Da müssen wir noch eine Schippe drauflegen, das wissen wir. Das Konzept „Die Lehrkraft steht vorn an der Tafel, die Schülerinnen und Schüler folgen“, das gestern in der Bildungsdebatte von einem Kollegen genannt wurde, ist nicht mehr aktuell.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Da haben Sie nicht zugehört, Herr Kollege Koch! - Un- ruhe)
Auch hier brauchen wir eine Vielfalt an Angeboten. Das Angebot „Familie in Schule“ - FiSch - hat gute Erfolge, vor allem bei Kindern und Jugendlichen mit dem Förderschwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung. Auch das kooperative Schultraining im Kreis Pinneberg ist ein Projekt für diese Schülerinnen und Schüler. Das ist eine temporär intensivpädagogische Maßnahme.
Wir müssen die Frage diskutieren, wo die Kinder angegliedert sind, ob am Förderzentrum oder an der Regelschule. Ich finde es richtig, dass das Bildungsministerium gesagt hat: Wir brauchen darüber eine breite Diskussion.
Wir brauchen eine breite Basis für Inklusion. Nur dann kann sie gelingen. Es darf nicht sein, dass das Rad in jeder Legislaturperiode in die eine oder an
dere Richtung gedreht wird. Inklusion ist für die Schulen eine so große Herausforderung, dass sie Kontinuität brauchen. Deshalb ist es gut, dass wir uns jetzt die Zeit nehmen und das weiter diskutieren. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Erst einmal mein Dank an die Ministerin und das Ministerium für die Berichte, denen wir einiges an Daten, Fakten und Zahlen entnehmen können, insbesondere, dass Schleswig-Holstein mit einer Quote von 70 % im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr gut dasteht. Ich möchte mich auch bei allen bedanken, die unter Aufbietung aller Kräfte vor Ort versuchen, eine gute Inklusion in den Schulen trotz manch mangelnder Rahmenbedingungen und Widrigkeiten möglich zu machen.
- Da dürft ihr gern klatschen. - Ich möchte dem positiven Tenor der Berichte nicht widersprechen und klarstellen, dass wir Liberale Inklusion nicht infrage stellen, aber ich wünsche mir, dass wir uns dem Thema differenziert nähern.
Die hohe Quote sieht nach außen gut aus, aber sie birgt das Problem, dass sie nichts über die Qualität aussagt. Daher ist es mir wichtig, dass wir den Fokus von der Zahl nehmen und der Qualität der Inklusion große Beachtung schenken und damit der Empfehlung des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, Uli Hase, folgen, der eine wissenschaftliche Begleitung als dringend notwendig einfordert.
Ich möchte gern erleben, dass aufgehört wird, Förderschulen per se zu unterstellen, dass Kinder dort exkludiert werden. Ehrlicherweise ist das Gegenteil der Fall. Die Wirklichkeit ist doch so, dass für manche Kinder die Förderschule der bessere Lernort ist, weil es dort individuellen, bestmöglichen Förderunterricht gibt, den wir an den Regelschulen derzeit schlicht und einfach nicht haben.
Wir Freie Demokraten plädieren dafür, die Förderschule zu erhalten. Wir sind damit nicht allein. Ich kenne viele Eltern, die betroffen sind und sich diese sinnvolle Alternative zur Regelschule wünschen. Auch das gehört zu einer echten Schulwahlfreiheit dazu.
In diesem Zusammenhang müssen wir dann auch ehrlich diskutieren, ob eine hundertprozentige Inklusion erreichbar und auch wirklich ein erstrebenswertes Ziel ist. Dabei müssen wir darüber sprechen - das klang heute auch schon durch -, welche Konsequenzen dieses Ziel für Bildungspolitik, vor allem aber auch für die Personal- und die Finanzpolitik hat. An dieser Stelle ist natürlich die Studie zur Evaluierung der Schulassistenz, der Schulbegleitung und der gesamten Unterstützungssysteme ganz wichtig.
