzung bekommt. In den Äußerungen von Herrn Brodehl zeigt sich einmal mehr die Argumentationsstrategie der AfD: Durch Weglassen wichtiger Teile von Zitaten wird versucht, eine verdrehte Wahrheit zu kreieren. Das ist unseriös und populistisch.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Wir haben schon bei der Debatte zum Inklusionsbericht über die Herausforderungen gesprochen. Wir haben mit fast 70 % eine hohe Inklusionsquote und sind dabei, die Rahmenbedingungen kontinuierlich weiter zu verbessern. Wir brauchen eine gute Personalausstattung an den Schulen. Da steuert Jamaika mit jährlich 70 neuen Stellen für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen kräftig nach. Wir brauchen eine bessere Verzahnung der multiprofessionellen Teams, zum Beispiel zwischen Sonderpädagogik, Schulbegleitung und Schulassistenz. Dazu gibt es mit den Pool-Modellen gute Beispiele im Land. Wir brauchen eine Stärkung der individuellen Förderung aller Kinder in der Schule. Inklusion bedeutet nicht nur, die zu fördern, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben, sondern alle; dazu gehören auch der Hochbegabte und die mit Migrationshintergrund.

Da müssen wir noch eine Schippe drauflegen, das wissen wir. Das Konzept „Die Lehrkraft steht vorn an der Tafel, die Schülerinnen und Schüler folgen“, das gestern in der Bildungsdebatte von einem Kollegen genannt wurde, ist nicht mehr aktuell.