Wir erleben also im Schulalltag viele engagierte Lehrkräfte, die inklusiven Unterricht erfolgreich umsetzen - mit Unterstützungssystem. Wir sehen aber in den Kollegien auch die große Unzufriedenheit und insbesondere Frustration. Das ist eine hohe Arbeitsbelastung, die sich negativ auf die Lehrergesundheit auswirkt: fehlendes Personal, fehlende Zeit im Unterricht, notwendige Fortbildungen, die man nicht unbedingt besuchen kann, mangelnde Räumlichkeiten. Unser Förderprogramm zum Lärmschutz in den Schulen ist nur ein kleiner Beitrag gewesen.
Ganz besonders herausfordernd wird es für die Kolleginnen und Kollegen, wenn viele Kinder mit vielschichtigen Auffälligkeiten einzubinden sind. Denn hier wird es für die Lehrkräfte schwierig, den Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler gerecht zu gestalten.
Das Fazit für mich ist: Das ist für alle Beteiligten kein wünschenswerter Zustand, weder für die Schüler, noch für die Lehrer und erst recht nicht für die Kinder mit Förderbedarf. Wir wünschen uns - genauso wie die Betroffenen - eine frühe Diagnostik, intensive Gespräche mit den Beteiligten und eben auch regelmäßige Überprüfung, damit wir Frustrationserlebnisse vermeiden und die Jugendlichen so früh wie möglich fördern können, und zwar gleich welche Schulform sie besuchen.
Im Rahmen der Überarbeitung der sonderpädagogischen Förderverordnung haben wir doch die Möglichkeit, nach guten Lösungen zu suchen. Kollege Habersaat, ich würde an dieser Stelle sagen, dass sich die Ministerin dort einen Versprecher geleistet hat, den man nicht überbewerten muss. Selbstverständlich werden wir im Ausschuss die Möglichkeit haben, intensiv - und ich hoffe konstruktiv und sachlich - über alle Inhalte und Sichtweisen zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, alle Beteiligten haben es verdient, dass wir sie in ihrer Arbeit unterstützen.
Weil ich noch ein paar Sekunden Restredezeit habe, möchte ich Ihnen eine kleine Begebenheit aus meinem Wahlkreis erzählen. Es geht um einen Grundschüler, 4. Klasse. Er hat acht Schulwechsel hinter sich - zwangsweise -, weil er nicht diagnostiziert werden konnte und von den Lehrkräften unterschiedlich bewertet wurde. Er passte an der einen Schule nicht, an der anderen Schule passte er nicht, und auch die Schule, die sich Inklusion ganz groß auf die Fahne geschrieben hat und dafür ausgezeichnet worden ist, konnte ihn nicht beschulen. Dieser Junge ist jetzt sehr glücklich an einem Förderzentrum. Er ist inzwischen diagnostiziert, und die Familie kann wieder ein normales Leben führen, sie muss nicht mehr getrennt sein, was sie natürlich wahnsinnig belastet hat. Auch das gehört zur Lebensrealität. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Für die Aktion Mensch ist klar: Wenn jeder Mensch überall dabei sein kann, auf dem Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit, dann ist das Inklusion. Davon sind die Schulen in Schleswig-Holstein allerdings noch ein bisschen weit entfernt. Zwar hat sich in den letzten 30 Jahren der Anteil der inklusiv beschulten Schülerinnen und Schülern enorm verbessert, aber immer noch kann die Regelschule nicht allen Bedürfnissen und Förderansprüchen gerecht werden. Die Schülerinnen und Schüler, vor allem diejenigen mit einer Mehrfachbehinderung, sind immer noch auf die Möglichkeit der Beschulung an einem Förderzentrum angewiesen.
Wie sieht es also in der Schule aus? Im Studium gibt ein ähnliches Bild wie bei den Schulen: Studierende mit Behinderung scheitern schon an studienbegleitenden Hindernissen. Da ist die Mensa nicht barrierefrei, ebenso die Bibliothek.
Es fehlen Blindenstreifen, oder die Akustik im Hörsaal schließt schwerhörige Studierende aus. Allerdings gibt es für die Universitäten keine Alternativen. Deshalb ist die Quote der Studierenden mit Behinderung seit Jahren beklagenswert niedrig. Das führt dazu, dass Menschen mit Behinderungen auf der anderen Seite des Lehrerpults in den Schulen auch sehr selten zu finden sind. Eine Schule mit Barrieren schließt eben nicht nur Schülerinnen und Schüler mit Behinderung aus, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer mit Behinderung.
Vielleicht erklärt sich auch so die Berufung eines nicht behinderten Direktors auf die Leitungsstelle in einer Gehörlosenschule. Ich möchte an dieser Stelle allerdings ausdrücklich die Offenheit des Berichtes loben, der auch Schwachstellen nicht verschweigt.
Davon gibt es einige, von denen ich heute nur stichwortartig ein paar nennen möchte: So ist eine Einszu-Zwei-Begleitung in den seltensten Fällen bereits umgesetzt. Schulbegleitungen und Assistenzen werden aus Kostengründen oftmals in den Ferienzeiten nicht bezahlt. Dieses System ist falsch, weil es gute und engagierte Kräfte aus diesem Bereich regelrecht verjagt. Die Anerkennung der Gebärdensprache als Minderheitensprache steht noch ganz am Anfang. Die Berufsschulen haben noch erhebliche Integrationsanstrengungen vor sich. In diesem Bereich müssen wir klotzen und nicht kleckern. Die individuell zu stellenden Anträge für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung sind nicht nur enorme Zeitfresser für die Eltern, sondern befördern deren Selbstausbeutung. Die Inklusion ist von Kommune zu Kommune sehr heterogen ausgeprägt. Damit entscheidet der Zufall des Lebensortes über die Breite der Förderung. Autismus ist eine Behinderungsform, die offenbar das bisherige System sprengt und die Eltern zu einem wahren Behördenmarathon zwingt. - Ich könnte diese Liste noch fortsetzen.
2020 eingeschult wird, hat gute Chancen auf angemessene und ausreichende individuelle Förderung und sogar einen Schulabschluss, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Um diese Fortschritte zu bewahren, befürworte ich einen jährlichen Fachtag zur Inklusion an Schulen. Ich bedaure, dass die Fortführung des Fachtages im Ausschuss keine parlamentarische Mehrheit gefunden hat.
Meine Kollegin Anita Klahn hat eben von einer Diagnose für einen Jungen in einer 4. Klasse gesprochen. Ich möchte noch einmal sagen: Eine Diagnose darf niemals dazu führen, dass ein Kind in ein Förderzentrum abgeschoben wird.
Kindern eine Diagnose zu geben, wenn sie gerade in der 1. Klasse sind - so wie es jetzt vielleicht gewollt ist; was wir von der Küstenkoalition auf alle Fälle nicht wollten -, ist verheerend für ihre Entwicklung.
(Vereinzelter Beifall SSW und SPD - Anita Klahn [FDP]: Oh nein! Jette, nein, ich erzäh- le dir nachher gern, was da detailliert gewe- sen ist!)
- Doch. - Ich möchte fortfahren und sagen: Ich finde den Ansatz von Ines Strehlau richtig und gut zu sagen, dass wir, die Demokraten, Inklusion und das Recht der Kinder auf Inklusion, aber auch unserer übrigen Gesellschaft, wollen. Wir müssen uns gemeinsam immer wieder dieses Themas annehmen und für Verbesserung sorgen. Es kann nämlich nicht sein, dass jede Landesregierung erst wieder noch etwas besonders gut machen muss. Denn es gibt ein Recht auf Inklusion. Wir sollten gemeinsam weiter daran arbeiten, dass wir für jeden einen Platz in unserer Gesellschaft haben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, danke für die Worterteilung. - Gerade just die letzten Äußerungen der Kollegin Jette Waldinger-Thiering haben mich animiert, eine Sache noch einmal auf den Punkt zu